Dea Birkett hat einen Traum, Sie will zu den Nachfahren der legendären Meuterer von der Bounty, die auf einer kleinen Insel in der Südsee leben. 38 Nachkommen des rebellischen Fletscher Christian und seiner Gefolgsleute haben sich auf dem Eiland eingerichtet, das schwerer zu erreichen ist als der Mond. So jedenfalls scheint es dem Autorin, die zwei Jahre benötigt, um endlich ihren Fuß ins Paradies zu setzen. Doch die Insel ihrer Träume ist alles andere als traumhaft, wie sie bald erkennen muß: Die Enge des Lebensraumes und die strengen Regeln der Lebensgemeinschaft sind ein idealer Nährboden für Hass, Eifersucht und Aggression. Birkett fühlt sich als Gefangene ihres Traumes.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.1999Ich bin gewissermaßen Fletcher Christian, und ihr seid gewissermaßen mein Traum
Dea Birkett sucht das Paradies auf der Insel Pitcairn bei den wilden Nachfahren der Meuterer von der "Bounty" und findet nur fromme Adventisten
Der Abenteurer ist ein Stellvertreter. Er verleiht unserem kollektiven Traum von glühenden Sonnenuntergängen, von der Erotik der Tat und einem Tod in Cinemascope strahlende Gestalt. Er sucht die Gefahr, denn der Sinn seiner Existenz heißt Selbstbewährung. Als romantischer Held setzt sich der Abenteurer über die Wirklichkeit auch dann noch hinweg, wenn sein Leben historisch belegt ist.
Hätte also Fletcher Christian Kapitän William Bligh am 28. April 1789 nicht überwältigt, in einer Barkasse ausgesetzt und so den berühmtesten Kriminalfall der christlichen Seefahrt ausgelöst, man hätte die Meuterei auf der "Bounty" gewiß erfunden. So erbittert Zeitzeugen und Nachkommen um die Deutungshoheit rangen, die schiere Faktenlage mußte den Untergang des bewaffneten Handelsschiffes aus den juristischen Akten in den Olymp populärer Mythen erheben. Über 200 Filme und Bücher besangen die gefahrvolle Reise in die Südsee und den Schicksalskampf auf hoher See; noch die abgeklärtesten Darstellungen mehrten den Ruhm des maritimen Dramas.
Daß der Stoff nichts von seinem Reiz eingebüßt hat, beweist der Selbstversuch der britischen Journalistin Dea Birkett. Ihr Buch beschreibt die Reise zu den Nachfahren der Meuterer auf die Insel Pitcairn, einen eineinhalb Quadratmeilen großen Flecken im Pazifik. Daß ein Kinobesuch sie inspirierte, erstaunt angesichts der Rezeptionsgeschichte kaum. In "Bounty" mit Mel Gibson agierten die Helden zwar mehr postmodern zerquält als lustvoll athletisch, doch besaß auch dieser Film einen Abglanz des Feuers: "Irgendwo, in weiter Ferne", schloß die zivilisationsmüde Birkett, "blüht der Garten Eden."
Pitcairn ist eine Steigerung Arkadiens, zehrt es doch nicht nur vom Gründungsmythos als Zuflucht der verfolgten Meuterer, sondern auch von seiner exklusiven Lage. Die Insel ist mit dem Schiff nur alle paar Monate zu erreichen. Das entfacht verständliche Wünsche: In einer Welt ohne Geheimnisse, in der Paradiese pauschal gebucht werden, ist solch ein Ort mit allem Seeräuber-Gold nicht aufzuwiegen.
Bald erfährt Dea Birkett zwar, daß die Einwohner Pitcairns Interessenten aus Übersee eher fürchten als begrüßen. "Man muß etwas sein, was man nicht ist", klagt eine Frau über die Erwartungen der "Paradiessucher". Da Entdecker die Entdeckten allerdings nur selten in ihre Pläne einweihen, verschafft sich die Britin unter einem Vorwand eine Einladung, packt Instantkaffee und Schreibmaschine in einen Blechkoffer der Marke "Afrique" und nimmt auch alle Nervosität und Entschlossenheit einer Braut vor der Hochzeitsreise mit.
Ihre Passage nach Süden ist ein Trampelpfad der Sehnsucht. Die Illusion von einer "Rückkehr in jene Zeit der Einfalt und Unschuld", vom "reinen Genuß eines in Faulheit verträumten Lebens", hatte einst Kant verspottet. Nicht nur Stevenson und Melville, auch Gauguin, London und Maugham suchten oder vermuteten in der Südsee wilde Schönheit, reine Natur, Laszivität und eine Wiedergeburt unter Palmen.
Die achtunddreißig Einwohner Pitcairns, Nachfahren von Meuterern, Tahitianern und Einwanderern, erweisen sich jedoch als strenge Adventisten, die Tabak, Alkohol und Tanz lange abgeschworen haben und diesen Verzicht mit enormem Appetit kompensieren. Die Journalistin trifft massige Menschen mit schlechten Zähnen. Nur noch die Füße dokumentieren Naturnähe, denn nach jahrelangem Laufen ohne Schuhe haben sich die Zehen gespreizt.
Dea Birketts erste Zeit auf der Insel ist die schönste des Buches, denn die Britin hat einen klaren Blick für das Absonderliche und ein beeindruckendes Reportage-Talent. Sie entziffert die Zeichen der Verletzlichkeit und Isolation im Alltag, die riesigen Tiefkühltruhen, die Klatschsucht und den gemeinschaftlichen Telefonanschluß, bei dem jeder jedem zuhören kann. Pitcairn kennt weder Fernseher noch Autos oder Gefängnisse. Das eskapistische Potential dieser Ur-Gemeinde ist gewaltig, obwohl die glorreiche Vergangenheit nur in einigen Nägeln, einer Schiffskanone der "Bounty" und dem instinktiven Respekt vor dem Familiennamen "Christian" überliefert ist. Dummerweise aber kommt Dea Birkett, der Journalistin, bald Dea Birkett, die Adorantin, in die Quere. Und die treibt ein Integrationswille, der über investigatives Engagement weit hinausgeht. Birkett will Pitcairnerin werden. Irgendwann mischen sich in ihre Nachrichten aus der frömmelnden Sekte halbherzige Entschuldigungen. Wenn sie Pfeilwurzelkuchen backt und Körbe flicht, liegt über den Seiten ein Hauch von Pubertätsschweiß. Und bald spreizen sich auch ihre Zehen.
Ihre Enttäuschung darüber, daß ihr Liebhaber Nigger Brown kein Nachfahre eines Meuterers ist, sondern ein Einwanderersohn, gleicht der eines Kindes, das ein Western-Bild zerschneidet, um zu sehen, ob dahinter noch mehr Indianer sind. Denn mit der kurzen Liaison verspielt sie die letzten Sympathien der Pitcairner. Alle Anpassung erweist sich als Maske, um ihre zerbrechliche Illusion vor der Wirklichkeit zu schützen. "Indem ich nach Pitcairn gefahren bin", schreibt sie mit entwaffnender Naivität, "habe ich den perfekten Ort meiner Phantasie zerstört." Da beißt sich die Schlange in den Schwanz. Dea Birkett fürchtet um ihr Leben. Ihre Abreise nach fünf Monaten ist mehr Flucht als Abschied.
Ihr Buch, der Untertitel deutet es an, ist die Verneigung einer Journalistin vor den Südseereisenden der Geschichte und der Literatur. Nicht nur bei Maugham und Melville lag der Zauber gerade im Widerspruch von Ursprünglichkeit und Barbarei, von Leidenschaft und Verbrechen. Auch unter den Meuterern starb bekanntlich nur ein einziger friedlich, die übrigen dezimierten Eifersucht, Alkohol und Mord. Dea Birketts Fehler bestand nicht darin, daß sie ins Paradies aufbrach und im Herzen der Finsternis ankam, sondern daß sie es wußte. Und dieses Wissen macht ihr Erstaunen, daß die Wilden sich von ihren Glasperlen nicht mehr beeindrucken lassen, wenig glaubwürdig. Ein Abenteurer zweifelt nicht, er handelt. Es ist schwer geworden, ein Abenteurer zu sein.
Am Ende bläht sich das Bramsegel der "Bounty", die Gischt schäumt - die Fremde ist fremd geblieben. Seien wir ihr dafür dankbar.
SONJA ZEKRI.
Dea Birkett: "Schlange im Paradies". Meine Reise in die Südsee zu den Nachfahren der Meuterer auf der Bounty. Aus dem Englischen von Elke Hosfeld und Angelika Felenda. Knaus Verlag, München 1999. 412 S., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dea Birkett sucht das Paradies auf der Insel Pitcairn bei den wilden Nachfahren der Meuterer von der "Bounty" und findet nur fromme Adventisten
Der Abenteurer ist ein Stellvertreter. Er verleiht unserem kollektiven Traum von glühenden Sonnenuntergängen, von der Erotik der Tat und einem Tod in Cinemascope strahlende Gestalt. Er sucht die Gefahr, denn der Sinn seiner Existenz heißt Selbstbewährung. Als romantischer Held setzt sich der Abenteurer über die Wirklichkeit auch dann noch hinweg, wenn sein Leben historisch belegt ist.
Hätte also Fletcher Christian Kapitän William Bligh am 28. April 1789 nicht überwältigt, in einer Barkasse ausgesetzt und so den berühmtesten Kriminalfall der christlichen Seefahrt ausgelöst, man hätte die Meuterei auf der "Bounty" gewiß erfunden. So erbittert Zeitzeugen und Nachkommen um die Deutungshoheit rangen, die schiere Faktenlage mußte den Untergang des bewaffneten Handelsschiffes aus den juristischen Akten in den Olymp populärer Mythen erheben. Über 200 Filme und Bücher besangen die gefahrvolle Reise in die Südsee und den Schicksalskampf auf hoher See; noch die abgeklärtesten Darstellungen mehrten den Ruhm des maritimen Dramas.
Daß der Stoff nichts von seinem Reiz eingebüßt hat, beweist der Selbstversuch der britischen Journalistin Dea Birkett. Ihr Buch beschreibt die Reise zu den Nachfahren der Meuterer auf die Insel Pitcairn, einen eineinhalb Quadratmeilen großen Flecken im Pazifik. Daß ein Kinobesuch sie inspirierte, erstaunt angesichts der Rezeptionsgeschichte kaum. In "Bounty" mit Mel Gibson agierten die Helden zwar mehr postmodern zerquält als lustvoll athletisch, doch besaß auch dieser Film einen Abglanz des Feuers: "Irgendwo, in weiter Ferne", schloß die zivilisationsmüde Birkett, "blüht der Garten Eden."
Pitcairn ist eine Steigerung Arkadiens, zehrt es doch nicht nur vom Gründungsmythos als Zuflucht der verfolgten Meuterer, sondern auch von seiner exklusiven Lage. Die Insel ist mit dem Schiff nur alle paar Monate zu erreichen. Das entfacht verständliche Wünsche: In einer Welt ohne Geheimnisse, in der Paradiese pauschal gebucht werden, ist solch ein Ort mit allem Seeräuber-Gold nicht aufzuwiegen.
Bald erfährt Dea Birkett zwar, daß die Einwohner Pitcairns Interessenten aus Übersee eher fürchten als begrüßen. "Man muß etwas sein, was man nicht ist", klagt eine Frau über die Erwartungen der "Paradiessucher". Da Entdecker die Entdeckten allerdings nur selten in ihre Pläne einweihen, verschafft sich die Britin unter einem Vorwand eine Einladung, packt Instantkaffee und Schreibmaschine in einen Blechkoffer der Marke "Afrique" und nimmt auch alle Nervosität und Entschlossenheit einer Braut vor der Hochzeitsreise mit.
Ihre Passage nach Süden ist ein Trampelpfad der Sehnsucht. Die Illusion von einer "Rückkehr in jene Zeit der Einfalt und Unschuld", vom "reinen Genuß eines in Faulheit verträumten Lebens", hatte einst Kant verspottet. Nicht nur Stevenson und Melville, auch Gauguin, London und Maugham suchten oder vermuteten in der Südsee wilde Schönheit, reine Natur, Laszivität und eine Wiedergeburt unter Palmen.
Die achtunddreißig Einwohner Pitcairns, Nachfahren von Meuterern, Tahitianern und Einwanderern, erweisen sich jedoch als strenge Adventisten, die Tabak, Alkohol und Tanz lange abgeschworen haben und diesen Verzicht mit enormem Appetit kompensieren. Die Journalistin trifft massige Menschen mit schlechten Zähnen. Nur noch die Füße dokumentieren Naturnähe, denn nach jahrelangem Laufen ohne Schuhe haben sich die Zehen gespreizt.
Dea Birketts erste Zeit auf der Insel ist die schönste des Buches, denn die Britin hat einen klaren Blick für das Absonderliche und ein beeindruckendes Reportage-Talent. Sie entziffert die Zeichen der Verletzlichkeit und Isolation im Alltag, die riesigen Tiefkühltruhen, die Klatschsucht und den gemeinschaftlichen Telefonanschluß, bei dem jeder jedem zuhören kann. Pitcairn kennt weder Fernseher noch Autos oder Gefängnisse. Das eskapistische Potential dieser Ur-Gemeinde ist gewaltig, obwohl die glorreiche Vergangenheit nur in einigen Nägeln, einer Schiffskanone der "Bounty" und dem instinktiven Respekt vor dem Familiennamen "Christian" überliefert ist. Dummerweise aber kommt Dea Birkett, der Journalistin, bald Dea Birkett, die Adorantin, in die Quere. Und die treibt ein Integrationswille, der über investigatives Engagement weit hinausgeht. Birkett will Pitcairnerin werden. Irgendwann mischen sich in ihre Nachrichten aus der frömmelnden Sekte halbherzige Entschuldigungen. Wenn sie Pfeilwurzelkuchen backt und Körbe flicht, liegt über den Seiten ein Hauch von Pubertätsschweiß. Und bald spreizen sich auch ihre Zehen.
Ihre Enttäuschung darüber, daß ihr Liebhaber Nigger Brown kein Nachfahre eines Meuterers ist, sondern ein Einwanderersohn, gleicht der eines Kindes, das ein Western-Bild zerschneidet, um zu sehen, ob dahinter noch mehr Indianer sind. Denn mit der kurzen Liaison verspielt sie die letzten Sympathien der Pitcairner. Alle Anpassung erweist sich als Maske, um ihre zerbrechliche Illusion vor der Wirklichkeit zu schützen. "Indem ich nach Pitcairn gefahren bin", schreibt sie mit entwaffnender Naivität, "habe ich den perfekten Ort meiner Phantasie zerstört." Da beißt sich die Schlange in den Schwanz. Dea Birkett fürchtet um ihr Leben. Ihre Abreise nach fünf Monaten ist mehr Flucht als Abschied.
Ihr Buch, der Untertitel deutet es an, ist die Verneigung einer Journalistin vor den Südseereisenden der Geschichte und der Literatur. Nicht nur bei Maugham und Melville lag der Zauber gerade im Widerspruch von Ursprünglichkeit und Barbarei, von Leidenschaft und Verbrechen. Auch unter den Meuterern starb bekanntlich nur ein einziger friedlich, die übrigen dezimierten Eifersucht, Alkohol und Mord. Dea Birketts Fehler bestand nicht darin, daß sie ins Paradies aufbrach und im Herzen der Finsternis ankam, sondern daß sie es wußte. Und dieses Wissen macht ihr Erstaunen, daß die Wilden sich von ihren Glasperlen nicht mehr beeindrucken lassen, wenig glaubwürdig. Ein Abenteurer zweifelt nicht, er handelt. Es ist schwer geworden, ein Abenteurer zu sein.
Am Ende bläht sich das Bramsegel der "Bounty", die Gischt schäumt - die Fremde ist fremd geblieben. Seien wir ihr dafür dankbar.
SONJA ZEKRI.
Dea Birkett: "Schlange im Paradies". Meine Reise in die Südsee zu den Nachfahren der Meuterer auf der Bounty. Aus dem Englischen von Elke Hosfeld und Angelika Felenda. Knaus Verlag, München 1999. 412 S., geb., 39,90 DM.
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