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Familie Mohn hat die Mutter verloren. Jetzt steht sie im Verdacht, die Trauerarbeit zu verschleppen. Das Leben muss doch weitergehen, sagen die Nachbarn, meint das Traueramt. Doch Vater Adam, die wütende Linne, der nach Hause zurückgekehrte Student Steve und Micha, der Jüngste, wollen nicht weitergehen. Sie möchten Johanne bewahren - nicht nur in ihren eigenen Erinnerungen, sondern in unzähligen Geschichten, die deren Leben so vielleicht gar nie geschrieben hat.

Produktbeschreibung
Familie Mohn hat die Mutter verloren. Jetzt steht sie im Verdacht, die Trauerarbeit zu verschleppen. Das Leben muss doch weitergehen, sagen die Nachbarn, meint das Traueramt. Doch Vater Adam, die wütende Linne, der nach Hause zurückgekehrte Student Steve und Micha, der Jüngste, wollen nicht weitergehen. Sie möchten Johanne bewahren - nicht nur in ihren eigenen Erinnerungen, sondern in unzähligen Geschichten, die deren Leben so vielleicht gar nie geschrieben hat.
Autorenporträt
Stefanie vor Schulte, 1974 in Hannover geboren, ist studierte Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in Marburg. Ihr erster Roman, ¿Junge mit schwarzem Hahn¿, wurde 2021 mit dem Mara-Cassens-Preis für das beste deutschsprachige Debüt ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2022

Unperfekte Menschen
Stefanie vor Schultes "Schlangen im Garten"

Die Mohns trauern. Vater Adam kündigt seine Stelle, der älteste Sohn Steve unterbricht sein Studium und zieht wieder zu Hause ein, die zwölfjährige Linne und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Micha schwänzen gelegentlich die Schule. Johanne, Ehefrau und Mutter, ist im Krankenhaus gestorben, offenbar kürzlich, zu Beginn des Sommers. Neue Rituale entstehen. Die drei Kinder zerreißen für ihren Vater Johannes Tagebuchseiten, damit dieser sie sich zum Abendbrot einverleibt. "Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe." Epistolare Leichenfledderei, um die Integrität der Toten zu schützen. Kein Wunder, dass sich das Traueramt einschaltet. Es schickt, alarmiert von den Nachbarn, einen schuhgroßen Karton zur bequemeren Entsorgung der Erinnerungen an die verstorbene Johanne.

Leuchtet zu Beginn noch kurz die Hoffnung auf, Stefanie vor Schulte ziehe in ihrem neuen Roman "Schlangen im Garten" die ganze Ratgeberliteratur durch den Kakao und entlarve die Verlogenheit all der gut gemeinten, doch häufig nur besser gewussten Worte, folgt rasch die Ernüchterung. In knallharter Dichotomie sind bei ihr alle unperfekten Menschen die Guten, die gleichsam auf einer Insel der Trauer leben. Am Ufer stehen folglich die kalten und geldgierigen Menschen. Die Bösen. Besonders heiligengleich kommt wie in ihrem Debüt "Junge mit schwarzem Hahn" ein Kind daher: Micha geht zweimal in der Woche ins Altenheim, um einer Frau vorzulesen, bis ihm dies von den Angehörigen untersagt wird. Steve erkennt sofort die "verdrehte Logik darin. Denn die Leute kaufen sich Autos, Erlebnisse und Hobbys und kaufen sich ganz genauso Entscheidungen. Weil es sich gut lebt, wenn man nachtut, was andere einem vormachen."

Vor Schulte prangert in Interviews häufig die Verschleifung von Werten an. So löblich das Anliegen ist, so wenig überzeugend ist die literarische Umsetzung. Kinder als Figuren vorzuschieben, um infantile Kapitalismuskritik zu üben, ist da nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt zwar einige starke surreale Bilder, beispielsweise als Linne und Micha die titelgebenden Schlangen sehen oder imaginieren, doch insgesamt kommt der Roman als hermetisches Gebilde daher, das ganz auf Gefühl und blinden Glauben an die Geschichte setzt, für Fragen und Anregungen jedoch keinen Platz lässt. Die emotionale Bevormundung wird durch die intellektuelle überwunden.

Das geht bis in die sprachliche Gestaltung hinein, denn vor Schulte beendet Fragen gern mit einem Punkt. "Sämtliche Uhren haben ihren Dienst aufgekündigt. Ob sie es sich bei der Küchenuhr abgeschaut haben." So schafft sie ihren abgeschlossenen Kosmos, der durchaus als Zielort eskapistischen Lesens gedacht ist und alle Unbehausten aufnimmt. Nur Kinder haben ja "ein Ich, das sie mit der Welt um sie herum eint", das aber mit dem Älterwerden erst unhandlich "wie ein Kühlschrank" wird und schließlich verloren geht, sodass die Frage bleibt: "Aber wenn das Ich sich immer mehr zurückzieht, wo ist es dann am Ende des Lebens."

Die Familie verweigert - zu Recht - den beschleunigten Reifeprozess und erfindet in ihrer Trauer Geschichten zu Johanne. Hilfe erhält sie von anderen unperfekten Menschen, die vorübergehend auf ihrer Insel gestrandet sind und weitere Fiktion im Boot haben. "Jetzt wird sie einer mitnehmen und heraustragen aus dem Hier und forttragen dorthin, wo schon immer alles möglich gewesen ist und immer möglich sein wird." Eskapismus als "Erlösung", Literatur als Beweis, "dass jede Erinnerung zu einer Geschichte werden kann. Und umgekehrt jede Geschichte zu einer Erinnerung."

Damit macht die Autorin ihren eigenen Ansatz deutlich. Die Wohnung der Familie ist ebenfalls ein Schutzraum, denn "keiner ist hier allein". Irgendetwas wird "an den Tag der Ich-Werdung erinnern und alles wird zurückkommen". Für die ganze Familie gilt, was Micha denkt. "Er will nicht weniger trauern", will sich nicht "verschleppte Trauerarbeit" vorwerfen lassen. Irgendwann kniet Adam vor Micha und bittet "um Vergebung. Dass er die Mutter nicht heilen konnte." Am Ende aber ist der Sommer vorbei, und die Familie hat - wieder allein auf der Insel - ihren Weg in der Trauer gefunden. Im Klappentext des Buchs ist daher die Rede von einem Werk "voll Eigensinn und Hoffnung". Die Hoffnung auf einen guten Roman war da ungeachtet einiger phantasievoller, surrealer Szenen schon lange gestorben. CHRISTIANE PÖHLMANN

Stefanie vor Schulte: "Schlangen im

Garten". Roman.

Diogenes Verlag, Zürich 2022. 256 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Christiane Pöhlmann ist herb enttäuscht von Stefanie von der Schultes Roman, der wider erstem Erwarten nicht die Ratgeberliteratur aufs Korn nimmt, wie Pöhlmann schnell feststellen muss, sondern das Unperfekte und das Ringen damit am Beispiel einer aus den Fugen geratenen Familie mit hermetischem Ernst durchspielt. Pöhlmann stört sich an der Dichotomie von Gut und Böse und an der literarischen Umsetzung, die außer einigen surrealen Bildern wenig Raum oder Anregungen für den Leser bietet, wie sie findet. Eine "intellektuelle Bevormundung", die ihr nicht schmeckt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein Buch über das Miteinander. Tröstlich, feinfühlig und zärtlich verrückt.« Petra Schulte / emotion emotion