Mit einem Nachwort von Eckhard Henscheid.»Unerschöpflich der Vorrat des Dummdeutschen, der sich in wissenschaftlichen oder parawissenschaftlichen Publikationen findet«, warnte Eckhard Henscheid in einem bereits 1985 erschienenen und in späteren Auflagen stetig erweiterten Wörterbuch, das dem vorliegenden von ferne Modell steht. Geschöpft wird hier allein aus dem Vorrat der Wissenschaften, die herkömmlich solche des Geistes oder der Gesellschaft und inzwischen lieber Kulturwissenschaften heißen. Zu Recht: denn die vor vierzig Jahren verkündete Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften ist vollbracht. Was aber nicht bedeutet, daß die von ihm Verlassenen endlich Ruhe gäben.Wo der gewöhnliche Mensch eine Frage stellt, geht der studierte mindestens in Fragestellung. Er allein kennt das Geheimnis, wie man eine Stellung formuliert. Hochkomplexe und noch viel kompliziertere, ja auch sturzbanale Gedanken kann er in wundersame Wortfolgen verwandeln und also Stränge mitsamt deren Verflechtungen in einem Gefüge beleuchten, Diskurse vielschichtig verzahnen und Dimensionen in voller Breite ausloten. Ein solcher Spagat, bei dem jeder Satz Schiffbruch erleidet, ist möglich erst in einer Sprache, in der nur deshalb nichts mehr undenkbar scheint, weil in ihr schon gar nichts mehr gedacht wird. Das Verhältnis von Gedanke und Ausdruck, einmal von dem Anspruch befreit, daß da ein irgend durchsichtiges, mit Vernunft zu begreifendes oder immerhin zu bestimmendes Verhältnis überhaupt besteht, ist nur mehr schlechte Konvention. Aussichtslos, den undurchdringlich harten Sprachschrott, der sich in den sogenannten weichen Fächern aufgehäuft hat, je wieder wegzuräumen. Wieviel Sisyphusarbeit inkl. Tantalusqualen einem da bevorsteht, mag dieses provisorische Wörterbuch erst erahnen lassen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2022Verzahnen wir einmal die Stränge
Dirk Braunstein und Christoph Hesse orten akademische Phrasen
Seit den 1980er Jahren ist das Phrasenlexikon zu einem populären Buchgenre geworden. Von Eckhard Henscheids 1985 erschienenem Kompendium "Dummdeutsch" über das von Klaus Bittermann, Gerhard Henschel und Wiglaf Droste 1994 vorgelegte "Wörterbuch des Gutmenschen" bis zu Frank Böckelmanns "Begriffe versenken" (1997) haben Autoren auf die lexikalische Form zurückgegriffen, um zu demonstrieren, was Böckelmann als geistige Erstarrung "im Bann der leeren Worte" beschrieben hat: die Transformation von Begriffen und Metaphern zu Signalwörtern, die nichts Spezifisches ausdrücken oder bezeichnen, sondern nur im Leerlauf funktionieren. Referenz all dieser Versuche war Gustave Flauberts uneingelöstes Vorhaben einer "Enzyklopädie der menschlichen Dummheit", ein bedeutender Vorgänger im vorigen Jahrhundert auch das 1957 von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und W. E. Süskind herausgebrachte "Wörterbuch des Unmenschen".
Während Flauberts Anspruch jedoch ein enzyklopädischer war - auf den Zerfall des Wahrheitsanspruchs bürgerlicher Bildung sollte mit einer Universalgeschichte der Dummheit geantwortet werden -, bearbeiten seine Erben Einzelbereiche der Dummdeutschproduktion: Sternberger und seine Mitautoren den Niederschlag totalitären Denkens in der Sprache, Henscheid den Selbsterfahrungs- und Wellness-Jargon, Bittermann et al. die sprachlichen Verheerungen der Friedensbewegung, Böckelmann die Verfallsformen des linken Akademismus. Die Gefahr solcher Sammlungen ist, dass in ihnen die Sprachkritik zur Lachvorlage für diejenigen wird, an sie sich richtet: Journalisten legen Plastikwörterbücher an, und Geisteswissenschaftler amüsieren sich über Stilblüten in Texten von Studenten und Vorgesetzten.
Der Philosoph Dirk Braunstein und der Filmwissenschaftler Christoph Hesse haben nun ein Wörterbuch akademischer Phraseologie vorgelegt, dessen Form eng an "Dummdeutsch" angelehnt ist. Indem sie die "Einheit von Wichtigtuerei und Windbeutelei" ins Visier nehmen, die den Wissenschaftsbetrieb nach "Einklammerung" seines Wahrheitsanspruchs zusammenhalte, verweigern sie sich ebenso pauschaler Intellektuellenfeindlichkeit wie dem Witzbedürfnis von Kollegen. Obwohl die Autoren auch die Terminologie aufgreifen, die aus den Kultur- und Genderwissenschaften in den Alltagsjargon diffundiert ist ("Diskurs", "Feedback", "Heteronormativität"), liegt das Neue ihres Buches darin, dass sie die umgekehrte Sprachdeformation in den Blick nehmen: die verarmende Anreicherung wissenschaftlicher Terminologie durch Alltagsphrasen, die in der Umgangssprache ihre eigene Ausdrucksfähigkeit hatten, im akademischen Jargon aber hohl und tumb klingen.
Hierzu gehört das von der häuslichen Sphäre auf das akademische Feld importierte "Einbetten" ("Vor diesem Hintergrund geht es um die Frage, wie sich die medientheoretische Rekonstruktion der modernen Kommunikationstheorien in den umfassenden Horizont einer pragmatischen Kulturwissenschaft einbetten lässt"), die Rede von Horizonten, Hintergründen, Knackpunkten, Gefügen und Folien ("Muss Swedenborgs Rolle lediglich auf eine Negativfolie für die spätere Philosophie Kants reduziert werden?") sowie von Dimensionen, Verflechtungen, Vorzeichen und Strängen ("Drei Stränge der Debatte werden näher beleuchtet"). Wenn gegen Ende des Buchs nacheinander die Wörter "verorten", "vertiefen" und "verzahnen" gewürdigt werden, wird vollends deutlich, dass das Buch nicht einfach Kritik an einer herabgesunkenen Wissenschaftsterminologie übt, sondern vor allem gegen die Aufnahme einer trüben Alltagssprache in die akademische Diktion polemisiert. MAGNUS KLAUE
Dirk Braunstein und Christoph Hesse: "Schiffbruch beim Spagat". Wirres aus Geist und Gesellschaft 1.
Nachwort von Eckhard Henscheid. Ça Ira Verlag, Freiburg i.Br. 2021. 176 S., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dirk Braunstein und Christoph Hesse orten akademische Phrasen
Seit den 1980er Jahren ist das Phrasenlexikon zu einem populären Buchgenre geworden. Von Eckhard Henscheids 1985 erschienenem Kompendium "Dummdeutsch" über das von Klaus Bittermann, Gerhard Henschel und Wiglaf Droste 1994 vorgelegte "Wörterbuch des Gutmenschen" bis zu Frank Böckelmanns "Begriffe versenken" (1997) haben Autoren auf die lexikalische Form zurückgegriffen, um zu demonstrieren, was Böckelmann als geistige Erstarrung "im Bann der leeren Worte" beschrieben hat: die Transformation von Begriffen und Metaphern zu Signalwörtern, die nichts Spezifisches ausdrücken oder bezeichnen, sondern nur im Leerlauf funktionieren. Referenz all dieser Versuche war Gustave Flauberts uneingelöstes Vorhaben einer "Enzyklopädie der menschlichen Dummheit", ein bedeutender Vorgänger im vorigen Jahrhundert auch das 1957 von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und W. E. Süskind herausgebrachte "Wörterbuch des Unmenschen".
Während Flauberts Anspruch jedoch ein enzyklopädischer war - auf den Zerfall des Wahrheitsanspruchs bürgerlicher Bildung sollte mit einer Universalgeschichte der Dummheit geantwortet werden -, bearbeiten seine Erben Einzelbereiche der Dummdeutschproduktion: Sternberger und seine Mitautoren den Niederschlag totalitären Denkens in der Sprache, Henscheid den Selbsterfahrungs- und Wellness-Jargon, Bittermann et al. die sprachlichen Verheerungen der Friedensbewegung, Böckelmann die Verfallsformen des linken Akademismus. Die Gefahr solcher Sammlungen ist, dass in ihnen die Sprachkritik zur Lachvorlage für diejenigen wird, an sie sich richtet: Journalisten legen Plastikwörterbücher an, und Geisteswissenschaftler amüsieren sich über Stilblüten in Texten von Studenten und Vorgesetzten.
Der Philosoph Dirk Braunstein und der Filmwissenschaftler Christoph Hesse haben nun ein Wörterbuch akademischer Phraseologie vorgelegt, dessen Form eng an "Dummdeutsch" angelehnt ist. Indem sie die "Einheit von Wichtigtuerei und Windbeutelei" ins Visier nehmen, die den Wissenschaftsbetrieb nach "Einklammerung" seines Wahrheitsanspruchs zusammenhalte, verweigern sie sich ebenso pauschaler Intellektuellenfeindlichkeit wie dem Witzbedürfnis von Kollegen. Obwohl die Autoren auch die Terminologie aufgreifen, die aus den Kultur- und Genderwissenschaften in den Alltagsjargon diffundiert ist ("Diskurs", "Feedback", "Heteronormativität"), liegt das Neue ihres Buches darin, dass sie die umgekehrte Sprachdeformation in den Blick nehmen: die verarmende Anreicherung wissenschaftlicher Terminologie durch Alltagsphrasen, die in der Umgangssprache ihre eigene Ausdrucksfähigkeit hatten, im akademischen Jargon aber hohl und tumb klingen.
Hierzu gehört das von der häuslichen Sphäre auf das akademische Feld importierte "Einbetten" ("Vor diesem Hintergrund geht es um die Frage, wie sich die medientheoretische Rekonstruktion der modernen Kommunikationstheorien in den umfassenden Horizont einer pragmatischen Kulturwissenschaft einbetten lässt"), die Rede von Horizonten, Hintergründen, Knackpunkten, Gefügen und Folien ("Muss Swedenborgs Rolle lediglich auf eine Negativfolie für die spätere Philosophie Kants reduziert werden?") sowie von Dimensionen, Verflechtungen, Vorzeichen und Strängen ("Drei Stränge der Debatte werden näher beleuchtet"). Wenn gegen Ende des Buchs nacheinander die Wörter "verorten", "vertiefen" und "verzahnen" gewürdigt werden, wird vollends deutlich, dass das Buch nicht einfach Kritik an einer herabgesunkenen Wissenschaftsterminologie übt, sondern vor allem gegen die Aufnahme einer trüben Alltagssprache in die akademische Diktion polemisiert. MAGNUS KLAUE
Dirk Braunstein und Christoph Hesse: "Schiffbruch beim Spagat". Wirres aus Geist und Gesellschaft 1.
Nachwort von Eckhard Henscheid. Ça Ira Verlag, Freiburg i.Br. 2021. 176 S., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Magnus Klaue sieht das Wörterbuch des Philosophen Dirk Braunstein und des Filmwissenschaftlers Christoph Hesse in der Tradition von Flauberts "Enzyklopädie der menschlichen Dummheit" und Henscheids "Dummdeutsch". Die beiden Autoren betreiben laut Klaue dankenswerterweise weder wohlfeile Akademikerschelte noch Kumpelei, wenn sie zeigen, wie wissenschaftliche Terminologie von Alltagsphrasen ausgehöhlt wird. Wenn in einem theoretischen Aufsatz wieder mal vom "Einbetten" von "Horizonten" oder "Verorten" von "Strängen" die Rede ist, weiß Klaue künftig besser, womit er es zu tun hat: mit einer Sprachdeformation im Sinne einer "verarmenden Anreicherung".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Der Philosoph Dirk Braunstein und der Filmwissenschaftler Christoph Hesse haben nun ein Wörterbuch akademischer Phraseologie vorgelegt, dessen Form eng an »Dummdeutsch« angelehnt ist. Indem sie die »Einheit von Wichtigtuerei und Windbeutelei« ins Visier nehmen, die den Wissenschaftsbetrieb nach »Einklammerung« seines Wahrheitsanspruchs zusammenhalte, verweigern sie sich ebenso pauschaler Intellektuellenfeindlichkeit wie dem Witzbedürfnis von Kollegen. / Magnus Klaue, FAZ