Produktdetails
  • rororo Taschenbücher
  • Verlag: Rowohlt TB.
  • Gewicht: 84g
  • ISBN-13: 9783499104138
  • ISBN-10: 349910413X
  • Artikelnr.: 24033301
  • Herstellerkennzeichnung
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Autorenporträt
Ernest Hemingway, geboren 1899 in Oak Park, Illinois, gilt als einer der einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. In den zwanziger Jahren lebte er als Reporter in Paris, später in Florida und auf Kuba; er nahm auf Seiten der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg teil, war Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. 1953 erhielt er den Pulitzer-Preis, 1954 den Nobelpreis für Literatur. Hemingway schied nach schwerer Krankheit 1961 freiwillig aus dem Leben. Werner Schmitz ist seit 1981 als Übersetzer tätig, u. a. von Malcolm Lowry, John le Carré, Ernest Hemingway, Philip Roth und Paul Auster. 2011 erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis. Er lebt in der Lüneburger Heide.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015

Heroismus und Erbärmlichkeit

Ein Dorn, der das Knie aufkratzt, kann Helden fällen: In zehn neu übersetzten Storys ist Ernest Hemingway ein Meistererzähler der Essenz des Daseins.

Von Ernst Osterkamp

Das Leid und das Glück des Erwachsenwerdens, die tödliche Katastrophe einer Ehe, die ganze Spannweite der Gefühle von der kältesten Angst bis zum höchsten Glück, die Brutalität des Kampfes zwischen Mensch und Tier auf einer Großwildjagd, die brutaleren Seelenkämpfe zwischen kultivierten Menschen, die ihre Wehr- und Schutzlosigkeit in Niedertracht ummünzen, die vom plötzlichen Bewusstsein des Alterns ausgelöste Panik, die rasenden Umschwünge in Lebenskämpfen, die alle Moral außer Kraft setzen, aber auch unvermutete Aufschwünge, die einer Wiedergeburt gleichen und doch nur den endgültigen Absturz vorbereiten: wie viel von alldem kann Raum in einer einzigen Erzählung finden? Alles - alles und noch viel mehr, im Grunde das ganze Leben, wenn ihr Autor Ernest Hemingway ist.

Die 1936 erschienene Story "Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber", die Hemingway auf der Höhe seiner Kunst zeigt, misst auf fünfzig Seiten die ganze Spannweite des Daseins aus, ja konzentriert es an deren Ende in einer Szene, in der in einem einzigen Augenblick das höchste Lebensglück mit dem erbärmlichsten Tod einhergeht: Ein Mann überwindet seine Lebensangst, indem er aus größter Nähe einen auf ihn zustürmenden angeschossenen Büffel niederschießt, während ihm seine eigene Frau von hinten eine Kugel durch den Schädel jagt, weil sie weiß, dass der nun Lebensmutige sie bald wird verlassen wollen. In Hemingways Storys stehen die Extreme des Heroismus und der Erbärmlichkeit eng beieinander. Auch deshalb verlässt den Leser nie das Empfinden, er könne alles Entscheidende über das Leben aus den Geschichten dieses großen Psychologen erfahren.

Weil er ein großer Psychologe ist, genügen Hemingway knappe Gesten und wenige Gesprächsfetzen, um das Wesen eines Menschen und die seelische Komplexität einer Situation zu erfassen. Die vielbewunderte Kunst des Weglassens und der Aussparungen in seinen Storys: sie verdankt sich der Sensibilität des Psychologen, der nur weniger Hinweise bedarf, um zu erkennen, was menschlich auf dem Spiel steht. Warum dann noch weitere Worte machen, wenn doch alles Entscheidende klar vor Augen steht? In einer sich universalisierenden Kultur des Geschwätzes kommt deshalb die Lektüre dieser von allem Überflüssigen gereinigten Prosa einer geistigen Purifikation gleich. Wem es wirklich um die Essenz des menschlichen Daseins, um die Liebe und den Tod, um die Bewährung und das Versagen, um den Glanz und das Elend des menschlichen Herzens geht, der kann mit wenig Worten auskommen.

Ein großer Psychologe war Hemingway auch deshalb, weil er die eigenen Posen durchschaute und in ihnen einen besonderen Ausdruck seiner seelischen Schutzlosigkeit, Sensibilität und Versagensängste erkannte. Die Kriegsgeschichten in diesem Band - "In einem anderen Land", "Wie du niemals sein wirst" - sind aus diesem Grund Erzählungen über Versehrte und Traumatisierte, die es zwar an die vorderste Front drängt, die dort aber nicht mehr einsatzfähig sind. Viele seiner Geschichten spielen mit der großen seelischen Verlockung der Selbstaufgabe als der einzigen Alternative zu einem unerträglichen Heroismus, von dessen Faszination Hemingway sich niemals zu befreien vermochte.

Den Erzähler mussten deshalb besonders die gebrochenen Figuren anziehen, die ihre Würde dadurch wiedergewinnen und sie zu bewahren vermögen, dass sie sich den Zumutungen des Daseins und der ihnen abverlangten Heldenrollen im Lebenskampf entziehen. Ungeheuerlich die in "Fünfzigtausend" erzählte Geschichte des Boxers Jack, der sich beim Training nach seiner Frau und seinen Kindern sehnt, schon eine Woche vor dem entscheidenden Kampf im Madison Square Garden weiß, dass er verlieren wird, und deshalb sein Geld auf seinen Gegner setzt, um wenigstens finanziell als Sieger aus der Niederlage hervorzugehen. Ungeheuerlicher noch die frühe Erzählung "Die Killer" (1927), die uns vor Jahrzehnten im Englischunterricht fasziniert hat wie keine andere: nicht wegen der bis zur Karikatur verzerrten Killer, die auf den Schweden Ole Andreson warten, um ihn aus einem ungenannten Grund zu töten, sondern aufgrund des Lebensüberdrusses, mit dem sich Andreson in sein unausweichliches Schicksal fügt und deshalb - gleichsam ein radikalisierter Bartleby - zu fliehen sich weigert, was uns damals als eine verlockend paradoxe Form des Heroismus erschien: als ein Heroismus der Verweigerung und der Selbstaufgabe.

Wie viel Ernest Hemingway von der Verlockung dieses merkwürdigen Heroismus wusste, zeigt nichts so deutlich wie die Meistererzählung "Schnee auf dem Kilimandscharo", die zu den großen Texten des vergangenen Jahrhunderts zählt, an denen sich das literarische Qualitätsbewusstsein schulen sollte. Da genügt schon ein Dorn, an dem er sich in der Savanne sein Knie aufgekratzt hat, um einen dieser Hemingwayschen Helden mit ihren harten Posen und ihren weichen Seelen zu Fall zu bringen. Während der Wundbrand an seinem Körper frisst, hält der Schriftsteller Harry am Vorabend und in der Nacht seines Todes Gerichtstag über sich selbst, sein Leben und vor allem sein Schreiben, und es ist, als nehme er das Sterben seines Körpers geradezu erleichtert hin als die letzte Konsequenz des Erlöschens seiner künstlerischen Schaffenskraft: "Merkwürdig, wie leicht es einem gemacht wurde, wenn man nur müde genug war. Jetzt würde er nie mehr die Dinge schreiben, die zu schreiben er sich aufgespart hatte, bis er genug wusste, um sie gut zu schreiben. Nun, so konnte er auch nicht scheitern bei dem Versuch, sie zu schreiben." Schwer zu glauben, dass Hemingway erst 37 Jahre alt war, als er diese Erzählung schrieb, mit der er auch Gerichtstag über sich selbst hielt.

Auf Annemarie Horschitz-Horsts Übersetzung dieser Erzählungen hat sich in über einem Halbjahrhundert, wie es nicht anders sein kann, doch einiger Staub gelegt, und so ist es gut, dass Werner Schmitz für diesen Band zehn Storys ausgewählt und in ein zeitgemäßes Deutsch neu übertragen hat, das den Ton des Originals insgesamt vorzüglich trifft. Gewünscht hätte sich der Leser allerdings eine editorische Notiz, die über die Erscheinungsdaten und -orte dieser Erzählungen Auskunft gibt.

Ernest Hemingway: "Schnee auf dem Kilimandscharo". Storys.

Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 221 S., geb., 18,95 [Euro].

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