Er war 43 Jahre alt, Vater zweier Kinder und ein erfolgreicher Redakteur, als ihn am 8. Dezember 1995 ein Gehirnschlag all seiner bisherigen Lebensmöglichkeiten beraubte. Fünfzehn Monate später beendete er ein Buch, das er allein mit dem Blinzeln seines linken Augenlids - die einzige verbleibende Verständigungsmöglichkeit - diktiert hatte. Es ist ein einzigartiges Dokument, ein Akt der Selbstbehauptung des Geistes angesichts der totalen physischen Niederlage. Die Krankheit hat Bauby zu einem Schriftsteller gemacht, der mit bewundernswertem Humor seine Situation analysiert. Ein erschütterndes Selbstzeugnis, ein einzigartiges Stück Literatur und ein Buch, das Mut macht zum Leben.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997Der Geist in der Glocke
Ein Tag im Leben: Jean-Dominique Baubys Zeugnis seiner Lähmung
Die Genesung des rechten Auges soll einem Marabut in Kamerun obliegen, für die Hörstörungen sind die Mönche einer Bruderschaft in Bordeaux zuständig. Sein Sohn will mit ihm "Galgenmännchen" spielen. Doch trotz dieser weltweit aufgebotenen Hilfsbereitschaft bleibt ihm, dem Totalgelähmten, nur der Galgenhumor. Berichte von Überlebenden auf Abruf kommen periodisch immer wieder auf die Büchertische, mit wechselndem Erfolg. Dieses Buch eines Hirnschlaggeschädigten, der nur noch mit einem Augenlid blinzeln kann, ist aber ein Phänomen. Man nennt dieses vegetative Daliegen bei vollem Bewußtsein auch "locked-in syndrome": das Eingesperrtsein in den eigenen Körper. Die Publikation bietet das erste verfügbare Zeugnis eines solchen Kranken. Daß es zugleich mehr als ein bloßes Zeugnis ist und das existentiell Besondere mit literarischer Sonderbegabung überhöht, macht das Spezielle dieses Werks aus.
Jean-Dominique Bauby war gut vierzig Jahre alt, erfolgreicher Journalist, glücklicher Familienvater und Chefredakteur der Zeitschrift "Elle" in Paris, als ihn im Dezember 1995 ein Hirnschlag völlig lähmte. Nach dem Erwachen aus einmonatigem Koma blieb ihm als einzige Bewegungsfähigkeit ein Zwinkern mit dem linken Augenlid. Mit Hilfe eines Sonderalphabets diktierte er einer Verlagslektorin Buchstabe für Buchstabe, was einem unter der existentiellen Taucherglocke der Vollähmung so alles durch den Geist flattert. Nicht Verzweiflungselegien sind es, nicht Klagen und auch nicht Betrachtungen über die Härte des Schicksals oder metaphysische Überlegungen über den Sinn des Lebens. Bauby war in seinem ersten Leben zu sehr Dandy, als daß er uns im zweiten mit Jenseitsahnungen belangen würde.
Er, der schnelle Autos, schöne Frauen und gutes Essen liebte und dann plötzlich mit der Nahrungssonde im Magen stumm und bewegungslos dalag, hat sein Dandytum bis zum letzten eingelöst. In geraffter Kapitelfolge sind die Aufzeichnungen ein Hin und Her zwischen abschüssig humorvoller Alltagsschilderung im Krankenzimmer, witzigen Reminiszenzen aus dem früheren Leben und Streifzügen in die literarische Phantasie. Mit allen Fasern bleiben die Aufzeichnungen dabei im Leben verhaftet. Das faszinierte Entsetzen, mit dem die Verkümmerung des eigenen Körpers beobachtet und beschrieben wird, ist die Fortsetzung dandyhafter Outfit-Pflege unter neuer Voraussetzung. Beim Blick auf das Porträt der Kaiserin Joséphine, die selbst einst in diesem Krankenhaus an der Ärmelkanalküste weilte, plötzlich in der Vitrinenspiegelung sein eigenes entstelltes Antlitz entdeckend, bricht der Patient röchelnd in jenen Lachanfall aus, "den eine Serie von Katastrophen auslöst, wenn man nach einem letzten Schicksalsschlag beschließt, diesen als Scherz aufzufassen". Jedesmal, wenn er danach in der großen Galerie des Hospitals am Bild der Kaiserin vorbeigeschoben wurde, fand er etwas Schalkhaftes an ihr.
Den lebensdramatischen Momenten, an denen es in diesem Taucherglockendasein nicht fehlt, haftet etwas Groteskes an, das stilistisch noch aufpoliert wird. Die einsame Wehmut nach dem Familienbesuch ist hilflos dem Sonnenstrahl ausgesetzt, der genau auf das Kopfende des Bettes fällt, weil in der Rührung des Abschieds keiner daran dachte, den Vorhang zuzuziehen. Das "Gute Nacht" des Krankenwärters, der mitten im Fußballspiel Bordeaux-München den Fernseher ausschaltet, ohne daß der Daliegende einen Protestlaut von sich geben könnte, ist von ebenso absurder Grausamkeit wie die endlos ertragenen Nachmittagsprogramme, die niemand die Gnade hat abzuschalten. Nur manchmal steigt beim Lesen trotz der stilistischen Aufheiterung etwas von ansteckender Beklemmung auf, etwa in Erwartung der trostlos langen Sonntage, an denen kein Besuch angesagt und das Personal in Mindestbesetzung anwesend ist. Auch die Bücher von Seneca, Zola und Chateaubriand in Reichweite auf dem Fensterbrett sind nutzlos, da niemand zum Vorlesen kommt und statt dessen nur eine Fliege den Gelähmten auf der Nase zum Nervenduell herausfordert.
Das beliebteste Stilmittel von Bauby ist die Verknüpfung von Motiv und Gegenmotiv. Die Spekulation darüber, wie die Ethnologen im Jahr dreitausend wohl einst das Heft mit seinen kuriosen Verständigungsnotaten deuten würden, schlägt unmittelbar in eine typologische Klassifizierung der Besucher um, wo diese, je nach der Art, wie sie auf die Augenlidzeichen reagieren, in Empfindsame, verlegen Wortkarge, schlichte Regelbefolger und impulsive Alleserrater aufgeteilt werden. Durch das längere Kapitel wiederum, das den verhängnisvollen Unfalltag schildert, klingt kontrapunktisch der Beatles-Song "A day in the life". Wenige Tage nach dem Erscheinen des französischen Originals im vergangenen Frühjahr ist der Autor gestorben. Mit seiner eleganten Übersetzung wird Uli Aumüller ihm mehr als gerecht. JOSEPH HANIMANN
Jean-Dominique Bauby: "Schmetterling und Taucherglocke". Aus dem Französischen übersetzt von Uli Aumüller. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1997. 136 S., geb., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Tag im Leben: Jean-Dominique Baubys Zeugnis seiner Lähmung
Die Genesung des rechten Auges soll einem Marabut in Kamerun obliegen, für die Hörstörungen sind die Mönche einer Bruderschaft in Bordeaux zuständig. Sein Sohn will mit ihm "Galgenmännchen" spielen. Doch trotz dieser weltweit aufgebotenen Hilfsbereitschaft bleibt ihm, dem Totalgelähmten, nur der Galgenhumor. Berichte von Überlebenden auf Abruf kommen periodisch immer wieder auf die Büchertische, mit wechselndem Erfolg. Dieses Buch eines Hirnschlaggeschädigten, der nur noch mit einem Augenlid blinzeln kann, ist aber ein Phänomen. Man nennt dieses vegetative Daliegen bei vollem Bewußtsein auch "locked-in syndrome": das Eingesperrtsein in den eigenen Körper. Die Publikation bietet das erste verfügbare Zeugnis eines solchen Kranken. Daß es zugleich mehr als ein bloßes Zeugnis ist und das existentiell Besondere mit literarischer Sonderbegabung überhöht, macht das Spezielle dieses Werks aus.
Jean-Dominique Bauby war gut vierzig Jahre alt, erfolgreicher Journalist, glücklicher Familienvater und Chefredakteur der Zeitschrift "Elle" in Paris, als ihn im Dezember 1995 ein Hirnschlag völlig lähmte. Nach dem Erwachen aus einmonatigem Koma blieb ihm als einzige Bewegungsfähigkeit ein Zwinkern mit dem linken Augenlid. Mit Hilfe eines Sonderalphabets diktierte er einer Verlagslektorin Buchstabe für Buchstabe, was einem unter der existentiellen Taucherglocke der Vollähmung so alles durch den Geist flattert. Nicht Verzweiflungselegien sind es, nicht Klagen und auch nicht Betrachtungen über die Härte des Schicksals oder metaphysische Überlegungen über den Sinn des Lebens. Bauby war in seinem ersten Leben zu sehr Dandy, als daß er uns im zweiten mit Jenseitsahnungen belangen würde.
Er, der schnelle Autos, schöne Frauen und gutes Essen liebte und dann plötzlich mit der Nahrungssonde im Magen stumm und bewegungslos dalag, hat sein Dandytum bis zum letzten eingelöst. In geraffter Kapitelfolge sind die Aufzeichnungen ein Hin und Her zwischen abschüssig humorvoller Alltagsschilderung im Krankenzimmer, witzigen Reminiszenzen aus dem früheren Leben und Streifzügen in die literarische Phantasie. Mit allen Fasern bleiben die Aufzeichnungen dabei im Leben verhaftet. Das faszinierte Entsetzen, mit dem die Verkümmerung des eigenen Körpers beobachtet und beschrieben wird, ist die Fortsetzung dandyhafter Outfit-Pflege unter neuer Voraussetzung. Beim Blick auf das Porträt der Kaiserin Joséphine, die selbst einst in diesem Krankenhaus an der Ärmelkanalküste weilte, plötzlich in der Vitrinenspiegelung sein eigenes entstelltes Antlitz entdeckend, bricht der Patient röchelnd in jenen Lachanfall aus, "den eine Serie von Katastrophen auslöst, wenn man nach einem letzten Schicksalsschlag beschließt, diesen als Scherz aufzufassen". Jedesmal, wenn er danach in der großen Galerie des Hospitals am Bild der Kaiserin vorbeigeschoben wurde, fand er etwas Schalkhaftes an ihr.
Den lebensdramatischen Momenten, an denen es in diesem Taucherglockendasein nicht fehlt, haftet etwas Groteskes an, das stilistisch noch aufpoliert wird. Die einsame Wehmut nach dem Familienbesuch ist hilflos dem Sonnenstrahl ausgesetzt, der genau auf das Kopfende des Bettes fällt, weil in der Rührung des Abschieds keiner daran dachte, den Vorhang zuzuziehen. Das "Gute Nacht" des Krankenwärters, der mitten im Fußballspiel Bordeaux-München den Fernseher ausschaltet, ohne daß der Daliegende einen Protestlaut von sich geben könnte, ist von ebenso absurder Grausamkeit wie die endlos ertragenen Nachmittagsprogramme, die niemand die Gnade hat abzuschalten. Nur manchmal steigt beim Lesen trotz der stilistischen Aufheiterung etwas von ansteckender Beklemmung auf, etwa in Erwartung der trostlos langen Sonntage, an denen kein Besuch angesagt und das Personal in Mindestbesetzung anwesend ist. Auch die Bücher von Seneca, Zola und Chateaubriand in Reichweite auf dem Fensterbrett sind nutzlos, da niemand zum Vorlesen kommt und statt dessen nur eine Fliege den Gelähmten auf der Nase zum Nervenduell herausfordert.
Das beliebteste Stilmittel von Bauby ist die Verknüpfung von Motiv und Gegenmotiv. Die Spekulation darüber, wie die Ethnologen im Jahr dreitausend wohl einst das Heft mit seinen kuriosen Verständigungsnotaten deuten würden, schlägt unmittelbar in eine typologische Klassifizierung der Besucher um, wo diese, je nach der Art, wie sie auf die Augenlidzeichen reagieren, in Empfindsame, verlegen Wortkarge, schlichte Regelbefolger und impulsive Alleserrater aufgeteilt werden. Durch das längere Kapitel wiederum, das den verhängnisvollen Unfalltag schildert, klingt kontrapunktisch der Beatles-Song "A day in the life". Wenige Tage nach dem Erscheinen des französischen Originals im vergangenen Frühjahr ist der Autor gestorben. Mit seiner eleganten Übersetzung wird Uli Aumüller ihm mehr als gerecht. JOSEPH HANIMANN
Jean-Dominique Bauby: "Schmetterling und Taucherglocke". Aus dem Französischen übersetzt von Uli Aumüller. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1997. 136 S., geb., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Das Buch "Schmetterling und Taucherglocke" ist schon wegen seiner Entstehungsgeschichte beeindruckend.« -- Borkener Zeitung 04.08.2011