Produktdetails
- Reclams Universal-Bibliothek 8932
- Verlag: Reclam, Ditzingen
- 1993.
- Gewicht: 33g
- ISBN-13: 9783150089323
- ISBN-10: 3150089328
- Artikelnr.: 05049060
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2000Beischlaf mit Schnupftabak
Wohl bekomm's: Eine Schiller-Biografie, nicht nur für Eingeweihte
Als vor Jahren der Heidelberger Anglist Rudolf Sühnel in den Vereinigten Staaten einen Vortrag über Goethe und Amerika hielt, kam ein Hörer auf ihn zu und fragte: "Goethe, is that the guy we call Schiller?" Eine nicht untypische Frage, hatten die deutschen Amerika-Emigranten im neunzehnten Jahrhundert Schiller doch weit mehr als Goethe zur Kultfigur erhoben. Die Wirkungsgeschichte Schillers in Deutschland ist geprägt durch den Wechsel von Höhen und Tiefen, Hitze- und Kältegraden. Kein Zweifel, dass das Interesse an ihm in den letzten Jahrzehnten rapide abgenommen hat - auf der Bühne, die sich vor allem der klassischen Dramatik weithin verweigert, beim Lesepublikum und auch in der Forschung. Doch die Schiller-Flaute scheint zu Ende zu sein - ein vorausgeworfener Schatten des Jubiläumsjahres 2005?
Axel Gellhaus und Norbert Oellers lassen mit ihrer Schiller-Biografie, die sich bescheiden "Bilder und Texte zu seinem Leben" nennt, die Privatperson in ihrer kreatürlichen Erscheinung auf der Bühne seiner Zeit agieren, deren soziale und politische Kulissen zwar gut ausgeleuchtet sind, aber immer im Blick auf die Person des Helden aufgezogen werden. Die Autoren - neben den Herausgebern sind es Georg Kurscheidt, Ursula Naumann und Roswitha Klaiber - haben sich für ihre Biografie etwas sehr Reizvolles einfallen lassen: Sie wählen 38 Tage aus Schillers Leben gewissermaßen als prägnante Momente aus. Es mag sein, dass Thomas Manns Schiller-Novellette "Schwere Stunde" (1905) die Anregung zu dieser Konzeption gegeben hat. Das Kapitel "Nachtarbeit" von Norbert Oellers, das Schillers Ringen mit dem Wallenstein-Stoff zum Inhalt hat, gemahnt jedenfalls sehr auffällig an die "Schwere Stunde" - nur dass Thomas Mann es ein wenig besser konnte.
Weil eine Kontinuität der Lebenserzählung nicht beabsichtigt ist, stört es kaum, dass verschiedene Autoren sich die biografische Arbeit teilen. Freilich haben sie sich auf ein stilistisches Niveau eingependelt, das Brüche in der Darstellung verhindert. Die Texte werden ergänzt und erläutert durch Collagen aus aktuellen Fotos und historischen Abbildungen. So sind im "Wilhelm Tell"-Kapitel in eine Fotografie des Vierwaldstätter Sees die Negative der Bühnenskizzen von Johann Heinrich Meyer montiert. Der Kontrast von Heute und Einst ist bisweilen erhellend, oft wirkt er freilich aufgesetzt, als bloß modische Zutat zu einem Text, der dieser Kontrastdramaturgie keineswegs folgt, sondern durchweg die historische Perspektive einhält.
Die Darstellung zeichnet sich durch oft zupackende Frische aus, sosehr die Autoren - sämtlich langjährige Mitarbeiter an der historisch-kritischen Nationalausgabe - bemüht sind, nichts als die Quellen sprechen und gelten zu lassen. Wir sehen da einen durchaus mittelmäßigen Schüler der Herzoglichen Militär-Akademie, einen trunk- und schnupftabaksüchtigen, weibstollen Regimentsmedicus, einen permanenten Schuldenmacher und besessenen Kartenspieler, einen mit seinen Kindern auf dem Boden herumkriechenden Familienvater, der antiautoritäre Erziehung übt, nachdem ihm seine Jugend durch militärischen Drill ruiniert worden war, einen Spötter und geschickten Taktierer. Der kreatürlichen Seite Schillers wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet: seinen Krankheiten, seinen alltäglichen Lebensgewohnheiten, seinem Sterben. Faszinierend die grafologische Studie von Roswitha Klaiber über seinen letzten Brief an Goethe, die von dessen eigenem Befund bestürzend abweicht.
Ein weites Feld ist Schillers zeitweilig extreme erotische Anfälligkeit. "Jede Kokette kann mich feßeln", hat er an Körner geschrieben. Bei ihm kann keiner auf die Idee kommen, dass er erst - wie man das bei Goethe bis heute für möglich hält - mit mehr als 35 Jahren zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen hat. "Seine Schwäche in der Literatur wie im Leben waren die Frauen", schreibt Ursula Naumann mit durchtriebener Ironie - und vor allem erfreulich weit entfernt von feministischem Eifer. Die Mannheimer Uraufführung der "Räuber" hätte er fast verpasst, weil er in Schwetzingen unbedingt mit einer Kellnerin schäkern musste. Seine Jugendfreunde kritisierten allerdings, ihm habe es an Delikatesse, an "Feingefühl im Sinnlichen" gefehlt. So Johann Wilhelm Petersen. Selbst beim Liebesakt konnte er vom Schnupftabak nicht lassen. "Mehrere waren Zeugen" - man glaubt nicht recht zu lesen -, "daß er während eines einzigen Beyschlafs, wobey er brauste und strampfte, 25 Prise Tabak schnupfte."
Natürlich erfährt man auch Seriöseres und Seriösestes in der Biografie von Gellhaus und Oellers, aber die besondere Farbe erhält diese Bild-Text-Dokumentation von der behutsamen, oft witzigen, jedenfalls immer lebendigen Nachzeichnung der Züge in Schillers Psychogramm, die so gar nicht ins hochstilisierte Bild des "Klassikers" passen, ein Bild, das Schiller dem heutigen Leser ebenso entfremdet, wie diese Biografie ihn uns nahe bringt.
DIETER BORCHMEYER.
"Schiller. Bilder und Texte zu seinem Leben". Hrsg. von Axel Gellhaus und Norbert Oellers. Photographie und Gestaltung von Rudolf Straub. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 1999. 350 S., geb., 128,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wohl bekomm's: Eine Schiller-Biografie, nicht nur für Eingeweihte
Als vor Jahren der Heidelberger Anglist Rudolf Sühnel in den Vereinigten Staaten einen Vortrag über Goethe und Amerika hielt, kam ein Hörer auf ihn zu und fragte: "Goethe, is that the guy we call Schiller?" Eine nicht untypische Frage, hatten die deutschen Amerika-Emigranten im neunzehnten Jahrhundert Schiller doch weit mehr als Goethe zur Kultfigur erhoben. Die Wirkungsgeschichte Schillers in Deutschland ist geprägt durch den Wechsel von Höhen und Tiefen, Hitze- und Kältegraden. Kein Zweifel, dass das Interesse an ihm in den letzten Jahrzehnten rapide abgenommen hat - auf der Bühne, die sich vor allem der klassischen Dramatik weithin verweigert, beim Lesepublikum und auch in der Forschung. Doch die Schiller-Flaute scheint zu Ende zu sein - ein vorausgeworfener Schatten des Jubiläumsjahres 2005?
Axel Gellhaus und Norbert Oellers lassen mit ihrer Schiller-Biografie, die sich bescheiden "Bilder und Texte zu seinem Leben" nennt, die Privatperson in ihrer kreatürlichen Erscheinung auf der Bühne seiner Zeit agieren, deren soziale und politische Kulissen zwar gut ausgeleuchtet sind, aber immer im Blick auf die Person des Helden aufgezogen werden. Die Autoren - neben den Herausgebern sind es Georg Kurscheidt, Ursula Naumann und Roswitha Klaiber - haben sich für ihre Biografie etwas sehr Reizvolles einfallen lassen: Sie wählen 38 Tage aus Schillers Leben gewissermaßen als prägnante Momente aus. Es mag sein, dass Thomas Manns Schiller-Novellette "Schwere Stunde" (1905) die Anregung zu dieser Konzeption gegeben hat. Das Kapitel "Nachtarbeit" von Norbert Oellers, das Schillers Ringen mit dem Wallenstein-Stoff zum Inhalt hat, gemahnt jedenfalls sehr auffällig an die "Schwere Stunde" - nur dass Thomas Mann es ein wenig besser konnte.
Weil eine Kontinuität der Lebenserzählung nicht beabsichtigt ist, stört es kaum, dass verschiedene Autoren sich die biografische Arbeit teilen. Freilich haben sie sich auf ein stilistisches Niveau eingependelt, das Brüche in der Darstellung verhindert. Die Texte werden ergänzt und erläutert durch Collagen aus aktuellen Fotos und historischen Abbildungen. So sind im "Wilhelm Tell"-Kapitel in eine Fotografie des Vierwaldstätter Sees die Negative der Bühnenskizzen von Johann Heinrich Meyer montiert. Der Kontrast von Heute und Einst ist bisweilen erhellend, oft wirkt er freilich aufgesetzt, als bloß modische Zutat zu einem Text, der dieser Kontrastdramaturgie keineswegs folgt, sondern durchweg die historische Perspektive einhält.
Die Darstellung zeichnet sich durch oft zupackende Frische aus, sosehr die Autoren - sämtlich langjährige Mitarbeiter an der historisch-kritischen Nationalausgabe - bemüht sind, nichts als die Quellen sprechen und gelten zu lassen. Wir sehen da einen durchaus mittelmäßigen Schüler der Herzoglichen Militär-Akademie, einen trunk- und schnupftabaksüchtigen, weibstollen Regimentsmedicus, einen permanenten Schuldenmacher und besessenen Kartenspieler, einen mit seinen Kindern auf dem Boden herumkriechenden Familienvater, der antiautoritäre Erziehung übt, nachdem ihm seine Jugend durch militärischen Drill ruiniert worden war, einen Spötter und geschickten Taktierer. Der kreatürlichen Seite Schillers wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet: seinen Krankheiten, seinen alltäglichen Lebensgewohnheiten, seinem Sterben. Faszinierend die grafologische Studie von Roswitha Klaiber über seinen letzten Brief an Goethe, die von dessen eigenem Befund bestürzend abweicht.
Ein weites Feld ist Schillers zeitweilig extreme erotische Anfälligkeit. "Jede Kokette kann mich feßeln", hat er an Körner geschrieben. Bei ihm kann keiner auf die Idee kommen, dass er erst - wie man das bei Goethe bis heute für möglich hält - mit mehr als 35 Jahren zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen hat. "Seine Schwäche in der Literatur wie im Leben waren die Frauen", schreibt Ursula Naumann mit durchtriebener Ironie - und vor allem erfreulich weit entfernt von feministischem Eifer. Die Mannheimer Uraufführung der "Räuber" hätte er fast verpasst, weil er in Schwetzingen unbedingt mit einer Kellnerin schäkern musste. Seine Jugendfreunde kritisierten allerdings, ihm habe es an Delikatesse, an "Feingefühl im Sinnlichen" gefehlt. So Johann Wilhelm Petersen. Selbst beim Liebesakt konnte er vom Schnupftabak nicht lassen. "Mehrere waren Zeugen" - man glaubt nicht recht zu lesen -, "daß er während eines einzigen Beyschlafs, wobey er brauste und strampfte, 25 Prise Tabak schnupfte."
Natürlich erfährt man auch Seriöseres und Seriösestes in der Biografie von Gellhaus und Oellers, aber die besondere Farbe erhält diese Bild-Text-Dokumentation von der behutsamen, oft witzigen, jedenfalls immer lebendigen Nachzeichnung der Züge in Schillers Psychogramm, die so gar nicht ins hochstilisierte Bild des "Klassikers" passen, ein Bild, das Schiller dem heutigen Leser ebenso entfremdet, wie diese Biografie ihn uns nahe bringt.
DIETER BORCHMEYER.
"Schiller. Bilder und Texte zu seinem Leben". Hrsg. von Axel Gellhaus und Norbert Oellers. Photographie und Gestaltung von Rudolf Straub. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 1999. 350 S., geb., 128,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main