Der Kampf des Menschen gegen das Meer - Mit der Hartnäckigkeit von Hemingways Altem Mann
Vor der chilenischen Küste treibt eine Schaluppe mit einem halbverdursteten Passagier. Er ist der einzige Überlebende eines spektakulären Schiffbruchs: Ein alter Schoner war ursprünglich im Süden Argentiniens aufgebrochen, um eine der schwierigsten Schiffsrouten der Welt zu befahren: die Umsegelung von Kap Hoorn. Wir befinden uns in den Dreißiger Jahren, und eigentlich gibt es längst keinen Grund mehr, diese Strecke auf dem Südmeer ohne Motor zu befahren. Trotzdem hat Kapitän Cenizo, ein alter wettergegerbter Seebär, die gefährliche anachronistische Fahrt gewagt, die er und seine kleine Besatzung, zu der auch Cenizos Frau Dolores gehört, teuer bezahlen müssen. Vor ihnen liegt der Kampf auf Leben und Tod gegen die wütenden, eiskalten Wogen und die Furcht vor den Elementen, denen die Mannschaft hilflos ausgeliefert ist - wer wird am Ende gewinnen?
Abenteuer, Gewalt, Ver führung und Liebe bestimmen den Duktus dieses auf seltsame Weise berührenden Romans - eine elementar humane Geschichte über die Begegnung der Menschen mit dem Meer, das ihre Träume und Sehnsüchte jeden Tag auf eine härtere Probe stellt.
Vor der chilenischen Küste treibt eine Schaluppe mit einem halbverdursteten Passagier. Er ist der einzige Überlebende eines spektakulären Schiffbruchs: Ein alter Schoner war ursprünglich im Süden Argentiniens aufgebrochen, um eine der schwierigsten Schiffsrouten der Welt zu befahren: die Umsegelung von Kap Hoorn. Wir befinden uns in den Dreißiger Jahren, und eigentlich gibt es längst keinen Grund mehr, diese Strecke auf dem Südmeer ohne Motor zu befahren. Trotzdem hat Kapitän Cenizo, ein alter wettergegerbter Seebär, die gefährliche anachronistische Fahrt gewagt, die er und seine kleine Besatzung, zu der auch Cenizos Frau Dolores gehört, teuer bezahlen müssen. Vor ihnen liegt der Kampf auf Leben und Tod gegen die wütenden, eiskalten Wogen und die Furcht vor den Elementen, denen die Mannschaft hilflos ausgeliefert ist - wer wird am Ende gewinnen?
Abenteuer, Gewalt, Ver führung und Liebe bestimmen den Duktus dieses auf seltsame Weise berührenden Romans - eine elementar humane Geschichte über die Begegnung der Menschen mit dem Meer, das ihre Träume und Sehnsüchte jeden Tag auf eine härtere Probe stellt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2002Aberglaube der Matrosen
Eduardo Belgrano Rawson spielt Schiffe versenken
Das Seestück und der Schiffbruchsroman gehören nicht zum üblichen Repertoire südamerikanischer Autoren. Im Regelfall haben diese es mit einer Wirklichkeit von Angekommenen, nicht von Ausfahrenden zu tun. Seit die Bewegung des Regionalismus im neunzehnten Jahrhundert das Hinterland als Heimatraum für die Kunst und die Literatur entdeckt hat, ist der Gegensatz von Stadt und Land, von (kreolischer) Civilización und (mestizischer) Barbarei ein literarischer Zentraltopos. Das Meer kommt dabei fast nicht vor.
Daran konnten auch die durch und durch metropolitan-kosmopolitischen Einflüsse von Moderne und Postmoderne nichts ändern, wie wohl am prominentesten die Erzählungen von Borges zeigen. Unterm Mief der Diktatur der "nationalen Sicherheit", die in Argentinien wie in weiten Teilen Südamerikas einem platten, positivistisch-technokratischen Entwicklungsgedanken huldigte, lag es für manche Künstler dagegen erst recht nah, auf die subkutane Wirkkraft der versunken geglaubten oder in die Reservate der Folklore abgedrängten ländlich-rauhen Bilderwelt zu setzen.
Das mag auch für den argentinischen Schriftsteller und Journalisten Eduardo Belgrano Rawson gelten. In seinem vor 22 Jahren erschienenen - und jetzt auch auf deutsch vorliegenden - fulminanten Kurzroman "Schiffbruch der Sterne" läßt er die Figurengalerie der "Barbarei" eines Domingo F. Sarmiento oder eines Martínez Estrada auftreten. Damit hat Belgrano eine Wahl getroffen, die nichts mit belletristischem Eskapismus angesichts der Gegenwartsgreuel zu tun hat. Die sorgsamen Genrezitate in seinem Roman sollen nämlich nicht nur die nationalpathetischen Vorläufer parodieren, sondern erfüllen auch einen Zweck als äsopische Tarnkulisse mit Blick auf die Zensoren. Es zeugt von dem hohen Können des Autors, daß es ihm gelang, die Notwendigkeit zur Camouflage mit einem düsteren, ironisch-poetischen Gedankenexperiment über den Stand der condition humaine in seinem Heimatland zur Deckung zu bringen. Von Anfang bis Ende liest man dieses Geschichts- und Existenzdrama als hochspannenden Schiffbruchsroman in der Linie Melvilles oder als Hochsee-Zweikampfdrama in der Nachfolge Hemingways.
Belgrano hat die Untiefen des Naturalismus und des Abenteurromans genutzt, um das Banale als Ort des Unheimlichen und eines heraufziehenden Unheils kenntlich zu machen. Der Plot konnte simpler kaum ausfallen: ein Kapitän, genannt "der Graue", der im Jahre 1933 (im Zeitalter des Dieselmotors und des Faschismus) auf seine alten Tage mit einer Schaluppe von nostalgischem Wert seinen mörderischen Lebenstraum in die Tat umsetzt, das Kap Horn am südlichen Zipfel des Kontinents zu umsegeln. Belgrano evoziert die Schiffahrts-, Staatsschiffs- und Schiffbruchsmetapher, um sie in einer zeitgenössischen Allegorie für das Unbehagen in der Kultur zusammenzuführen. Mit den vielfältigen Anspielungen auf die Barbarei unterzieht er diese einer genuin lateinamerikanischen beziehungsweise argentinischen Deutung.
Ein dezentes historisches Spiel mit Namen gibt so eine Genealogie des Despotismus zu erkennen: Es ziehen die Barkasse "Facundo" und der Schoner "Patriarach" am Leser vorüber; die "Lucia Alvarado", der Stolz aller ihrer einsamen Kapitäne, vom ersten, knochenkruden "Alten" bis zu ihrem letzten Kapitän, den auch nicht eben altersmilden "Grauen", huldigt mit ihrem Alter dem Márquezschen Hauptwerk. Die Kapitelüberschriften kommen so hölzern daher wie die Protagonisten ("Horizont"; "Das Schiff", "Die Abfahrt", "Das Haus", "Der Kapitän"); im zweiten Teil, der vom Versinken handelt, erreichen sie in einem suggestiven poetischen Crescendo ("Marineblau", "Merkur", "Der Untergang", "Das Firmament") ihren bitter-ironischen Zenit.
Der Matrose ist des Matrosen natürlicher Feind: Keine Figur, die nicht das Wundmal irgendeines schweren Kindheitstraumas trüge, und keine, die nicht just darum an Bord erst recht einer (selbst)mörderischen Paranoia anheimfiele. Ein Klima des Aberglaubens herrscht vor, in dem noch jede Regung des Gedächtnisses ersticken muß. So ist das Baujahr des Schiffes ins unvordenkliche Alter einer mythischen Arche entrückt. Das Geheimnisvolle ist hier, ganz unauratisch, Ergebnis eines "natürlichen" suspense, der erzählerische Reflex banal-wirklicher Ignoranz.
Von maritimer Legendenromantik lassen diese dicht-kühlen Beschreibungen keine Spur. Die Schicksale der Protagonisten scheinen, wie nicht nur der Romantitel und einige der Kapitelüberschriften suggerieren, sondern vor allem auch die kalt anmutende Erzählerposition, in den Sternen geschrieben. Die eindringlichste Schilderung gilt neben dem Kapitän der Figur des Antonio. Dessen Ertrinken in Zeitlupenaufnahme umschließt den Roman wie ein geschmackloser Pop-art-Rahmen. In den letzten Sekunden seines Verschwindens sieht Antonio in erdrückend trivialen Erinnerungsbildern seine in autistischer Verkapselung verlaufene Vita sich abspulen - eine galligere Parodie auf die esoterischen Klischees der Todesnaherfahrung läßt sich kaum vorstellen.
Dennoch ist es nur die lächerlich fixe Idee eines einzigen, der alle zum Opfer fallen, einschließlich Dolores, der Frau des "Grauen", das heißt alle bis eben auf ihren Urheber. Den Kapitän nämlich erleben wir am Ende im Sinne des Katastrophenüberlebenden Elias Canettis als souveränen Stoiker mit makabrem Genuß an der eigenen Dissoziation, als Zuschauer eines Schiffbruchs, für das er jedes persönliches Versagen und Verschulden abwehrt. Denn wer überlebt, ist - in des Kapitäns verschwiegener Weltanschauung - dadurch schon gerechtfertigt. Bereits als vernachlässigter Waisenknabe (seine aschgraue Patina trug ihm damals schon den Spitznamen ein) hat der Graue als lebensnotwendigen Akt das Opfer verinnerlicht. Den Kriegszustand unter den Geschwistern und den Erwachsenen, den er als einzige Grundkonstante des gemeinschaftlichen Lebens erfuhr, lebt er an Bord fort als Kampf mit der Naturgewalt des Meeres. Vielleicht wollte Belgrano ja nahelegen, daß man einen solchen posttraumatischen Nihilismus als die Feuerprobe für den Erfolgstypus des Jahrhunderts der Extreme anzusehen hat. Dessen einzige Hinterlassenschaft für die Nachwelt des einundzwanzigsten Jahrhunderts wäre dann - das Opfer. So hält diese lakonisch unterkühlte Historia tragico-maritima doch eine beklemmend aktuelle Botschaft für die Heutigen bereit.
HANNO ZICKGRAF
Eduardo Belgrano Rawson: "Schiffbruch der Sterne". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Lisa Grüneisen. Verlag C.H. Beck, München 2001. 216 S., geb., 19,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eduardo Belgrano Rawson spielt Schiffe versenken
Das Seestück und der Schiffbruchsroman gehören nicht zum üblichen Repertoire südamerikanischer Autoren. Im Regelfall haben diese es mit einer Wirklichkeit von Angekommenen, nicht von Ausfahrenden zu tun. Seit die Bewegung des Regionalismus im neunzehnten Jahrhundert das Hinterland als Heimatraum für die Kunst und die Literatur entdeckt hat, ist der Gegensatz von Stadt und Land, von (kreolischer) Civilización und (mestizischer) Barbarei ein literarischer Zentraltopos. Das Meer kommt dabei fast nicht vor.
Daran konnten auch die durch und durch metropolitan-kosmopolitischen Einflüsse von Moderne und Postmoderne nichts ändern, wie wohl am prominentesten die Erzählungen von Borges zeigen. Unterm Mief der Diktatur der "nationalen Sicherheit", die in Argentinien wie in weiten Teilen Südamerikas einem platten, positivistisch-technokratischen Entwicklungsgedanken huldigte, lag es für manche Künstler dagegen erst recht nah, auf die subkutane Wirkkraft der versunken geglaubten oder in die Reservate der Folklore abgedrängten ländlich-rauhen Bilderwelt zu setzen.
Das mag auch für den argentinischen Schriftsteller und Journalisten Eduardo Belgrano Rawson gelten. In seinem vor 22 Jahren erschienenen - und jetzt auch auf deutsch vorliegenden - fulminanten Kurzroman "Schiffbruch der Sterne" läßt er die Figurengalerie der "Barbarei" eines Domingo F. Sarmiento oder eines Martínez Estrada auftreten. Damit hat Belgrano eine Wahl getroffen, die nichts mit belletristischem Eskapismus angesichts der Gegenwartsgreuel zu tun hat. Die sorgsamen Genrezitate in seinem Roman sollen nämlich nicht nur die nationalpathetischen Vorläufer parodieren, sondern erfüllen auch einen Zweck als äsopische Tarnkulisse mit Blick auf die Zensoren. Es zeugt von dem hohen Können des Autors, daß es ihm gelang, die Notwendigkeit zur Camouflage mit einem düsteren, ironisch-poetischen Gedankenexperiment über den Stand der condition humaine in seinem Heimatland zur Deckung zu bringen. Von Anfang bis Ende liest man dieses Geschichts- und Existenzdrama als hochspannenden Schiffbruchsroman in der Linie Melvilles oder als Hochsee-Zweikampfdrama in der Nachfolge Hemingways.
Belgrano hat die Untiefen des Naturalismus und des Abenteurromans genutzt, um das Banale als Ort des Unheimlichen und eines heraufziehenden Unheils kenntlich zu machen. Der Plot konnte simpler kaum ausfallen: ein Kapitän, genannt "der Graue", der im Jahre 1933 (im Zeitalter des Dieselmotors und des Faschismus) auf seine alten Tage mit einer Schaluppe von nostalgischem Wert seinen mörderischen Lebenstraum in die Tat umsetzt, das Kap Horn am südlichen Zipfel des Kontinents zu umsegeln. Belgrano evoziert die Schiffahrts-, Staatsschiffs- und Schiffbruchsmetapher, um sie in einer zeitgenössischen Allegorie für das Unbehagen in der Kultur zusammenzuführen. Mit den vielfältigen Anspielungen auf die Barbarei unterzieht er diese einer genuin lateinamerikanischen beziehungsweise argentinischen Deutung.
Ein dezentes historisches Spiel mit Namen gibt so eine Genealogie des Despotismus zu erkennen: Es ziehen die Barkasse "Facundo" und der Schoner "Patriarach" am Leser vorüber; die "Lucia Alvarado", der Stolz aller ihrer einsamen Kapitäne, vom ersten, knochenkruden "Alten" bis zu ihrem letzten Kapitän, den auch nicht eben altersmilden "Grauen", huldigt mit ihrem Alter dem Márquezschen Hauptwerk. Die Kapitelüberschriften kommen so hölzern daher wie die Protagonisten ("Horizont"; "Das Schiff", "Die Abfahrt", "Das Haus", "Der Kapitän"); im zweiten Teil, der vom Versinken handelt, erreichen sie in einem suggestiven poetischen Crescendo ("Marineblau", "Merkur", "Der Untergang", "Das Firmament") ihren bitter-ironischen Zenit.
Der Matrose ist des Matrosen natürlicher Feind: Keine Figur, die nicht das Wundmal irgendeines schweren Kindheitstraumas trüge, und keine, die nicht just darum an Bord erst recht einer (selbst)mörderischen Paranoia anheimfiele. Ein Klima des Aberglaubens herrscht vor, in dem noch jede Regung des Gedächtnisses ersticken muß. So ist das Baujahr des Schiffes ins unvordenkliche Alter einer mythischen Arche entrückt. Das Geheimnisvolle ist hier, ganz unauratisch, Ergebnis eines "natürlichen" suspense, der erzählerische Reflex banal-wirklicher Ignoranz.
Von maritimer Legendenromantik lassen diese dicht-kühlen Beschreibungen keine Spur. Die Schicksale der Protagonisten scheinen, wie nicht nur der Romantitel und einige der Kapitelüberschriften suggerieren, sondern vor allem auch die kalt anmutende Erzählerposition, in den Sternen geschrieben. Die eindringlichste Schilderung gilt neben dem Kapitän der Figur des Antonio. Dessen Ertrinken in Zeitlupenaufnahme umschließt den Roman wie ein geschmackloser Pop-art-Rahmen. In den letzten Sekunden seines Verschwindens sieht Antonio in erdrückend trivialen Erinnerungsbildern seine in autistischer Verkapselung verlaufene Vita sich abspulen - eine galligere Parodie auf die esoterischen Klischees der Todesnaherfahrung läßt sich kaum vorstellen.
Dennoch ist es nur die lächerlich fixe Idee eines einzigen, der alle zum Opfer fallen, einschließlich Dolores, der Frau des "Grauen", das heißt alle bis eben auf ihren Urheber. Den Kapitän nämlich erleben wir am Ende im Sinne des Katastrophenüberlebenden Elias Canettis als souveränen Stoiker mit makabrem Genuß an der eigenen Dissoziation, als Zuschauer eines Schiffbruchs, für das er jedes persönliches Versagen und Verschulden abwehrt. Denn wer überlebt, ist - in des Kapitäns verschwiegener Weltanschauung - dadurch schon gerechtfertigt. Bereits als vernachlässigter Waisenknabe (seine aschgraue Patina trug ihm damals schon den Spitznamen ein) hat der Graue als lebensnotwendigen Akt das Opfer verinnerlicht. Den Kriegszustand unter den Geschwistern und den Erwachsenen, den er als einzige Grundkonstante des gemeinschaftlichen Lebens erfuhr, lebt er an Bord fort als Kampf mit der Naturgewalt des Meeres. Vielleicht wollte Belgrano ja nahelegen, daß man einen solchen posttraumatischen Nihilismus als die Feuerprobe für den Erfolgstypus des Jahrhunderts der Extreme anzusehen hat. Dessen einzige Hinterlassenschaft für die Nachwelt des einundzwanzigsten Jahrhunderts wäre dann - das Opfer. So hält diese lakonisch unterkühlte Historia tragico-maritima doch eine beklemmend aktuelle Botschaft für die Heutigen bereit.
HANNO ZICKGRAF
Eduardo Belgrano Rawson: "Schiffbruch der Sterne". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Lisa Grüneisen. Verlag C.H. Beck, München 2001. 216 S., geb., 19,50 [Euro].
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