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Deutschland und Italien sind durch eine lange und wechselvolle Geschichte verbunden. Nach Allianzen, Kriegen mit- und gegeneinander sowie der brutalen Besetzung der Apenninhalbinsel durch die Streitkräfte des Dritten Reichs schienen die Beziehungen zwischen den beiden Ländern endlich ein glückliches Gleichgewicht im Zeichen der europäischen Integration gefunden zu haben. Der Fall der Berliner Mauer, der Zusammenbruch des Ostblocks und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Oktober 1990 führten jedoch zu einer grundlegenden Neuordnung des politischen Koordinatensystems in Europa, in…mehr

Produktbeschreibung
Deutschland und Italien sind durch eine lange und wechselvolle Geschichte verbunden. Nach Allianzen, Kriegen mit- und gegeneinander sowie der brutalen Besetzung der Apenninhalbinsel durch die Streitkräfte des Dritten Reichs schienen die Beziehungen zwischen den beiden Ländern endlich ein glückliches Gleichgewicht im Zeichen der europäischen Integration gefunden zu haben. Der Fall der Berliner Mauer, der Zusammenbruch des Ostblocks und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Oktober 1990 führten jedoch zu einer grundlegenden Neuordnung des politischen Koordinatensystems in Europa, in dem das Gewicht Deutschlands auch gegenüber Italien wuchs. Seither reißen die Warnungen vor einer schleichenden Entfremdung nicht mehr ab. Der vorliegende Band liefert eine Bestandsaufnahme der bilateralen Beziehungen und versucht eine Antwort auf die Frage, wie es um das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien wirklich bestellt ist.
Autorenporträt
Gian Enrico Rusconi ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Turin und Direktor des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient; veröffentlichte u. a.: Rischio 1914. Come si decide una guerra, Bologna 1987; Cefalonia. Quando gli italiani si battono, Turin 2004; L’azzardo del 1915. Come l’Italia decide la sua guerra, Bologna 2005; Deutschland - Italien, Italien - Deutschland. Geschichte einer schwierigen Beziehung von Bismarck bis zu Berlusconi, Paderborn [u. a.] 2006.

Thomas Schlemmer, geboren 1967, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, 2001- 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom.

Hans Woller, geboren 1952 in Aldersbach/Niederbayern, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1985-1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.07.2008

Wie ein altes Ehepaar
Eine Kontroverse über die deutsch-italienischen Beziehungen
Wie misst man das Verhältnis zweier Völker? Sind die Beziehungen zwischen den Regierungen maßgeblich? Sind es wirtschaftliche Kontakte? Oder die Menge an kulturellen Institutionen im Nachbarland, die Zahl der Austauschstudenten oder die Vielzahl an Stereotypen, die übereinander verbreitet werden? All diese Kriterien haben die Historiker Gian Enrico Rusconi, Thomas Schlemmer und Hans Woller für ihr Buch herangezogen. 13 Autoren, nur fünf davon aus Italien, widmen sich der Frage, ob Deutschland und Italien seit nun knapp 20 Jahren immer weiter auseinanderdriften.
Der Fall der Mauer markiert dabei eine Zeitenwende – das wird in vielen Beiträgen behauptet. Der Band ist allerdings gerade deshalb so spannend, weil die befreundeten Herausgeber komplett entgegengesetzte Thesen vertreten. Während Rusconi die schleichende Entfremdung und eine alte, verloren gegangene „Herzlichkeit" zwischen den Politikern betrauert, wirft Woller seinem Kollegen Panikmache vor. Es geschieht selten, dass sich zwei Wissenschaftler zusammentun, um dann das exakte Gegenteil des anderen zu behaupten. Aus dieser Spannung bezieht der Sammelband, der auf eine gemeinsame Tagung des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient und dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Mai 2007 zurückgeht, seinen Reiz.
Rusconi versteht seine Analyse als „Alarmruf" im Hinblick auf eine Verarmung vor allem der politischen Kontakte zwischen Deutschland und Italien. „Die Politiker sprechen einfach nicht mehr miteinander”, ist seine Beobachtung. Nicht mehr die fixen Achsen zwischen Regierungschefs wie De Gasperi/Adenauer oder Andreotti/Kohl oder die engen Kontakte zwischen italienischen Kommunisten und deutschen Sozialdemokraten prägten in den vergangenen beiden Jahrzehnten das Verhältnis. Nach dem Zusammenbruch des alten Parteiensystems Ende der 80er Jahre in Italien und den Korruptionsprozessen des Mailänder Staatsanwälte-Pools „Mani Pulite” leide Italien an einem „Defizit an politisch-institutioneller Stabilität”. Vor allem nach der europäischen Einigung fehle den Ländern ein gemeinsames Projekt, so Rusconi. Das Phänomen Berlusconi habe die deutsch-italienischen Beziehungen bis auf weiteres erledigt. Die deutsche politische Klasse habe nicht nur mit Unbehagen auf Berlusconi reagiert, sondern nehme Italien nicht mehr ernst.
Woller vertritt die entgegengesetzte These: Noch nie seien die Beziehungen so gut gewesen wie heute. Er bezieht sich im Gegensatz zu Rusconi nicht nur auf die politische Ebene: Deutschland sei für Italien auch nach dem Mauerfall der wichtigste Handelspartner. Die Zahl gemeinsamer Projekte in den Geisteswissenschaften sei so hoch wie nie zuvor, nirgends auf der Welt gebe es so viele Goethe-Institute wie in Italien.
Den von Rusconi angeführten Begriff der „alten Herzlichkeit” weist Woller in politischen Fragen „mit größtem Misstrauen” zurück und erkennt nicht erst seit Berlusconi das Entstehen deutsch-italienischer Krisen. Deutschland sei schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg skeptisch betrachtet worden, etwa nach dem Sieg bei der Fußball-WM 1954 oder 1977 nach der Flucht des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Herbert Kappler aus einem römischen Gefängnis nach Deutschland. Trotz entsprechender Forderungen aus Italien wurde Kappler nicht ausgeliefert. Dass bilaterale Beziehungen in der globalisierten Welt an Bedeutung verlieren, kennzeichne auch das deutsch-italienische Verhältnis, sei aber keine Besonderheit.
Rusconis These unterstützt auch der Italien-Korrespondent der SZ, Stefan Ulrich, der im politischen Verhältnis der beiden Länder die Beziehung eines alten Ehepaares ohne gegenseitige Anziehungskraft erkennt und ein kühles Verhältnis der politischen Koexistenz ausmacht. Der Streit um den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, die Spaltung in der Frage des Irakkrieges, aber auch die Zwangsarbeiterentschädigung oder die Aufarbeitung der Wehrmachtsverbrechen in Italien seien Beispiele für das schwierige Miteinander. Angelo Bolaffi, der Direktor des Italienischen Kulturinstituts in Berlin, behauptet gar, es sei die Wiedervereinigung gewesen, die Italien politisch von der internationalen Bildfläche habe verschwinden lassen. Im auf 27 Staaten angewachsenen Europa habe Italien nicht mehr den Einfluss wie noch in den 60er Jahren, während Deutschland aufgrund seiner Größe und Zentralität die europäische Agenda bestimmen könne. JULIUS MÜLLER-MEININGEN
GIAN ENRICO RUSCONI/THOMAS SCHLEMMER/HANS WOLLER (Hrsg.): Schleichende Entfremdung? Deutschland und Italien nach dem Fall der Mauer. Reihe Zeitgeschichte im Gespräch, Band 3. Oldenbourg Verlag, München 2008. 136 Seiten, 16,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Temperament und Temperatur
Deutsch-italienisches Verhältnis seit dem Ende der DDR: Suche nach Herzlichkeit

Der italienische Deutschland-Kenner Gian Enrico Rusconi vertritt die provozierende These, einer der Verlierer der Revolution von 1989 sei das ehedem herzliche deutsch-italienische Verhältnis. Deutsche und Italiener hätten sich infolge der deutschen Vereinigung und der globalen Umbrüche voneinander entfernt, schlimmer noch: Sie seien im Umgang miteinander in uralte, ressentimentgeladene Klischees zurückgefallen. Rusconis Alarmruf ist in der Öffentlichkeit auf erhebliches Interesse gestoßen. Spricht das nun für oder gegen seine Entfremdungsdiagnose? Ist die lebhafte Reaktion ein Indiz dafür, dass man sich dabei ertappt fühlt, dem anderen Land tatsächlich mit wachsendem Unverständnis zu begegnen?

Die Beiträge des Sammelbandes diskutieren, ob wirklich Grund zur Sorge über die Beziehung zwischen den beiden "Schicksalsschwestern" (Golo Mann) besteht. Das Ergebnis lautet: Es kommt darauf an, vor allem auf die Protagonisten, die man untersucht. Wer wie Stephan Ulrich und Angelo Bolaffi auf die staatlich-politische Ebene schaut, stimmt der These vom Niedergang des bilateralen Verhältnisses eher zu. Beide Autoren sehen die Ursachen hauptsächlich im Verlust der europäischen Kohäsionskraft, die nach 1945 lange Zeit den engen Dialog zwischen Deutschland und Italien angetrieben hatte. Während das vereinte Deutschland heute auf der Weltbühne mitredet, sieht sich Italien im erweiterten Europa marginalisiert. Die spürbare Asymmetrie in Ermangelung eines starken gemeinsamen Europaprojekts als Konvergenzpunkt nationaler Interessen nährt Überlegenheitsgefühle auf deutscher und Verunsicherung auf italienischer Seite. Das führt zu Animositäten.

Kein einheitliches Bild ergibt der Blick auf die wechselseitige Medienberichterstattung. Gerade in der Debatte um die echte oder bloß "gefühlte" Abkühlung des deutsch-italienischen Verhältnisses hat es nicht an verletzenden Kommentaren gefehlt, wie Henning Klüver zeigt. Aber haben Berlusconi, der Müll von Neapel und die Mafia die Deutschen wirklich ihrem Traumland entfremdet? Nein, sagt der Historiker Hans Woller. Wechselseitige Irritationen, gepaart mit viel Verständnislosigkeit, gehören nämlich seit jeher zum deutsch-italienischen Verhältnis. Ein "goldenes Zeitalter" der Beziehungen hat es nie gegeben, nicht einmal unter Adenauer und De Gasperi. Derart gegen Geschichtsmythen gefeit sehen Hans Woller und Thomas Schlemmer Italiener und Deutsche, allen Stimmungsschwankungen zum Trotz, in solider Freundschaft verbunden. Ihr maßvoller Optimismus wird durch die Beiträge zum wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen Italien und Deutschland bekräftigt.

Die Zivilgesellschaften beider Länder kooperieren eindeutig besser, als es Politik und Medien bisweilen vermitteln. Leider wird nicht vertieft, warum das so ist. Aber es ist für die Debatte symptomatisch, dass die deutschen Texte überwiegend einen zufriedenen Ton anschlagen und der These von der "Entfremdung" widersprechen, während bei den italienischen Autoren mehr Skepsis mitschwingt, erleben sie doch immer wieder, wie der italienische Anspruch, auf "gleicher Augenhöhe" ernst genommen zu werden, brüskiert wird. Woher das kommt, muss weiter erforscht werden, wobei zusätzliche Vergleichsgrößen wichtig sind. Denn es lohnt sich - der Band weist die Richtung -, das deutsch-italienische Verhältnis als Seismographen der gesamteuropäischen Situation nach 1989 zu deuten. Das schließt völkerpsychologische Stimmungsbilder, die ja auch immer ihren Unterhaltungswert haben, durchaus ein - fragt aber auch pragmatisch nach dem unterschiedlichen politischen und soziokulturellen Instrumentarium, mit dem sich die einzelnen Nationen und Europa insgesamt für die globalisierte Moderne rüsten.

CHRISTIANE LIERMANN.

Gian Enrico Rusconi/Thomas Schlemmer/Hans Woller (Herausgeber): Schleichende Entfremdung? Deutschland und Italien nach dem Fall der Mauer. Oldenbourg Verlag, München 2008. 136 S., 16,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Julius Müller-Meiningen betont, dass die Autoren dieses Sammelbandes sämtliche denkbaren Kriterien (politische, wirtschaftliche, kulturelle) heranziehen, mit denen sich das deutsch-italienische Verhältnis messen lässt. Dass sie sich dabei durchaus uneins und ihre Thesen mitunter sogar genau entgegengesetzt sind, hält Müller-Meiningen für einen seltenen und reizvollen Quell der Spannung. Zwar markiert der Mauerfall für viele Beiträger einen Wendepunkt, wie der Rezensent erkennt, doch während ein Autor die Verarmung der politischen Kultur zwischen beiden Staaten beklagt, liest Müller-Meiningen, wie ein anderer dies als Panikmache abtut und u. a. auf blühende kulturelle Beziehungen verweist.

© Perlentaucher Medien GmbH