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Das Schicksal zweier Frauen, die, als sie starben, fast noch Kinder waren. Die eigene Kindheit unter der Fuchtel der Ideologie. Was diese Texte verbindet, ist die auf den ersten Blick fast unzulässige Wendung eines Gedankens: Thomas Mann - ein mit Gottfried Benn verwandter Autor? Brecht ein verkappter Schiller? Novalis gar nicht verliebt? Eine Diktatur gar nicht politisch? Was Marion Titze versucht, ist nicht weniger, als den geistigen Spannungen ihrer Epoche nachzugehen, sie als Wurzeln des Eigenen zu begreifen und nach einem Widerpart zu suchen. So wird der eigenen Romantik ein Fräulein von…mehr

Produktbeschreibung
Das Schicksal zweier Frauen, die, als sie starben, fast noch Kinder waren. Die eigene Kindheit unter der Fuchtel der Ideologie. Was diese Texte verbindet, ist die auf den ersten Blick fast unzulässige Wendung eines Gedankens: Thomas Mann - ein mit Gottfried Benn verwandter Autor? Brecht ein verkappter Schiller? Novalis gar nicht verliebt? Eine Diktatur gar nicht politisch? Was Marion Titze versucht, ist nicht weniger, als den geistigen Spannungen ihrer Epoche nachzugehen, sie als Wurzeln des Eigenen zu begreifen und nach einem Widerpart zu suchen. So wird der eigenen Romantik ein Fräulein von Kühn entgegengesetzt, der absoluten Prosa Benns die geneigte Erzählung Thomas Manns. Dem verfänglichen Idealismus Schillers der verfängliche Marxismus Brechts. Und auch wenn diese Texte von fernen Figuren wie Jeanne d'Arc handeln, sind sie radikale Selbstbefragung einer Autorin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.1999

Hochmut mit Entengrütze
Gedankenbiedermeier: Marion Titze pflegt das schöne Fieber

Dies Büchlein beginnt mit den Posaunen des Weltuntergangs. Marion Titze zitiert die Klischees der Zivilisationskritik: die Gedankenlosigkeit unserer Zeit, ihre Fühllosigkeit, Stillosigkeit - und steigert sich dadurch in eine pathetische Melancholie: "Mich überkam große Sehnsucht. Sehnsucht nach jener Zeit, in der ein Hut außer den Kopf auch noch Gedanken bedeckte. Das arme Abendland schien mir viel, viel verschwundener, als die Verkünder seines Untergangs es je vorausgesagt hatten. Es hatte alles mitgenommen, Familie, Theater, ja selbst die Zeitung. Die Familie als Ort der Beziehung, ob harmonisch oder verdorben, gedeihlich oder zerstörend, die Interaktion war gegeben, jetzt ist sie blockiert. Die Kontakte changieren zwischen Einladung zum Essen und gesenktem Blick in der U-Bahn. Das Maximum an Bindung geht man mit einer Bank ein. Das Theater, ein Ort der Sprache. Aber Sprache ist an den Geist geknüpft, und der ist entwichen."

Mit solch starken Worten und abgegriffenen Urteilen hofft sie, sich Gehör zu verschaffen für ihre altmodischen, bildungsbürgerlichen Texte. Der Band versammelt vier Aufsätze, die durch ihre langen Zitate und die Sprunghaftigkeit der Gedanken eher einem mündlichen Genre anzugehören scheinen, wie man es etwa aus Rundfunkfeatures kennt. Im Buch festgehalten, wirken die Assoziationen beliebig: über Thomas Mann, der ins Exil ging, und Gottfried Benn, der den Nationalsozialismus in Deutschland überdauerte, den Ruhmsüchtigen, der um die Gesellschaft warb, und den Trotzigen, der sie brüskierte, den Ästheten, der Gott mit seiner Schöpfung gefallen wollte (trifft das auf Thomas Mann zu?), und den Rebellen, der selbst eine Welt erschuf.

"Schillers schönes Fieber", dem man angeblich das Drama "Die Jungfrau von Orléans" verdankt, wird für Marion Titze zum Anlaß, ausführlich den Prozeß der Jeanne d'Arc zu referieren. Novalis' Liebe zu Sophie von Kühn bleibt ein weiteres Mal die Nacherzählung des ewigen Motivs "Der Dichter und die Liebe". Das Schlußkapitel bringt Anspielungen auf die Melancholie bei Ingeborg Bachmann, nennt Trakl, Dürer, Nietzsche, Robert Burton, Baudelaire, Camus, Chirico, um in einen autobiographischen Text über das Heranwachsen eines jungen Mädchens in der ehemaligen DDR zu münden. Was Marion Titze herbeizitiert, ist Bildungsgut, wie sie es zitiert, Wichtigtuerei.

Benns Rundfunkansprache, die Marion Titze eine "Radiorede" nennt, in der er die Exilanten des Luxuslebens zeiht, versteht sie als das "Absinken unter das eigene (Benns) Niveau . . . als Folge von Preußentum" und fügt an diese politische Analyse von Benns Verhalten die moralische Reflexion an: "Denn während die wirkliche Askese die Vorzüge des Verzichts genießt und deshalb neidlos ist, schafft durch Gesten geadelter Mangel letztlich doch keine innere Freiheit. Erst der Katechismus des Mangels erzeugt den Fanatiker, der das Opfern zum Kult macht." Solche komplizierten Gedanken verschaffen sich gleich darauf Luft in der kleinen Häme, mit der sie Benns Schicksal kommentiert: "Doch schon wenige Monate später ist wieder Entengrütze, denn natürlich zählen die neuen Machthaber den expressionistischen Lyriker nicht zu ihren führenden Zeitgenossen, sondern zur entarteten Kunst." Hochmut kommt vor dem Fall, so scheint die Autorin in hochgemutem Stil über Benn zu urteilen, um gleich darauf selbst in die Niederungen der Umgangssprache hinabzufallen.

HANNELORE SCHLAFFER.

Marion Titze: "Schillers schönes Fieber". Und andere Diagnosen. Ammann Verlag, Zürich 1999. 158 S., geb., 34,- DM.

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