Endlich - der neue Roman von Zeruya Shalev: Der SPIEGEL-Bestseller der israelischen Star-Autorin!
Ein Generationenroman mit aktuellen politischen Anklängen, ein großes Beispiel moderner Frauenliteratur, die zugleich Weltliteratur ist.
Atara ist zum zweiten Mal verheiratet, mit ihrer großen Liebe, doch neuerdings scheint Alex sich immer weiter von ihr zu entfernen. Noch größere Sorgen macht ihr der gemeinsame Sohn, ein Elitesoldat, der nach dem letzten Einsatz kaum mehr das Haus verlässt. Vielleicht um ihre Familie besser zu verstehen, vielleicht um ihr zu entkommen, sucht Atara Rachel auf, die erste Frau ihres Vaters, das große Tabu in Ataras Kindheit ...
Die Idealistin Rachel scheint die Vergangenheit zu verkörpern - sie kämpfte mit dem Vater in der Untergrundmiliz gegen die Engländer und für einen israelischen Staat. Doch die Begegnung der beiden Frauen mündet in eine Katastrophe in der Gegenwart ...
»Zeruya Shalev hat einen großen, hellsichtigenRoman geschrieben.« ttt
Ihr lang erwarteter Roman "Schicksal" katapultierte Zeruya Shalev direkt auf die deutsche Bestsellerliste und löste einen Kritikersturm der Begeisterung aus. Denn "Schicksal" verwebt Familiengeheimnisse und politische Zeitgeschichte zu einer komplexen Betrachtung innerer Zerrissenheit.
Nicht nur für Mütter und Freundinnen: ein literarisches Geschenk, das lange nachhallt
"Schicksal" lädt zum Diskutieren und Reflektieren ein. Es provoziert Sie zum Widerspruch und zum Hinterfragen. Doch vor allem verführt es Sie zum Lesen in einem Rutsch.
Ein Generationenroman mit aktuellen politischen Anklängen, ein großes Beispiel moderner Frauenliteratur, die zugleich Weltliteratur ist.
Atara ist zum zweiten Mal verheiratet, mit ihrer großen Liebe, doch neuerdings scheint Alex sich immer weiter von ihr zu entfernen. Noch größere Sorgen macht ihr der gemeinsame Sohn, ein Elitesoldat, der nach dem letzten Einsatz kaum mehr das Haus verlässt. Vielleicht um ihre Familie besser zu verstehen, vielleicht um ihr zu entkommen, sucht Atara Rachel auf, die erste Frau ihres Vaters, das große Tabu in Ataras Kindheit ...
Die Idealistin Rachel scheint die Vergangenheit zu verkörpern - sie kämpfte mit dem Vater in der Untergrundmiliz gegen die Engländer und für einen israelischen Staat. Doch die Begegnung der beiden Frauen mündet in eine Katastrophe in der Gegenwart ...
»Zeruya Shalev hat einen großen, hellsichtigenRoman geschrieben.« ttt
Ihr lang erwarteter Roman "Schicksal" katapultierte Zeruya Shalev direkt auf die deutsche Bestsellerliste und löste einen Kritikersturm der Begeisterung aus. Denn "Schicksal" verwebt Familiengeheimnisse und politische Zeitgeschichte zu einer komplexen Betrachtung innerer Zerrissenheit.
Nicht nur für Mütter und Freundinnen: ein literarisches Geschenk, das lange nachhallt
"Schicksal" lädt zum Diskutieren und Reflektieren ein. Es provoziert Sie zum Widerspruch und zum Hinterfragen. Doch vor allem verführt es Sie zum Lesen in einem Rutsch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2021Bücher sollte man nicht planen
FRANKFURT Israels Freiheit: Zeruya Shalev stellt in der Jüdischen Gemeinde ihren Roman "Schicksal" vor
Neulich hat ein Bekannter ihr gesagt, sie hätte ihr neues Buch ebenso gut "Schuld" nennen können. Er habe ganz recht, sagt Zeruya Shalev im ausverkauften Saal des Ignatz-Bubis-Gemeindezentrums an der Savignystraße. Darum gehe es in der Tat: "Noch mehr als sonst." Die Autorin der in knapp zwei Dutzend Sprachen erfolgreichen "Trilogie über die moderne Liebe", ("Liebesleben", "Mann und Frau" und "Späte Familie") ist nach Frankfurt gekommen, um "Schicksal" vorzustellen, ihren sechsten Roman.
Im Berlin Verlag ist er schon im Mai auf Deutsch erschienen, im Gemeindezentrum liest Heidi Ecks vom Schauspiel Frankfurt aus der Übersetzung von Anne Birkenhauer. Erst jetzt gestattet die pandemische Lage Shalev eine kurze Lesereise durch Deutschland. Die Anreise von Ravensburg nach Frankfurt hat länger gedauert als gedacht, rund sieben Stunden im Auto. "Ich bin so froh, dass wir's geschafft haben", sagt die 1959 am See Genezareth geborene Autorin im Gespräch mit Ariella Chmiel, Geschäftsführerin der Münchner Literaturhandlung.
Es geht um Haifa, die Stadt, in der Shalev lebt. "Es gibt so viele Filter zwischen dem Leben und der Literatur. Aber manches findet den Weg hindurch." Wie dieser in Israel immer ungewöhnlichere Ort friedlicher Koexistenz: "Man weiß nicht, wer Jude und Araber ist. Es ist nicht wichtig." Die Rede ist aber auch von der Weisheit des Rabbi Nachman von Brazlaw, radikalzionistischem Terror und dem zerrissenen Land von heute. Und dem Roman, in dem die Architektin Atara die 90 Jahre alte erste Frau ihres Vaters kennenlernt, Rachel, die vor der israelischen Staatsgründung der Untergrundorganisation Lechi angehörte, die Anschläge auf die britische Mandatsmacht verübte.
Auch Shalevs Vater wirkte kurze Zeit in der 1948 verbotenen Gruppierung mit, deren voller Name auf Deutsch "Kämpfer der Freiheit Israels" bedeutet. Allerdings ohne zur Waffe zu greifen oder an Sabotageakten und Attentaten beteiligt gewesen zu sein. Vielleicht gerade deswegen erzählte er seinen Kindern gerne davon. Hätte seine Tochter bloß zugehört: "Ich habe mich, wie viele Kinder, nie dafür interessiert." Nach seinem Tod stellte sie fest, sich an fast nichts zu erinnern.
Was sei übrig von den Träumen von damals, fragt Chmiel. "Zunächst einmal gibt es da einen Staat", antwortet Shalev. Den man kritisieren dürfe. "Aber wir wissen, warum es ihn geben muss." Er sei alles andere als der "safe space", als den Chmiel ihn gerade bezeichnet habe: "Aber wir können alles tun, um ihn sicher zu machen. Denn die existentielle Bedrohung ist noch immer da." Jetzt gehe es darum, den israelischen Rechtsstaat zu bewahren und auf jüdischer Seite gegenüber Arabern und Palästinensern so viel Empathie wie möglich zu entwickeln und dann gefälligst auch zu empfinden. "Ich hoffe, die neue Regierung ist besser als die alte." Gelegentlich scheine es ihr so: "Ich weiß nicht, ob sie gut genug ist." Aber der Staat Israel müsse existieren. "Wir müssen uns noch immer verteidigen. Auch wenn es manchmal nicht so aussieht. Aber darum geht es."
Herrscht das Schicksal? Oder sind Entscheidungen wichtiger? Shalev ist sich da nicht einmal literarisch sicher. Als beim Schreiben im zweiten Kapitel plötzlich ein chassidischer Mann um die Ecke bog und sich als Sohn Rachels herausstellte, wollte sie ihn zunächst wieder rauswerfen: "Geh weg." Sein Milieu sagte ihr nichts. Aber sie behalte sich beim Schreiben stets Überraschungen vor: "Ich möchte nicht zu viel wissen oder planen." Also blieb der Sohn drin und enthüllte nach und nach seine Bedeutung. Vom Handhaben des Werks geht es zu dem des Lebens: "Wie man es führt, wie man interpretiert, was in ihm vorgeht" - darum kreise der neue Roman. Sie wünschte, sie hätte neben diesen Fragen auch Antworten. Man könne etwas tun, könne handeln. Aber das heiße nicht, dass es funktioniere. "Wir können nur unser Bestes versuchen." Am Schreibtisch, im Leben, im Staat.
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
FRANKFURT Israels Freiheit: Zeruya Shalev stellt in der Jüdischen Gemeinde ihren Roman "Schicksal" vor
Neulich hat ein Bekannter ihr gesagt, sie hätte ihr neues Buch ebenso gut "Schuld" nennen können. Er habe ganz recht, sagt Zeruya Shalev im ausverkauften Saal des Ignatz-Bubis-Gemeindezentrums an der Savignystraße. Darum gehe es in der Tat: "Noch mehr als sonst." Die Autorin der in knapp zwei Dutzend Sprachen erfolgreichen "Trilogie über die moderne Liebe", ("Liebesleben", "Mann und Frau" und "Späte Familie") ist nach Frankfurt gekommen, um "Schicksal" vorzustellen, ihren sechsten Roman.
Im Berlin Verlag ist er schon im Mai auf Deutsch erschienen, im Gemeindezentrum liest Heidi Ecks vom Schauspiel Frankfurt aus der Übersetzung von Anne Birkenhauer. Erst jetzt gestattet die pandemische Lage Shalev eine kurze Lesereise durch Deutschland. Die Anreise von Ravensburg nach Frankfurt hat länger gedauert als gedacht, rund sieben Stunden im Auto. "Ich bin so froh, dass wir's geschafft haben", sagt die 1959 am See Genezareth geborene Autorin im Gespräch mit Ariella Chmiel, Geschäftsführerin der Münchner Literaturhandlung.
Es geht um Haifa, die Stadt, in der Shalev lebt. "Es gibt so viele Filter zwischen dem Leben und der Literatur. Aber manches findet den Weg hindurch." Wie dieser in Israel immer ungewöhnlichere Ort friedlicher Koexistenz: "Man weiß nicht, wer Jude und Araber ist. Es ist nicht wichtig." Die Rede ist aber auch von der Weisheit des Rabbi Nachman von Brazlaw, radikalzionistischem Terror und dem zerrissenen Land von heute. Und dem Roman, in dem die Architektin Atara die 90 Jahre alte erste Frau ihres Vaters kennenlernt, Rachel, die vor der israelischen Staatsgründung der Untergrundorganisation Lechi angehörte, die Anschläge auf die britische Mandatsmacht verübte.
Auch Shalevs Vater wirkte kurze Zeit in der 1948 verbotenen Gruppierung mit, deren voller Name auf Deutsch "Kämpfer der Freiheit Israels" bedeutet. Allerdings ohne zur Waffe zu greifen oder an Sabotageakten und Attentaten beteiligt gewesen zu sein. Vielleicht gerade deswegen erzählte er seinen Kindern gerne davon. Hätte seine Tochter bloß zugehört: "Ich habe mich, wie viele Kinder, nie dafür interessiert." Nach seinem Tod stellte sie fest, sich an fast nichts zu erinnern.
Was sei übrig von den Träumen von damals, fragt Chmiel. "Zunächst einmal gibt es da einen Staat", antwortet Shalev. Den man kritisieren dürfe. "Aber wir wissen, warum es ihn geben muss." Er sei alles andere als der "safe space", als den Chmiel ihn gerade bezeichnet habe: "Aber wir können alles tun, um ihn sicher zu machen. Denn die existentielle Bedrohung ist noch immer da." Jetzt gehe es darum, den israelischen Rechtsstaat zu bewahren und auf jüdischer Seite gegenüber Arabern und Palästinensern so viel Empathie wie möglich zu entwickeln und dann gefälligst auch zu empfinden. "Ich hoffe, die neue Regierung ist besser als die alte." Gelegentlich scheine es ihr so: "Ich weiß nicht, ob sie gut genug ist." Aber der Staat Israel müsse existieren. "Wir müssen uns noch immer verteidigen. Auch wenn es manchmal nicht so aussieht. Aber darum geht es."
Herrscht das Schicksal? Oder sind Entscheidungen wichtiger? Shalev ist sich da nicht einmal literarisch sicher. Als beim Schreiben im zweiten Kapitel plötzlich ein chassidischer Mann um die Ecke bog und sich als Sohn Rachels herausstellte, wollte sie ihn zunächst wieder rauswerfen: "Geh weg." Sein Milieu sagte ihr nichts. Aber sie behalte sich beim Schreiben stets Überraschungen vor: "Ich möchte nicht zu viel wissen oder planen." Also blieb der Sohn drin und enthüllte nach und nach seine Bedeutung. Vom Handhaben des Werks geht es zu dem des Lebens: "Wie man es führt, wie man interpretiert, was in ihm vorgeht" - darum kreise der neue Roman. Sie wünschte, sie hätte neben diesen Fragen auch Antworten. Man könne etwas tun, könne handeln. Aber das heiße nicht, dass es funktioniere. "Wir können nur unser Bestes versuchen." Am Schreibtisch, im Leben, im Staat.
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Sandra Kegel ist schwer beeindruckt davon, wie Zeruya Shalev in diesem Roman das Unverständnis des Menschen gegenüber der Geschichte und gegenüber dem eigenen Schicksal gestaltet und dem Leser vermittelt. Die politische und gesellschaftliche Realität Israels verknüpft sie dabei geschickt mit den Biografien ihrer Protagonistinnen, erklärt Kegel. Der hohe Ton der Erzählung um zwei Frauen verschiedener Generationen und die mannigfachen Verflechtungen ihrer von Gewalt, Sehnsüchten und Verrat geprägten Familiengeschichten scheint Kegel durchaus angebracht. Genau und immer wieder mit schlagenden Gleichnissen entfaltet die Autorin die familiären Dramen ihrer Figuren, staunt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2021Das Leben ist ein Autobahnstau
Ein Roman mit Übergepäck: Zeruya Shalev entblättert in „Schicksal“ ein Familiengeheimnis
Die schon viele Jahrzehnte andauernde, komplizierte politische Lage in Israel befördert die Literatur des Landes in eine einzigartige Position: Hier wird freimütig die Geschichte der Gegenwart erzählt, verarbeitet und mit den Mitteln der Sprache gedeutet. Ob es sich um politische Polarisierung, die Beziehungen zwischen Religion und offener Gesellschaft, den Kampf gegen den Terror oder die Auseinandersetzung mit den Traumata der jüngsten Geschichte handelt – in Israel sind diese Themen mit den Mitteln von Kunst und Kultur früher als anderswo adressiert worden. Das liegt auch an der verfahrenen innenpolitischen Lage unter einem umstrittenen, aber unüberwindbaren Regierungschef. Erst in diesen Tagen scheint sich etwas daran zu ändern.
Wo Parteien und Medien einigermaßen ratlos bleiben, richtet sich die Aufmerksamkeit in besonderem Ausmaß auf die kulturellen Hervorbringungen Israels, auf Romane, Serien und Filme. Darin hofft man, die Komplexität einer Situation zu erkennen, zu der es zu viele einfache Meinungen gibt. Autorinnen und Autoren werden zu Vertretern der israelischen Zivilgesellschaft, und weil Israel als politisches Laboratorium gilt, in dem Entwicklungen westlicher Demokratien früher als in den USA und Europa zu betrachten sind, ist ihre Reputation ungleich größer, als es der Buchmarkt für zeitgenössische hebräische Literatur vermuten lassen würde.
Diese prominente symbolische Rolle hat auch einen Preis. Denn wenn Literatur noch mit allen möglichen anderen Funktionen beladen ist, kommt jedes Wort auf die Goldwaage, die aktuellen Themen drängen sich in die Geschichten, und die Dringlichkeit der Nachrichten von Krieg und Trauer, Verlust und Mut entwickelt eine ganz eigene Energie, gegen die es die Belletristik mit ihren langen Rhythmen und Zyklen manchmal schwer hat. Dann ist literarisches Übergepäck anzumelden, wie im Falle des neuen Romans von Zeruya Shalev: Der Koffer lässt sich nicht ganz schließen.
Auf mehr als vierhundert, von Anne Birkenhauer elegant übersetzten Seiten wird die Geschichte von zwei Frauen, Rachel und Atara, erzählt, ihre Verbindung allmählich enthüllt. Es ist eine literarische Archäologie familiärer Lügen, Geheimnisse und Gewalttaten. Das Buch gerät auch zur historischen Pädagogik: Die greise Rachel war bei der Lechi, einer heute nur noch wenigen bekannten Widerstandsorganisation gegen die britische Mandatsherrschaft in Palästina.
Während die Gefallenen der Haganah, der bekannteren, heroischen und amtlichen Befreiungsbewegung, unter großer öffentlicher Anteilnahme bestattet werden, müssen die klandestinen Kämpferinnen und Kämpfer der Lechi ihre Toten im Licht von Motorradscheinwerfern beisetzen – ein Schmerz und eine Demütigung, die Rachel noch im hohen Alter zusetzen. Die Lechi fügt sich schlecht in die heroische Nationalgeschichte Israels ein, denn für diese Gruppe waren die Briten der Feind, den sie auch dann noch bekämpfte, als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war und es galt, die Kräfte gegen das nationalsozialistische Deutschland zu vereinen.
In diesen Zeiten hat Rachel Ataras Vater getroffen. Was sie gemeinsam erleben, wird zum großen Geheimnis, zum Vorleben. Später, als Familienvater, müssen wir ihn uns als versehrten Mann vorstellen, der zwar sozial reüssiert, ein anerkannter Wissenschaftler, aber auch ein brutaler Mann und ein häuslicher Sadist ist. Von seinen beiden Töchtern zieht er die eine der anderen vor, reißt dem verschmähten Kind die Haare aus, verweist sie stundenlang des Hauses und kann seinen Zorn nur mit Mühe beherrschen. Aber über seine Zeit mit seiner ersten Frau Rachel, bei der Lechi, spricht er nie und erzählt auch nicht, dass es schon einmal eine Atara in seinem Leben gab.
Seine Tochter Atara gründet später selbst eine Familie, eine erste und dann eine zweite. Sie ist Architektin und soll die Restaurierung eines schicken alten Hauses leiten, das eine Amerikanerin und deren Mann gekauft haben – das ist Alex, der dann Ataras zweiter Mann wird. Zur Erzählzeit des Romans ist aber auch diese zweite Familiengründung in Ataras Leben schon Geschichte. Ihre Kinder sind erwachsen, werden ihr fremd. Und ihr Mann Alex hat sich von dem anziehenden, aufmerksamen Partner und Liebhaber zum mürrischen Frührentner entwickelt, der der Welt bevorzugt im Modus des Meckerns begegnet.
Sie wohnen in Haifa und damit in einer Umgebung, die von kultureller Vielfalt und nachbarschaftlicher Nähe zu Araberinnen und Arabern geprägt ist. Ihr Haus hat Blick aufs Meer und steht in der Nähe eines Wadi, eines geheimnisvollen, von der aus der Bibel bekannten Fauna bewohnten, alten Flussbetts – eine epische Kulisse für den Jammer einer ausgepowerten Ehe. Atara versucht nun, mit Rachel in Kontakt zu treten, mehr zu erfahren über ihren Vater und dessen Zeit, auch über die Geschichte, die Rachel und ihn verbindet.
Es sind Ataras Autofahrten zu Rachel und wieder retour, in denen das Buch zu sich selbst kommt. Sie braucht lange: Das Motiv des unüberwindlichen Autobahnstaus ist meisterlich eingewoben, verdeutlicht den zunehmend unerträglichen persönlichen und familiären Stillstand. In ihrem Wagen ist Atara allein, obwohl sie telefonieren und SMS schreiben und lesen kann – aber das Pendeln zwischen Haus, Büro und Rachel stellt eine Phase des Übergangs dar, in der sie berührend über ihr Leben, die Liebe und die historische Dimension ihrer Familie reflektiert.
Das Buch könnte sich darauf konzentrieren, die ungute Entwicklung von Ataras zweiter Ehe zu erzählen, in der zu Joav und Avigail, den beiden Kindern aus den jeweils ersten Verbindungen der Eltern, noch ein Sohn geboren wird, der den himmlischen Namen Eden bekommt. Die schwierige Beziehung der Kinder untereinander, das seltsame Haus, die sich allmählich entfaltende, nie mehr völlig verschwindende schlechte Laune – sie ergeben in Zeruya Shalevs gnadenloser Schilderung einen beeindruckenden Roman über Momente und Illusionen einer postmodernen Patchworkfamilie.
Aus sicher guten, aber dem Werk nicht zuträglichen Gründen musste noch mehr in das Buch, also noch die frühe Geschichte des vergessenen Widerstands, die Geschichte der Rachel, eine Auseinandersetzung mit Menschen, die irgendwann zur Religion finden, damit aber auf dem Holzweg sind, und leider auch alle möglichen Gedanken zur zyklischen Wiederkehr vergleichbarer Erfahrungen, etwa mütterlicher Trauer, die vor biblischer Kulisse leicht mal ins seltsam Feierliche verrutschen. Das wird verstärkt durch Kapitelüberschriften, die ein Pathos suggerieren, das sich im Folgenden glücklicherweise nicht durchgehend findet: „Wofür hast Du gelebt, Rachel?“
In „Schicksal“ steckt – besonders in der Szene des so banalen Abschieds von Alex – mindestens ein zeitgenössisches Meisterwerk, das aber, wie in den Restaurierungsarbeiten, die Atara an diversen Immobilien vornehmen muss, von Leserinnen und
Lesern erst mühsam freigelegt werden muss.
NILS MINKMAR
Über seine Zeit mit der
Lechi spricht der Vater nie,
er wird ein versehrter Mann
Ein Haus am Wadi, eine epische
Kulisse für den Jammer
einer ausgepowerten Ehe
In deutscher Übersetzung wurde die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev im Jahr 2000 mit ihrem Roman „Liebesleben“ bekannt.
Foto: imago/Leemage
Zeruyah Shalev: Schicksal. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer Roman. Berlin Verlag, Berlin 2021. 416 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein Roman mit Übergepäck: Zeruya Shalev entblättert in „Schicksal“ ein Familiengeheimnis
Die schon viele Jahrzehnte andauernde, komplizierte politische Lage in Israel befördert die Literatur des Landes in eine einzigartige Position: Hier wird freimütig die Geschichte der Gegenwart erzählt, verarbeitet und mit den Mitteln der Sprache gedeutet. Ob es sich um politische Polarisierung, die Beziehungen zwischen Religion und offener Gesellschaft, den Kampf gegen den Terror oder die Auseinandersetzung mit den Traumata der jüngsten Geschichte handelt – in Israel sind diese Themen mit den Mitteln von Kunst und Kultur früher als anderswo adressiert worden. Das liegt auch an der verfahrenen innenpolitischen Lage unter einem umstrittenen, aber unüberwindbaren Regierungschef. Erst in diesen Tagen scheint sich etwas daran zu ändern.
Wo Parteien und Medien einigermaßen ratlos bleiben, richtet sich die Aufmerksamkeit in besonderem Ausmaß auf die kulturellen Hervorbringungen Israels, auf Romane, Serien und Filme. Darin hofft man, die Komplexität einer Situation zu erkennen, zu der es zu viele einfache Meinungen gibt. Autorinnen und Autoren werden zu Vertretern der israelischen Zivilgesellschaft, und weil Israel als politisches Laboratorium gilt, in dem Entwicklungen westlicher Demokratien früher als in den USA und Europa zu betrachten sind, ist ihre Reputation ungleich größer, als es der Buchmarkt für zeitgenössische hebräische Literatur vermuten lassen würde.
Diese prominente symbolische Rolle hat auch einen Preis. Denn wenn Literatur noch mit allen möglichen anderen Funktionen beladen ist, kommt jedes Wort auf die Goldwaage, die aktuellen Themen drängen sich in die Geschichten, und die Dringlichkeit der Nachrichten von Krieg und Trauer, Verlust und Mut entwickelt eine ganz eigene Energie, gegen die es die Belletristik mit ihren langen Rhythmen und Zyklen manchmal schwer hat. Dann ist literarisches Übergepäck anzumelden, wie im Falle des neuen Romans von Zeruya Shalev: Der Koffer lässt sich nicht ganz schließen.
Auf mehr als vierhundert, von Anne Birkenhauer elegant übersetzten Seiten wird die Geschichte von zwei Frauen, Rachel und Atara, erzählt, ihre Verbindung allmählich enthüllt. Es ist eine literarische Archäologie familiärer Lügen, Geheimnisse und Gewalttaten. Das Buch gerät auch zur historischen Pädagogik: Die greise Rachel war bei der Lechi, einer heute nur noch wenigen bekannten Widerstandsorganisation gegen die britische Mandatsherrschaft in Palästina.
Während die Gefallenen der Haganah, der bekannteren, heroischen und amtlichen Befreiungsbewegung, unter großer öffentlicher Anteilnahme bestattet werden, müssen die klandestinen Kämpferinnen und Kämpfer der Lechi ihre Toten im Licht von Motorradscheinwerfern beisetzen – ein Schmerz und eine Demütigung, die Rachel noch im hohen Alter zusetzen. Die Lechi fügt sich schlecht in die heroische Nationalgeschichte Israels ein, denn für diese Gruppe waren die Briten der Feind, den sie auch dann noch bekämpfte, als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war und es galt, die Kräfte gegen das nationalsozialistische Deutschland zu vereinen.
In diesen Zeiten hat Rachel Ataras Vater getroffen. Was sie gemeinsam erleben, wird zum großen Geheimnis, zum Vorleben. Später, als Familienvater, müssen wir ihn uns als versehrten Mann vorstellen, der zwar sozial reüssiert, ein anerkannter Wissenschaftler, aber auch ein brutaler Mann und ein häuslicher Sadist ist. Von seinen beiden Töchtern zieht er die eine der anderen vor, reißt dem verschmähten Kind die Haare aus, verweist sie stundenlang des Hauses und kann seinen Zorn nur mit Mühe beherrschen. Aber über seine Zeit mit seiner ersten Frau Rachel, bei der Lechi, spricht er nie und erzählt auch nicht, dass es schon einmal eine Atara in seinem Leben gab.
Seine Tochter Atara gründet später selbst eine Familie, eine erste und dann eine zweite. Sie ist Architektin und soll die Restaurierung eines schicken alten Hauses leiten, das eine Amerikanerin und deren Mann gekauft haben – das ist Alex, der dann Ataras zweiter Mann wird. Zur Erzählzeit des Romans ist aber auch diese zweite Familiengründung in Ataras Leben schon Geschichte. Ihre Kinder sind erwachsen, werden ihr fremd. Und ihr Mann Alex hat sich von dem anziehenden, aufmerksamen Partner und Liebhaber zum mürrischen Frührentner entwickelt, der der Welt bevorzugt im Modus des Meckerns begegnet.
Sie wohnen in Haifa und damit in einer Umgebung, die von kultureller Vielfalt und nachbarschaftlicher Nähe zu Araberinnen und Arabern geprägt ist. Ihr Haus hat Blick aufs Meer und steht in der Nähe eines Wadi, eines geheimnisvollen, von der aus der Bibel bekannten Fauna bewohnten, alten Flussbetts – eine epische Kulisse für den Jammer einer ausgepowerten Ehe. Atara versucht nun, mit Rachel in Kontakt zu treten, mehr zu erfahren über ihren Vater und dessen Zeit, auch über die Geschichte, die Rachel und ihn verbindet.
Es sind Ataras Autofahrten zu Rachel und wieder retour, in denen das Buch zu sich selbst kommt. Sie braucht lange: Das Motiv des unüberwindlichen Autobahnstaus ist meisterlich eingewoben, verdeutlicht den zunehmend unerträglichen persönlichen und familiären Stillstand. In ihrem Wagen ist Atara allein, obwohl sie telefonieren und SMS schreiben und lesen kann – aber das Pendeln zwischen Haus, Büro und Rachel stellt eine Phase des Übergangs dar, in der sie berührend über ihr Leben, die Liebe und die historische Dimension ihrer Familie reflektiert.
Das Buch könnte sich darauf konzentrieren, die ungute Entwicklung von Ataras zweiter Ehe zu erzählen, in der zu Joav und Avigail, den beiden Kindern aus den jeweils ersten Verbindungen der Eltern, noch ein Sohn geboren wird, der den himmlischen Namen Eden bekommt. Die schwierige Beziehung der Kinder untereinander, das seltsame Haus, die sich allmählich entfaltende, nie mehr völlig verschwindende schlechte Laune – sie ergeben in Zeruya Shalevs gnadenloser Schilderung einen beeindruckenden Roman über Momente und Illusionen einer postmodernen Patchworkfamilie.
Aus sicher guten, aber dem Werk nicht zuträglichen Gründen musste noch mehr in das Buch, also noch die frühe Geschichte des vergessenen Widerstands, die Geschichte der Rachel, eine Auseinandersetzung mit Menschen, die irgendwann zur Religion finden, damit aber auf dem Holzweg sind, und leider auch alle möglichen Gedanken zur zyklischen Wiederkehr vergleichbarer Erfahrungen, etwa mütterlicher Trauer, die vor biblischer Kulisse leicht mal ins seltsam Feierliche verrutschen. Das wird verstärkt durch Kapitelüberschriften, die ein Pathos suggerieren, das sich im Folgenden glücklicherweise nicht durchgehend findet: „Wofür hast Du gelebt, Rachel?“
In „Schicksal“ steckt – besonders in der Szene des so banalen Abschieds von Alex – mindestens ein zeitgenössisches Meisterwerk, das aber, wie in den Restaurierungsarbeiten, die Atara an diversen Immobilien vornehmen muss, von Leserinnen und
Lesern erst mühsam freigelegt werden muss.
NILS MINKMAR
Über seine Zeit mit der
Lechi spricht der Vater nie,
er wird ein versehrter Mann
Ein Haus am Wadi, eine epische
Kulisse für den Jammer
einer ausgepowerten Ehe
In deutscher Übersetzung wurde die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev im Jahr 2000 mit ihrem Roman „Liebesleben“ bekannt.
Foto: imago/Leemage
Zeruyah Shalev: Schicksal. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer Roman. Berlin Verlag, Berlin 2021. 416 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Wer 'Schicksal' liest, der wird in den Gedankenstrom der beiden Protagonistinnen Rachel und Atara förmlich hineingesogen, und es erscheint glaubhaft, dass Shalev beim Schreiben dieser Geschichte von der Intensität der Charaktere manchmal selbst hinweggetragen wurde.« Spiegel Bestseller Magazin 20211127