Ihr Gehäuse wird für seine Spiralform bewundert, ihre kriechende Fortbewegungsweise verlacht, ihr schleimiger Körper als widerwärtig empfunden, aber dennoch mit Genuss und Knoblauchbutter verspeist. Unser Verhältnis zur Schnecke ist höchst ambivalent. Höchste Zeit, sich diesem schillernden Tier mit der gebotenen Behutsamkeit anzunähern. Florian Werner macht sich auf die kulturgeschichtliche Spur der Schnecke, besucht die World Snail Racing Competition in England, eine Bio-Schneckenfarmin Frankreich und klärt auf über die Virtuosität des Schneckensex. Dabei wird nicht nur der herausragende Beitrag der Schnecke zur Architektur- und Filmgeschichte gewürdigt, sondern auch ihre Rolle bei der Entstehung des Geldwesens und der Blasmusik. Und es zeigt sich: In unserer von zielloser Hektik und rastloser Geschäftigkeit geprägten Moderne hat die Schnecke mit ihrer ruhigen Beharrlichkeit gar das Zeug zum Sehnsuchtstier.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.2016Für die Tasche Das Buch ist ein kleines Wunder, mit seiner liebevollen Aufmachung, dem edlen Papier, der schönen Typographie, den alten, zart abgebildeten Drucken, mit seinem braunen Einband und dem Prägedruck. Und dann wäre da auch noch der Inhalt: Schnecken. Florian Werner ist losgezogen, um Schnecken besser kennenzulernen. Er beginnt mit dem Schneck: kein Tier, sondern ein Berg im Allgäu. Und so wird dieses Buch, das sich mit kriechenden Lebewesen beschäftigt, auch zu einem Reisebuch. Seine weiteren Ausflüge bringen den Autor nach England - zur World Snail Racing Competition in Congham. Gemeinsam mit einer potentiellen Teilnehmerin: einer gelben Bänderschnecke, die er aus dem Kindergarten seiner Tochter entführte und ins Land schmuggelt. Es geht um Schneckenwitze - wir verraten hier keinen. Um Langsamkeit und Schneckengalopp. Und natürlich muss es auch nach Frankreich gehen, zum Schneckenessen. Als Nahrungsmittel sind die Mollusken etwa so verlogen - oder raffiniert - begründet wie die schwäbische Maultasche. Diese durfte in der Fastenzeit gegessen werden, weil der Herrgott ja das Fleisch nicht sieht. Und jene, die Schnecken, wurden von Mönchen als Fastenspeise zugelassen - weil es ja kein Fleisch sei. Werner besucht eine bretonische Schneckenfarm, genauer: eine Bio-Schneckenzucht. Jedes Tier hat dort einen Auslauf von 35 Quadratzentimetern. Slow-Food bekommt in diesem Zusammenhang noch mal eine ganz andere Bedeutung. Zu den weiteren Themen gehören Schleimigkeit, die Virtuosität des Schneckensexes und Bänderschnecken. Nach der Lektüre des Buches wird der Leser kaum noch achtlos an den meist gelb-schwarz, eben: gebänderten Häusern vorbeigehen können. Welche Vielfalt, was für ein Design. Florian Werner, 1971 geboren, promovierter Literaturwissenschaftler, schreibt im Plauderton, intelligent unterhaltend. Und man lernt eine ganze Menge, so fügt sich das kleine Buch geschmeidig in die formidable Reihe der "Naturkunden" ein. Auch der Anhang ist noch mal ein Schmuckstück - ein bebildertes Lexikon von Weinbergschnecke über Herkuleskeule bis zur Großen Achatschnecke.
bfer
Florian Werner (Hrsg. Judith Schalansky): "Schnecken. Ein Portrait". Matthes & Seitz, Berlin 2015, 151 Seiten, 18 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Florian Werner (Hrsg. Judith Schalansky): "Schnecken. Ein Portrait". Matthes & Seitz, Berlin 2015, 151 Seiten, 18 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Von Schnecken lässt sich einiges lernen: zum Beispiel, wie wir mit Fremden umgehen, konstatiert Rezensentin Friederike Haupt zu Beginn ihrer Besprechung. Die Auseinandersetzung des Literaturwissenschaftlers Florian Werner mit Schnecken nennt Haupt "eher gefühlvoll" - und meint damit vermutlich das Gegenteil von "hoch wissenschaftlich". Gefallen scheint die Rezensentin an jenen Anekdoten zu finden, wie Werner sie etwa zum Paarungsverhalten von Schnecken zusammenträgt. Und die historischen Illustrationen des Buches würden jede Wand gut schmücken, findet sie. Genervt zeigt sich Haupt hingegen von Versuchen des Autors, Schnecken und Menschen hinsichtlich ihrer Eigenschaften miteinander zu vergleichen. Werner hätte lieber die "fremde Seltsamkeit" der Schnecken akzeptieren sollen, findet die Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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