Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2007Up dat es uns wohl goh!
Kurt Tucholsky: „Schloss Gripsholm”
Was passiert, wenn ein bekannter Schriftsteller Urlaub von der Tagesarbeit macht? Dann kann im Idealfall eine so wunderbar locker improvisierte „Sommergeschichte” zustande kommen, wie sie dem Satiriker Kurt Tucholsky im Jahr 1931 nach anfangs heftigem Widerstand in den Ferien quasi unterlaufen ist. Schon der widerborstige Einstieg zeigt, wie Tucholsky, auf Erholung erpicht, sich in „Schloss Gripsholm” um die Schreibqualen herumzudrücken sucht. Das Buch beginnt denkbar nüchtern mit dem Briefwechsel, den der Verleger Ernst Rowohlt mit seinem Autor geführt hat. Rowohlt wünscht sich eine Liebesgeschichte vom Meister der anrüchigen Lyrik; Tucholsky aber weist das Ansinnen mit privat-autobiografischen Gründen von sich – um am Ende des Sommers mit einem privat-autobiografischen Manuskript zurückkehren, das an den gängigen literarischen Genres elegant vorbeidriftet, von der Liebe aber – oder besser: von den Spielarten des Eros – mehr mitschwingen lässt als die meisten Geschichten, die direkt von der Liebe handeln.
„Sie hatte eine Altstimme und hieß Lydia.” Mit diesem Satz eröffnet Tucholsky seinen Ferienbericht, den man auch als beiläufiges Porträt jener Frau lesen kann, die – mal ein patenter Kumpel, mal ein heiter verspielter Engel – die Launen dieses Sommers mit ihm geteilt hat. Intimes aus der Beziehung bleibt strikt ausgespart, doch schon die Art, wie Tucholsky seiner „Prinzessin” auf den Mund schaut, wie er die drastische Komik ihrer plattdeutschen Zwischenbemerkungen mit Lauten liebevoll nachzumodellieren versucht, verrät etwas von der spezifischen Art dieser Ferienbeziehung.
Auch sonst fließen dem Sprachvirtuosen in der Entspanntheit des Urlaubs immer wieder herrlich sinnliche Details in die Feder, etwa wenn er das schiere Wohlbehagen beim Liegen unter rauschenden Bäumen schildert oder das Singen eines perlenden Getränks im Glas oder die sanften Gefühlsmutationen, die sich im Lauf eines Abends beim Whiskytrinken ergeben. Die Wonnen des Nichtstuns, aber auch die Albereien, die dem Faulsein entspringen können, sind jedenfalls selten poetischer umschrieben worden.
Doch immer dann, wenn Dritte ins Spiel kommen, verdichten sich die schönen Zustandsbeschreibungen zu einer Art von Geschehen. Zunächst mischt Kurts Freund Karlchen als Gast aus Deutschland die schwedische Zweierbeziehung auf. Dann bricht Lydias schöne Freundin Billie für ein paar Tage so lebendig in das Ferienidyll ein, dass am Abend nach dem gemeinsamen Kreuzworträtsellösen im Bett die Natur aufs Wundersamste zu ihrem Recht kommt. Und dann gibt es noch „das Kind”, das die beiden Ferienpartner wie Eheleute zusammenschweißt: ein deutsches Mädchen, das im benachbarten Kinderheim wie ein Tier unter den sadistischen Schikanen der Heimleiterin leidet; es animiert die beiden Feriengäste zu einer Heldentat, die allen dreien Genugtuung verschafft.
Danach trudelt das Geschehen in jener Ferien-Entspanntheit aus, die so ansteckend ist, ja süchtig macht. Als Leser jedenfalls glaubt man am Ende der Lektüre aus einem langen Urlaub zurückzukehren. „Schloss Gripsholm” hat darum einen Stammplatz in allen Ferienkoffern verdient. GOTTFRIED KNAPP
Kurt Tucholsky Foto: Röhnert/SV-Bilderdienst
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Kurt Tucholsky: „Schloss Gripsholm”
Was passiert, wenn ein bekannter Schriftsteller Urlaub von der Tagesarbeit macht? Dann kann im Idealfall eine so wunderbar locker improvisierte „Sommergeschichte” zustande kommen, wie sie dem Satiriker Kurt Tucholsky im Jahr 1931 nach anfangs heftigem Widerstand in den Ferien quasi unterlaufen ist. Schon der widerborstige Einstieg zeigt, wie Tucholsky, auf Erholung erpicht, sich in „Schloss Gripsholm” um die Schreibqualen herumzudrücken sucht. Das Buch beginnt denkbar nüchtern mit dem Briefwechsel, den der Verleger Ernst Rowohlt mit seinem Autor geführt hat. Rowohlt wünscht sich eine Liebesgeschichte vom Meister der anrüchigen Lyrik; Tucholsky aber weist das Ansinnen mit privat-autobiografischen Gründen von sich – um am Ende des Sommers mit einem privat-autobiografischen Manuskript zurückkehren, das an den gängigen literarischen Genres elegant vorbeidriftet, von der Liebe aber – oder besser: von den Spielarten des Eros – mehr mitschwingen lässt als die meisten Geschichten, die direkt von der Liebe handeln.
„Sie hatte eine Altstimme und hieß Lydia.” Mit diesem Satz eröffnet Tucholsky seinen Ferienbericht, den man auch als beiläufiges Porträt jener Frau lesen kann, die – mal ein patenter Kumpel, mal ein heiter verspielter Engel – die Launen dieses Sommers mit ihm geteilt hat. Intimes aus der Beziehung bleibt strikt ausgespart, doch schon die Art, wie Tucholsky seiner „Prinzessin” auf den Mund schaut, wie er die drastische Komik ihrer plattdeutschen Zwischenbemerkungen mit Lauten liebevoll nachzumodellieren versucht, verrät etwas von der spezifischen Art dieser Ferienbeziehung.
Auch sonst fließen dem Sprachvirtuosen in der Entspanntheit des Urlaubs immer wieder herrlich sinnliche Details in die Feder, etwa wenn er das schiere Wohlbehagen beim Liegen unter rauschenden Bäumen schildert oder das Singen eines perlenden Getränks im Glas oder die sanften Gefühlsmutationen, die sich im Lauf eines Abends beim Whiskytrinken ergeben. Die Wonnen des Nichtstuns, aber auch die Albereien, die dem Faulsein entspringen können, sind jedenfalls selten poetischer umschrieben worden.
Doch immer dann, wenn Dritte ins Spiel kommen, verdichten sich die schönen Zustandsbeschreibungen zu einer Art von Geschehen. Zunächst mischt Kurts Freund Karlchen als Gast aus Deutschland die schwedische Zweierbeziehung auf. Dann bricht Lydias schöne Freundin Billie für ein paar Tage so lebendig in das Ferienidyll ein, dass am Abend nach dem gemeinsamen Kreuzworträtsellösen im Bett die Natur aufs Wundersamste zu ihrem Recht kommt. Und dann gibt es noch „das Kind”, das die beiden Ferienpartner wie Eheleute zusammenschweißt: ein deutsches Mädchen, das im benachbarten Kinderheim wie ein Tier unter den sadistischen Schikanen der Heimleiterin leidet; es animiert die beiden Feriengäste zu einer Heldentat, die allen dreien Genugtuung verschafft.
Danach trudelt das Geschehen in jener Ferien-Entspanntheit aus, die so ansteckend ist, ja süchtig macht. Als Leser jedenfalls glaubt man am Ende der Lektüre aus einem langen Urlaub zurückzukehren. „Schloss Gripsholm” hat darum einen Stammplatz in allen Ferienkoffern verdient. GOTTFRIED KNAPP
Kurt Tucholsky Foto: Röhnert/SV-Bilderdienst
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2012Das Ende der Scheindiskretion
Reine Schönheit ist Hans Traxlers Sache nicht. Der Veteran der Neuen Frankfurter Schule hat Kurt Tucholskys Roman "Schloß Gripsholm" höchst vergnüglich illustriert.
Als Kurt Tucholsky 1931 seinen Roman "Schloß Gripsholm" veröffentlichte, war Hans Traxler zwei Jahre alt - Buch und Illustrator gehören also einer Generation an. Das merkt man wohltuend am Resultat ihrer jüngsten Begegnung: Hans Traxler, der Veteran der Neuen Frankfurter Schule, hat für die Büchergilde Gutenberg "Schloß Gripsholm" illustriert. Und was ihm das für ein Vergnügen bereitet haben muss, ist bei jeder der siebenundfünfzig Abbildungen zu spüren, auch daran, dass der Ich-Erzähler nicht nur Tucholskys Züge trägt (es handelt sich bei dem Roman ja um eine autobiographische Fiktion), sondern subtil bisweilen an Hans Traxlers Äußeres denken lässt. Obwohl der Zeichner nicht raucht.
Über den Roman muss man nicht viele Worte verlieren, er ist Tucholskys erfolgreichstes Buch und stilistisch auch sein gewagtestes - vom postmodern anmutenden Auftakt, in dem Ernst Rowohlt und der Autor in einem kleinen brieflichen Machtspiel zwischen Verleger und Schriftsteller die Abfassung dieses Romans verabreden, bis zu den frivolen Passagen im schwedischen Urlaubsdomizil, in denen Tucholsky eine muntere ménage à trois so sozialverträglich engagiert verkleidet, dass man sich über die erotische Komponente keine anderen als romantische Gedanken macht.
Reine Schönheit aber ist Hans Traxlers Sache nicht. Die von ihm elegant gezeichneten Figuren - Kurt erst nur in Begleitung von Lydia, dann auch von Billie - stecken zwar in wunderschönen zeittypischen Gewändern, doch Traxler hat keine Scheu, zu den elegischen Illustrationen, die sich vor Schärenküsten und Sonnenuntergängen abspielen, auch satirische Bildfindungen zu gesellen. Wenn zum Beispiel Frau Adriani, die böse Internatsdirektorin, von Tucholsky so beschrieben wird: "Sie begann zu weinen. Die Prinzessin starrte sie an, als hätte sie ein exotisches Fabeltier vor sich", dann zeichnet Traxler die von ihm zuvor massig inszenierte Dame als bitter flennendes Krokodil und nimmt damit nicht nur Tucholskys Allegorie, sondern auch den zoologischen Topos der Krokodilstränen auf.
Auf solche Weise ergänzt der Zeichner die Charakterschilderungen im Buch, die bewusst nicht zu tief geraten sollen, weil ja das Ziel der ganzen Handlung nur die Erstellung jener "kleinen Sommergeschichte" ist, auf die Rowohlt und Tucholsky sich im ersten Kapitel geeinigt haben. Dass unter der Hand viel mehr in "Schloß Gripsholm" steckt, nämlich ein Zeiten- und Sittenbild der Weimarer Republik, merkt jeder Leser. Und Hans Traxler zeigt es.
Auch buchgestalterisch ist viel Überlegung in diese illustrierte (und in bewährter Rechtschreibung gesetzte) Ausgabe geflossen. Zwei Bilder werden auf Doppelseiten inszeniert, aber erst spät im Buch, so dass die Überraschung besonders groß ist. Zwei andere Illustrationen setzen sich von der Seitenvorder- auf deren Rückseiten fort - beides Darstellungen von Menschenreihen, deren eigentliche Pointen aus dem Aha-Erlebnis beim Umblättern entstehen.
"Vieles habe ich von dieser Stunde vergessen", berichtet der scheindiskrete Erzähler von einer Nacht im Gästezimmer des Schlosses, "aber eins weiß ich noch heute: Wir liebten uns am meisten mit den Augen." Unsere lieben auch: Hans Traxlers Bilder.
ANDREAS PLATTHAUS
Kurt Tucholsky: "Schloß Gripsholm". Eine Sommergeschichte.
Mit Bildern von Hans Traxler. Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2011. 176 S., 57 Abb., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Reine Schönheit ist Hans Traxlers Sache nicht. Der Veteran der Neuen Frankfurter Schule hat Kurt Tucholskys Roman "Schloß Gripsholm" höchst vergnüglich illustriert.
Als Kurt Tucholsky 1931 seinen Roman "Schloß Gripsholm" veröffentlichte, war Hans Traxler zwei Jahre alt - Buch und Illustrator gehören also einer Generation an. Das merkt man wohltuend am Resultat ihrer jüngsten Begegnung: Hans Traxler, der Veteran der Neuen Frankfurter Schule, hat für die Büchergilde Gutenberg "Schloß Gripsholm" illustriert. Und was ihm das für ein Vergnügen bereitet haben muss, ist bei jeder der siebenundfünfzig Abbildungen zu spüren, auch daran, dass der Ich-Erzähler nicht nur Tucholskys Züge trägt (es handelt sich bei dem Roman ja um eine autobiographische Fiktion), sondern subtil bisweilen an Hans Traxlers Äußeres denken lässt. Obwohl der Zeichner nicht raucht.
Über den Roman muss man nicht viele Worte verlieren, er ist Tucholskys erfolgreichstes Buch und stilistisch auch sein gewagtestes - vom postmodern anmutenden Auftakt, in dem Ernst Rowohlt und der Autor in einem kleinen brieflichen Machtspiel zwischen Verleger und Schriftsteller die Abfassung dieses Romans verabreden, bis zu den frivolen Passagen im schwedischen Urlaubsdomizil, in denen Tucholsky eine muntere ménage à trois so sozialverträglich engagiert verkleidet, dass man sich über die erotische Komponente keine anderen als romantische Gedanken macht.
Reine Schönheit aber ist Hans Traxlers Sache nicht. Die von ihm elegant gezeichneten Figuren - Kurt erst nur in Begleitung von Lydia, dann auch von Billie - stecken zwar in wunderschönen zeittypischen Gewändern, doch Traxler hat keine Scheu, zu den elegischen Illustrationen, die sich vor Schärenküsten und Sonnenuntergängen abspielen, auch satirische Bildfindungen zu gesellen. Wenn zum Beispiel Frau Adriani, die böse Internatsdirektorin, von Tucholsky so beschrieben wird: "Sie begann zu weinen. Die Prinzessin starrte sie an, als hätte sie ein exotisches Fabeltier vor sich", dann zeichnet Traxler die von ihm zuvor massig inszenierte Dame als bitter flennendes Krokodil und nimmt damit nicht nur Tucholskys Allegorie, sondern auch den zoologischen Topos der Krokodilstränen auf.
Auf solche Weise ergänzt der Zeichner die Charakterschilderungen im Buch, die bewusst nicht zu tief geraten sollen, weil ja das Ziel der ganzen Handlung nur die Erstellung jener "kleinen Sommergeschichte" ist, auf die Rowohlt und Tucholsky sich im ersten Kapitel geeinigt haben. Dass unter der Hand viel mehr in "Schloß Gripsholm" steckt, nämlich ein Zeiten- und Sittenbild der Weimarer Republik, merkt jeder Leser. Und Hans Traxler zeigt es.
Auch buchgestalterisch ist viel Überlegung in diese illustrierte (und in bewährter Rechtschreibung gesetzte) Ausgabe geflossen. Zwei Bilder werden auf Doppelseiten inszeniert, aber erst spät im Buch, so dass die Überraschung besonders groß ist. Zwei andere Illustrationen setzen sich von der Seitenvorder- auf deren Rückseiten fort - beides Darstellungen von Menschenreihen, deren eigentliche Pointen aus dem Aha-Erlebnis beim Umblättern entstehen.
"Vieles habe ich von dieser Stunde vergessen", berichtet der scheindiskrete Erzähler von einer Nacht im Gästezimmer des Schlosses, "aber eins weiß ich noch heute: Wir liebten uns am meisten mit den Augen." Unsere lieben auch: Hans Traxlers Bilder.
ANDREAS PLATTHAUS
Kurt Tucholsky: "Schloß Gripsholm". Eine Sommergeschichte.
Mit Bildern von Hans Traxler. Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2011. 176 S., 57 Abb., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Kurt Tucholsky hat seinen Platz im Pantheon der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts.« Marcel Reich-Ranicki