In diesem Band sind die Gedichte versammelt, die Ulrich Schacht vor seinem plötzlichen Tod geschrieben und für einen Gedichtband mit dem Titel "Schnee fiel in meinen Schlaf" gesammelt hatte. In diesen philosophischen, mit Hochachtung für die Schöpfung durchdrungenen Gedichten scheint auch ein Abschied hörbar. "Der Schriftsteller und Essayist Ulrich Schacht, der [...] überraschend im Alter von 67 Jahren gestorben ist, hat das Glück gehabt, aus dem Unglück seines Lebens erschütternde und bleibende Bücher machen zu konnen. ... Er besaß einen zahen Uberlebenswillen, eine reizbare Empfindsamkeit und eine Leidenschaft für Poesie. Man findet sie in seinen Gedichten. Es sind wunderbare Hymnen auf die Landschaft Schwedens, wo er bis zuletzt lebte."Ulrich Greiner, Die Zeit
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Uwe Kolbe ist gerührt von Ulrich Schachts Gedichten und besonders von den beiden Texten in der "Mitte des Korpus", die den Eltern des Dichters gewidmet sind, von ihnen handeln. Wie der Autor in romantischer Tradition, mit einer Prise Trakl, einer Prise Celan und einem Löffel spiritueller Erfahrung in reduzierter Sprache seiner Zuneigung für die Mutter und den (wiedergefundenen) Vater sprachlich Raum gibt, findet Kolbe zutiefst menschlich und berührend. Wie im Märchen, bei Lasker-Schüler oder Sarah Kirsch, meint er, lässt der Autor den Vater erscheinen. So etwas Zauberhaftes hat Kolbe kaum je gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2021Lass uns trinken, sagst du, und sprudelst über
Ein postum veröffentlichter Gedichtband beschreibt, wie Ulrich Schacht einmal im Leben seinen Vater traf
Der vorliegende Band von Ulrich Schacht, noch von ihm vorbereitet, doch nun erst knapp drei Jahre nach seinem Tod veröffentlicht, umfasst zweiundfünfzig Gedichte in fünf Abteilungen. Er lebt wie andere seiner Bücher davor von der Hinwendung des Dichters zur spirituell aufgeladenen und erfüllenden Landschaft einerseits, zur Spiritualität von Kunsterfahrung und Nähe wie Kenntnis der Bibel und ihrer (lutherischen) Sprache andererseits. Vom Mitschwingen von Lektüren und der Anwesenheit diverser poetischer Traditionslinien zu schweigen.
Trotzdem möchte ich hier nur auf ein Gedicht genauer eingehen. Ich werde nicht wie der Verfasser des Nachworts, Sebastian Kleinschmidt, präzise dem Licht in den Gedichten nachforschen, dem schwedischen Licht des letzten Wohnort des Dichters, dem nördlichen Licht seiner Reisen immer wieder und weiter in nördlichere Regionen. Licht, unabweisbar und wie mit einer Botschaft in die Seele des Betrachters der Landschaft und des Lesers dieser Gedichte leuchtend. Ich werde nicht von dem Schnee des Titels schreiben, der in den Schlaf fiel und diesen zu einem großen Schlaf, zu dem Bruder des Todes machte: "Das Paradies ist weiß". Wie sollte einer, der Gedichte schreibt, nicht stets im Einen auch das Andere sagen? Wie sollte gerade Ulrich Schacht mit seiner deutsch-deutschen und europäischen Biographie, mit seiner erstaunlich lässig getragenen Lebens-Last des 20. Jahrhunderts, die pars pro toto für das Schicksal vieler stehen kann, wie sollte der nicht wissen - bei aller Reduktion des Satzbaus und der Wortwahl, sich ausdrücklich rückversichernd bei älteren asiatischen Meistern -, dass jedes Wort mehr ist, als was der tägliche Tag damit macht? Wie sollte er nicht auch in den vorliegenden Gedichten den Raum um das Einzelne herum so weit werden lassen bis hin zur Beschwörung? Nicht: lies, Leser, lies! sondern: Schau!
Die Mitte des Korpus bilden zwei Gedichte, die einander gegenüberstehen. Ulrich Schacht selbst hat das Ganze noch komponiert. Es mag überraschen, aber das Herz des Bandes schlägt für die Eltern des Dichters: "Der Mutter nachdenkend" und "Schalikowo, 4. April 1999", gewidmet Wladimir Jegorowitsch Fedotow. Das erstere Gedicht darf dem Rezensenten partiell verschlossen bleiben. Der "Abend, den du anders / siehst" verweist auf ein Gespräch, das im Leben vermutlich nicht beendet wurde und gewissermaßen eingefroren blieb. Das ist Hinweis genug. Leserin und Leser werden hier eigene Leerstellen zwischen den Generationen einsetzen wie auch Szenen, die dazugehören und für immer im Gedächtnis bleiben. Dieses Gedicht drückt vor allem Wärme und Zuneigung des Sohns für die Mutter aus, der ihrem Blick "wie eh und je vertraut". Es wird ein Versprechen erinnert, "das erblaut", und schließlich "bleibst du, was ich seh, mir zugeneigt". Mehr ist kaum zu wünschen.
Das Gedicht gegenüber ist dem Vater gewidmet, so zu lesen auch in einer der sparsamen Anmerkungen am Ende des Bandes. Fedotow war demnach der "Vater Ulrich Schachts, 1950 als russischer Offizier in Wismar stationiert". Der Sohn, der das Gedicht geschrieben hat, wurde 1951 im Frauengefängnis Hoheneck geboren. Er wusste erst nichts von der Geschichte der Eltern, kannte später nur die Vermutung, der Vater könnte exekutiert worden sein, weil er mit der schwangeren Frau in den Westen hatte fliehen wollen. Dass der Eiserne Vorhang fiel, wurde auch bezogen auf diesen konkreten Umstand seiner eigenen Biographie zu einem Durchbruch für Ulrich Schacht. Er konnte endlich daran denken und real darangehen, seinem Vater und damit der Hälfte seiner eigenen Herkunft nachzuforschen.
Ich hatte das besondere Vergnügen, einmal einer privaten Vorführung der niederländischen Fernseh-Dokumentation "De Schacht saga - Een Duitse familiegeschiedenis" von 1999 und dem anschließenden Gespräch mit Ulrich Schacht beizuwohnen. Das niederländische TV-Team hatte den Schriftsteller auf einer Reise nach Russland begleitet. Mit Hilfe eines alten Fotos, Zugang zu Akten des KGB und eines damit aufgefundenen leiblichen Bruders gelang es, den Vater ausfindig zu machen. Es war der ehemalige Leutnant der Sowjetarmee Fedotow. Der war damals, 1950, "nur" degradiert und "nur" an das entgegengesetzte, Tausende Kilometer entfernte Ende des Imperiums versetzt worden, an die chinesische Grenze am Amur. Vor laufender Kamera öffnet sich die Tür des Vaters. Vor laufender Kamera fallen sich nach kurzem Zögern zwei schwere, große Männer in die Arme. Vor laufender Kamera fließen Tränen in den Wodka. Es wurde und blieb die einzige Begegnung der beiden, des Sohnes mit dem Vater.
Doch nun das Gedicht. Ich wollte dazu etwas sagen. Es kommt anders daher als alle Gedichte dieses Bandes bis hierher. Es hebt in einem freundlichen Erzählduktus an. Es kennt die romantische Tradition. Es kennt Georg Trakl, kennt die frühen Gedichte von Paul Celan und die von Else Lasker-Schüler. Es kommt so daher wie das Beste von Sarah Kirsch. Es spricht so, wie im Märchen gesprochen wird. Und es spricht mit der Freude davon, dass und wie ein Märchen wahr werden kann. Da stehen auf drei Zeilen Worte - solche Worte finden sich meines Wissens sonst nirgendwo in einem deutschsprachigen Gedicht seit dem 2. Weltkrieg: ". . . aber ich / habe ihn ans Licht geholt: Vater, nun / stehst du am Tor." Wer davon nicht angerührt wird, dem ist alles Menschliche fremd.
Es muss bei diesem Dichter und vielfach angefeindeten radikalen Publizisten, evangelischen Theologen und Ordensgründer nicht wundern, dass das Bibelwort mitspricht in dem Alltagswort "Vater". Die biblische Wiederkehr des verlorenen Sohnes wiederholt sich hier, in diesen Versen, trotz der anderen Konstellation und Vorgeschichte mit größter Selbstverständlichkeit. Die Worte des Lukasevangeliums treffen zu: ". . . lasset uns essen und fröhlich sein! denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein." So eben heißt es in Ulrich Schachts Gedicht von seinem Vater: "Laß uns trinken, sagst du, und sprudelst über". Das Gedicht braucht das Wort nicht, aber es jubelt unter dem Understatement der fast lässig dargestellten Szenerie vor Glück. Ulrich Schacht hatte unermüdlich dazu beigetragen, dass es so kam: Für dieses menschliche Glück musste die Mauer fallen, musste der Eiserne Vorhang weg. UWE KOLBE.
Ulrich Schacht: "Schnee fiel in meinen Schlaf". Gedichte.
Mit einem Nachwort von Sebastian Kleinschmidt. Edition Rugerup, Berlin 2021. 96 S., geb., 17,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein postum veröffentlichter Gedichtband beschreibt, wie Ulrich Schacht einmal im Leben seinen Vater traf
Der vorliegende Band von Ulrich Schacht, noch von ihm vorbereitet, doch nun erst knapp drei Jahre nach seinem Tod veröffentlicht, umfasst zweiundfünfzig Gedichte in fünf Abteilungen. Er lebt wie andere seiner Bücher davor von der Hinwendung des Dichters zur spirituell aufgeladenen und erfüllenden Landschaft einerseits, zur Spiritualität von Kunsterfahrung und Nähe wie Kenntnis der Bibel und ihrer (lutherischen) Sprache andererseits. Vom Mitschwingen von Lektüren und der Anwesenheit diverser poetischer Traditionslinien zu schweigen.
Trotzdem möchte ich hier nur auf ein Gedicht genauer eingehen. Ich werde nicht wie der Verfasser des Nachworts, Sebastian Kleinschmidt, präzise dem Licht in den Gedichten nachforschen, dem schwedischen Licht des letzten Wohnort des Dichters, dem nördlichen Licht seiner Reisen immer wieder und weiter in nördlichere Regionen. Licht, unabweisbar und wie mit einer Botschaft in die Seele des Betrachters der Landschaft und des Lesers dieser Gedichte leuchtend. Ich werde nicht von dem Schnee des Titels schreiben, der in den Schlaf fiel und diesen zu einem großen Schlaf, zu dem Bruder des Todes machte: "Das Paradies ist weiß". Wie sollte einer, der Gedichte schreibt, nicht stets im Einen auch das Andere sagen? Wie sollte gerade Ulrich Schacht mit seiner deutsch-deutschen und europäischen Biographie, mit seiner erstaunlich lässig getragenen Lebens-Last des 20. Jahrhunderts, die pars pro toto für das Schicksal vieler stehen kann, wie sollte der nicht wissen - bei aller Reduktion des Satzbaus und der Wortwahl, sich ausdrücklich rückversichernd bei älteren asiatischen Meistern -, dass jedes Wort mehr ist, als was der tägliche Tag damit macht? Wie sollte er nicht auch in den vorliegenden Gedichten den Raum um das Einzelne herum so weit werden lassen bis hin zur Beschwörung? Nicht: lies, Leser, lies! sondern: Schau!
Die Mitte des Korpus bilden zwei Gedichte, die einander gegenüberstehen. Ulrich Schacht selbst hat das Ganze noch komponiert. Es mag überraschen, aber das Herz des Bandes schlägt für die Eltern des Dichters: "Der Mutter nachdenkend" und "Schalikowo, 4. April 1999", gewidmet Wladimir Jegorowitsch Fedotow. Das erstere Gedicht darf dem Rezensenten partiell verschlossen bleiben. Der "Abend, den du anders / siehst" verweist auf ein Gespräch, das im Leben vermutlich nicht beendet wurde und gewissermaßen eingefroren blieb. Das ist Hinweis genug. Leserin und Leser werden hier eigene Leerstellen zwischen den Generationen einsetzen wie auch Szenen, die dazugehören und für immer im Gedächtnis bleiben. Dieses Gedicht drückt vor allem Wärme und Zuneigung des Sohns für die Mutter aus, der ihrem Blick "wie eh und je vertraut". Es wird ein Versprechen erinnert, "das erblaut", und schließlich "bleibst du, was ich seh, mir zugeneigt". Mehr ist kaum zu wünschen.
Das Gedicht gegenüber ist dem Vater gewidmet, so zu lesen auch in einer der sparsamen Anmerkungen am Ende des Bandes. Fedotow war demnach der "Vater Ulrich Schachts, 1950 als russischer Offizier in Wismar stationiert". Der Sohn, der das Gedicht geschrieben hat, wurde 1951 im Frauengefängnis Hoheneck geboren. Er wusste erst nichts von der Geschichte der Eltern, kannte später nur die Vermutung, der Vater könnte exekutiert worden sein, weil er mit der schwangeren Frau in den Westen hatte fliehen wollen. Dass der Eiserne Vorhang fiel, wurde auch bezogen auf diesen konkreten Umstand seiner eigenen Biographie zu einem Durchbruch für Ulrich Schacht. Er konnte endlich daran denken und real darangehen, seinem Vater und damit der Hälfte seiner eigenen Herkunft nachzuforschen.
Ich hatte das besondere Vergnügen, einmal einer privaten Vorführung der niederländischen Fernseh-Dokumentation "De Schacht saga - Een Duitse familiegeschiedenis" von 1999 und dem anschließenden Gespräch mit Ulrich Schacht beizuwohnen. Das niederländische TV-Team hatte den Schriftsteller auf einer Reise nach Russland begleitet. Mit Hilfe eines alten Fotos, Zugang zu Akten des KGB und eines damit aufgefundenen leiblichen Bruders gelang es, den Vater ausfindig zu machen. Es war der ehemalige Leutnant der Sowjetarmee Fedotow. Der war damals, 1950, "nur" degradiert und "nur" an das entgegengesetzte, Tausende Kilometer entfernte Ende des Imperiums versetzt worden, an die chinesische Grenze am Amur. Vor laufender Kamera öffnet sich die Tür des Vaters. Vor laufender Kamera fallen sich nach kurzem Zögern zwei schwere, große Männer in die Arme. Vor laufender Kamera fließen Tränen in den Wodka. Es wurde und blieb die einzige Begegnung der beiden, des Sohnes mit dem Vater.
Doch nun das Gedicht. Ich wollte dazu etwas sagen. Es kommt anders daher als alle Gedichte dieses Bandes bis hierher. Es hebt in einem freundlichen Erzählduktus an. Es kennt die romantische Tradition. Es kennt Georg Trakl, kennt die frühen Gedichte von Paul Celan und die von Else Lasker-Schüler. Es kommt so daher wie das Beste von Sarah Kirsch. Es spricht so, wie im Märchen gesprochen wird. Und es spricht mit der Freude davon, dass und wie ein Märchen wahr werden kann. Da stehen auf drei Zeilen Worte - solche Worte finden sich meines Wissens sonst nirgendwo in einem deutschsprachigen Gedicht seit dem 2. Weltkrieg: ". . . aber ich / habe ihn ans Licht geholt: Vater, nun / stehst du am Tor." Wer davon nicht angerührt wird, dem ist alles Menschliche fremd.
Es muss bei diesem Dichter und vielfach angefeindeten radikalen Publizisten, evangelischen Theologen und Ordensgründer nicht wundern, dass das Bibelwort mitspricht in dem Alltagswort "Vater". Die biblische Wiederkehr des verlorenen Sohnes wiederholt sich hier, in diesen Versen, trotz der anderen Konstellation und Vorgeschichte mit größter Selbstverständlichkeit. Die Worte des Lukasevangeliums treffen zu: ". . . lasset uns essen und fröhlich sein! denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein." So eben heißt es in Ulrich Schachts Gedicht von seinem Vater: "Laß uns trinken, sagst du, und sprudelst über". Das Gedicht braucht das Wort nicht, aber es jubelt unter dem Understatement der fast lässig dargestellten Szenerie vor Glück. Ulrich Schacht hatte unermüdlich dazu beigetragen, dass es so kam: Für dieses menschliche Glück musste die Mauer fallen, musste der Eiserne Vorhang weg. UWE KOLBE.
Ulrich Schacht: "Schnee fiel in meinen Schlaf". Gedichte.
Mit einem Nachwort von Sebastian Kleinschmidt. Edition Rugerup, Berlin 2021. 96 S., geb., 17,90 Euro.
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