Georg K. Glaser hat mit seinem einzigartigen Bericht 'Geheimnis und Gewalt" - erstmals 1989 vollständig erschienen - die "Biographie des Jahrhunderts" geschrieben. Jetzt beginnt mit "Schluckebier und andere Erzählungen" die von Michael Rohrwasser herausgegebene Glaser-Werkausgabe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2007Genie und Wahnsinn
Der "lange Tag der Bücher"
Was haben Dichter und Manager gemeinsam? Beide ticken nicht richtig. Ob es tatsächlich eine Symbiose von Genie und Wahnsinn gibt, ist zwar nach wie vor umstritten. Doch bleibt diese Kategorie nun nicht mehr exzentrischen Künstlern vorbehalten: Auch Topmanager leiden gelegentlich unter Schöpfungsdrang, Hypomanie und Selbstüberschätzung, so die jüngsten Erkenntnisse der Wissenschaft. Welcher Ort wäre also für den "langen Tag der Bücher" geeigneter als das Schauspiel Frankfurt, eine Oase der Musen, eingeschlossen von den Wolkenkratzern der Hochfinanz?
Das Thema der diesjährigen Veranstaltung lautete "Idioten?", wozu eben, nach obiger Definition, auch Dichter und Manager gehören. Zumindest für Werner Söllner vom Hessischen Literaturforum, der die erste Lesung zu Ernst Herbeck moderierte. Der verstorbene Autor litt an Schizophrenie, das Verfassen von Gedichten empfahl ihm sein Psychiater als Therapie. In den Kanon der klassischen Literatur hat es seine Lyrik zwar nicht geschafft. Dafür erscheint sie aber in der "Edition Büchergilde", die sich mit der Reihe "Die tollen Hefte" der Buchillustration verschrieben hat.
Abwertend war die Bezeichnung "Idioten" also nicht gemeint, zumal Söllner den Autor ob seiner mentalen Verfassung in die Nähe musischer Grenzgänger wie Hölderlin, Mozart und Schumann rückte: Geistige Verwirrung als Selektionsvorteil für künstlerisch Begabte, die an der Gesellschaft leiden. Oder eben für rücksichtslose Firmenbosse, an denen die Gesellschaft krankt.
Zwölf Verlage, zwölf Lesungen, von morgens bis tief in die Nacht: Das Programm reichte vom Krimi und Wissenschaftsroman bis zum Kinderbuch. Bekannte Topoi wie der Vater-Sohn-Konflikt oder der Aufenthalt im Sanatorium durften dabei nicht fehlen. Schon die zweite Lesung handelte von einem obdachlosen Ausreißer namens Schluckebier, dessen Vater zu Gewaltausbrüchen neigte, was das spätere Verhältnis des Buben zu jedweder Autorität empfindlich belasten sollte - vor allem, wenn sie in der Gestalt von Ordnungshütern auftrat. "Schluckebier" ist das literarische Debüt von Georg Glaser, ein wiederentdeckter Roman aus dem Jahr 1932, der jetzt im Stroemfeld-Verlag erscheint.
Unter den Schlägen des autoritären Vaters leidet ebenso eine andere Romanfigur, die den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Dreckskerl" trägt. Das gleichnamige Buch des polnischen Autors Wojciech Kuczok handelt von einem Jungen, der ob der häuslichen Tyrannei ständig kränkelt, weshalb ihn seine Eltern zur Entschwächlichung ins Sanatorium schicken. In "Sanfte Illusionen" von Carsten Otto ist gleich die ganze Stadt ein Sanatorium: der Kurort Baden-Baden als Rückzugsgebiet für betagte Weltflüchtige. Thomas Mann lässt grüßen.
Vorgetragen wurde im eigens etablierten Lese-Café und im Chagallsaal, doch wer mochte, konnte dank der aufgestellten Lautsprecher auch bequem auf den Sofas in der Diele lümmeln und zuhören oder schmökern. Die Lesefreude schienen alle Besucher zu teilen, das äußere Erscheinungsbild variierte von herausgeputzt (häufig) bis heruntergekommen (selten). Abweichendes Verhalten aber blieb am langen Tag der Bücher erfreulicherweise aus.
ERIK ZYBER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der "lange Tag der Bücher"
Was haben Dichter und Manager gemeinsam? Beide ticken nicht richtig. Ob es tatsächlich eine Symbiose von Genie und Wahnsinn gibt, ist zwar nach wie vor umstritten. Doch bleibt diese Kategorie nun nicht mehr exzentrischen Künstlern vorbehalten: Auch Topmanager leiden gelegentlich unter Schöpfungsdrang, Hypomanie und Selbstüberschätzung, so die jüngsten Erkenntnisse der Wissenschaft. Welcher Ort wäre also für den "langen Tag der Bücher" geeigneter als das Schauspiel Frankfurt, eine Oase der Musen, eingeschlossen von den Wolkenkratzern der Hochfinanz?
Das Thema der diesjährigen Veranstaltung lautete "Idioten?", wozu eben, nach obiger Definition, auch Dichter und Manager gehören. Zumindest für Werner Söllner vom Hessischen Literaturforum, der die erste Lesung zu Ernst Herbeck moderierte. Der verstorbene Autor litt an Schizophrenie, das Verfassen von Gedichten empfahl ihm sein Psychiater als Therapie. In den Kanon der klassischen Literatur hat es seine Lyrik zwar nicht geschafft. Dafür erscheint sie aber in der "Edition Büchergilde", die sich mit der Reihe "Die tollen Hefte" der Buchillustration verschrieben hat.
Abwertend war die Bezeichnung "Idioten" also nicht gemeint, zumal Söllner den Autor ob seiner mentalen Verfassung in die Nähe musischer Grenzgänger wie Hölderlin, Mozart und Schumann rückte: Geistige Verwirrung als Selektionsvorteil für künstlerisch Begabte, die an der Gesellschaft leiden. Oder eben für rücksichtslose Firmenbosse, an denen die Gesellschaft krankt.
Zwölf Verlage, zwölf Lesungen, von morgens bis tief in die Nacht: Das Programm reichte vom Krimi und Wissenschaftsroman bis zum Kinderbuch. Bekannte Topoi wie der Vater-Sohn-Konflikt oder der Aufenthalt im Sanatorium durften dabei nicht fehlen. Schon die zweite Lesung handelte von einem obdachlosen Ausreißer namens Schluckebier, dessen Vater zu Gewaltausbrüchen neigte, was das spätere Verhältnis des Buben zu jedweder Autorität empfindlich belasten sollte - vor allem, wenn sie in der Gestalt von Ordnungshütern auftrat. "Schluckebier" ist das literarische Debüt von Georg Glaser, ein wiederentdeckter Roman aus dem Jahr 1932, der jetzt im Stroemfeld-Verlag erscheint.
Unter den Schlägen des autoritären Vaters leidet ebenso eine andere Romanfigur, die den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Dreckskerl" trägt. Das gleichnamige Buch des polnischen Autors Wojciech Kuczok handelt von einem Jungen, der ob der häuslichen Tyrannei ständig kränkelt, weshalb ihn seine Eltern zur Entschwächlichung ins Sanatorium schicken. In "Sanfte Illusionen" von Carsten Otto ist gleich die ganze Stadt ein Sanatorium: der Kurort Baden-Baden als Rückzugsgebiet für betagte Weltflüchtige. Thomas Mann lässt grüßen.
Vorgetragen wurde im eigens etablierten Lese-Café und im Chagallsaal, doch wer mochte, konnte dank der aufgestellten Lautsprecher auch bequem auf den Sofas in der Diele lümmeln und zuhören oder schmökern. Die Lesefreude schienen alle Besucher zu teilen, das äußere Erscheinungsbild variierte von herausgeputzt (häufig) bis heruntergekommen (selten). Abweichendes Verhalten aber blieb am langen Tag der Bücher erfreulicherweise aus.
ERIK ZYBER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Thomas Meissner heißt diesen Auftaktband zur Glaser-Werkausgabe willkommen. In den versammelten frühen Arbeiten Georg K. Glasers findet er wichtige Leitmotive des Autors, wie die Konfrontation mit autoritären Machtstrukturen, bereits vor. Glasers hier enthaltenen ersten Roman schätzt Meissner weniger seiner ästhetischen Qualitäten als seiner "erfahrungsgesättigten" Authentizität und Radikalität wegen. In dem illusionslos beschriebenen, biografisch gefärbten Weg des jungen Schluckebier in der jungen Weimarer Republik erkennt Meissner ein "weniger glattes" Zeitdokument als bei den großen Romanciers der Epoche. Glasers Stärke liegt für den Rezensenten allerdings mehr im Skizzenhaften seiner kurzen Texte. Darüber hinaus beschenkt der Band ihn mit einem "materialreichen" Nachwort.
© Perlentaucher Medien GmbH
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