Ob römischer Kaiser oder Japans Tenno, ob König von Frankreich, Preußen oder Bayern, indischer Maharadscha, Modezar oder Ölmilliardär - für ihre offiziellen Residenzen und privaten Refugien scheuten - und scheuen - die Mächtigen und Reichen der Weltgeschichte weder Kosten noch Aufwand. Architektonische Organismen vom Ausmaß ganzer Stadtviertel oder gleich selbst eine komplette Stadt wie die Verbotene in Beijing, dominieren Herrschersitze und Regierungspaläste unübersehbar ihre urbane Umgebung. Königliche Sommerresidenzen oder die Lustschlösser des Adels setzen der gezähmten, oft kunstvoll inszenierten Natur steinerne Glanzlichter auf, und das neue Geld gönnt sich den Luxus des spektakulären Designs inmitten weiträumiger Areale. Für den normalen Sterblichen wurden diese Zeugen imperialer und höfischer Pracht und Größe erst zugänglich, als ihre jeweilige Epoche zu Ende ging. Im Zeitalter des Tourismus, der heute wesentlich zu ihrem Unterhalt beiträgt, öffneten sich die Raumfluchten
von Versailles, die Tore von Neuschwanstein, die Klostermauern des Escorial... Nach wie vor aber gilt, dass sich die Struktur der meist hochkomplexen Gesamtanlagen, das Zusammenspiel von Architektur und Landschaft bzw. städtischem Umfeld sich nur aus der Vogelperspektive erschließen - ein Blick, der zu ihrer Zeit selbst Kaisern und Königen verwehrt war.
von Versailles, die Tore von Neuschwanstein, die Klostermauern des Escorial... Nach wie vor aber gilt, dass sich die Struktur der meist hochkomplexen Gesamtanlagen, das Zusammenspiel von Architektur und Landschaft bzw. städtischem Umfeld sich nur aus der Vogelperspektive erschließen - ein Blick, der zu ihrer Zeit selbst Kaisern und Königen verwehrt war.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2007Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus
Der Tourist sieht die großen Schlösser und Paläste dieser Welt meistens als Frosch, nie als Vogel: das russische Zarskoje Selo und Pekings Verbotene Stadt, die Hadriansvilla und Schloss Chenonceau auf seinen eigenen Brückenbögen über den Cher, Sanssouci, die Alhambra und den Palast von Udaipur, der als weiße Marmorinsel aus dem See steigt. Und zumindest einige der neunundzwanzig hier ausgewählten Prachtstücke sieht der Tourist sogar gar nicht, denn ihre Hausherren empfangen keinen Besuch. Da hätte man nun zu gerne erfahren, wie die Fotografen, die diese schwindelerregenden Flugaufnahmen geschossen haben, in den sensiblen Luftraum über der Residenz des kambodschanischen Königs in Phnom Penh, dem Kaiserpalast von Tokio oder dem "Palast des wahren Lichts" des Sultans von Brunei eingedrungen sind. Ballon? Kran? Hubschrauber? Ultraleicht-Flugmaschine? Drachen? Sie haben jedenfalls überlebt und präsentieren den Bodenhaftern überraschende architektonische und ästhetische Ansichten, dazu von jedem Objekt ein auf vierfaches Buchformat ausklappbares Bild. Plan, Baugeschichte, Zweck und Schönheit der Bauwerke erschließen sich oft nur aus der Perspektive reisender Engel, wie die zwei Gesichter von Hampton Court, das gotische und das klassische, oder die pentagonale Anlage des Palazzo Farnese in Caprarola. Viele Stätten sind bizarr, eklektisch, exzentrisch, manche überraschend schlicht wie die Flachbauten des japanischen Tenno, andere überraschend banal wie die Residenz des Sultans von Brunei, die geschwungene Pagodendächer mit den eckigen weißen Balkonraffeln verbindet, wie man sie von Apartmentblocks rund ums Mittelmeer kennt, und manche sind so unanständig wie erwartet: Ceausescus Haus des Volkes in Bukarest, das größte Regierungsgebäude der Welt, das durch keine normale Linse passt. Ein Rätsel ist die Menschenleere. Wo sind die vielen, die sich an schönen Ausflugstagen gegenseitig die Sicht versperren? Auf den Dachterrassen des Palastes in Say'Un im Jemen: keine Maus. Neuschwanstein: ausgestorben. Versailles: personne. Blenheim: nobody. Doch da, im ersten Hof des Escorial tritt ein Mensch im roten Pulli vom Schatten in die Sonne, gerade im richtigen Augenblick.
letz
"Schlösser, Villen und Paläste" mit Texten von Henri Stierlin. Verlag Schirmer/Mosel, München 2007. 186 Seiten , 90 Farbtafeln, davon 29 zum Ausklappen. Gebunden, 39,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Tourist sieht die großen Schlösser und Paläste dieser Welt meistens als Frosch, nie als Vogel: das russische Zarskoje Selo und Pekings Verbotene Stadt, die Hadriansvilla und Schloss Chenonceau auf seinen eigenen Brückenbögen über den Cher, Sanssouci, die Alhambra und den Palast von Udaipur, der als weiße Marmorinsel aus dem See steigt. Und zumindest einige der neunundzwanzig hier ausgewählten Prachtstücke sieht der Tourist sogar gar nicht, denn ihre Hausherren empfangen keinen Besuch. Da hätte man nun zu gerne erfahren, wie die Fotografen, die diese schwindelerregenden Flugaufnahmen geschossen haben, in den sensiblen Luftraum über der Residenz des kambodschanischen Königs in Phnom Penh, dem Kaiserpalast von Tokio oder dem "Palast des wahren Lichts" des Sultans von Brunei eingedrungen sind. Ballon? Kran? Hubschrauber? Ultraleicht-Flugmaschine? Drachen? Sie haben jedenfalls überlebt und präsentieren den Bodenhaftern überraschende architektonische und ästhetische Ansichten, dazu von jedem Objekt ein auf vierfaches Buchformat ausklappbares Bild. Plan, Baugeschichte, Zweck und Schönheit der Bauwerke erschließen sich oft nur aus der Perspektive reisender Engel, wie die zwei Gesichter von Hampton Court, das gotische und das klassische, oder die pentagonale Anlage des Palazzo Farnese in Caprarola. Viele Stätten sind bizarr, eklektisch, exzentrisch, manche überraschend schlicht wie die Flachbauten des japanischen Tenno, andere überraschend banal wie die Residenz des Sultans von Brunei, die geschwungene Pagodendächer mit den eckigen weißen Balkonraffeln verbindet, wie man sie von Apartmentblocks rund ums Mittelmeer kennt, und manche sind so unanständig wie erwartet: Ceausescus Haus des Volkes in Bukarest, das größte Regierungsgebäude der Welt, das durch keine normale Linse passt. Ein Rätsel ist die Menschenleere. Wo sind die vielen, die sich an schönen Ausflugstagen gegenseitig die Sicht versperren? Auf den Dachterrassen des Palastes in Say'Un im Jemen: keine Maus. Neuschwanstein: ausgestorben. Versailles: personne. Blenheim: nobody. Doch da, im ersten Hof des Escorial tritt ein Mensch im roten Pulli vom Schatten in die Sonne, gerade im richtigen Augenblick.
letz
"Schlösser, Villen und Paläste" mit Texten von Henri Stierlin. Verlag Schirmer/Mosel, München 2007. 186 Seiten , 90 Farbtafeln, davon 29 zum Ausklappen. Gebunden, 39,80 Euro.
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