Hans Breuer ist nicht nur der letzte Wanderschäfer Österreichs, mit Sicherheit auch der ungewöhnlichste, den es je gab. Denn welcher Schäfer singt schon seinen 625 Schafen zum Einschlafen jiddische Lieder vor? Das fragt sich auch Sam, ein junger jüdischer Journalist aus New York, der von seiner Großmutter Bashy zur ständigen Wachsamkeit vor an jeder Ecke lauernden Pogromen erzogen wurde. Als er Hans zufällig in New York kennen lernt, beschließt er,ihn durch die österreichischen Alpen zu begleiten. Einerseits, um mehr über das Leben des ungewöhnlichen Mannes zu erfahren, andererseits, um sich auf Spurensuche nach seinen jüdischen Wurzeln und dem angeblichen Antisemitismus in Österreich zu begeben. Ausgestattet mit Diktaphon und nagelneuen Designerboots landet Sam mitten in der Idylle. Allerdings muss der neurotische Hypochonder sogleich schmerzlich erfahren, dass die Spaziergänge durch den Central Park nicht die rechte Vorbereitung auf die Herausforderungen der alpinen Welt waren.Trotz aller Widrigkeiten erfährt Sam auf seiner Wanderung mit Hans viel über dessen Herkunft, über das Land Österreich und vor allem über sich selbst. Dies ist ein romanhafter Reisebericht, von großer Komik und zugleich tiefer Ernsthaftigkeit geprägt. Der Autor, in der Tradition der jungen jüdischen Erzähler um Jonathan Safran Foer stehend, stolpert wie eine jüngere Ausgabe von Woody Allen durch die Alpenwelt sowie durch die österreichische Geschichte und beglückt die Leser mit seinen erstaunlichen Einsichten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2007Diese Geschichte hätte niemand erfinden können
Unter Schafen: Der amerikanische Autor Sam Apple begleitet einen jiddisch singenden Wanderhirten durch Österreich
Nein, man hatte nicht damit rechnen können, dass einen ein Sachbuch über einen österreichischen Wanderhirten, der jiddische Volkslieder singt, fesseln würde. Man hatte ja nicht einmal von der Existenz eines solchen geahnt, weil sich dieser gewissermaßen außerhalb der Grenzen der eigenen Vorstellungskraft bewegte. Wanderhirte in Österreich schön und gut, aber auf den Schlenker mit den jiddischen Liedern wäre man im Leben nicht gekommen. Es gibt ihn aber wirklich, er heißt Hans Breuer, zieht mit 675 Schafen durch die österreichischen Alpen, und ein junger amerikanischer Journalist, Sam Apple, hat ihn dabei begleitet und ein Buch über diese Begegnung geschrieben, das sich liest wie Fiktion, nur dass diese niemals so gut hätte erfunden werden können.
Der Autor, Sam Apple, wurde 1975 in Houston geboren. Seine Mutter starb früh, und er wuchs bei seiner Großmutter auf, einer Jüdin aus Litauen, die im Alter von elf Jahren aus ihrem Schtetl hatte fliehen müssen und das Schtetl mit in ihre neue texanische Heimat nahm. Zum Einschlafen sang sie ihrem Enkel jiddische Lieder vor, und sie erzog ihn in dem Glauben, dass sie Fremde unter Nichtjuden waren und dass den Nichtjuden nicht zu trauen ist. "Hin und wieder gab es Momente, da lief ich durch die geschäftigen Flure meiner High School und kam mir vor wie ein lebender Anachronismus, als gehörte ich in eine andere Zeit, an einen anderen Ort und als wäre ich nur aus Versehen im späten zwanzigsten Jahrhundert inmitten von Cowboystiefeln tragenden Nichtjuden gelandet. Die Grenze zwischen Jude und Nichtjude war bei mir genauso scharf gezogen wie bei jedem anständigen Antisemiten."
Im Jahr 2000 - Apple wohnt inzwischen als freier Journalist in New York - überredet ihn eine Freundin, sie zum jiddischen Liederabend eines österreichischen Wanderhirten zu begleiten. Apple findet, das klingt absurd genug, um hinzugehen. Und obwohl er während des Konzerts von Lachanfällen geschüttelt wird - (zwischen den Songs werden Dias von Schafen gezeigt) -, entdeckt er, dass für ihn eine größere Geschichte in dem Thema steckt. Er macht ein Interview mit dem singenden Hirten - und vereinbart, ihn ein paar Wochen auf Wanderschaft zu begleiten. Um mehr zu erfahren über diesen seltsamen Mann. Über Juden und Nichtjuden, Europa und den Holocaust, Antisemitismus im Österreich von heute. Über sich selbst.
Wer das Buch liest, erfährt allerhand über Schafe, Haider und die FPÖ, über die Legende vom Ewigen Juden, über Hans Breuer, den letzten Wanderhirten Österreichs, und dessen Familiengeschichte, in der ein jüdischer Vater, eine kommunistische Mutter und die Gestapo eine Rolle spielen. Am meisten aber erfährt man über den Autor, Sam Apple, einen klugen und liebenswerten Hypochonder, der von seiner Großmutter dazu erzogen wurde, Antisemiten zu fürchten, der nie im Leben einem Antisemiten begegnet war und der nach Österreich kam, in die vermeintliche Hochburg des Antisemitismus, um sich seinen Dämonen zu stellen.
Wie auch immer er das anstellt - Apple schafft es, Schafe, Judentum und seine persönliche Sinnsuche so selbstverständlich miteinander zu verknüpfen, dass es einem bald schon absurd erscheint, dass diese Themen jemals alleine für sich stehen konnten. Auf seine vielen Fragen findet er nicht eine, sondern viele Antworten, und zuletzt stört es ihn auch gar nicht mehr, dass die sich alle gegenseitig widersprechen. All das liest sich so abgründig und leicht zugleich, als sei es allein zu dem Zweck geschrieben worden, Jonathan Safran Foer neidisch zu machen. Ein besseres Buch, das lässt sich mit Sicherheit sagen, wurde nie zuvor über einen jiddisch singenden Wanderhirten geschrieben.
JOHANNA ADORJÁN
Sam Apple: "Schlepping durch die Alpen". Ein etwas anderes Reisebuch. Aus dem Englischen von Monika Schmalz. Atrium Verlag, Zürich 2007. 320 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unter Schafen: Der amerikanische Autor Sam Apple begleitet einen jiddisch singenden Wanderhirten durch Österreich
Nein, man hatte nicht damit rechnen können, dass einen ein Sachbuch über einen österreichischen Wanderhirten, der jiddische Volkslieder singt, fesseln würde. Man hatte ja nicht einmal von der Existenz eines solchen geahnt, weil sich dieser gewissermaßen außerhalb der Grenzen der eigenen Vorstellungskraft bewegte. Wanderhirte in Österreich schön und gut, aber auf den Schlenker mit den jiddischen Liedern wäre man im Leben nicht gekommen. Es gibt ihn aber wirklich, er heißt Hans Breuer, zieht mit 675 Schafen durch die österreichischen Alpen, und ein junger amerikanischer Journalist, Sam Apple, hat ihn dabei begleitet und ein Buch über diese Begegnung geschrieben, das sich liest wie Fiktion, nur dass diese niemals so gut hätte erfunden werden können.
Der Autor, Sam Apple, wurde 1975 in Houston geboren. Seine Mutter starb früh, und er wuchs bei seiner Großmutter auf, einer Jüdin aus Litauen, die im Alter von elf Jahren aus ihrem Schtetl hatte fliehen müssen und das Schtetl mit in ihre neue texanische Heimat nahm. Zum Einschlafen sang sie ihrem Enkel jiddische Lieder vor, und sie erzog ihn in dem Glauben, dass sie Fremde unter Nichtjuden waren und dass den Nichtjuden nicht zu trauen ist. "Hin und wieder gab es Momente, da lief ich durch die geschäftigen Flure meiner High School und kam mir vor wie ein lebender Anachronismus, als gehörte ich in eine andere Zeit, an einen anderen Ort und als wäre ich nur aus Versehen im späten zwanzigsten Jahrhundert inmitten von Cowboystiefeln tragenden Nichtjuden gelandet. Die Grenze zwischen Jude und Nichtjude war bei mir genauso scharf gezogen wie bei jedem anständigen Antisemiten."
Im Jahr 2000 - Apple wohnt inzwischen als freier Journalist in New York - überredet ihn eine Freundin, sie zum jiddischen Liederabend eines österreichischen Wanderhirten zu begleiten. Apple findet, das klingt absurd genug, um hinzugehen. Und obwohl er während des Konzerts von Lachanfällen geschüttelt wird - (zwischen den Songs werden Dias von Schafen gezeigt) -, entdeckt er, dass für ihn eine größere Geschichte in dem Thema steckt. Er macht ein Interview mit dem singenden Hirten - und vereinbart, ihn ein paar Wochen auf Wanderschaft zu begleiten. Um mehr zu erfahren über diesen seltsamen Mann. Über Juden und Nichtjuden, Europa und den Holocaust, Antisemitismus im Österreich von heute. Über sich selbst.
Wer das Buch liest, erfährt allerhand über Schafe, Haider und die FPÖ, über die Legende vom Ewigen Juden, über Hans Breuer, den letzten Wanderhirten Österreichs, und dessen Familiengeschichte, in der ein jüdischer Vater, eine kommunistische Mutter und die Gestapo eine Rolle spielen. Am meisten aber erfährt man über den Autor, Sam Apple, einen klugen und liebenswerten Hypochonder, der von seiner Großmutter dazu erzogen wurde, Antisemiten zu fürchten, der nie im Leben einem Antisemiten begegnet war und der nach Österreich kam, in die vermeintliche Hochburg des Antisemitismus, um sich seinen Dämonen zu stellen.
Wie auch immer er das anstellt - Apple schafft es, Schafe, Judentum und seine persönliche Sinnsuche so selbstverständlich miteinander zu verknüpfen, dass es einem bald schon absurd erscheint, dass diese Themen jemals alleine für sich stehen konnten. Auf seine vielen Fragen findet er nicht eine, sondern viele Antworten, und zuletzt stört es ihn auch gar nicht mehr, dass die sich alle gegenseitig widersprechen. All das liest sich so abgründig und leicht zugleich, als sei es allein zu dem Zweck geschrieben worden, Jonathan Safran Foer neidisch zu machen. Ein besseres Buch, das lässt sich mit Sicherheit sagen, wurde nie zuvor über einen jiddisch singenden Wanderhirten geschrieben.
JOHANNA ADORJÁN
Sam Apple: "Schlepping durch die Alpen". Ein etwas anderes Reisebuch. Aus dem Englischen von Monika Schmalz. Atrium Verlag, Zürich 2007. 320 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2008In einem Meer aus Wolle
„Schlepping durch die Alpen” von Sam Apple bestätigt alle Klischees über Amerika
Dies ist kein gutes Buch, wiewohl seine Idee bestechend wäre: Sam Apple, ein junger, ziemlich neurotischer amerikanischer Jude, lernt bei einer schrägen Kulturveranstaltung in New York (Dias von Schafen, dazu jiddische Gesänge) Hans Breuer, den letzten Wanderschäfer Österreichs, kennen. Er beschließt, mit ihm und seinen 625 Schafen durch die Alpen zu ziehen, auf der Suche nach Erkenntnis – über den skurrilen Wanderschäfer und dessen gebrochene, halb jüdische, halb kommunistische Identität, über Österreich und dessen unbewältigte NS-Geschichte, nicht zuletzt über sich selbst. Die Reise eines US-amerikanischen Parzival ins rätselhafte Europa, zu den Alpenbewohnern und den letzten Juden Österreichs, zwischen Schafsmist und Antisemitismus.
Die paar Szenen am Beginn, wenn Sam Apple, der Journalist, seine ersten Begegnungen mit den Schafen und dem ständig jiddische Weisen schmetternden Schäfer schildert, sind durchaus komisch. Für die Beschreibung seiner selbst als einem naturfeindlichen Hypochonder, der sich plötzlich zwischen bedrohlich blökendem Herdengetier wiederfindet, hat Apple ein Händchen, wenngleich die Pfade, auf denen hier der Witz entsteht, von Generationen gerade jüdischer Komiker ausgetreten sind. Jude und Natur gelten ja quasi als unvereinbare Konzepte.
Das macht aber wiederum den Wanderschäfer Hans Breuer so interessant. Das Porträt dieses Mannes, Sohn eines österreichischen Juden und einer kommunistischen Widerstandskämpferin, die von der Gestapo schwer gefoltert wurde, ist noch das gelungenste an diesem Buch. Breuer scheint ein Mensch zu sein, dem jegliche schützende Haut an der Seele fehlt. Nach dem Tsunami von 2004 haben Traumaforscher festgestellt, dass ein bestimmter Prozentsatz von Menschen traumatisierende Erlebnisse unerklärlich gut wegsteckt, als hätten sie eine robustere Seele als andere. Zu diesen gehört Hans Breuer nicht. Die nächtlichen Angstschreie seiner Mutter, die seine Kindheit begleiteten, die fehlende Auflehnung seines Vaters gegen das aggressiv schweigende Nachkriegsösterreich, die ihn empörte, und seine eigene ungeklärte Identität haben diesen Jungen zutiefst verstört. Er ist eines der typischen Opfer der zweiten Generation.
Wie so viele suchte er sein Heil in einer Kommune, war aber gleichzeitig einer der Ersten, der das autoritäre Abdriften erkannte, als sich eine „rechtgläubige” Elite bildete, die die anderen brutal unterdrückte. Mit seinem unstillbaren Widerspruchsgeist ist Breuer der geborene Außenseiter, der sich umso sehnlicher Geborgenheit wünscht. Das Schafehüten, diese radikale Abkehr von der zivilisierten Welt, die er auch Frau und Kindern zugemutet hat, scheint seine instinktiv gefundene Therapie zu sein, in reichlich seltsamer Kombination mit den jiddischen Volksliedern. Diese Lieder verdankt er keineswegs seinen Eltern, sondern er hat sie und die jiddische Sprache erst als Erwachsener entdeckt: Seither sammelt und lernt er fanatisch immer neue Lieder, mit denen er, wie er glaubt, seine Schafe leitet und beruhigt. Doch am meisten beruhigt er wohl sich selbst.
Auf dem Weg zur Schlachtbank
Von Breuer und dessen Seelenverwirrungen hat Apple, der seine eigenen Neurosen mit derselben Hingabe schildert wie er sie pflegt, offenbar einiges verstanden. Leider geben die gemeinsamen Wanderungen über österreichische Bergwiesen nicht genug her, nicht einmal, als die Schafherde die steirische Stadt Judenburg passiert. Daher besteht mehr als die Hälfte des Buches, ganz anders als der Titel „Schlepping durch die Alpen” verheißt, aus Apples Versuchen, sich selbst und Österreich zu analysieren. Dabei mischt er Reportage, Interviews und Essay, angelesenes Geschichtswissen und, ziemlich unpassend, literarische Elemente wie Träume und Gedanken. Seine stets vorangetragene, großäugige Naivität (Oh! Deutschsprachige potentielle Antisemiten verstehen qua Muttersprache besser Jiddisch als ein amerikanischer Jude!), ist leider nicht nur Stilmittel, sondern der ungeniert ausgestellte Ausdruck von Apples Denken. Wenn er inmitten der blökenden Schafherde unvermeidlich zum Bild von den zusammengetriebenen Juden kommt, dann ist das nicht einmal provokant, sondern nur traurig und peinlich: „Und dann, in diesem Meer von Wolle, ging auf einmal die Phantasie mit mir durch. Ich hatte plötzlich die Vorstellung, diese Schafe seien die Juden Europas, die zur Schlachtbank geführt wurden. Es war ein regelrechter Todesmarsch, gerade für die Lämmer. Und als ich sah, wie Mohrle die Schafe schikanierte und in die Hinterbeine biss, musste ich an einen KZ-Aufseher denken. Dabei war ich nicht einmal der Erste mit dieser verrückten Idee.”
Nein, wahrlich nicht. Und so erweist sich „Schlepping durch die Alpen” als ein Buch, das alle Klischees, nein, nicht über Österreich, sondern über Amerika bestätigt: Alles, wovon man keine Ahnung hat, entweder in billige Witze oder hochfahrende Anklage auflösen. Die Welt immer nur in Bezug auf den eigenen Bauchnabel erklären. Für amerikanische Leser mag dieses Buch interessante Neuigkeiten über ein fast unbekanntes Alpenländchen und dessen unerfreuliche, bis heute nachwirkende Geschichte bringen. Die Übersetzung aber, mit allen ihren Fehlern („Bundeswehr” statt „Bundesheer”, SPÖ/FPÖ-Regierung statt ÖVP/FPÖ), hätte man sich getrost sparen können. EVA MENASSE
SAM APPLE: Schlepping durch die Alpen. Aus dem Amerikanischen von Monika Schmalz. Atrium Verlag, Zürich 2007. 320 Seiten, 19,90 Euro.
Auch die Alpenrepublik ist immer für ein Klischee gut: Schafe in der Steiermark. Foto: Rainer Jahns/Fotex.de
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
„Schlepping durch die Alpen” von Sam Apple bestätigt alle Klischees über Amerika
Dies ist kein gutes Buch, wiewohl seine Idee bestechend wäre: Sam Apple, ein junger, ziemlich neurotischer amerikanischer Jude, lernt bei einer schrägen Kulturveranstaltung in New York (Dias von Schafen, dazu jiddische Gesänge) Hans Breuer, den letzten Wanderschäfer Österreichs, kennen. Er beschließt, mit ihm und seinen 625 Schafen durch die Alpen zu ziehen, auf der Suche nach Erkenntnis – über den skurrilen Wanderschäfer und dessen gebrochene, halb jüdische, halb kommunistische Identität, über Österreich und dessen unbewältigte NS-Geschichte, nicht zuletzt über sich selbst. Die Reise eines US-amerikanischen Parzival ins rätselhafte Europa, zu den Alpenbewohnern und den letzten Juden Österreichs, zwischen Schafsmist und Antisemitismus.
Die paar Szenen am Beginn, wenn Sam Apple, der Journalist, seine ersten Begegnungen mit den Schafen und dem ständig jiddische Weisen schmetternden Schäfer schildert, sind durchaus komisch. Für die Beschreibung seiner selbst als einem naturfeindlichen Hypochonder, der sich plötzlich zwischen bedrohlich blökendem Herdengetier wiederfindet, hat Apple ein Händchen, wenngleich die Pfade, auf denen hier der Witz entsteht, von Generationen gerade jüdischer Komiker ausgetreten sind. Jude und Natur gelten ja quasi als unvereinbare Konzepte.
Das macht aber wiederum den Wanderschäfer Hans Breuer so interessant. Das Porträt dieses Mannes, Sohn eines österreichischen Juden und einer kommunistischen Widerstandskämpferin, die von der Gestapo schwer gefoltert wurde, ist noch das gelungenste an diesem Buch. Breuer scheint ein Mensch zu sein, dem jegliche schützende Haut an der Seele fehlt. Nach dem Tsunami von 2004 haben Traumaforscher festgestellt, dass ein bestimmter Prozentsatz von Menschen traumatisierende Erlebnisse unerklärlich gut wegsteckt, als hätten sie eine robustere Seele als andere. Zu diesen gehört Hans Breuer nicht. Die nächtlichen Angstschreie seiner Mutter, die seine Kindheit begleiteten, die fehlende Auflehnung seines Vaters gegen das aggressiv schweigende Nachkriegsösterreich, die ihn empörte, und seine eigene ungeklärte Identität haben diesen Jungen zutiefst verstört. Er ist eines der typischen Opfer der zweiten Generation.
Wie so viele suchte er sein Heil in einer Kommune, war aber gleichzeitig einer der Ersten, der das autoritäre Abdriften erkannte, als sich eine „rechtgläubige” Elite bildete, die die anderen brutal unterdrückte. Mit seinem unstillbaren Widerspruchsgeist ist Breuer der geborene Außenseiter, der sich umso sehnlicher Geborgenheit wünscht. Das Schafehüten, diese radikale Abkehr von der zivilisierten Welt, die er auch Frau und Kindern zugemutet hat, scheint seine instinktiv gefundene Therapie zu sein, in reichlich seltsamer Kombination mit den jiddischen Volksliedern. Diese Lieder verdankt er keineswegs seinen Eltern, sondern er hat sie und die jiddische Sprache erst als Erwachsener entdeckt: Seither sammelt und lernt er fanatisch immer neue Lieder, mit denen er, wie er glaubt, seine Schafe leitet und beruhigt. Doch am meisten beruhigt er wohl sich selbst.
Auf dem Weg zur Schlachtbank
Von Breuer und dessen Seelenverwirrungen hat Apple, der seine eigenen Neurosen mit derselben Hingabe schildert wie er sie pflegt, offenbar einiges verstanden. Leider geben die gemeinsamen Wanderungen über österreichische Bergwiesen nicht genug her, nicht einmal, als die Schafherde die steirische Stadt Judenburg passiert. Daher besteht mehr als die Hälfte des Buches, ganz anders als der Titel „Schlepping durch die Alpen” verheißt, aus Apples Versuchen, sich selbst und Österreich zu analysieren. Dabei mischt er Reportage, Interviews und Essay, angelesenes Geschichtswissen und, ziemlich unpassend, literarische Elemente wie Träume und Gedanken. Seine stets vorangetragene, großäugige Naivität (Oh! Deutschsprachige potentielle Antisemiten verstehen qua Muttersprache besser Jiddisch als ein amerikanischer Jude!), ist leider nicht nur Stilmittel, sondern der ungeniert ausgestellte Ausdruck von Apples Denken. Wenn er inmitten der blökenden Schafherde unvermeidlich zum Bild von den zusammengetriebenen Juden kommt, dann ist das nicht einmal provokant, sondern nur traurig und peinlich: „Und dann, in diesem Meer von Wolle, ging auf einmal die Phantasie mit mir durch. Ich hatte plötzlich die Vorstellung, diese Schafe seien die Juden Europas, die zur Schlachtbank geführt wurden. Es war ein regelrechter Todesmarsch, gerade für die Lämmer. Und als ich sah, wie Mohrle die Schafe schikanierte und in die Hinterbeine biss, musste ich an einen KZ-Aufseher denken. Dabei war ich nicht einmal der Erste mit dieser verrückten Idee.”
Nein, wahrlich nicht. Und so erweist sich „Schlepping durch die Alpen” als ein Buch, das alle Klischees, nein, nicht über Österreich, sondern über Amerika bestätigt: Alles, wovon man keine Ahnung hat, entweder in billige Witze oder hochfahrende Anklage auflösen. Die Welt immer nur in Bezug auf den eigenen Bauchnabel erklären. Für amerikanische Leser mag dieses Buch interessante Neuigkeiten über ein fast unbekanntes Alpenländchen und dessen unerfreuliche, bis heute nachwirkende Geschichte bringen. Die Übersetzung aber, mit allen ihren Fehlern („Bundeswehr” statt „Bundesheer”, SPÖ/FPÖ-Regierung statt ÖVP/FPÖ), hätte man sich getrost sparen können. EVA MENASSE
SAM APPLE: Schlepping durch die Alpen. Aus dem Amerikanischen von Monika Schmalz. Atrium Verlag, Zürich 2007. 320 Seiten, 19,90 Euro.
Auch die Alpenrepublik ist immer für ein Klischee gut: Schafe in der Steiermark. Foto: Rainer Jahns/Fotex.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine tolle Überraschung stellt dieses ungewöhnliche Reisebuch für Johanna Adorjan dar. Über einen jiddisch singenden österreichischen Wanderhirten zu lesen, erschien ihr nicht sonderlich verlockend, dann aber entpuppt sich das Buch für sie als quasi fiktionales Kompendium über "Schafe, Judentum, Haider und die FPÖ" und vieles mehr. Sie begegnet einem Autor auf der Alm im Angesicht seiner Dämonen und lauter Fragen und noch mehr Antworten, "leicht" und "abgründig" zugleich aufgeschrieben. Ein Buch, dazu imstande, Jonathan Safran Foer neidisch zu machen, urteilt die Rezensentin und ist selbst ganz von den Socken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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