Im Titel klingt Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" an: Ein außerordentliches Ereignis verändert das Leben eines Arztes. Er opfert seinen Urlaub in einem mondänen österreichischen Badeort, um die Persönlichkeitsspaltung der Johanna Maria Palm zu untersuchen, deren Mann unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen ist. Nach eigenem Verständnis führender Spezialist auf dem Gebiet sexueller Aberrationen, gerät der Arzt bald in den Bann von Johannas erotischer Ausstrahlung. Die rätselhafte, doch souveräne und überlegene Frau verunsichert den eitlen Narzissten so, dass er seinen medizinischen Ehrenkodex vergisst. Wird sie zu seiner Marionette oder er zu ihrer? Ist sie tiefer in das Ableben ihres Mannes verstrickt, als die Staatsanwaltschaft ahnt? Alles eskaliert und mündet in eine Tragödie ...
"Ein Buch, nach dem man sich fühlt wie nach einer langen Nacht des Fremdgehens: verschwitzt, schuldig, erregt, delirös, betrunken, hungrig, erschöpft. Gratuliere zu dem bösen, wunden, verzaubernden Buch. Helmut Kraussers 'Schmerznovelle' ist das beste Krimipornomelodram aller Zeiten." (Tom Tykwer)
"Ein Buch, nach dem man sich fühlt wie nach einer langen Nacht des Fremdgehens: verschwitzt, schuldig, erregt, delirös, betrunken, hungrig, erschöpft. Gratuliere zu dem bösen, wunden, verzaubernden Buch. Helmut Kraussers 'Schmerznovelle' ist das beste Krimipornomelodram aller Zeiten." (Tom Tykwer)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001Die Kriminalpolizei rät: Vorsicht vor dem Doktor!
Helmut Krausser sucht den Schmerz / Von Friedmar Apel
Helmut Krausser ist ein Spieler und Artist mit höchstem Anspruch und kann sich nicht entscheiden, ob er sich als Verrückten oder als Heiligen betrachten soll. Als Erbe einer elitären europäischen Kulturtradition leidet er unter einem ausgeprägtem Selbstbewußtsein, das sich in der Auseinandersetzung mit den hergebrachten Formen aufzehren will. Solche Ambition muß einer auch mitbringen, wenn er als Ich-Erzähler einer Novelle einen anerkannten Spezialisten für sexuelle Abweichungen auftreten läßt. Schon seit Boccaccio hat zwar die Novelle als Erzählung des Unerhörten eine Affinität zu Eros, Kot und Blut und zum Einbruch des Transzendenten in die gewöhnliche Wirklichkeit, der Erzähler hält sich jedoch traditionell in der sicheren Distanz des Berichts.
Ein Fachmann auf dem Gebiete des alternativen Eros also ist Kraussers Ich-Erzähler, aber es wird schnell deutlich, daß er die Praxis nicht allein den Patienten überlassen möchte. In die "schwitzende Behäbigkeit" einer Urlaubs- und Ruhestandsidylle am Tegernsee oder sonstwo im Alpenland, deren Aufregungszentrum lediglich ein Spielcasino bildet, gerät er allerdings auf dem Pfad eines in Psychiaterkreisen eher üblichen Begehrens nach des Nächsten Weib. Das aber verfehlt sein Objekt und führt ihn, schulterklopfend unterstützt von seinem Doktorvater, nur um so zielstrebiger auf einen interessanteren Gegenstand seiner Heil- und Deutungskunst, auf ein Phänomen "jenseits alles jemals Gesehenen". Also auch zum Kern einer Novelle. Dabei handelt es sich um Johanna Palm und ihren zumeist abwesenden Ehemann, einen Künstler satanischer Natur. Johanna ist eine Kontamination von Männerphantasien in der Tradition der schwarzen Romantik: bald Domina, bald Kindfrau, noch schön und fest im Fleisch, aber doch schon gezeichnet von Vergängnis, scheu und frech, naiv und gescheit jenseits gewöhnlicher Vernunft. An dem Objekt seines Interesses nimmt der Psychiater jedoch zunächst nur "jene grauenvolle, unendliche Einsamkeit" wahr, die er von seinen Patienten kennt. Das wird ihn zur Erfahrung der unerhörten Eigenschaft Johannas führen, die hier aber nicht verraten werden kann.
Der Erzähler seinerseits leidet, wie sich bald herausstellt, als Enddreißiger unter einer Midlife-Crisis, obwohl dieser vulgärpsychologische Begriff amerikanischer Provenienz ähnlich unter der Würde eines europäischen Psychiaters ist wie die auch von Helmut Krausser verachtete erzählerische Dutzendware aus Übersee. Mit seiner plötzlich erwachenden Empfänglichkeit für "die Erotik vierzigjähriger Frauen" vermeint der Doktor lediglich einer Spielerlaune zu folgen, sie wird ihn jedoch in gefährliche Leidenschaften treiben, die sein fachliches Interesse immer lächerlicher erscheinen läßt. Ob er seinen Beruf noch ernst nehme, wird er von der Kriminalpolizei gefragt werden. "Nein. Nicht mehr." Das ist eine Lakonie im nachhinein. In der Gegenwart der Erzählung gilt für das Objekt seiner Begierde und den Erzähler das gleiche: "Unter einer Persönlichkeitsspaltung Leidende symptomatisieren sich häufig durch verschrobene Wortwahl, allerdings wird in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle gehobenes Vokabular durch Vulgäres ersetzt, nicht umgekehrt."
In der Deutung schwieriger Ausdrucksformen geschult, ist Kraussers Sexualfachmann auch in Fragen der Kunsttheorie so zuständig wie sein Autor: "Kunst jedoch entsteht aus so vielen, chronologisch oft weit auseinanderliegenden Ursprungsfaktoren, samt deren immanenten Negierungen, Bearbeitungen, Synekdochen und Ironisierungen, daß aus ihr nichts Privates abzulesen ist. Basta, Punktum." Kunst zu offenbaren und den Künstler zu verbergen war schon für Oscar Wilde das Ziel aller Kunst. Der Anblick einer Person aber alles. So scheint auch für Kraussers Held die Essenz zuletzt nicht im Besitz des begehrten Objekts zu bestehen, sondern in der immer feineren Wahrnehmung von Nuancen: "Und ich liebte ihre Nase, die Kanten und Winkel bekam, liebte die Schattenhöfe neben den Nasenflügeln, die übergangslos ins Schwarz ihrer engen Nasenlöcher mündeten, während von der Stirn bis zur Nasenspitze ein schmaler Lichtstreif auf der Lauer lag, wie eine Sonne, die sich hinter den Hügeln duckt und noch zögert." Johannas Ehemann aber zeigt in seinen Zeichnungen "Körper und Wunde als etwas selbstverständlich Zusammengehörendes". Der Schmerz und sein anderes ist auch das Motiv des Wahrnehmungsbegehrens. Die "tief ins Innere" des Erzählers hineinleuchtenden Fragen "Wer bist du? Und warum bist du so?" werden vor allem in der Beschreibung von Anblicken beantwortet, die, von Schmerz oder Lust oder beidem getränkt, in einem traditionellen Motivkomplex des neunzehnten Jahrhunderts erscheinen: perverse Liebe und Todessehnsucht, lustvolle Grausamkeit und Unzucht auf dem Friedhof, eine Femme fatale, ein amoralischer Klugmensch und gespenstische Vorgänge, die Schulweisheit träumen läßt.
Den Umschwung in der Darstellung der unerhörten Begebenheit bereitet Krausser in dieser Tradition als Psychologisierung und Perspektivierung des Wunderbaren detailliert und kunstfertig vor. Ganz analog zur Lust, die Johanna dem Erzähler bereitet: "Bald stemmte sie sich so hoch, daß gerade eben noch meine Schwanzspitze ihre Möse berührte, gerade so, daß mein Schwanz nicht herausglitt, dann räkelte sie sich ein wenig hin und her, sehr kunstvoll. Ihre Fut spielte mit mir . . ." Diese wie die anderen erotischen Beschreibungen wollen einem freilich recht gewöhnlich vorkommen, aber so ist es eben: Die Sexualität ist eine diesseitige Angelegenheit, Transgression findet vor allem im Kopf statt. Merkwürdig ist allenfalls die Kunde, daß vierzigjährige Psychiater unter vorzeitiger Samenergießung leiden oder sich selbiger erfreuen.
Jedenfalls erregen diese Stellen den Leser nicht dermaßen, daß er den Vorausdeutungen der Geschichte nicht mehr folgen könnte. Wie bei Poe oder Conan Doyle wird er an der Aufklärungsarbeit und Hypothesenbildung beteiligt. Dabei stören allerdings gelegentlich Blindmotive und geheimnistuerische Mätzchen, so die verschwörerische Erwähnung des Namens Kaltenbrunner, was die Geschichte offenbar dunkel mit den Schrecken des vergangenen Jahrhunderts verbinden soll. Jedenfalls ahnt der Leser, was kommen wird, aber wie es dann kommt, ist doch überraschend, und zwar auch in seiner blutigen Trivialität.
Zum Schluß erweist sich die Frage nach dem Schmerz als die nach dem Leben in seiner Erbarmungslosigkeit, Lächerlichkeit und Schönheit. So endet alles mit Entsagung und Abschied von aller Tiefe des Begehrens, Auflösung im Spiegel des Sichtbaren: "Platanen verloren erstes Laub. Straßenlampen flackerten auf. Vor dem Casino versprach die Leuchtschrift einen gewaltigen Jackpot. Über den spiegelglatten See flog, scheinbar orientierungslos, ein Starenschwarm mehrmals hin und her, bevor er in Richtung Süden verschwand."
Kraussers Erzählung schmerzt auch den Leser und unterhält ihn dabei auf eine zwiespältige Weise. Die Lektüre erregt mehr oder minder amüsierten Widerwillen gegen die Mixtur aus erotischem Kitsch und pubertärer Vulgarität, Weinerlichkeit und Überheblichkeit und ihren sprachlichen Ausdruck im Amalgam von verschrobenem Bildungsjargon, stereotypen Zynismen und Versatzstücken der romantischen Tradition. Andererseits wirkt das Ganze so absichtsvoll provozierend und zugleich handwerklich geschickt, daß man den Autor für die stimmige Entfaltung schlechten Geschmacks und die peinliche Darstellung unreifer Männlichkeit zu bewundern geneigt ist.
Die immanente Ästhetik der Erzählung verbietet es dem Leser, das solchermaßen niedergelegte verquere Bewußtsein auf den Autor zurückzuführen: "Kunst ist aber Kunst. Sonst nichts." Widersetzt man sich diesem Verbot, so erscheint Kraussers "Schmerznovelle" um so mehr als ein Kunststück sehr eigener Art.
Helmut Krausser: "Schmerznovelle". Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001. 143 S., geb., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Helmut Krausser sucht den Schmerz / Von Friedmar Apel
Helmut Krausser ist ein Spieler und Artist mit höchstem Anspruch und kann sich nicht entscheiden, ob er sich als Verrückten oder als Heiligen betrachten soll. Als Erbe einer elitären europäischen Kulturtradition leidet er unter einem ausgeprägtem Selbstbewußtsein, das sich in der Auseinandersetzung mit den hergebrachten Formen aufzehren will. Solche Ambition muß einer auch mitbringen, wenn er als Ich-Erzähler einer Novelle einen anerkannten Spezialisten für sexuelle Abweichungen auftreten läßt. Schon seit Boccaccio hat zwar die Novelle als Erzählung des Unerhörten eine Affinität zu Eros, Kot und Blut und zum Einbruch des Transzendenten in die gewöhnliche Wirklichkeit, der Erzähler hält sich jedoch traditionell in der sicheren Distanz des Berichts.
Ein Fachmann auf dem Gebiete des alternativen Eros also ist Kraussers Ich-Erzähler, aber es wird schnell deutlich, daß er die Praxis nicht allein den Patienten überlassen möchte. In die "schwitzende Behäbigkeit" einer Urlaubs- und Ruhestandsidylle am Tegernsee oder sonstwo im Alpenland, deren Aufregungszentrum lediglich ein Spielcasino bildet, gerät er allerdings auf dem Pfad eines in Psychiaterkreisen eher üblichen Begehrens nach des Nächsten Weib. Das aber verfehlt sein Objekt und führt ihn, schulterklopfend unterstützt von seinem Doktorvater, nur um so zielstrebiger auf einen interessanteren Gegenstand seiner Heil- und Deutungskunst, auf ein Phänomen "jenseits alles jemals Gesehenen". Also auch zum Kern einer Novelle. Dabei handelt es sich um Johanna Palm und ihren zumeist abwesenden Ehemann, einen Künstler satanischer Natur. Johanna ist eine Kontamination von Männerphantasien in der Tradition der schwarzen Romantik: bald Domina, bald Kindfrau, noch schön und fest im Fleisch, aber doch schon gezeichnet von Vergängnis, scheu und frech, naiv und gescheit jenseits gewöhnlicher Vernunft. An dem Objekt seines Interesses nimmt der Psychiater jedoch zunächst nur "jene grauenvolle, unendliche Einsamkeit" wahr, die er von seinen Patienten kennt. Das wird ihn zur Erfahrung der unerhörten Eigenschaft Johannas führen, die hier aber nicht verraten werden kann.
Der Erzähler seinerseits leidet, wie sich bald herausstellt, als Enddreißiger unter einer Midlife-Crisis, obwohl dieser vulgärpsychologische Begriff amerikanischer Provenienz ähnlich unter der Würde eines europäischen Psychiaters ist wie die auch von Helmut Krausser verachtete erzählerische Dutzendware aus Übersee. Mit seiner plötzlich erwachenden Empfänglichkeit für "die Erotik vierzigjähriger Frauen" vermeint der Doktor lediglich einer Spielerlaune zu folgen, sie wird ihn jedoch in gefährliche Leidenschaften treiben, die sein fachliches Interesse immer lächerlicher erscheinen läßt. Ob er seinen Beruf noch ernst nehme, wird er von der Kriminalpolizei gefragt werden. "Nein. Nicht mehr." Das ist eine Lakonie im nachhinein. In der Gegenwart der Erzählung gilt für das Objekt seiner Begierde und den Erzähler das gleiche: "Unter einer Persönlichkeitsspaltung Leidende symptomatisieren sich häufig durch verschrobene Wortwahl, allerdings wird in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle gehobenes Vokabular durch Vulgäres ersetzt, nicht umgekehrt."
In der Deutung schwieriger Ausdrucksformen geschult, ist Kraussers Sexualfachmann auch in Fragen der Kunsttheorie so zuständig wie sein Autor: "Kunst jedoch entsteht aus so vielen, chronologisch oft weit auseinanderliegenden Ursprungsfaktoren, samt deren immanenten Negierungen, Bearbeitungen, Synekdochen und Ironisierungen, daß aus ihr nichts Privates abzulesen ist. Basta, Punktum." Kunst zu offenbaren und den Künstler zu verbergen war schon für Oscar Wilde das Ziel aller Kunst. Der Anblick einer Person aber alles. So scheint auch für Kraussers Held die Essenz zuletzt nicht im Besitz des begehrten Objekts zu bestehen, sondern in der immer feineren Wahrnehmung von Nuancen: "Und ich liebte ihre Nase, die Kanten und Winkel bekam, liebte die Schattenhöfe neben den Nasenflügeln, die übergangslos ins Schwarz ihrer engen Nasenlöcher mündeten, während von der Stirn bis zur Nasenspitze ein schmaler Lichtstreif auf der Lauer lag, wie eine Sonne, die sich hinter den Hügeln duckt und noch zögert." Johannas Ehemann aber zeigt in seinen Zeichnungen "Körper und Wunde als etwas selbstverständlich Zusammengehörendes". Der Schmerz und sein anderes ist auch das Motiv des Wahrnehmungsbegehrens. Die "tief ins Innere" des Erzählers hineinleuchtenden Fragen "Wer bist du? Und warum bist du so?" werden vor allem in der Beschreibung von Anblicken beantwortet, die, von Schmerz oder Lust oder beidem getränkt, in einem traditionellen Motivkomplex des neunzehnten Jahrhunderts erscheinen: perverse Liebe und Todessehnsucht, lustvolle Grausamkeit und Unzucht auf dem Friedhof, eine Femme fatale, ein amoralischer Klugmensch und gespenstische Vorgänge, die Schulweisheit träumen läßt.
Den Umschwung in der Darstellung der unerhörten Begebenheit bereitet Krausser in dieser Tradition als Psychologisierung und Perspektivierung des Wunderbaren detailliert und kunstfertig vor. Ganz analog zur Lust, die Johanna dem Erzähler bereitet: "Bald stemmte sie sich so hoch, daß gerade eben noch meine Schwanzspitze ihre Möse berührte, gerade so, daß mein Schwanz nicht herausglitt, dann räkelte sie sich ein wenig hin und her, sehr kunstvoll. Ihre Fut spielte mit mir . . ." Diese wie die anderen erotischen Beschreibungen wollen einem freilich recht gewöhnlich vorkommen, aber so ist es eben: Die Sexualität ist eine diesseitige Angelegenheit, Transgression findet vor allem im Kopf statt. Merkwürdig ist allenfalls die Kunde, daß vierzigjährige Psychiater unter vorzeitiger Samenergießung leiden oder sich selbiger erfreuen.
Jedenfalls erregen diese Stellen den Leser nicht dermaßen, daß er den Vorausdeutungen der Geschichte nicht mehr folgen könnte. Wie bei Poe oder Conan Doyle wird er an der Aufklärungsarbeit und Hypothesenbildung beteiligt. Dabei stören allerdings gelegentlich Blindmotive und geheimnistuerische Mätzchen, so die verschwörerische Erwähnung des Namens Kaltenbrunner, was die Geschichte offenbar dunkel mit den Schrecken des vergangenen Jahrhunderts verbinden soll. Jedenfalls ahnt der Leser, was kommen wird, aber wie es dann kommt, ist doch überraschend, und zwar auch in seiner blutigen Trivialität.
Zum Schluß erweist sich die Frage nach dem Schmerz als die nach dem Leben in seiner Erbarmungslosigkeit, Lächerlichkeit und Schönheit. So endet alles mit Entsagung und Abschied von aller Tiefe des Begehrens, Auflösung im Spiegel des Sichtbaren: "Platanen verloren erstes Laub. Straßenlampen flackerten auf. Vor dem Casino versprach die Leuchtschrift einen gewaltigen Jackpot. Über den spiegelglatten See flog, scheinbar orientierungslos, ein Starenschwarm mehrmals hin und her, bevor er in Richtung Süden verschwand."
Kraussers Erzählung schmerzt auch den Leser und unterhält ihn dabei auf eine zwiespältige Weise. Die Lektüre erregt mehr oder minder amüsierten Widerwillen gegen die Mixtur aus erotischem Kitsch und pubertärer Vulgarität, Weinerlichkeit und Überheblichkeit und ihren sprachlichen Ausdruck im Amalgam von verschrobenem Bildungsjargon, stereotypen Zynismen und Versatzstücken der romantischen Tradition. Andererseits wirkt das Ganze so absichtsvoll provozierend und zugleich handwerklich geschickt, daß man den Autor für die stimmige Entfaltung schlechten Geschmacks und die peinliche Darstellung unreifer Männlichkeit zu bewundern geneigt ist.
Die immanente Ästhetik der Erzählung verbietet es dem Leser, das solchermaßen niedergelegte verquere Bewußtsein auf den Autor zurückzuführen: "Kunst ist aber Kunst. Sonst nichts." Widersetzt man sich diesem Verbot, so erscheint Kraussers "Schmerznovelle" um so mehr als ein Kunststück sehr eigener Art.
Helmut Krausser: "Schmerznovelle". Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001. 143 S., geb., 29,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "Kunststück sehr eigener Art" beurteilt Rezensent Friedmar Apel diese Erzählung. Allerdings scheint der Weg zu diesem Urteil mitunter qualvoll gewesen zu sein. Da liest man von einem Protagonisten, der als Psychiater die "Gebiete des alternativen Eros" (was wohl der Volksmund Perversionen nennt) nicht alleine seinen Patienten zu überlassen will. Der dabei einer gewissen Johanna begegnet, die dem Rezensenten als Ausbund von Männerfantasien erscheint. Außerdem lesen wir von einer bestimmten Talent Johannas, das uns der Rezensent dann aber doch nicht erläutern will. Die "gefährlichen Leidenschaften" treiben Apel trotzdem weiter, lassen ihn verärgert über Marotten des Autors stolpern. Auch Kraussners sprachliche Behandlung der erotischen Phänomene werden vom Rezensenten widersprüchlich aufgenommen. Da stört ihn einerseits der Bildungsjargon. Andererseits haben ihn der schlechte Geschmack und die Darstellung unreifer Männlichkeit aber auch beeindruckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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