Dank der Verhaltensbiologie, Informatik und Biotechnologie hat sich die moderne Rinderhaltung vollkommen automatisiert. Das Zauberwort der schönen neuen Kuhstallwelt, deren Schöpfer stets behaupten, die Tiere könnten sich frei bewegen und würden artgerecht gehalten, lautet: Herdenmanagement. Wie in modernen Kuhställen öffnen sich heute Türen nur nach einer elektronischen Identifikation. Der Bankomat funktioniert wie ein moderner Kraftfutterausgabeautomat. Die automatisierte Tieridentifikation, Voraussetzung für jedes effiziente Herdenmanagement, findet sich in Krankenhäusern, Altenheimen, Gefängnissen, an Universitäten oder in der Verwaltung.Ohne die Erfahrungen der Rinderhaltung wäre die heutige Reproduktionsmedizin nicht zu denken. Die moderne Rinderhaltung ist Experimentierraum wie Modell künftiger Herrschaft und Kontrolle. Nicht anders als Kühe liefern wir an zahllosen Schnittstellen die für unsere Bewirtschaftung nötigen Daten. Nicht anders als Kühe werden wir zu ständiger Bewegung gezwungen und verwechseln Freiheit mit dem Zwang, zwischen vorgegebenen Angeboten wählen zu müssen. Wie das Rind konsumieren wir unsere Unterwerfung. Die Verkuhung der Welt ist nicht aufzuhalten.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Zwischen Melkroboter, Futterausgabe und Besamung wird Wieland Elfferding fast ein bisschen schwindelig. Moderne Rinderhaltung ist nichts für schwache Nerven. Gut, dass Bernhard Kathan in seinem Buch nicht nur automatisiertes Herdenmanagement beschreibt und der kleinbäuerlichen Kultur nachtrauert. Der Autor will mehr. Nämlich einen Zusammenhang herstellen zwischen Tier- und Menschenwelt. Und plötzlich sieht sich Elfferding mit überraschenden Parallelen konfrontiert: Peepshow und Beichtstuhl, Begehr und Pflicht entdeckt Kathan im Kuhstall und noch andere Verkehrsordnungen mehr. Dass der Autor auf einen Diskurs abzielt, nicht auf eine Präsentation von Fakten, und diesen im Hinblick auf Science-Fiction-Literatur genauso zu führen sucht, wie hinsichtlich einschlägiger Herrschafts- und Gesellschaftstheorien, findet der Rezensent geradezu viehisch gut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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