Vom Untergang einer Demokratie - Volker Ullrich erzählt die Geschichte Weimars für unsere Zeit
Demokratien sind fragil. Freiheiten, die fest errungen scheinen, können verspielt werden. Wenige historische Ereignisse verdeutlichen dies so eindringlich wie das Scheitern der Weimarer Republik. Volker Ullrich erzählt eines der größten Dramen der Weltgeschichte - anschaulich, spannend und nahe an den handelnden Personen. Chancen blieben ungenutzt, Alternativen wurden verspielt. Nichts war zwangsläufig oder unvermeidbar. Die Schicksalsstunden einer Demokratie, es gab sie von den Anfängen in der Revolution von 1918 bis zu den verhängnisvollen Tagen im Januar 1933. Es kommt auf die konkreten Handlungen einzelner Personen an - damals wie heute. Eine Lektüre, die beklemmende Parallelen zur Gegenwart zeigt.
Die Geburt der Weimarer Republik stand unter einem denkbar ungünstigen Stern. Das deutsche Kaiserreich hatte den Weltkrieg krachend verloren. Der Versailler Vertrag legte dem besiegten Land harte Bedingungen auf. Eine nicht abreißende Kette von Krisen - unterbrochen nur durch eine Phase scheinbarer Stabilisierung Mitte der 20er Jahre - erschütterte die Republik. Doch trotz aller Belastungen - das Experiment der ersten deutschen Demokratie war nicht von allem Anfang an auf ein ruhmloses Ende angelegt. In seinem packenden Buch zeigt der renommierte Historiker und Publizist Volker Ullrich, dass es immer wieder Gelegenheiten gab, die Weichen anders zu stellen, von der Gründungsphase der Republik bis zum Januar 1933. So ist Ullrichs Buch auch eine eindringliche Mahnung: Wir haben es in der Hand, ob die Demokratie siegt oder scheitert.
"Dass deutsche Historiker auch elegant und fesselnd schreiben können, beweist Volker Ullrich. Spannender als mancher Krimi." Martin Doerry, SPIEGEL Plus
- Das Scheitern der Weimarer Republik: eines der größten politischen Dramen der Weltgeschichte
- Wie Demokratien sterben - und wie sie gerettet werden können
- Beklemmende Parallelen zu unserer Gegenwart
- Spannend erzählt: man liest mit angehaltenem Atem
- Internationaler Bestsellerautor
Demokratien sind fragil. Freiheiten, die fest errungen scheinen, können verspielt werden. Wenige historische Ereignisse verdeutlichen dies so eindringlich wie das Scheitern der Weimarer Republik. Volker Ullrich erzählt eines der größten Dramen der Weltgeschichte - anschaulich, spannend und nahe an den handelnden Personen. Chancen blieben ungenutzt, Alternativen wurden verspielt. Nichts war zwangsläufig oder unvermeidbar. Die Schicksalsstunden einer Demokratie, es gab sie von den Anfängen in der Revolution von 1918 bis zu den verhängnisvollen Tagen im Januar 1933. Es kommt auf die konkreten Handlungen einzelner Personen an - damals wie heute. Eine Lektüre, die beklemmende Parallelen zur Gegenwart zeigt.
Die Geburt der Weimarer Republik stand unter einem denkbar ungünstigen Stern. Das deutsche Kaiserreich hatte den Weltkrieg krachend verloren. Der Versailler Vertrag legte dem besiegten Land harte Bedingungen auf. Eine nicht abreißende Kette von Krisen - unterbrochen nur durch eine Phase scheinbarer Stabilisierung Mitte der 20er Jahre - erschütterte die Republik. Doch trotz aller Belastungen - das Experiment der ersten deutschen Demokratie war nicht von allem Anfang an auf ein ruhmloses Ende angelegt. In seinem packenden Buch zeigt der renommierte Historiker und Publizist Volker Ullrich, dass es immer wieder Gelegenheiten gab, die Weichen anders zu stellen, von der Gründungsphase der Republik bis zum Januar 1933. So ist Ullrichs Buch auch eine eindringliche Mahnung: Wir haben es in der Hand, ob die Demokratie siegt oder scheitert.
"Dass deutsche Historiker auch elegant und fesselnd schreiben können, beweist Volker Ullrich. Spannender als mancher Krimi." Martin Doerry, SPIEGEL Plus
- Das Scheitern der Weimarer Republik: eines der größten politischen Dramen der Weltgeschichte
- Wie Demokratien sterben - und wie sie gerettet werden können
- Beklemmende Parallelen zu unserer Gegenwart
- Spannend erzählt: man liest mit angehaltenem Atem
- Internationaler Bestsellerautor
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Thomas Speckmann lernt von Volker Ullrich, dass das Ende der Weimarer Republik gar nicht so unvermeidbar war, wie es aus der Retrospektive meist erzählt wird: Die Geschichte der Republik erzählt er als "Chronik verpasster Chancen", die durchaus offen für andere Ausgänge gewesen wäre und fügt den schon bekannten Erzählungen damit eine neue Facette hinzu. Neben den bekannten Erklärungsansätzen für das Scheitern, von Versailler Vertrag bis Verfassung, erklärt Ullrich Speckmann beispielsweise, dass der Mord an Rathenau eine ungenutzte Chance war, sich gegen Republikfeinde zu wehren. Auch die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten hätte mithilfe der Kommunisten verhindert werden können, lernen wir. Für den Kritiker liegt der große Gewinn in Ullrichs Darstellung darin, dass sich für alle demokratischen Systeme Lehren aus der Weimarer Republik ergeben, die heute wichtiger denn je sind, wie er überzeugt resümiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2024Die laxe
Republik
Der junge Staat hat sich nach 1918 nicht genug
gegen seine Gegner gewehrt, urteilt Volker Ullrich.
Und doch wäre die NS-Diktatur vermeidbar gewesen.
VON FLORIAN KEISINGER
Für den Historiker Reinhart Koselleck war die Geschichte vordergründig eine schlechte Lehrerin, wie er in seinem berühmt gewordenen, 1967 erstmals erschienenen Aufsatz „Historia Magistra Vitae“ schrieb. Er begründete dies mit der Beschleunigung des Wandels seit der Neuzeit, welcher von Generation zu Generation grundlegend neue Begebenheiten geschaffen habe. Gemeinsame Erfahrungsräume seien dadurch obsolet geworden. Die Komplexität des Unbekannten sei an die Stelle historischer Stetigkeit getreten. Gleichwohl lag es Koselleck fern, der Historie ihren Nutzen für die Gegenwart und Zukunft abzusprechen. Doch müssten dafür die Strukturen und Entwicklungszusammenhänge einer geschichtlichen Epoche anhand konkreter Einzelfälle aufgearbeitet werden. Nur so ließen sich Befunde sichtbar machen, deren Transfer einen Erkenntnisgewinn für die Gegenwart ermögliche.
Diesem Ansatz ist der Historiker und Publizist Volker Ullrich in seinem neuen Buch über die Ursachen und Hintergründe des Scheiterns der Weimarer Republik gefolgt. „Schicksalsstunden einer Demokratie“ ist keine umfassende Geschichte der etwa 14 Jahre zwischen 1918 und 1933, derer es ohnehin bereits zur Genüge gibt. Vielmehr handelt es sich um historische Tiefenbohrungen zu ausgewählten Ereignissen und Entwicklungen, welche in der Rückschau als Kulminationspunkte des Geschehens verstanden werden können, auch wenn dies den Zeitgenossen in den meisten Fällen nicht bewusst war. Und in deren Verlauf die Weichen der Geschichte auch anders hätten gestellt werden können, womöglich sogar so, dass die Katastrophe des Jahres 1933 abwendbar gewesen wäre.
Zehn Beispiele sind es, die Ullrich näher beleuchtet. Sie fallen, wenig überraschend, fast allesamt in die beiden Krisenphasen der Weimarer Republik, also in die Zeitspanne zwischen Kriegsende und Revolution 1918/19 und Hyperinflation 1923, sowie vom Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933. Einzige Ausnahme ist die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 in Nachfolge des verstorbenen Sozialdemokraten Friedrich Ebert. Für Ullrich ein Rechtsruck, der vermeidbar gewesen wäre, hätte sich die Linke im zweiten Wahlgang auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigt. Im Unvermögen und Unwillen der moderaten und linken demokratischen Kräfte zur Zusammenarbeit erkennt Ullrich ein Grundproblem der Zeit, das maßgeblich zur Radikalisierung von Parteien und Gesellschaft von den späten 1920er-Jahren an beigetragen habe. Exemplarisch nennt er das „Modell Thüringen“, wo 1930 die NSDAP erstmalig in eine Landesregierung einzog, befördert von bürgerlich-konservativen Kräften, die dem Irrglauben aufsaßen, den Radikalismus und ideologischen Fanatismus der Nazis politisch einhegen zu können. Eine Fehleinschätzung, die sich im Januar 1933 in verhängnisvoller Weise wiederholte.
Verfehlte Weichenstellungen verortet Ullrich in der Frühphase der Weimarer Republik. In der Verwaltung und bei den Beamten habe man auf Kontinuität statt Wandel gesetzt. Und die militärische Oberste Heeresleitung (OHL) sei umgehend wieder zu einem wichtigen Machtfaktor avanciert, auch deshalb, weil man in demokratischen Kreisen den Versprechen der alten Eliten, das neue System mitzutragen, mit allzu großer „Vertrauensseligkeit“ begegnete. Bei stärkerem Gestaltungswillen allen voran der Sozialdemokratie, so Ullrichs Fazit in Anlehnung an ein Verdikt von Heinrich August Winkler, hätte man nach 1918 sehr viel mehr verändern können; so hingegen seien die Republikfeinde in zentralen Machtpositionen verblieben, von wo aus sie fortan ihre Angriffe auf die Demokratie ausführten.
Wie gering die Widerstände waren, auf die sie dabei trafen, verdeutlicht Ullrich anhand des Kapp-Lüttwitz-Putsches 1920, als Teile der Reichswehr die junge Republik an den Rand des Untergangs brachten. Erst ein noch nie da gewesener Generalstreik der Arbeiterschaft zwang die aufständischen Militärs in die Knie. Ein Instrument, dessen Anwendung sich Ullrich auch zwölf Jahre später gewünscht hätte, als beim „Preußenschlag“ die dortige sozialdemokratisch geführte Regierung illegal ihres Amtes enthoben wurde. Wie beim rechtsradikalen politischen Terror in der Frühphase der Weimarer Republik, von Ullrich dargelegt anhand der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau 1922 durch Mitglieder der „Organisation Consul“, trafen die Täter auf eine nachsichtige Justiz. Ihr Strafmaß fiel durchweg gering aus, sofern sie nicht ganz freigesprochen wurden. Ullrich erachtet die laxen Reaktionen der Republik auf die gegen sie gerichteten Angriffe gleich in doppelter Hinsicht als verheerend, beförderten sie doch sowohl den Rechtsruck im Bürgertum als auch die Radikalisierung der Arbeiterschaft nach links.
Dass die Nazis im Januar 1933 die Macht nicht an sich gerissen haben, sondern sie ihnen zugetragen wurde, ist Konsens. Doch war auch dieser Schlusspunkt der ersten deutschen Demokratie für Ullrich nicht alternativlos. Hätte Hindenburg Kurt von Schleicher nur einige Monate länger als Reichskanzler im Amt belassen, wäre die sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung womöglich der Republik zugutegekommen. So jedoch war es zu spät: Binnen fünf Monaten und mit einer zuvor von der Demokratie nie gezeigten Entschlossenheit beseitigten die Nazis das Institutionengebäude des morschen Staates und stellten alsbald die Weichen Richtung Diktatur.
Ullrich argumentiert mit dem Wissen des Nachgeborenen. So war der Umsturz 1918/19, in der Rückschau als nicht hinreichend gewertet, für den zeitgenössischen Publizisten Theodor Wolff die „größte Revolution aller Zeiten“. Wohingegen der Machtantritt Hitlers nach Jahren politischer Instabilität und rasch wechselnder Regierungen nur von wenigen Hellsichtigen frühzeitig als Epochenwandel erkannt wurde.
Auch heute sei die Sorge um die Demokratie wieder groß, so Ullrich. Als neu wertet er ihre globale Fragilität, die ihn an die Zwischenkriegszeit erinnert. Weimarer Verhältnisse drohen folglich nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen westlichen Staaten.
Was aber sind nun die Lehren, die man aus den Strukturmerkmalen und Entwicklungslinien der Weimarer Jahre ziehen kann? Den Transfer überlässt Ullrich seinen Leserinnen und Lesern. Hinweise finden sich allenfalls en passant, etwa, wenn er am Beispiel des Regierungsdebüts der Nazis in Thüringen 1930 erwähnt, dass es eine „Brandmauer“ nach rechts damals eben nicht gegeben habe.
Drei Schlussfolgerungen für den heutigen Umgang mit den Feinden der Demokratie lassen sich nach der Lektüre dennoch festhalten:
Erstens, Gutgläubigkeit im Umgang mit Extremisten ist gefährlich. Jene, die ein System gewaltsam beseitigen wollen, werden vor Täuschung und Lüge nicht zurückschrecken. Planspiele zur politischen Einhegung und Mäßigung haben sich historisch als nicht zielführend erwiesen.
Zweitens, der demokratische Rechtsstaat bedarf der Stärke und muss diese zum eigenen Schutz auch konsequent anwenden. Schwäche und falsche Toleranz spielen nur den Feinden der Demokratie in die Hände, die ihrerseits, sofern dazu ermächtigt, nicht vor radikalen Maßnahmen zurückschrecken.
Drittens, die Mitte muss zusammenstehen, wenn es darum geht, Demokratiefeinde abzuwehren. Dazu zählen die Parteien, aber auch Wirtschaft und Gewerkschaften. Selbst wenn das bisweilen bedeutet, über den politischen Schatten zu springen und Eigeninteressen zurückzustellen.
Zehn historische
Tiefenbohrungen
und drei Lehren für heute
Volker Ullrich:
Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik. Verlag C.H. Beck, München 2024. 383 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
Aufmarschplatz Thüringen: Adolf Hitler und seine Getreuen auf dem Weg durch Weimar 1926, nach der Neugründung der NSDAP.
Foto: Scherl/SZ Photo
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Republik
Der junge Staat hat sich nach 1918 nicht genug
gegen seine Gegner gewehrt, urteilt Volker Ullrich.
Und doch wäre die NS-Diktatur vermeidbar gewesen.
VON FLORIAN KEISINGER
Für den Historiker Reinhart Koselleck war die Geschichte vordergründig eine schlechte Lehrerin, wie er in seinem berühmt gewordenen, 1967 erstmals erschienenen Aufsatz „Historia Magistra Vitae“ schrieb. Er begründete dies mit der Beschleunigung des Wandels seit der Neuzeit, welcher von Generation zu Generation grundlegend neue Begebenheiten geschaffen habe. Gemeinsame Erfahrungsräume seien dadurch obsolet geworden. Die Komplexität des Unbekannten sei an die Stelle historischer Stetigkeit getreten. Gleichwohl lag es Koselleck fern, der Historie ihren Nutzen für die Gegenwart und Zukunft abzusprechen. Doch müssten dafür die Strukturen und Entwicklungszusammenhänge einer geschichtlichen Epoche anhand konkreter Einzelfälle aufgearbeitet werden. Nur so ließen sich Befunde sichtbar machen, deren Transfer einen Erkenntnisgewinn für die Gegenwart ermögliche.
Diesem Ansatz ist der Historiker und Publizist Volker Ullrich in seinem neuen Buch über die Ursachen und Hintergründe des Scheiterns der Weimarer Republik gefolgt. „Schicksalsstunden einer Demokratie“ ist keine umfassende Geschichte der etwa 14 Jahre zwischen 1918 und 1933, derer es ohnehin bereits zur Genüge gibt. Vielmehr handelt es sich um historische Tiefenbohrungen zu ausgewählten Ereignissen und Entwicklungen, welche in der Rückschau als Kulminationspunkte des Geschehens verstanden werden können, auch wenn dies den Zeitgenossen in den meisten Fällen nicht bewusst war. Und in deren Verlauf die Weichen der Geschichte auch anders hätten gestellt werden können, womöglich sogar so, dass die Katastrophe des Jahres 1933 abwendbar gewesen wäre.
Zehn Beispiele sind es, die Ullrich näher beleuchtet. Sie fallen, wenig überraschend, fast allesamt in die beiden Krisenphasen der Weimarer Republik, also in die Zeitspanne zwischen Kriegsende und Revolution 1918/19 und Hyperinflation 1923, sowie vom Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933. Einzige Ausnahme ist die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 in Nachfolge des verstorbenen Sozialdemokraten Friedrich Ebert. Für Ullrich ein Rechtsruck, der vermeidbar gewesen wäre, hätte sich die Linke im zweiten Wahlgang auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigt. Im Unvermögen und Unwillen der moderaten und linken demokratischen Kräfte zur Zusammenarbeit erkennt Ullrich ein Grundproblem der Zeit, das maßgeblich zur Radikalisierung von Parteien und Gesellschaft von den späten 1920er-Jahren an beigetragen habe. Exemplarisch nennt er das „Modell Thüringen“, wo 1930 die NSDAP erstmalig in eine Landesregierung einzog, befördert von bürgerlich-konservativen Kräften, die dem Irrglauben aufsaßen, den Radikalismus und ideologischen Fanatismus der Nazis politisch einhegen zu können. Eine Fehleinschätzung, die sich im Januar 1933 in verhängnisvoller Weise wiederholte.
Verfehlte Weichenstellungen verortet Ullrich in der Frühphase der Weimarer Republik. In der Verwaltung und bei den Beamten habe man auf Kontinuität statt Wandel gesetzt. Und die militärische Oberste Heeresleitung (OHL) sei umgehend wieder zu einem wichtigen Machtfaktor avanciert, auch deshalb, weil man in demokratischen Kreisen den Versprechen der alten Eliten, das neue System mitzutragen, mit allzu großer „Vertrauensseligkeit“ begegnete. Bei stärkerem Gestaltungswillen allen voran der Sozialdemokratie, so Ullrichs Fazit in Anlehnung an ein Verdikt von Heinrich August Winkler, hätte man nach 1918 sehr viel mehr verändern können; so hingegen seien die Republikfeinde in zentralen Machtpositionen verblieben, von wo aus sie fortan ihre Angriffe auf die Demokratie ausführten.
Wie gering die Widerstände waren, auf die sie dabei trafen, verdeutlicht Ullrich anhand des Kapp-Lüttwitz-Putsches 1920, als Teile der Reichswehr die junge Republik an den Rand des Untergangs brachten. Erst ein noch nie da gewesener Generalstreik der Arbeiterschaft zwang die aufständischen Militärs in die Knie. Ein Instrument, dessen Anwendung sich Ullrich auch zwölf Jahre später gewünscht hätte, als beim „Preußenschlag“ die dortige sozialdemokratisch geführte Regierung illegal ihres Amtes enthoben wurde. Wie beim rechtsradikalen politischen Terror in der Frühphase der Weimarer Republik, von Ullrich dargelegt anhand der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau 1922 durch Mitglieder der „Organisation Consul“, trafen die Täter auf eine nachsichtige Justiz. Ihr Strafmaß fiel durchweg gering aus, sofern sie nicht ganz freigesprochen wurden. Ullrich erachtet die laxen Reaktionen der Republik auf die gegen sie gerichteten Angriffe gleich in doppelter Hinsicht als verheerend, beförderten sie doch sowohl den Rechtsruck im Bürgertum als auch die Radikalisierung der Arbeiterschaft nach links.
Dass die Nazis im Januar 1933 die Macht nicht an sich gerissen haben, sondern sie ihnen zugetragen wurde, ist Konsens. Doch war auch dieser Schlusspunkt der ersten deutschen Demokratie für Ullrich nicht alternativlos. Hätte Hindenburg Kurt von Schleicher nur einige Monate länger als Reichskanzler im Amt belassen, wäre die sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung womöglich der Republik zugutegekommen. So jedoch war es zu spät: Binnen fünf Monaten und mit einer zuvor von der Demokratie nie gezeigten Entschlossenheit beseitigten die Nazis das Institutionengebäude des morschen Staates und stellten alsbald die Weichen Richtung Diktatur.
Ullrich argumentiert mit dem Wissen des Nachgeborenen. So war der Umsturz 1918/19, in der Rückschau als nicht hinreichend gewertet, für den zeitgenössischen Publizisten Theodor Wolff die „größte Revolution aller Zeiten“. Wohingegen der Machtantritt Hitlers nach Jahren politischer Instabilität und rasch wechselnder Regierungen nur von wenigen Hellsichtigen frühzeitig als Epochenwandel erkannt wurde.
Auch heute sei die Sorge um die Demokratie wieder groß, so Ullrich. Als neu wertet er ihre globale Fragilität, die ihn an die Zwischenkriegszeit erinnert. Weimarer Verhältnisse drohen folglich nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen westlichen Staaten.
Was aber sind nun die Lehren, die man aus den Strukturmerkmalen und Entwicklungslinien der Weimarer Jahre ziehen kann? Den Transfer überlässt Ullrich seinen Leserinnen und Lesern. Hinweise finden sich allenfalls en passant, etwa, wenn er am Beispiel des Regierungsdebüts der Nazis in Thüringen 1930 erwähnt, dass es eine „Brandmauer“ nach rechts damals eben nicht gegeben habe.
Drei Schlussfolgerungen für den heutigen Umgang mit den Feinden der Demokratie lassen sich nach der Lektüre dennoch festhalten:
Erstens, Gutgläubigkeit im Umgang mit Extremisten ist gefährlich. Jene, die ein System gewaltsam beseitigen wollen, werden vor Täuschung und Lüge nicht zurückschrecken. Planspiele zur politischen Einhegung und Mäßigung haben sich historisch als nicht zielführend erwiesen.
Zweitens, der demokratische Rechtsstaat bedarf der Stärke und muss diese zum eigenen Schutz auch konsequent anwenden. Schwäche und falsche Toleranz spielen nur den Feinden der Demokratie in die Hände, die ihrerseits, sofern dazu ermächtigt, nicht vor radikalen Maßnahmen zurückschrecken.
Drittens, die Mitte muss zusammenstehen, wenn es darum geht, Demokratiefeinde abzuwehren. Dazu zählen die Parteien, aber auch Wirtschaft und Gewerkschaften. Selbst wenn das bisweilen bedeutet, über den politischen Schatten zu springen und Eigeninteressen zurückzustellen.
Zehn historische
Tiefenbohrungen
und drei Lehren für heute
Volker Ullrich:
Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik. Verlag C.H. Beck, München 2024. 383 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
Aufmarschplatz Thüringen: Adolf Hitler und seine Getreuen auf dem Weg durch Weimar 1926, nach der Neugründung der NSDAP.
Foto: Scherl/SZ Photo
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2024Die soziale Frage löst ein Leutnant mit zehn Mann
Der Mann hieß Scholz: Ernst Scholz. Seit 1923 war er Fraktionsvorsitzender der liberalen Deutschen Volkspartei, und nach den Wahlen im Mai 1928, aus denen die Sozialdemokraten als Sieger hervorgegangen waren, blockierte er wochenlang - und gegen den Willen seines Parteichefs Gustav Stresemann - den Beitritt der DVP zu der Regierungskoalition, die der SPD-Vorsitzende Hermann Müller zu schmieden versuchte. Als Müller dank Stresemanns Intervention dennoch Erfolg hatte, wartete Scholz auf seine Chance, den sozialdemokratischen Kanzler zu stürzen.
Sie kam im Frühjahr 1930 bei den Verhandlungen - Achtung, Déjà-vu! - um den Regierungshaushalt. Der sprunghafte Anstieg der Arbeitssuchenden hatte die Kassen der Arbeitslosenversicherung geleert, weshalb die SPD den Versicherungsbeitrag von dreieinhalb auf vier Prozent anheben wollte. Das Unternehmerlager hinter Scholz - der nach Stresemanns Tod im Oktober 1929 die Führung der DVP übernommen hatte - verlangte stattdessen Steuersenkungen. Anfang März einigte sich das Kabinett auf einen Kompromiss, dem auch der DVP-Finanzminister Moldenhauer zustimmte: Der Versicherungsbeitrag sollte steigen, im Gegenzug wollten die Sozialdemokraten ein Sparprogramm mittragen. Doch Scholz stellte sich quer, die Reichstagsfraktion der DVP lehnte den Kompromiss ab. Den letzten Vorstoß zur Rettung der Koalition unternahm der Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei, Heinrich Brüning: Er schlug vor, die Debatte um die Arbeitslosenversicherung in den Herbst zu verschieben und bis dahin die Staatsfinanzen zu sanieren.
Jetzt war die SPD am Zug. Sie lehnte den Vorschlag ab. Am 27. März trat die Regierung Müller zurück. Vier Tage später wurde Brüning von Reichspräsident Hindenburg zum Kanzler eines Expertenkabinetts ernannt, das im Reichstag über keine eigene Mehrheit mehr verfügte und mithilfe von Notverordnungen Politik machen musste. Bei den Wahlen im Juli 1930 wurden die Nationalsozialisten zur zweitstärksten Partei. Die Weimarer Republik taumelte ihrem Untergang entgegen.
Wenn der Kampf um die erste deutsche Demokratie "von einzelnen Entscheidungen in konkreten Situationen" abhing, wie Volker Ullrich in seinem Buch über die "Schicksalsstunden" von Weimar schreibt, hätte die Haushaltspolitik des DVP-Vorsitzenden Scholz im März 1933 weltgeschichtliche Bedeutung gehabt. Aber so weit will Ullrich dann doch nicht gehen. Auch Ernst Scholz handelte in einer Gemengelage, in der ganz unterschiedliche Akteure und Interessen den Gang der Ereignisse bestimmten. Einer dieser Akteure war der kaiserliche Feldmarschall Paul von Hindenburg, der im April 1925 als Nachfolger Friedrich Eberts zum Reichspräsidenten gewählt worden war. Vor seinem Tod wollte Hindenburg, wie er seinem Umkreis anvertraute, die Verhältnisse in Deutschland "in Ordnung bringen". Die Weimarer Verfassung, die dem Präsidenten das Recht einräumte, das Parlament durch Notverordnungen auszuhebeln, gab ihm dazu die Mittel in die Hand.
Mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise nach dem "Schwarzen Freitag" wurde deshalb die Frage, wer Hindenburgs Vertrauen genoss, zum entscheidenden Faktor der Politik. Die Spätphase der Weimarer Republik war ein Karussell von Intrigen und Lobbygruppen, das sich um den greisen Hindenburg drehte. Eine dieser Gruppen traf sich an Weihnachten 1929 in einer Charlottenburger Offizierswohnung, um den Sturz der regierenden Koalition vorzubereiten. Zu ihr gehörten neben Hindenburgs Büroleiter Meissner und Reichswehrminister Groener auch Heinrich Brüning und Kurt von Schleicher - der erste und der letzte Kanzler jener "Präsidialkabinette", die der Machtübergabe an Hitler im Januar 1933 den Weg bereiteten. Auch hier schleifte der Mantel der Geschichte durch den Raum. Und auch hier hätte, wie Volker Ullrich zeigt, alles noch ganz anders kommen können.
Die Spannung zwischen strukturellen und persönlichen Einflüssen prägt jede Darstellung der Weimarer Republik von Karl-Dietrich Bracher (dem Ullrich im Nachwort seine Reverenz erweist) bis zu Heinrich August Winkler (den er ausgiebig zitiert). Aber bei Volker Ullrich wird sie eklatant, weil er die Geschichte der gescheiterten Demokratie nicht als Kontinuum, sondern als Folge historischer Wegmarken erzählt: die Novemberrevolution, der Kapp-Putsch, die Ermordung Walther Rathenaus, die Hyperinflation, die Wahl Hindenburgs und so fort bis zu Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Durch diese gleichsam journalistische Perspektive treten andere, längerfristige Entwicklungen in den Hintergrund, etwa die wirtschaftliche Lage, die auch in der Erholungsphase zwischen 1924 und 1928 nie so günstig war, wie sie in vielen Rückschauen heute erscheint, oder die Frage der Reparationen, die zeitweise bis zu zwölf Prozent des Staatshaushalts ausmachten.
Dafür findet man, wie in fast jedem Buch des langjährigen "Zeit"-Redakteurs Ullrich, ausführliche und oft schlagende Zitate aus der zeitgenössischen Presse wie jenes des "Berliner Tageblatt"-Chefredakteurs Theodor Wolff, der schon am ersten Jahrestag der Revolution von 1918 prophezeite, "ein in langer monarchischer Tradition geschultes, mit starren Anschauungen vollgepfropftes Volk" werde sich nicht einfach, "wie in dem Märchen, aus einem Bären in einen Bräutigam verwandeln". Und man trifft neben der lakonischen Bemerkung Kafkas über Rathenau ("unbegreiflich, dass man ihn so lange leben ließ") immer wieder auf Verse von Tucholsky, die die historische Situation schlaglichtartig erhellen: "Hierzulande löst die soziale Frage / ein Leutnant, zehn Mann. Pazifist ist der Hund? / Schießt ihm nicht erst die Knochen wund! / Die Kugel ins Herz! Und die Dienststellen logen: / Er hat sich seiner Verhaftung entzogen. / Leitartikel. Dementi. Geschrei. / Und in vierzehn Tagen ist alles vorbei."
Ein einziges Kapitel fällt aus der zeitlichen Staffelung heraus, und mit ihm gewinnt Ullrichs Buch sofort aktuelle Schärfe. Es geht um die erste Regierungsbeteiligung der NSDAP im Reichsland Thüringen von Januar 1930 an. Der feste Wille des Landbunds, der die Bauern vertrat, und des bürgerlichen Parteilagers aus DVP - hier kommt wieder deren Vorsitzender Ernst Scholz ins Spiel - und DNVP, die Sozialdemokraten von der Macht fernzuhalten, brachte die Nationalsozialisten an den Kabinettstisch, und Hitler setzte seinen altgedienten Parteisoldaten Wilhelm Frick als Innen- und Bildungsminister durch.
Dieser machte sich sofort daran, seinen Amtsbereich von politischen Gegnern zu säubern. Unter dem Vorwand von Sparmaßnahmen wurden massenweise republiktreue Beamte (vor allem Polizisten und Lehrer) kaltgestellt oder entlassen. Im Gegenzug berief Frick den völkischen Architekten und Kunstkritiker Paul Schulze-Naumburg als Leiter der Weimarer Kunstlehranstalten und den Rassentheoretiker Franz F. K. Günther auf einen eigens geschaffenen Lehrstuhl der Universität Jena. Ein Erlass "Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum" und ein Verbot von Remarques Kriegsroman "Im Westen nichts Neues" flankierten das kulturpolitische Schlachtfest. Nach vierzehn Monaten endete der Spuk durch einen Misstrauensantrag der SPD. Heute hört man in Fricks Marschtritten die Nachtigall der AfD trapsen. Es fehlt nur noch die passende politische Gelegenheit - und die Schützenhilfe von Leuten wie Ernst Scholz.
Wer ein Buch von Volker Ullrich in die Hand nimmt, kann sich darauf verlassen, dass er ohne falschen Jargon und gelehrte Weitschweifigkeiten über historische Zusammenhänge aufgeklärt wird, und so ist es auch hier. Viele seiner Formulierungen treffen den Nagel auf den Kopf, so wenn er schreibt, dass Hitler beim Industriellentreffen in Bad Harzburg "wie eine Primadonna" aufgetreten sei, weil er nicht riskieren konnte, bei seinen Parteifreunden als Freund des Großkapitals zu erscheinen. Wenn man dem Autor dennoch einen Vorwurf machen muss, ist es der, dass er die zentrale und im Untertitel benannte These seines Buches, die Vermeidbarkeit des Scheiterns der Weimarer Demokratie, nicht konsequent genug diskutiert. Wenn die KPD mit ihrem Kandidaten Thälmann bei der Reichspräsidentenwahl von 1925 nicht den Sieg des Zentrumspolitikers Wilhelm Marx verhindert, wenn die DVP nicht den Kabinettskompromiss von 1930 torpediert und wenn Hindenburg zwei Jahre später die Regierung Brüning nicht entlassen, sondern weiterhin durch Notverordnungen gestützt hätte - dann wäre die deutsche Geschichte womöglich ganz anders verlaufen. Aber im historischen Ergebnis liegt eben auch ein Urteil über die Kräfte, die es herbeigeführt haben. So dürfte es auch der Berliner Republik irgendwann ergehen. Man kann nur hoffen, dass der Spruch der Geschichte dann günstiger ausfällt. ANDREAS KILB
Volker Ullrich: "Schicksalsstunden einer Demokratie". Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik
C. H. Beck Verlag, München 2024. 383 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Der Mann hieß Scholz: Ernst Scholz. Seit 1923 war er Fraktionsvorsitzender der liberalen Deutschen Volkspartei, und nach den Wahlen im Mai 1928, aus denen die Sozialdemokraten als Sieger hervorgegangen waren, blockierte er wochenlang - und gegen den Willen seines Parteichefs Gustav Stresemann - den Beitritt der DVP zu der Regierungskoalition, die der SPD-Vorsitzende Hermann Müller zu schmieden versuchte. Als Müller dank Stresemanns Intervention dennoch Erfolg hatte, wartete Scholz auf seine Chance, den sozialdemokratischen Kanzler zu stürzen.
Sie kam im Frühjahr 1930 bei den Verhandlungen - Achtung, Déjà-vu! - um den Regierungshaushalt. Der sprunghafte Anstieg der Arbeitssuchenden hatte die Kassen der Arbeitslosenversicherung geleert, weshalb die SPD den Versicherungsbeitrag von dreieinhalb auf vier Prozent anheben wollte. Das Unternehmerlager hinter Scholz - der nach Stresemanns Tod im Oktober 1929 die Führung der DVP übernommen hatte - verlangte stattdessen Steuersenkungen. Anfang März einigte sich das Kabinett auf einen Kompromiss, dem auch der DVP-Finanzminister Moldenhauer zustimmte: Der Versicherungsbeitrag sollte steigen, im Gegenzug wollten die Sozialdemokraten ein Sparprogramm mittragen. Doch Scholz stellte sich quer, die Reichstagsfraktion der DVP lehnte den Kompromiss ab. Den letzten Vorstoß zur Rettung der Koalition unternahm der Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei, Heinrich Brüning: Er schlug vor, die Debatte um die Arbeitslosenversicherung in den Herbst zu verschieben und bis dahin die Staatsfinanzen zu sanieren.
Jetzt war die SPD am Zug. Sie lehnte den Vorschlag ab. Am 27. März trat die Regierung Müller zurück. Vier Tage später wurde Brüning von Reichspräsident Hindenburg zum Kanzler eines Expertenkabinetts ernannt, das im Reichstag über keine eigene Mehrheit mehr verfügte und mithilfe von Notverordnungen Politik machen musste. Bei den Wahlen im Juli 1930 wurden die Nationalsozialisten zur zweitstärksten Partei. Die Weimarer Republik taumelte ihrem Untergang entgegen.
Wenn der Kampf um die erste deutsche Demokratie "von einzelnen Entscheidungen in konkreten Situationen" abhing, wie Volker Ullrich in seinem Buch über die "Schicksalsstunden" von Weimar schreibt, hätte die Haushaltspolitik des DVP-Vorsitzenden Scholz im März 1933 weltgeschichtliche Bedeutung gehabt. Aber so weit will Ullrich dann doch nicht gehen. Auch Ernst Scholz handelte in einer Gemengelage, in der ganz unterschiedliche Akteure und Interessen den Gang der Ereignisse bestimmten. Einer dieser Akteure war der kaiserliche Feldmarschall Paul von Hindenburg, der im April 1925 als Nachfolger Friedrich Eberts zum Reichspräsidenten gewählt worden war. Vor seinem Tod wollte Hindenburg, wie er seinem Umkreis anvertraute, die Verhältnisse in Deutschland "in Ordnung bringen". Die Weimarer Verfassung, die dem Präsidenten das Recht einräumte, das Parlament durch Notverordnungen auszuhebeln, gab ihm dazu die Mittel in die Hand.
Mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise nach dem "Schwarzen Freitag" wurde deshalb die Frage, wer Hindenburgs Vertrauen genoss, zum entscheidenden Faktor der Politik. Die Spätphase der Weimarer Republik war ein Karussell von Intrigen und Lobbygruppen, das sich um den greisen Hindenburg drehte. Eine dieser Gruppen traf sich an Weihnachten 1929 in einer Charlottenburger Offizierswohnung, um den Sturz der regierenden Koalition vorzubereiten. Zu ihr gehörten neben Hindenburgs Büroleiter Meissner und Reichswehrminister Groener auch Heinrich Brüning und Kurt von Schleicher - der erste und der letzte Kanzler jener "Präsidialkabinette", die der Machtübergabe an Hitler im Januar 1933 den Weg bereiteten. Auch hier schleifte der Mantel der Geschichte durch den Raum. Und auch hier hätte, wie Volker Ullrich zeigt, alles noch ganz anders kommen können.
Die Spannung zwischen strukturellen und persönlichen Einflüssen prägt jede Darstellung der Weimarer Republik von Karl-Dietrich Bracher (dem Ullrich im Nachwort seine Reverenz erweist) bis zu Heinrich August Winkler (den er ausgiebig zitiert). Aber bei Volker Ullrich wird sie eklatant, weil er die Geschichte der gescheiterten Demokratie nicht als Kontinuum, sondern als Folge historischer Wegmarken erzählt: die Novemberrevolution, der Kapp-Putsch, die Ermordung Walther Rathenaus, die Hyperinflation, die Wahl Hindenburgs und so fort bis zu Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Durch diese gleichsam journalistische Perspektive treten andere, längerfristige Entwicklungen in den Hintergrund, etwa die wirtschaftliche Lage, die auch in der Erholungsphase zwischen 1924 und 1928 nie so günstig war, wie sie in vielen Rückschauen heute erscheint, oder die Frage der Reparationen, die zeitweise bis zu zwölf Prozent des Staatshaushalts ausmachten.
Dafür findet man, wie in fast jedem Buch des langjährigen "Zeit"-Redakteurs Ullrich, ausführliche und oft schlagende Zitate aus der zeitgenössischen Presse wie jenes des "Berliner Tageblatt"-Chefredakteurs Theodor Wolff, der schon am ersten Jahrestag der Revolution von 1918 prophezeite, "ein in langer monarchischer Tradition geschultes, mit starren Anschauungen vollgepfropftes Volk" werde sich nicht einfach, "wie in dem Märchen, aus einem Bären in einen Bräutigam verwandeln". Und man trifft neben der lakonischen Bemerkung Kafkas über Rathenau ("unbegreiflich, dass man ihn so lange leben ließ") immer wieder auf Verse von Tucholsky, die die historische Situation schlaglichtartig erhellen: "Hierzulande löst die soziale Frage / ein Leutnant, zehn Mann. Pazifist ist der Hund? / Schießt ihm nicht erst die Knochen wund! / Die Kugel ins Herz! Und die Dienststellen logen: / Er hat sich seiner Verhaftung entzogen. / Leitartikel. Dementi. Geschrei. / Und in vierzehn Tagen ist alles vorbei."
Ein einziges Kapitel fällt aus der zeitlichen Staffelung heraus, und mit ihm gewinnt Ullrichs Buch sofort aktuelle Schärfe. Es geht um die erste Regierungsbeteiligung der NSDAP im Reichsland Thüringen von Januar 1930 an. Der feste Wille des Landbunds, der die Bauern vertrat, und des bürgerlichen Parteilagers aus DVP - hier kommt wieder deren Vorsitzender Ernst Scholz ins Spiel - und DNVP, die Sozialdemokraten von der Macht fernzuhalten, brachte die Nationalsozialisten an den Kabinettstisch, und Hitler setzte seinen altgedienten Parteisoldaten Wilhelm Frick als Innen- und Bildungsminister durch.
Dieser machte sich sofort daran, seinen Amtsbereich von politischen Gegnern zu säubern. Unter dem Vorwand von Sparmaßnahmen wurden massenweise republiktreue Beamte (vor allem Polizisten und Lehrer) kaltgestellt oder entlassen. Im Gegenzug berief Frick den völkischen Architekten und Kunstkritiker Paul Schulze-Naumburg als Leiter der Weimarer Kunstlehranstalten und den Rassentheoretiker Franz F. K. Günther auf einen eigens geschaffenen Lehrstuhl der Universität Jena. Ein Erlass "Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum" und ein Verbot von Remarques Kriegsroman "Im Westen nichts Neues" flankierten das kulturpolitische Schlachtfest. Nach vierzehn Monaten endete der Spuk durch einen Misstrauensantrag der SPD. Heute hört man in Fricks Marschtritten die Nachtigall der AfD trapsen. Es fehlt nur noch die passende politische Gelegenheit - und die Schützenhilfe von Leuten wie Ernst Scholz.
Wer ein Buch von Volker Ullrich in die Hand nimmt, kann sich darauf verlassen, dass er ohne falschen Jargon und gelehrte Weitschweifigkeiten über historische Zusammenhänge aufgeklärt wird, und so ist es auch hier. Viele seiner Formulierungen treffen den Nagel auf den Kopf, so wenn er schreibt, dass Hitler beim Industriellentreffen in Bad Harzburg "wie eine Primadonna" aufgetreten sei, weil er nicht riskieren konnte, bei seinen Parteifreunden als Freund des Großkapitals zu erscheinen. Wenn man dem Autor dennoch einen Vorwurf machen muss, ist es der, dass er die zentrale und im Untertitel benannte These seines Buches, die Vermeidbarkeit des Scheiterns der Weimarer Demokratie, nicht konsequent genug diskutiert. Wenn die KPD mit ihrem Kandidaten Thälmann bei der Reichspräsidentenwahl von 1925 nicht den Sieg des Zentrumspolitikers Wilhelm Marx verhindert, wenn die DVP nicht den Kabinettskompromiss von 1930 torpediert und wenn Hindenburg zwei Jahre später die Regierung Brüning nicht entlassen, sondern weiterhin durch Notverordnungen gestützt hätte - dann wäre die deutsche Geschichte womöglich ganz anders verlaufen. Aber im historischen Ergebnis liegt eben auch ein Urteil über die Kräfte, die es herbeigeführt haben. So dürfte es auch der Berliner Republik irgendwann ergehen. Man kann nur hoffen, dass der Spruch der Geschichte dann günstiger ausfällt. ANDREAS KILB
Volker Ullrich: "Schicksalsstunden einer Demokratie". Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik
C. H. Beck Verlag, München 2024. 383 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
"Ullrich legt in einem lebendigen, reportageartigen Stil dar, dass der Niedergang der ersten deutschen Demokratie von 1918 bis 1933 nicht unvermeidlich war. Ein wichtiges Buch."
HÖRZU
"Eine Mahnung, die Fehler von damals heute nicht zu wiederholen."
Focus
"Der Stil des Buches ist, wie stets bei Ullrich, beneidenswert lebendig und packend, hält souverän die Mitte zwischen Drama und Analyse. Langeweile ist hier Fehlanzeige."
Kölner Stadtanzeiger, Markus Schwering
"Ein anschaulich gehaltenes Buch mit Lektionen für heute."
WELT, Marc Reichwein
Platz 5 der Sachbuch-Bestenliste von WELT, NZZ, RBB Kultur und Radio Österreich 1 im August 2024
"Ein Buch, von dem sich auch für die Probleme in Deutschland heute etwas lernen lässt."
Dresdner Morgenpost
"Wer ein Buch von Volker Ullrich in die Hand nimmt, kann sich darauf verlassen, dass er ohne falschen Jargon und gelehrte Weitschweifigkeiten über historische Zusammenhänge aufgeklärt wird, und so ist es auch hier. Viele seiner Formulierungen treffen den Nagel auf den Kopf."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Kilb
"Eine präzise Studie zentraler Ereignisse, die zeigt: Wir Menschen bestimmen den Lauf der Geschichte."
Platz 6 der Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandfunk im Oktober 2024 Publik-Forum, Norbert Copray
"Wie sein Buch belegt, gab es vielfach Situationen, die eine andere Entwicklung der Weimarer Demokratie ermöglicht hätten. Hitlers Diktatur war nicht alternativlos. Doch die Chancen wurden nicht genutzt. Die extreme Rechte arbeitet heute teils erfolgreich daran, die Demokratie zu ersetzen. Daher kann ein Blick in die deutsche Geschichte auch hinsichtlich Prävention und Wachsamkeit sehr lehrreich sein."
Publik-Forum, Norbert Copray
"Sein Buch macht schmerzlich bewusst, wie schnell Sicherheiten und Freiheiten, die wir für selbstverständlich halten, wieder zerstört werden können. Ein spannendes Sachbuch, das sich wie ein Roman liest."
Table.Berlin, Okan Bellikli
"Auch wenn das Ende von Weimar damals nicht mit dem Aufstieg rechtsradikaler Populisten heute gleichgesetzt werden kann: Bei den Mechanismen von Grenzüberschreitungen und Gewalt von rechts außen ergeben sich Analogien. ... Nicht nur ein Geschichtsbuch."
taz, Klaus Hillenbrand
"Bei Zeithistorikern ist es schon länger Konsens, dass man die Weimarer Demokratie hätte retten und Nazi-Deutschland verhindern können. Historiker Volker Ullrich verknüpft diese Erkenntnis mit der aktuellen welt- und deutschlandpolitischen Lage von Trump bis AfD. Das Fazit seines sorgfältig ausgebreiteten Geschichtspanoramas lautet: Für die Demokratie muss aktiv eingetreten werden."
hr2 Hörbuch-Bestenliste
"Volker Ullrichs Buch ... erinnert daran, was eine Demokratie braucht: professionelle Realpolitiker, die mit Macht verantwortlich umgehen. Und eine Bevölkerung, die versteht, dass ein Gemeinwesen ohne allseitige Bereitschaft zum Kompromiss verloren ist."
Deutschlandfunk, Michael Kuhlmann
"Der Niedergang der Weimarer Republik war vermeidbar, wie Historiker und "Zeit"-Autor Ullrich schlüssig und flüssig darlegt."
P.M.History
"Ullrich zeichnet präzise die letzten Etappen auf Hitlers Weg zur Macht nach. ... Ohne die AfD mit der NSDAP gleichsetzen zu wollen: Bei Ullrich können die demokratischen Parteien nachlesen, womit sie rechnen müssten, sollten sie auf den Gedanken kommen, einer rechtsradikalen Partei in einem Bundesland zur Machtteilhabe zu verhelfen."
Tagesspiegel, Heinrich August Winkler
HÖRZU
"Eine Mahnung, die Fehler von damals heute nicht zu wiederholen."
Focus
"Der Stil des Buches ist, wie stets bei Ullrich, beneidenswert lebendig und packend, hält souverän die Mitte zwischen Drama und Analyse. Langeweile ist hier Fehlanzeige."
Kölner Stadtanzeiger, Markus Schwering
"Ein anschaulich gehaltenes Buch mit Lektionen für heute."
WELT, Marc Reichwein
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"Ein Buch, von dem sich auch für die Probleme in Deutschland heute etwas lernen lässt."
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"Eine präzise Studie zentraler Ereignisse, die zeigt: Wir Menschen bestimmen den Lauf der Geschichte."
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"Wie sein Buch belegt, gab es vielfach Situationen, die eine andere Entwicklung der Weimarer Demokratie ermöglicht hätten. Hitlers Diktatur war nicht alternativlos. Doch die Chancen wurden nicht genutzt. Die extreme Rechte arbeitet heute teils erfolgreich daran, die Demokratie zu ersetzen. Daher kann ein Blick in die deutsche Geschichte auch hinsichtlich Prävention und Wachsamkeit sehr lehrreich sein."
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"Sein Buch macht schmerzlich bewusst, wie schnell Sicherheiten und Freiheiten, die wir für selbstverständlich halten, wieder zerstört werden können. Ein spannendes Sachbuch, das sich wie ein Roman liest."
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"Ullrich zeichnet präzise die letzten Etappen auf Hitlers Weg zur Macht nach. ... Ohne die AfD mit der NSDAP gleichsetzen zu wollen: Bei Ullrich können die demokratischen Parteien nachlesen, womit sie rechnen müssten, sollten sie auf den Gedanken kommen, einer rechtsradikalen Partei in einem Bundesland zur Machtteilhabe zu verhelfen."
Tagesspiegel, Heinrich August Winkler