Es ist der Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg gewesen, der meinte, daß sich Zeitströmungen nicht nur in Schlagworten, sondern auch in "Schlagbildern" dokumentieren. Auf der Spur dieser Beobachtungen untersucht Michael Diers die Bildwelten unserer Gegenwart. Seine Texte zeigen, wie sich kunstwissenschaftliche Methoden und Einsichten für die Analyse öffentlicher Bilder und medialer Inszenierungen fruchtbar machen lassen. Sei es nun mit Blick auf die bildgesättigten Inszenierungen politischer Ereignisse, auf die Bilder, mit denen sich die Bundesrepublik im Übergang vom Bonner zum Berliner Gemeinwesen Anschauung ihrer selbst verschafft, auf die Bildersprache der Werbung oder die politische Ikonographie des Denkmals. Indem der Autor vor Augen führt, auf welche Weise Bilder ihre symbolische und politische Prägekraft entfalten, sind seine Untersuchungen auch Analysen des heiklen Verhältnisses zwischen medialen Bildern und demokratischer Öffentlichkeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.1998Nach Canossa gehen wir alle Tage
Michael Diers entziffert die Embleme der Politik
Wir sehen zwei Personen, die den Bildraum fast gänzlich ausfüllen. Sie stehen vor einer Gruppe fremdländisch wirkender Menschen im Bildhintergrund. Der Mann rechts hat einen nackten, braunen Oberkörper und halblanges Haar, seine Arme sind mit Federn geschmückt. Er blickt verschlossen aus dem Bild heraus zum Betrachter hin. Der weiße Mann, der direkt hinter ihm steht, hält den rechten Oberarm des dunkelhäutigen Mannes umfaßt. Er trägt einen Cowboyhut und ein gestreiftes Halstuch zur Kontorsjacke und -weste, sein Gesichtsausdruck ist leicht amüsiert.
Es bedeutet, Aby Warburg mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, wenn man diese 1896 entstandene Photographie, die den Hamburger Bankierssohn während seines Amerika-Aufenthaltes neben einem Pueblo-Indianer zeigt, in die Bildtradition der Begegnung vom aufgeklärten Europäer mit dem edlen Wilden einordnet. Man kann in diesem Urlaubsphoto einen darstellerischen Topos wiederfinden, der seit der Entdeckung der Neuen Welt Konjunktur hatte und sich über Johann Friedrich Overbecks "Italia und Germania" bis in die Stuyvesant-Plakatkampagne "Come together" forterbt. Zugleich kann man in ideologiekritischer Absicht den vermeintlich freundschaftlichen Armgriff als nur simulierte Anerkennung des anderen und als neokoloniale Geste entlarven. So weit freilich würde Michael Diers nicht gehen, da er zwar von einem erfrischenden Impetus der Enthüllung versteckter Ideologeme getrieben wird, zugleich aber ein eingestandener Verehrer von Warburg und dessen Methode ist.
"Schlagbilder" hat er seine Sammlung von größtenteils bereits publizierten Essays zur politischen Ikonographie tituliert, womit er ein Schlagwort aus Warburgs Text über "Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten" aufnimmt. Als "Schlagbilder" hatte Warburg die Flugblätter der Reformationszeit bezeichnet, die als "aufregende ominöse Sturmvögel" zwischen "Norden und Süden" hin und her jagten, bedruckt mit politisch instrumentalisierten Bildern, die für ihn die Vorläufer der modernen Propaganda darstellten. Diers plädiert nun in einer zunehmend medial geprägten Gegenwart für eine Geschichte des öffentlichen Bildes mit kunsthistorischen Methoden. Voraussetzung einer solchen Bildergeschichte in politischer Absicht ist die Annahme eines kollektiven Gedächtnisses, das ein schier unerschöpfliches Bildrepertoire konserviert.
Als roter Faden der Strukturerkenntnis zieht sich die Emblematik durch die recht heterogenen Texte. Das Emblem, eine ideale Mischung aus Abstraktheit und gebannter Magie, hatte es der Warburg-Schule immer schon angetan. Und Künstler waren ihr stets dort am sympathischsten, wo sie willfährig Traktate zu illustrieren oder aus Emblembüchern zu schöpfen schienen. Politisches Handeln sei, so Diers' These, ein vor allem auf Bildwürdigkeit bedachtes emblematisch-symbolisches Ballett auf der politischen Bühne, das aus dem Repertoire der Tradition schöpfe. So habe Willy Brandt bei seinem Kniefall vor dem Warschauer-Ghetto-Mahnmal nicht nur den Canossagang Heinrichs IV. vor Augen gehabt, sondern auch die Figur der Mutter aus der Statuengruppe "Elternpaar" auf dem Soldatenfriedhof zu Vladsloo-Praedbosch von Käthe Kollwitz. Schon dieses Beispiel zeigt, wie dicht beisammen hier phantasievoller Assoziationenreichtum und fehlende methodische Kontrolle liegen: Der Nachweis einer Pathosformel entbindet nicht von der Rekonstruktion der Rezeptionsgeschichte eines Bildmotivs. Die historisch unbekümmerte Isolation von Einzelmomenten im Bild läßt auf der formalen ebenso wie auf der inhaltlichen Ebene fast alles mit allem vergleichbar werden, besonders, wenn die Abbildungen, die die Argumentation stützen sollen, kaum mehr als briefmarkengroß sind.
Wenn auch der ikonographische Furor an manchen Stellen mit dem Autor durchgeht: Es ist ein spannendes Buch mit vielen scharfsichtigen Detailbeobachtungen, das neben seiner sprachlichen Virtuosität auch durch seinen engagierten Habitus einnimmt. Gerne verfolgt man, wie die perfide Imagewerbung der Firma Benetton demontiert wird. Und erfreut nimmt man die Feststellung zur Kenntnis, daß die Umgestaltung der Neuen Wache in Berlin zur bundesrepublikanischen Gedenkstätte sowohl politisch als auch ästhetisch unzeitgemäß gewesen sei. Weniger überzeugend ist die Enthüllung von "political incorrectness" bei der Zerstörung des Lenin-Denkmals in Berlin-Friedrichshain, die nach Diers nicht "von oben" angeordnet, sondern vom Basisvolkszorn "von unten" hätte vollzogen werden müssen.
Neben der Werbung sind Denkmäler ein fruchtbares Untersuchungsfeld für den politischen Ikonographen der Gegenwart. Die interessantesten Partien des Buches machen Diers' Überlegungen zu ephemeren Denkmälern aus. "Dekorationen des Augenblicks" hatte Jacob Burckhardt diese "Kurz(zeit)formen des Monumentalen" im öffentlichen Raum genannt und damit vor allem die temporären Festdekorationen der Renaissance gemeint. Warburg hatte sich in dieser Gattung vor allem mit den sogenannten "voti" beschäftigt, Wachsfiguren, die als Votiv- und Stifterporträts in Florenz von der Kirchendecke der SS. Annunziata herabhingen. Diers nun verlagert seine Aufmerksamkeit in die Zeit des Ersten Weltkrieges, als Kriegsfinanzierung mit dem Verkauf von Nägeln betrieben wurde, die der Spendenwillige in eine Holzfigur einschlagen durfte. Diese Nagelungsstandbilder waren säkularisierte Opferstöcke in Deutschlands "eiserner Zeit", zugleich "Schlagbilder" im wahrsten Wortsinn, Abbilder eines Aggressionspotentials, das schon Warburg bis ins Innerste erschüttert hatte. CHRISTINE TAUBER
Michael Diers: "Schlagbilder". Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1997. 224 S., Abb., br., 24,90 DM.
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Michael Diers entziffert die Embleme der Politik
Wir sehen zwei Personen, die den Bildraum fast gänzlich ausfüllen. Sie stehen vor einer Gruppe fremdländisch wirkender Menschen im Bildhintergrund. Der Mann rechts hat einen nackten, braunen Oberkörper und halblanges Haar, seine Arme sind mit Federn geschmückt. Er blickt verschlossen aus dem Bild heraus zum Betrachter hin. Der weiße Mann, der direkt hinter ihm steht, hält den rechten Oberarm des dunkelhäutigen Mannes umfaßt. Er trägt einen Cowboyhut und ein gestreiftes Halstuch zur Kontorsjacke und -weste, sein Gesichtsausdruck ist leicht amüsiert.
Es bedeutet, Aby Warburg mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, wenn man diese 1896 entstandene Photographie, die den Hamburger Bankierssohn während seines Amerika-Aufenthaltes neben einem Pueblo-Indianer zeigt, in die Bildtradition der Begegnung vom aufgeklärten Europäer mit dem edlen Wilden einordnet. Man kann in diesem Urlaubsphoto einen darstellerischen Topos wiederfinden, der seit der Entdeckung der Neuen Welt Konjunktur hatte und sich über Johann Friedrich Overbecks "Italia und Germania" bis in die Stuyvesant-Plakatkampagne "Come together" forterbt. Zugleich kann man in ideologiekritischer Absicht den vermeintlich freundschaftlichen Armgriff als nur simulierte Anerkennung des anderen und als neokoloniale Geste entlarven. So weit freilich würde Michael Diers nicht gehen, da er zwar von einem erfrischenden Impetus der Enthüllung versteckter Ideologeme getrieben wird, zugleich aber ein eingestandener Verehrer von Warburg und dessen Methode ist.
"Schlagbilder" hat er seine Sammlung von größtenteils bereits publizierten Essays zur politischen Ikonographie tituliert, womit er ein Schlagwort aus Warburgs Text über "Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten" aufnimmt. Als "Schlagbilder" hatte Warburg die Flugblätter der Reformationszeit bezeichnet, die als "aufregende ominöse Sturmvögel" zwischen "Norden und Süden" hin und her jagten, bedruckt mit politisch instrumentalisierten Bildern, die für ihn die Vorläufer der modernen Propaganda darstellten. Diers plädiert nun in einer zunehmend medial geprägten Gegenwart für eine Geschichte des öffentlichen Bildes mit kunsthistorischen Methoden. Voraussetzung einer solchen Bildergeschichte in politischer Absicht ist die Annahme eines kollektiven Gedächtnisses, das ein schier unerschöpfliches Bildrepertoire konserviert.
Als roter Faden der Strukturerkenntnis zieht sich die Emblematik durch die recht heterogenen Texte. Das Emblem, eine ideale Mischung aus Abstraktheit und gebannter Magie, hatte es der Warburg-Schule immer schon angetan. Und Künstler waren ihr stets dort am sympathischsten, wo sie willfährig Traktate zu illustrieren oder aus Emblembüchern zu schöpfen schienen. Politisches Handeln sei, so Diers' These, ein vor allem auf Bildwürdigkeit bedachtes emblematisch-symbolisches Ballett auf der politischen Bühne, das aus dem Repertoire der Tradition schöpfe. So habe Willy Brandt bei seinem Kniefall vor dem Warschauer-Ghetto-Mahnmal nicht nur den Canossagang Heinrichs IV. vor Augen gehabt, sondern auch die Figur der Mutter aus der Statuengruppe "Elternpaar" auf dem Soldatenfriedhof zu Vladsloo-Praedbosch von Käthe Kollwitz. Schon dieses Beispiel zeigt, wie dicht beisammen hier phantasievoller Assoziationenreichtum und fehlende methodische Kontrolle liegen: Der Nachweis einer Pathosformel entbindet nicht von der Rekonstruktion der Rezeptionsgeschichte eines Bildmotivs. Die historisch unbekümmerte Isolation von Einzelmomenten im Bild läßt auf der formalen ebenso wie auf der inhaltlichen Ebene fast alles mit allem vergleichbar werden, besonders, wenn die Abbildungen, die die Argumentation stützen sollen, kaum mehr als briefmarkengroß sind.
Wenn auch der ikonographische Furor an manchen Stellen mit dem Autor durchgeht: Es ist ein spannendes Buch mit vielen scharfsichtigen Detailbeobachtungen, das neben seiner sprachlichen Virtuosität auch durch seinen engagierten Habitus einnimmt. Gerne verfolgt man, wie die perfide Imagewerbung der Firma Benetton demontiert wird. Und erfreut nimmt man die Feststellung zur Kenntnis, daß die Umgestaltung der Neuen Wache in Berlin zur bundesrepublikanischen Gedenkstätte sowohl politisch als auch ästhetisch unzeitgemäß gewesen sei. Weniger überzeugend ist die Enthüllung von "political incorrectness" bei der Zerstörung des Lenin-Denkmals in Berlin-Friedrichshain, die nach Diers nicht "von oben" angeordnet, sondern vom Basisvolkszorn "von unten" hätte vollzogen werden müssen.
Neben der Werbung sind Denkmäler ein fruchtbares Untersuchungsfeld für den politischen Ikonographen der Gegenwart. Die interessantesten Partien des Buches machen Diers' Überlegungen zu ephemeren Denkmälern aus. "Dekorationen des Augenblicks" hatte Jacob Burckhardt diese "Kurz(zeit)formen des Monumentalen" im öffentlichen Raum genannt und damit vor allem die temporären Festdekorationen der Renaissance gemeint. Warburg hatte sich in dieser Gattung vor allem mit den sogenannten "voti" beschäftigt, Wachsfiguren, die als Votiv- und Stifterporträts in Florenz von der Kirchendecke der SS. Annunziata herabhingen. Diers nun verlagert seine Aufmerksamkeit in die Zeit des Ersten Weltkrieges, als Kriegsfinanzierung mit dem Verkauf von Nägeln betrieben wurde, die der Spendenwillige in eine Holzfigur einschlagen durfte. Diese Nagelungsstandbilder waren säkularisierte Opferstöcke in Deutschlands "eiserner Zeit", zugleich "Schlagbilder" im wahrsten Wortsinn, Abbilder eines Aggressionspotentials, das schon Warburg bis ins Innerste erschüttert hatte. CHRISTINE TAUBER
Michael Diers: "Schlagbilder". Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1997. 224 S., Abb., br., 24,90 DM.
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