Mit dem fröhlichen »Egészségdre Palinka« der Tante fing es an, mit dem Schnüffeln am Rumtopf ging es weiter. Dann folgten Eierlikör, die selbstgebraute »Schwarze Johanna«', fröhliche Trinkrunden mit Freunden, Mut proben, die Unsicherheiten der Adoleszenz, Bier, Wein, ein wildes Leben für die Kunst, Frauen, Feiern, Probleme, Abstürze. Der Schmerz des von den Eltern verstoßenen Helden und der Versuch, ihn zu vergessen, führen in die Abgründe des Exzesses. Doch wie der Autor selbst, schafft es auch seine Romanfigur, sich auf geradezu mirakulöse Weise am eigenen Schopf aus dem Sumpf des Alkohols zu ziehen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gut, dass es am Ende den Arzt gibt, findet Wiebke Porombka. Sie hat Peter Wawerzineks nah am Leben erzählten Roman halb schwindelig und belustigt über die Abstürze des Ich-Erzählers und seine Sprachkapriolen (aus "Rumtopfmädel" wird "Brummkopfschädel") gelesen, halb betrübt angesichts der geschilderten Selbstzerstörung und des traurig-ironischen Duktus des Textes. Was die Rezensentin in jedem Fall zu schätzen weiß: Dass der Autor einmal mehr seine eigene Biografie (diesmal: als Alkoholiker) in Literatur verwandelt hat, poetisch und schillernd.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2014Darauf eine Flasche Friseur!
Peter Wawerzinek erzählt in "Schluckspecht" die abgründige Biographie eines traurigen Trinkers
Die künstlichen Paradiese sind von jeher nicht nur Gegenstand zahlloser Texte, sondern gleichermaßen auch alltägliche Obsession unzähliger Autoren gewesen. Und wenn auf der einen Seite immer wieder, allen voran in der literarischen Romantik, die transzendentalen Qualitäten des Rausches beschworen worden sind, dann fehlt es auf der anderen Seite doch auch nicht an Zeugnissen der lebensweltlichen Miseren, die auf den übermäßigen Konsum allen voran des Alkohols folgen. Die Tradition der Rauschverarbeitung reicht vom philosophisch-ästhetischen Essay über das subversive Poem - man denke etwa an Jerofejews "Reise nach Petuschki" - bis zur biographisch grundierten Erzählung im Stile Falladas.
Scheint bei allen Variationen eine gewisse Grunderfahrung des Autors unabdingbar, dann hat Peter Wawerzinek mit "Schluckspecht" zweifelsohne einen besonders dicht an der Wirklichkeit entlang erzählten Roman geschrieben. Wie schon in "Rabenliebe" aus dem Jahr 2010 rückt der 1954 in Rostock geborene Wawerzinek auch in seinem neuen Roman offensiv das eigene Leben in den Mittelpunkt seiner Literatur. Oder mehr noch: Er verwandelt seine Biographie als Alkoholiker in Literatur. Abweichungen in der Engführung mag nur derjenige entdecken, der die prosaischen Details dieser Biographie kennt.
"Schluckspecht" beginnt schillernd und endet poetisch. Was dazwischen liegt, ist eine in ihrem Elend kaum zu ertragende Folge von Abstürzen, der Weg eines jungen Mannes in eine Sucht, die ebenso sinnlos erscheint, wie ihr einziger Sinn doch immer wieder allzu deutlich zutage tritt: die Selbstzerstörung. Die Mutterlosigkeit ist das furchtbare Trauma von Peter Wawerzinek, der als Zweijähriger, verwahrlost, von seiner Mutter, die sich in den Westen absetzte, zurückgelassen wurde. Er wuchs in verschiedenen Heimen und bei Pflegeeltern auf.
Die Geschichte, die er in "Schluckspecht" erzählt, ist leicht verschoben, aber doch eine ähnliche. Die Mutter des Ich-Erzählers ist Schauspielerin, die keinen Kopf und kein Herz für ihren Sohn hat, deshalb lebt er bei Tante und Onkel. Wollte man im traurig-ironischen Duktus des Romans bleiben, müsste man sagen: Zunächst einmal ist der Erzähler eher ein Spuckspecht als ein Schluckspecht, ein Kind, das alle Nahrung wieder erbricht, voller Wut ausspeit, sich mit all seiner kindlichen Kraft dagegen sträubt, ein lebensfähiges Wesen zu werden. Natürlich aber wird der Junge zu einem Schluckspecht, der indes vollends anders aussieht, als er sich in der Vorstellung des Jungen verankert hat: "Er trägt einen roten Hut. Er hat einen langen Hals aus Glas, eine Kugel zum hinteren Ende hin ist der Bauch. Er senkt sich zu einem Becher vor sich, nippt von der Flüssigkeit."
Im grellen Kontrast zu diesem possierlichen Bildchen steht das Antlitz der Sucht, das Wawerzinek schildert. Das Zum-Trinker-Werden ist bei ihm von Beginn an ein Kampf. Ein Kampf gegen die Freunde, die weitaus mehr vertragen als der Erzähler selbst. Ein Kampf gegen die Übelkeit, ein Kampf gegen den Kater. Und es ist ein Ertragen der eigenen emotionalen und körperlichen Ausbrüche und Ausfälle, der Anfälle von Bösartigkeit, die mit dem Trinken verbunden sind. Rausch scheint für diese Zustände eine zu euphorische Bezeichnung.
Nur hin und wieder blitzen einige wenige Momente auf, aus denen sich immerhin die Idee einer kreativen Kraft des Alkohols herauslesen ließe. Wenn Wawerzinek etwa beschreibt, wie sich die Sprache nach und nach verselbständigt: "Wenn ich betrunken bin, kann es passieren, dass ich ,Leier' statt ,Eier' und ,Friseur' statt ,Likör', ,Falsche' statt ,Flasche' und ,gestunken' statt ,getrunken' sage. Aus ,Rumtopfmädel' wird ,Brummkopfschädel'. Und immer wieder kommen so lustige Sätze zustande wie: Au Backe, da muss ich eine flatsche Leierfalsche Liköll gestrunken haben."
Dass sich auch im Erzählen etwas verselbständigt, ist die markanteste Erfahrung der Lektüre dieses Romans, der den Leser schon nach wenigen Seiten einigermaßen schwindlig werden lässt, wenn - ähnlich dem Zustand in einer Kneipennacht - die Episoden mal übergangslos nebeneinanderstehen, mal in einem leicht variierten Loop immer wieder von vorne beginnen. Es bedarf daher, für den Roman als auch für das Überleben des Erzählers, einer Art lebensweltlichen Deus ex Machina, der dem Geschehen ein Ende bereitet: ein bestechend unkonventioneller Arzt, der den Erzähler immerhin so weit therapiert, dass er nicht nur überlebt, sondern mit dem Schreiben beginnen kann.
WIEBKE POROMBKA
Peter Wawerzinek:
"Schluckspecht". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2014. 464 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Wawerzinek erzählt in "Schluckspecht" die abgründige Biographie eines traurigen Trinkers
Die künstlichen Paradiese sind von jeher nicht nur Gegenstand zahlloser Texte, sondern gleichermaßen auch alltägliche Obsession unzähliger Autoren gewesen. Und wenn auf der einen Seite immer wieder, allen voran in der literarischen Romantik, die transzendentalen Qualitäten des Rausches beschworen worden sind, dann fehlt es auf der anderen Seite doch auch nicht an Zeugnissen der lebensweltlichen Miseren, die auf den übermäßigen Konsum allen voran des Alkohols folgen. Die Tradition der Rauschverarbeitung reicht vom philosophisch-ästhetischen Essay über das subversive Poem - man denke etwa an Jerofejews "Reise nach Petuschki" - bis zur biographisch grundierten Erzählung im Stile Falladas.
Scheint bei allen Variationen eine gewisse Grunderfahrung des Autors unabdingbar, dann hat Peter Wawerzinek mit "Schluckspecht" zweifelsohne einen besonders dicht an der Wirklichkeit entlang erzählten Roman geschrieben. Wie schon in "Rabenliebe" aus dem Jahr 2010 rückt der 1954 in Rostock geborene Wawerzinek auch in seinem neuen Roman offensiv das eigene Leben in den Mittelpunkt seiner Literatur. Oder mehr noch: Er verwandelt seine Biographie als Alkoholiker in Literatur. Abweichungen in der Engführung mag nur derjenige entdecken, der die prosaischen Details dieser Biographie kennt.
"Schluckspecht" beginnt schillernd und endet poetisch. Was dazwischen liegt, ist eine in ihrem Elend kaum zu ertragende Folge von Abstürzen, der Weg eines jungen Mannes in eine Sucht, die ebenso sinnlos erscheint, wie ihr einziger Sinn doch immer wieder allzu deutlich zutage tritt: die Selbstzerstörung. Die Mutterlosigkeit ist das furchtbare Trauma von Peter Wawerzinek, der als Zweijähriger, verwahrlost, von seiner Mutter, die sich in den Westen absetzte, zurückgelassen wurde. Er wuchs in verschiedenen Heimen und bei Pflegeeltern auf.
Die Geschichte, die er in "Schluckspecht" erzählt, ist leicht verschoben, aber doch eine ähnliche. Die Mutter des Ich-Erzählers ist Schauspielerin, die keinen Kopf und kein Herz für ihren Sohn hat, deshalb lebt er bei Tante und Onkel. Wollte man im traurig-ironischen Duktus des Romans bleiben, müsste man sagen: Zunächst einmal ist der Erzähler eher ein Spuckspecht als ein Schluckspecht, ein Kind, das alle Nahrung wieder erbricht, voller Wut ausspeit, sich mit all seiner kindlichen Kraft dagegen sträubt, ein lebensfähiges Wesen zu werden. Natürlich aber wird der Junge zu einem Schluckspecht, der indes vollends anders aussieht, als er sich in der Vorstellung des Jungen verankert hat: "Er trägt einen roten Hut. Er hat einen langen Hals aus Glas, eine Kugel zum hinteren Ende hin ist der Bauch. Er senkt sich zu einem Becher vor sich, nippt von der Flüssigkeit."
Im grellen Kontrast zu diesem possierlichen Bildchen steht das Antlitz der Sucht, das Wawerzinek schildert. Das Zum-Trinker-Werden ist bei ihm von Beginn an ein Kampf. Ein Kampf gegen die Freunde, die weitaus mehr vertragen als der Erzähler selbst. Ein Kampf gegen die Übelkeit, ein Kampf gegen den Kater. Und es ist ein Ertragen der eigenen emotionalen und körperlichen Ausbrüche und Ausfälle, der Anfälle von Bösartigkeit, die mit dem Trinken verbunden sind. Rausch scheint für diese Zustände eine zu euphorische Bezeichnung.
Nur hin und wieder blitzen einige wenige Momente auf, aus denen sich immerhin die Idee einer kreativen Kraft des Alkohols herauslesen ließe. Wenn Wawerzinek etwa beschreibt, wie sich die Sprache nach und nach verselbständigt: "Wenn ich betrunken bin, kann es passieren, dass ich ,Leier' statt ,Eier' und ,Friseur' statt ,Likör', ,Falsche' statt ,Flasche' und ,gestunken' statt ,getrunken' sage. Aus ,Rumtopfmädel' wird ,Brummkopfschädel'. Und immer wieder kommen so lustige Sätze zustande wie: Au Backe, da muss ich eine flatsche Leierfalsche Liköll gestrunken haben."
Dass sich auch im Erzählen etwas verselbständigt, ist die markanteste Erfahrung der Lektüre dieses Romans, der den Leser schon nach wenigen Seiten einigermaßen schwindlig werden lässt, wenn - ähnlich dem Zustand in einer Kneipennacht - die Episoden mal übergangslos nebeneinanderstehen, mal in einem leicht variierten Loop immer wieder von vorne beginnen. Es bedarf daher, für den Roman als auch für das Überleben des Erzählers, einer Art lebensweltlichen Deus ex Machina, der dem Geschehen ein Ende bereitet: ein bestechend unkonventioneller Arzt, der den Erzähler immerhin so weit therapiert, dass er nicht nur überlebt, sondern mit dem Schreiben beginnen kann.
WIEBKE POROMBKA
Peter Wawerzinek:
"Schluckspecht". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2014. 464 S., geb., 19,99 [Euro].
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