Kann Verdrängtes Jahrzehnte, ja hundert Jahre später auf fatale Weise wieder zum Vorschein kommen? Während der 68er-Protestbewegung lernen sich der junge Dichter Peter Vahlen und die von allen bewunderte Hella von Nesselhahn kennen. Fast vierzig Jahre später ist Vahlen tot. Als der Doktorand Andreas Wieland Vahlens Nachlass sichten will, droht Hella die Vergangenheit einzuholen. Denn Wielands Recherchen führen ihn zurück in die Nazizeit und tief in die Verstrickungen einer Familie, in ihre Lebenslügen, Eitelkeiten und blinden Flecke. "Schlechte Gesellschaft" ist eine Spurensuche über drei Generationen, fesselnd, ironisch, voller lebendiger Figuren und unvergesslicher Schicksale.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2011Rote Quelle
Katharina Born erzählt in „Schlechte Gesellschaft“ mit den Mitteln des Fernsehmelodrams eine Familiengeschichte über mehrere Generationen
Auch wer in den siebziger Jahren berühmt war, kann einen Schatten über seine Nachkommen werfen. Katharina Born ist bisher vor allem als Nachlassverwalterin ihres früh gestorbenen Vaters Nicolas Born hervorgetreten, des herausragenden Vertreters einer „Neuen Subjektivität“ – und jetzt hat sie einen Roman geschrieben, in dem Sätze stehen wie: „Jedes Mal, wenn sie einen Text von ihrem Vater vor sich hatte, musste Judith nach einem Hinweis suchen, der ihr etwas über ihn, über die Mutter oder über sich selbst verraten konnte.“
Die Mysterien einer eigentlich noch recht nahen Vergangenheit können viel stärker sein als weiter entfernte. Katharina Born nähert sich der Welt ihres Vaters verwundert an; sie entwirft künstliche, präzise Schlaglichter davon, wie langhaarige Männer in Kneipen namens „Eckstein“ oder „Rote Quelle“ Tischfußball spielen und revolutionäre Gespräche führen. Es geht um die Vater- und Muttergeneration in diesem Roman, um ihre Hinterlassenschaften, um emotionale Spannungen und Zerreißzustände – aber das ist nur der Auslöser.
Nicolas Born und Peter Handke waren sehr gut befreundet. Man findet in Katharina Borns Personal sofort auffällige, aber auch tückische Bezüge zu dieser Schriftsteller-Konstellation. Peter Vahlen und Gert Gellmann, zwei Hauptfiguren in der „Schlechten Gesellschaft“, haben gewisse Züge von Handke und Born. Letzterer versuchte sich schon früh in den siebziger Jahren, müde vom Berliner Polit- und Literaturklüngel, aufs Land zurückzuziehen, und seine Tochter scheint sich mit der Figur des Peter Vahlen in diese Sehnsucht einzufühlen: „Lange hatte er geglaubt, die Stadt wäre an allem schuld. Menschen, umgeben von Beton, die jeden Tag schneller, produktiver, kompromissbereiter sein mussten.“
Und wenn Vahlen über seinen Freund Gellmann spricht, werden im Hintergrund die Frauenfiguren bei Peter Handke sichtbar: „Er will die Frauen besitzen, weil er glaubt, sie auf diese Weise kontrollieren zu können. Aber er versteht sie nicht. Sie machen ihm Angst.“ Es gibt mehrere solcher augenzwinkernder Verweise auf die Schriftstellerszene der siebziger Jahre, die mit Handke, Born und Rolf-Dieter Brinkmann ihre wohl herausragendsten Vertreter hatte – und wenn Vahlen schließlich beim Überqueren einer vielbefahrenen mehrspurigen Straße einen schnellen Autotod stirbt, wie Brinkmann, dann taucht auch dieser im Assoziationshorizont des Romans auf. Doch so suggestiv die Vaterthematik in Katharina Borns Roman angelegt ist, so schnell entzieht sie sich auch. Es geht hier nicht um einen Schlüsselroman.
Die Dreißigjährigen der siebziger Jahre, die mittlerweile etwas angegrauten bundesdeutschen Polit- und Debattierjunkies erscheinen nur als Spiegelung der weiter reichenden deutschen Geschichte. Der Roman geht bis ins Kaiserreich zurück und verfolgt über mehrere Generationen die Familie Vahlen im Westerwald. Im Mittelpunkt stehen die Frauenfiguren: angefangen von der 13-jährigen Irma im Jahr 1865, die als erste den Grundakkord einer rätselhaften Schönheit im bäuerlichen Milieu anschlägt, über Martha, Hella, Judith und schließlich Alexia entsteht ein Bogen bis in die unmittelbare Gegenwart, mit wiederkehrenden Motiven und Irritationen.
Die Generationsabfolge ist dabei nicht so übersichtlich, wie man es an familiären Festtagen gerne hätte – da blendet man die schrillen Nebengeräusche lieber aus. Geschichtliche wie private Katastrophen erscheinen aus Frauenperspektive: die dörfliche Brutalität und die Überlebensgier, Vergewaltigungen, Inzest und Inzestphantasien.
Der Roman spielt auf mehreren Zeitebenen, die sich in rascher Folge ablösen. Sie erscheinen dadurch fast simultan, wie in den schnellen Schnitten einer Fernsehserie. Die Szenen sind jeweils nur wenige Seiten lang, so dass die Frauenfiguren unwillkürlich miteinander verbunden sind, und tragen Überschriften wie Regieanweisungen. Die Sprache dieses Romans kopiert und karikiert deshalb auch die Drehbuchsprache, den direkten Ton, das Melodram – und geht damit ein hohes Risiko ein.
Mit der Zeit wird klar, dass alle Einzelheiten in sich atemlos hochwindenden Spiralen aufeinander verweisen. Ein Doktorand entdeckt auf dem Dachboden der Witwe Peter Vahlens ein spätes Romanmanuskript des Dichters. Es scheint die Fortsetzung seines Erfolgsromans „Westerwald“ zu sein – und es fächert Vahlens Familiengeschichte genauso auf, wie es der Roman Katharina Borns vorführt, in dem er eine Hauptrolle spielt. Die Spiegelungen vervielfachen sich noch dadurch, dass Vahlens Roman von seiner Frau zu der quotenträchtigen Fernsehsoap „Villa Westerwald“ umgearbeitet worden ist.
Hier liegt der Ansatzpunkt dafür, dass Katharina Borns Roman offensiv die formalen Mittel einer Fernsehserie aufnimmt: Sie drückt immer stärker auf die Tube, das verfügbare Arsenal menschlicher Schicksale wird bis zur letzten Konsequenz ausgeschöpft. So ergeben sich mit einer gewissen Logik Mord, Selbstmord und abgründige sexuelle Beziehungen innerhalb der Familie. Motive wie die verstümmelte Hand der bildschönen Judith werden in Großaufnahme herangezoomt und symbolisch aufgeladen.
Doch mit dieser formalen Konstruktion hat sich die Autorin zu viel aufgebürdet. Sie möchte die Reize der „Villa Westerwald“, der von ihren Figuren entworfenen Soap-Opera, zugleich aufnehmen und entlarven. An diesem Doppelsalto scheitert sie. Ein Problem dabei ist die Sprache: Sie bleibt bis zum Schluss einer deutschen Vorabendproduktion verhaftet, anstatt, der Handlung entsprechend, zu explodieren. Katharina Born setzt, was für das 19. Jahrhundert hinreicht, auf die Tradition des einfachen, sozialrealistischen Erzählens. Das funktioniert aber nicht, wenn es um Kolportage geht, um visuelle Effekte und um serielle Produktion.
Dennoch ist dieses Buch ein interessantes Experiment. Nicolas Born ist gestorben, als Katharina Born sechs Jahre alt war. Sie hat die stark aufgeladene Figur ihres Vaters in eine erzählerische Fiktion überführt, die an die politischen und literarischen Vorstellungen seiner Zeit anknüpft und in die heutige Medienwelt überführt. „Schlechte Gesellschaft“ ist da ein passender, ironischer Titel.
Klischees und Sentiments sind so unumgänglich, dass mit ihnen gespielt werden muss. Doch die Geschichte erweist sich hier als eine allzugroße Last. Einmal hat Judith, die Tochter des Dichters Peter Vahlen, das Gefühl, „ihr Vater wäre enttäuscht von ihr“. Und es heißt weiter: „Sie las, aber nicht dieselben Bücher wie er. Er unterhielt sich gerne über ‚den Fortschritt‘, ‚die Gesellschaft‘, ‚die Zeit‘, während sie die täglichen Nachrichten mehr beschäftigten. Nur selten konnten sie über Politik sprechen, über Kunst und Bücher, ohne sich am Ende zu streiten.“ HELMUT BÖTTIGER
KATHARINA BORN: Schlechte Gesellschaft. Eine Familiengeschichte. Carl Hanser Verlag, München 2011. 264 Seiten, 19,90 Euro.
Ein Buch über Mütter und Väter
als quotenträchtige TV-Soap
„Villa Westerwald“
So wie das Wasserschloss in Hennef (Bild oben) könnte es aussehen, das Set zur TV-Serie „Villa Westerwald“, die Katharina Born (rechts) imaginiert. Fotos: Mauritius Images, Isolde Ohlbaum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Katharina Born erzählt in „Schlechte Gesellschaft“ mit den Mitteln des Fernsehmelodrams eine Familiengeschichte über mehrere Generationen
Auch wer in den siebziger Jahren berühmt war, kann einen Schatten über seine Nachkommen werfen. Katharina Born ist bisher vor allem als Nachlassverwalterin ihres früh gestorbenen Vaters Nicolas Born hervorgetreten, des herausragenden Vertreters einer „Neuen Subjektivität“ – und jetzt hat sie einen Roman geschrieben, in dem Sätze stehen wie: „Jedes Mal, wenn sie einen Text von ihrem Vater vor sich hatte, musste Judith nach einem Hinweis suchen, der ihr etwas über ihn, über die Mutter oder über sich selbst verraten konnte.“
Die Mysterien einer eigentlich noch recht nahen Vergangenheit können viel stärker sein als weiter entfernte. Katharina Born nähert sich der Welt ihres Vaters verwundert an; sie entwirft künstliche, präzise Schlaglichter davon, wie langhaarige Männer in Kneipen namens „Eckstein“ oder „Rote Quelle“ Tischfußball spielen und revolutionäre Gespräche führen. Es geht um die Vater- und Muttergeneration in diesem Roman, um ihre Hinterlassenschaften, um emotionale Spannungen und Zerreißzustände – aber das ist nur der Auslöser.
Nicolas Born und Peter Handke waren sehr gut befreundet. Man findet in Katharina Borns Personal sofort auffällige, aber auch tückische Bezüge zu dieser Schriftsteller-Konstellation. Peter Vahlen und Gert Gellmann, zwei Hauptfiguren in der „Schlechten Gesellschaft“, haben gewisse Züge von Handke und Born. Letzterer versuchte sich schon früh in den siebziger Jahren, müde vom Berliner Polit- und Literaturklüngel, aufs Land zurückzuziehen, und seine Tochter scheint sich mit der Figur des Peter Vahlen in diese Sehnsucht einzufühlen: „Lange hatte er geglaubt, die Stadt wäre an allem schuld. Menschen, umgeben von Beton, die jeden Tag schneller, produktiver, kompromissbereiter sein mussten.“
Und wenn Vahlen über seinen Freund Gellmann spricht, werden im Hintergrund die Frauenfiguren bei Peter Handke sichtbar: „Er will die Frauen besitzen, weil er glaubt, sie auf diese Weise kontrollieren zu können. Aber er versteht sie nicht. Sie machen ihm Angst.“ Es gibt mehrere solcher augenzwinkernder Verweise auf die Schriftstellerszene der siebziger Jahre, die mit Handke, Born und Rolf-Dieter Brinkmann ihre wohl herausragendsten Vertreter hatte – und wenn Vahlen schließlich beim Überqueren einer vielbefahrenen mehrspurigen Straße einen schnellen Autotod stirbt, wie Brinkmann, dann taucht auch dieser im Assoziationshorizont des Romans auf. Doch so suggestiv die Vaterthematik in Katharina Borns Roman angelegt ist, so schnell entzieht sie sich auch. Es geht hier nicht um einen Schlüsselroman.
Die Dreißigjährigen der siebziger Jahre, die mittlerweile etwas angegrauten bundesdeutschen Polit- und Debattierjunkies erscheinen nur als Spiegelung der weiter reichenden deutschen Geschichte. Der Roman geht bis ins Kaiserreich zurück und verfolgt über mehrere Generationen die Familie Vahlen im Westerwald. Im Mittelpunkt stehen die Frauenfiguren: angefangen von der 13-jährigen Irma im Jahr 1865, die als erste den Grundakkord einer rätselhaften Schönheit im bäuerlichen Milieu anschlägt, über Martha, Hella, Judith und schließlich Alexia entsteht ein Bogen bis in die unmittelbare Gegenwart, mit wiederkehrenden Motiven und Irritationen.
Die Generationsabfolge ist dabei nicht so übersichtlich, wie man es an familiären Festtagen gerne hätte – da blendet man die schrillen Nebengeräusche lieber aus. Geschichtliche wie private Katastrophen erscheinen aus Frauenperspektive: die dörfliche Brutalität und die Überlebensgier, Vergewaltigungen, Inzest und Inzestphantasien.
Der Roman spielt auf mehreren Zeitebenen, die sich in rascher Folge ablösen. Sie erscheinen dadurch fast simultan, wie in den schnellen Schnitten einer Fernsehserie. Die Szenen sind jeweils nur wenige Seiten lang, so dass die Frauenfiguren unwillkürlich miteinander verbunden sind, und tragen Überschriften wie Regieanweisungen. Die Sprache dieses Romans kopiert und karikiert deshalb auch die Drehbuchsprache, den direkten Ton, das Melodram – und geht damit ein hohes Risiko ein.
Mit der Zeit wird klar, dass alle Einzelheiten in sich atemlos hochwindenden Spiralen aufeinander verweisen. Ein Doktorand entdeckt auf dem Dachboden der Witwe Peter Vahlens ein spätes Romanmanuskript des Dichters. Es scheint die Fortsetzung seines Erfolgsromans „Westerwald“ zu sein – und es fächert Vahlens Familiengeschichte genauso auf, wie es der Roman Katharina Borns vorführt, in dem er eine Hauptrolle spielt. Die Spiegelungen vervielfachen sich noch dadurch, dass Vahlens Roman von seiner Frau zu der quotenträchtigen Fernsehsoap „Villa Westerwald“ umgearbeitet worden ist.
Hier liegt der Ansatzpunkt dafür, dass Katharina Borns Roman offensiv die formalen Mittel einer Fernsehserie aufnimmt: Sie drückt immer stärker auf die Tube, das verfügbare Arsenal menschlicher Schicksale wird bis zur letzten Konsequenz ausgeschöpft. So ergeben sich mit einer gewissen Logik Mord, Selbstmord und abgründige sexuelle Beziehungen innerhalb der Familie. Motive wie die verstümmelte Hand der bildschönen Judith werden in Großaufnahme herangezoomt und symbolisch aufgeladen.
Doch mit dieser formalen Konstruktion hat sich die Autorin zu viel aufgebürdet. Sie möchte die Reize der „Villa Westerwald“, der von ihren Figuren entworfenen Soap-Opera, zugleich aufnehmen und entlarven. An diesem Doppelsalto scheitert sie. Ein Problem dabei ist die Sprache: Sie bleibt bis zum Schluss einer deutschen Vorabendproduktion verhaftet, anstatt, der Handlung entsprechend, zu explodieren. Katharina Born setzt, was für das 19. Jahrhundert hinreicht, auf die Tradition des einfachen, sozialrealistischen Erzählens. Das funktioniert aber nicht, wenn es um Kolportage geht, um visuelle Effekte und um serielle Produktion.
Dennoch ist dieses Buch ein interessantes Experiment. Nicolas Born ist gestorben, als Katharina Born sechs Jahre alt war. Sie hat die stark aufgeladene Figur ihres Vaters in eine erzählerische Fiktion überführt, die an die politischen und literarischen Vorstellungen seiner Zeit anknüpft und in die heutige Medienwelt überführt. „Schlechte Gesellschaft“ ist da ein passender, ironischer Titel.
Klischees und Sentiments sind so unumgänglich, dass mit ihnen gespielt werden muss. Doch die Geschichte erweist sich hier als eine allzugroße Last. Einmal hat Judith, die Tochter des Dichters Peter Vahlen, das Gefühl, „ihr Vater wäre enttäuscht von ihr“. Und es heißt weiter: „Sie las, aber nicht dieselben Bücher wie er. Er unterhielt sich gerne über ‚den Fortschritt‘, ‚die Gesellschaft‘, ‚die Zeit‘, während sie die täglichen Nachrichten mehr beschäftigten. Nur selten konnten sie über Politik sprechen, über Kunst und Bücher, ohne sich am Ende zu streiten.“ HELMUT BÖTTIGER
KATHARINA BORN: Schlechte Gesellschaft. Eine Familiengeschichte. Carl Hanser Verlag, München 2011. 264 Seiten, 19,90 Euro.
Ein Buch über Mütter und Väter
als quotenträchtige TV-Soap
„Villa Westerwald“
So wie das Wasserschloss in Hennef (Bild oben) könnte es aussehen, das Set zur TV-Serie „Villa Westerwald“, die Katharina Born (rechts) imaginiert. Fotos: Mauritius Images, Isolde Ohlbaum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2011Die Atriden vom Westerwald
Modernes Trauerspiel: Katharina Borns Debütroman "Schlechte Gesellschaft" ist eine Familienaufstellung mit allerhand menschlichen, sittlichen und politischen Verfehlungen.
Katharina Born hat sich große Anerkennung mit den Kritischen Ausgaben der "Gedichte" (2004) und der "Briefe" (2007) ihres Vaters, des zu früh verstorbenen Schriftstellers Nicolas Born (1937 bis 1979), erworben, der sich 1973, im Jahr ihrer Geburt, aus dem Berliner Aktionismus der Achtundsechziger-Bewegung zum Schreiben nach Lüchow-Dannenberg zurückgezogen hatte. Wenn die Tochter nun einen Roman vorlegt, in dem sich ein Duisburger Germanist für den Nachlass des berühmten Autors Peter Vahlen interessiert, der mit seiner Frau Hella und seiner Tochter Judith vor vierzig Jahren von Berlin aus in den Westerwald gezogen war, so wird sie damit gerechnet haben, dass Leser nach Parallelen zu ihrer Familiengeschichte suchen werden.
Die gibt es in einigen Äußerlichkeiten bis hin zum abgebrannten Haus des Schriftstellers tatsächlich, umso deutlicher markiert Katharina Born die Unterschiede. Ein düsteres Geheimnis um ein nachgelassenes Manuskript gab es in ihrem Fall so wenig wie eine schwierige Witwe oder ungeklärte Abstammungsverhältnisse. Nicolas Borns Roman um einen mit der Lügenhaftigkeit seines Metiers hadernden Reporter, "Die Fälschung" (1979), wurde zwar im Jahr 1981 von Volker Schlöndorff verfilmt, für eine triviale Fernsehserie namens "Villa Westerwald" hätte er sich aber weniger geeignet. Vor allem aber hat die Schreibweise der Autorin mit der skrupulösen Prosa ihres Vaters kaum etwas gemein.
Es hat ihr aber offensichtlich Spaß bereitet, mit ihrer Rolle als Tochter und Nachlassverwalterin eines beinahe schwärmerisch verehrten Schriftstellers ab und zu ein wenig zu kokettieren. "Sie erinnerte sich noch genau, wie sie ihren Vater damals bewundert hatte. Er sah, was sonst keiner bemerkte. Er redete über Dinge, die sonst niemand aussprach." So hat "Judith manchmal das Gefühl, ihr Vater wäre enttäuscht von ihr. Sie war ihm nicht klug, nicht gewissenhaft genug." Gleichwohl thront sie in einer Episode wie majestätisch über den staubigen Manuskripten des Vaters, in denen sie freilich ziemlich wenig "über sich selbst und ihre Familie", sondern nur "eine verworrene Geschichte, voller Risse und Lücken" findet.
Die Familiengeschichte in "Schlechte Gesellschaft" wird dagegen verschwenderisch mit den Mitteln der Kolportage und Motiven des Märchens ausgestattet. Auf der Sippschaft liegt ein mythisch anmutender Fluch mit dem ganzen Knäuel menschlicher, sittlicher und politischer Verfehlung: Seitensprünge, Inzest, Vergewaltigung, Selbstmord, Lügen, Eitelkeit, Hochmut und was der Todsünden mehr sind. Die Frauen sind vor allem schön, Judith ist die schönste, obwohl sich der Familienmakel in einer fehlenden Hand zeigt, was sie graziös zu verbergen weiß. Der junge Germanist Andreas Wieland ist ein etwas tumber Märchenprinz nach Art E.T.A. Hoffmanns, der Prinzessin Judith unter den strengen Blicken von Königin Hella aus ihrer Westerwälder Verwunschenheit befreien will, während es ihm ums wissenschaftliche Fortkommen geht. Sein Doktorvater Hans Ullrich Kittel ist eine eitle professorale Knallcharge, Vahlens Schriftstellerkollege Gellmann ein zynischer Alkoholiker und abgehalfterter Frauenheld, der sich über gewissenhafte Editoren lustig macht. Bei moderner Literatur komme es nicht so darauf an. "Da kannst du Punkt und Komma setzen, wie du lustig bist." Tochter Alexia, die er mit Judith gezeugt hat, liebt Pferde und schlitzt sich die Arme auf, ist aber auch schön. Die historischen Bauern dagegen sehen aus wie Bauern, Nazis wie Nazis und Juden mit einschlägiger Nase eben wie Juden.
Die Handlung reicht von der Kaiserzeit über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Nazi- und Nachkriegszeit mit der Achtundsechziger-Bewegung bis in die unmittelbare Gegenwart. Die fünfgliedrige Konstruktion nebst Vorspiel scheint der klassischen Tragödie abgeschaut. Der dauernde Wechsel der Zeitebene innerhalb der Kapitel ist vorwiegend einem Prinzip der unterhaltsamen Abwechselung geschuldet als jener Veränderung des Gewesenen im Prozess des Schreibens, die Nicolas Born in "Die erdabgewandte Seite der Geschichte" (1976) reflektiert hat. Mit den oft willkürlich anmutenden Schnitten und Zeitsprüngen hat sich die Erzählerin einiges an konsequenter Durcharbeitung erspart. Stattdessen verweist sie periodisch auf die Ungeklärtheit der langen Geschichte.
Katharina Born verfügt über die erzählerischen Mittel des intelligenten Unterhaltungsromans, die sie aber besser sparsamer und gradliniger eingesetzt hätte. Auch an Spannung erzeugenden Einfällen mangelt es ihr nicht. Jedoch scheint sie dem gewählten Genre nicht zu trauen, so stört den Leser gelegentlich ein Distanzierungsbedürfnis, das sich in karikaturistischer Überzeichnung oder auch in stellenweise läppischer Ironie zeigt. Gelungen ist das Westerwälder Lokalkolorit, so dass sich "Schlechte Gesellschaft" zweifellos als Vorlage zu der populären Fernsehserie "Villa Westerwald" eignen würde, von der im Roman die Rede ist. Der an dieser farbigen, streckenweise knalligen Geschichte interessierte Produzent beim Privatsender sollte sich nicht davon abschrecken lassen, dass er darin als aufgeblasener Cabrio-Fahrer dargestellt ist.
FRIEDMAR APEL
Katharina Born: "Schlechte Gesellschaft". Eine Familiengeschichte.
Hanser Verlag, München 2011. 270 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Modernes Trauerspiel: Katharina Borns Debütroman "Schlechte Gesellschaft" ist eine Familienaufstellung mit allerhand menschlichen, sittlichen und politischen Verfehlungen.
Katharina Born hat sich große Anerkennung mit den Kritischen Ausgaben der "Gedichte" (2004) und der "Briefe" (2007) ihres Vaters, des zu früh verstorbenen Schriftstellers Nicolas Born (1937 bis 1979), erworben, der sich 1973, im Jahr ihrer Geburt, aus dem Berliner Aktionismus der Achtundsechziger-Bewegung zum Schreiben nach Lüchow-Dannenberg zurückgezogen hatte. Wenn die Tochter nun einen Roman vorlegt, in dem sich ein Duisburger Germanist für den Nachlass des berühmten Autors Peter Vahlen interessiert, der mit seiner Frau Hella und seiner Tochter Judith vor vierzig Jahren von Berlin aus in den Westerwald gezogen war, so wird sie damit gerechnet haben, dass Leser nach Parallelen zu ihrer Familiengeschichte suchen werden.
Die gibt es in einigen Äußerlichkeiten bis hin zum abgebrannten Haus des Schriftstellers tatsächlich, umso deutlicher markiert Katharina Born die Unterschiede. Ein düsteres Geheimnis um ein nachgelassenes Manuskript gab es in ihrem Fall so wenig wie eine schwierige Witwe oder ungeklärte Abstammungsverhältnisse. Nicolas Borns Roman um einen mit der Lügenhaftigkeit seines Metiers hadernden Reporter, "Die Fälschung" (1979), wurde zwar im Jahr 1981 von Volker Schlöndorff verfilmt, für eine triviale Fernsehserie namens "Villa Westerwald" hätte er sich aber weniger geeignet. Vor allem aber hat die Schreibweise der Autorin mit der skrupulösen Prosa ihres Vaters kaum etwas gemein.
Es hat ihr aber offensichtlich Spaß bereitet, mit ihrer Rolle als Tochter und Nachlassverwalterin eines beinahe schwärmerisch verehrten Schriftstellers ab und zu ein wenig zu kokettieren. "Sie erinnerte sich noch genau, wie sie ihren Vater damals bewundert hatte. Er sah, was sonst keiner bemerkte. Er redete über Dinge, die sonst niemand aussprach." So hat "Judith manchmal das Gefühl, ihr Vater wäre enttäuscht von ihr. Sie war ihm nicht klug, nicht gewissenhaft genug." Gleichwohl thront sie in einer Episode wie majestätisch über den staubigen Manuskripten des Vaters, in denen sie freilich ziemlich wenig "über sich selbst und ihre Familie", sondern nur "eine verworrene Geschichte, voller Risse und Lücken" findet.
Die Familiengeschichte in "Schlechte Gesellschaft" wird dagegen verschwenderisch mit den Mitteln der Kolportage und Motiven des Märchens ausgestattet. Auf der Sippschaft liegt ein mythisch anmutender Fluch mit dem ganzen Knäuel menschlicher, sittlicher und politischer Verfehlung: Seitensprünge, Inzest, Vergewaltigung, Selbstmord, Lügen, Eitelkeit, Hochmut und was der Todsünden mehr sind. Die Frauen sind vor allem schön, Judith ist die schönste, obwohl sich der Familienmakel in einer fehlenden Hand zeigt, was sie graziös zu verbergen weiß. Der junge Germanist Andreas Wieland ist ein etwas tumber Märchenprinz nach Art E.T.A. Hoffmanns, der Prinzessin Judith unter den strengen Blicken von Königin Hella aus ihrer Westerwälder Verwunschenheit befreien will, während es ihm ums wissenschaftliche Fortkommen geht. Sein Doktorvater Hans Ullrich Kittel ist eine eitle professorale Knallcharge, Vahlens Schriftstellerkollege Gellmann ein zynischer Alkoholiker und abgehalfterter Frauenheld, der sich über gewissenhafte Editoren lustig macht. Bei moderner Literatur komme es nicht so darauf an. "Da kannst du Punkt und Komma setzen, wie du lustig bist." Tochter Alexia, die er mit Judith gezeugt hat, liebt Pferde und schlitzt sich die Arme auf, ist aber auch schön. Die historischen Bauern dagegen sehen aus wie Bauern, Nazis wie Nazis und Juden mit einschlägiger Nase eben wie Juden.
Die Handlung reicht von der Kaiserzeit über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Nazi- und Nachkriegszeit mit der Achtundsechziger-Bewegung bis in die unmittelbare Gegenwart. Die fünfgliedrige Konstruktion nebst Vorspiel scheint der klassischen Tragödie abgeschaut. Der dauernde Wechsel der Zeitebene innerhalb der Kapitel ist vorwiegend einem Prinzip der unterhaltsamen Abwechselung geschuldet als jener Veränderung des Gewesenen im Prozess des Schreibens, die Nicolas Born in "Die erdabgewandte Seite der Geschichte" (1976) reflektiert hat. Mit den oft willkürlich anmutenden Schnitten und Zeitsprüngen hat sich die Erzählerin einiges an konsequenter Durcharbeitung erspart. Stattdessen verweist sie periodisch auf die Ungeklärtheit der langen Geschichte.
Katharina Born verfügt über die erzählerischen Mittel des intelligenten Unterhaltungsromans, die sie aber besser sparsamer und gradliniger eingesetzt hätte. Auch an Spannung erzeugenden Einfällen mangelt es ihr nicht. Jedoch scheint sie dem gewählten Genre nicht zu trauen, so stört den Leser gelegentlich ein Distanzierungsbedürfnis, das sich in karikaturistischer Überzeichnung oder auch in stellenweise läppischer Ironie zeigt. Gelungen ist das Westerwälder Lokalkolorit, so dass sich "Schlechte Gesellschaft" zweifellos als Vorlage zu der populären Fernsehserie "Villa Westerwald" eignen würde, von der im Roman die Rede ist. Der an dieser farbigen, streckenweise knalligen Geschichte interessierte Produzent beim Privatsender sollte sich nicht davon abschrecken lassen, dass er darin als aufgeblasener Cabrio-Fahrer dargestellt ist.
FRIEDMAR APEL
Katharina Born: "Schlechte Gesellschaft". Eine Familiengeschichte.
Hanser Verlag, München 2011. 270 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Katharina Born, die sich um den Nachlass ihres 1979 gestorbenen Vaters Nicolas Born verdient gemacht hat, legt hier einen Roman vor, dem man die autobiografischen Bezüge ablesen kann, stellt Friedmar Apel fest. Gravierender sind aber die Unterschiede, die in diese von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart reichenden Familiengeschichte eingeflochten sind, macht der Rezensent deutlich. Im Zentrum des Buches steht der Nachlass eines Dichters, ein geheimnisvolles Manuskript und das Ansinnen, aus einem nachgelassenen Roman eine Fernsehserie zu machen, erfahren wir. Apel findet, dass es sich der Roman mit seinen andauernden Zeitwechseln und Schnitten mitunter zu leicht macht, auch wenn er der Autorin attestiert, die "erzählerischen Mittel" des gehobenen Unterhaltungsromans durchaus zu beherrschen, inklusive einer gehörigen Portion "Kolportage" und Märchenflair. Schade findet er, dass Born dennoch glaubt, sich hie und da durch Ironie oder Karikatur von ihrem Genre distanzieren zu müssen. Insgesamt aber hat er den lebendigen, wenn auch mitunter etwas "knalligen" Roman gern gelesen, wie in seiner freundlichen Besprechung deutlich wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein politisch zeitgeschichtlicher Familienroman von einer ausgesprochen souveränen Erzählerin." Ijoma Mangold, Bachmann-Wettbewerb 2009 "In wenigen Worten versetzt uns Born in die fieberhaften Achtundsechzigerjahre. Anhand zweier Schriftstellerfreunde ... entlarvt Born, die hier Spannung vor allem durch Andeutung und Auslassung erzielt, die menschlichen Kollateralschäden politischer Selbstbehauptung." Sandra Kegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.06.09 "Ein famoser Debütroman. ... Katharina Born macht einen Schlüsselroman zum zentralen Motiv ihres Romans - und so versucht der Leser fieberhaft, die Ebenen kurzzuschließen: den Roman, den Roman im Roman, die Romanautorin. Ein herrliches Rätselraten." Tobias Becker, KulturSpiegel, 02/2011 "Es sind große Themen, die Katharina Born verhandelt: Inzest, Krieg, Liebe, Wahnsinn. ... Man kann nur bewundern, wie souverän sie in vier Erzählsträngen durch das Buch navigiert. Nirgendwo entdeckt man sprachliche Unsicherheit. Die Gefahr, die historischen Romanen in Form von Klischees innewohnt, weiß sie mit kühlem Erzählton zu umschiffen." Regula Freuler, NZZ am Sonntag, 27.02.11 "Was zunächst wie eine Academic Novel und Literaturbetriebssatire daherkommt, mausert sich zum Krimi und hält den Leser bis zum Schluss bei der Stange." Maike Albath, Die Welt, 26.02.11 "Ein beachtlicher Debütroman. ... Sie entfaltet ein Panorama über fünf Generationen, das sich von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart erstreckt. ... Die Sicherheit, mit der Katharina Born den Ton der unterschiedlichen Epochen trifft, die sie beschreibt, belegt ihr erzählerisches Talent. Es besteht kein Zweifel: Hier entsteht eine Autorschaft von eigenem Rang." Sascha Lehnartz, Die Welt, 13.03.11 "Katharina Born tritt mit dem Familienroman 'Schlechte Gesellschaft' endlich in die Fußstapfen ihres Vaters." Sibylle Pein, Nordkurier, 30.04.11