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"Alles in allem sieht es ganz so aus, als wäre uns Utopia viel näher, als irgend jemand es sich vor nur fünfzehn Jahren hätte vorstellen können. Damals verlegte ich diese Utopie sechshundert Jahre in die Zukunft. Heute scheint es durchaus möglich, daß uns dieser Schrecken binnen eines einzigen Jahrhunderts auf den Hals kommt; das heißt, wenn wir in der Zwischenzeit davon absehen, einander zu Staub zu zersprengen." Aldous Huxley

Produktbeschreibung
"Alles in allem sieht es ganz so aus, als wäre uns Utopia viel näher, als irgend jemand es sich vor nur fünfzehn Jahren hätte vorstellen können. Damals verlegte ich diese Utopie sechshundert Jahre in die Zukunft. Heute scheint es durchaus möglich, daß uns dieser Schrecken binnen eines einzigen Jahrhunderts auf den Hals kommt; das heißt, wenn wir in der Zwischenzeit davon absehen, einander zu Staub zu zersprengen." Aldous Huxley
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009

Der Möchtegernschamane

Das Gebäude, mit dessen Schilderung der Roman anfängt, ist selbstredend grau und viereckig, damit auch die Dümmsten begreifen: Jetzt wird's lieblos. Der derangierte Geisteszustand einer unsympathischen Hauptfigur wird, ist doch klar, sinnfällig gemacht, indem der Verfasser uns eine dreifache Wiederholung ihres Überfordertseins aufdrängt: "Seltsam, seltsam, seltsam." Sämtliche Gestalten, Institutionen und Sachverhalte tragen andauernd irgendwelche mit Edding auf kleine Merkzettel gemalte Namen vor sich her, die das Publikum an vertraute Zeiterscheinungen der Moderne erinnern sollen, welche der Verfasser madig zu machen wünscht. Der eindimensionale Grübelspießer, dessen abstoßend uninteressante Selbstfindung wir begleiten sollen, heißt Bernard Marx; ein mieses Weib kriegt gar den oberplatten Vornamen Lenina ab. Nur der Wilde heißt schlicht "der Wilde", denn es handelt sich bei ihm um die positive Gegengestalt zu den Plastikpuppen, die durch den Rest der Story stolpern. Fairerweise hätte Huxley seinen Naturburschen "Henry David Tarzan Rousseau" taufen müssen, damit der Holzhammer nicht morsch wird, mit dem der Rest des Werkes zurechtgekloppt wurde. Es handelt sich, erkennt man, bei diesem Klassiker der neuzeitlichen Zivilisationsmiesepeterei um eine Sorte Satire, wie sie schwerfälliger auch der Arbeitskreis Weihnachts-Laientheater der katholischen Landjugend von Nieder-Dossenbach nicht zuwege gebracht hätte. Die Botschaft, schlichter als schlicht, lautet: Wenn das so weitergeht mit der Unterhaltungsindustrie, der Medizin, der industriellen Fertigung von Gütern und der rationalen Verwaltung, dann werden wir in Zukunft Menschen erleben, die sich vor gar nichts mehr fürchten. Huxley schreibt wie einer, den es vor Kopfschmerztabletten, Ampeln, elektrischem Licht und anderen Lebenserleichterungen in einem Ausmaß graut, das nach dem Therapeuten schreit.

In Huxleys Albtraum gehen alle mit allen ins Bett und betäuben sich mit Rauschgift. Er selber aber hat, das ist das Lustige, durchaus mit anderen Gelangweilten rumgemacht, wo er konnte, und fraß alle Drogen, die er kennenlernen durfte. Anders als seine Buchmonster aber behängte er, was er da so alles trieb, mit mystischen Begründungen und erlesenen Motiven zwischen "Wahrnehmungserweiterung" und "Poetisierung des Alltags", an deren Verbreitung ihm außerordentlich viel lag. Sein Credo: Sofern ein Mensch mit höherer Schulbildung rumvögelt und sich die Birne bedröhnt, nennen wir das Erleuchtung, sobald es aber die Massen tun, die dazu keine höheren Weihen brauchen, ist es Dekadenz und fürchterlich. Der Möchtegernschamane, heißt das, will einfach seine paar piefigen Privilegien behalten. Es geht ihm da ganz wie den deutschen Romantikern, häufig von verarmtem Adel stammenden Individuen, die sich über Pockenimpfungen und Kartoffelbepflanzung lustig machten. Die Aufklärung, sollte das heißen, vertreibt die Krankheiten und den Analphabetismus, aber leider auch die Feen, die Rittertugenden, den Strickstrumpf und den ganzen übrigen Urväterhausrat, ohne den empfindsame Opiumraucher und Nachtbeschwörer die Welt nun mal nicht komplett finden können. Schriften wie die Abhandlung des Novalis über das europäische Schicksal der Christenheit kann man nur durchstehen, wenn man den starken Magen von Peter Hacks besitzt, der das Zeug ausgegraben und gleich wieder beerdigt hat, damit man sich glücklich schätzt, es verschwunden zu wissen. Huxleys krampfige Gardinenpredigt fordert das, was jene Romantiker wollten; nur mit weniger Kruzifix und Schlossgespenst, dafür mehr Sarkasmus und Flachwitz.

Neben so viel Ranküne, Ressentiment und Herzensfinsternis sehen Onkel Ratzinger und seine schwarzberockte Schar aus wie die Bee Gees zu ihren besten Zeiten. Es gibt gegen die Gegenwart, gegen Konsumschrott und den Klassenstaat wirklich Wichtigeres vorzubringen als die Klage über den Verlust der Innerlichkeit vormoderner Zustände. Huxley aber ist nichts Wichtigeres eingefallen. Hätte er doch schweigend gekifft statt weltbelehrend.

DIETMAR DATH

Aldous Huxley: "Schöne neue Welt". Verlag S. Fischer, 7,95 Euro

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