Holls Mutter und Stiefvater, die in bedrängten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, schieben den Sechsjährigen auf den Hof des Vaters ab. Dort ist er als billige Arbeitskraft willkommen. Die vielen fremden Menschen, die großen Tiere, die unverständlichen Arbeitsvorgänge verwirren und ängstigen das Kind. Das Sprechen beschränkt sich auf Befehle und Zurechtweisungen. Auf dem Hof gelten noch patriarchalische Gesetze. Von Kindheit an durch die schwere Arbeit abgestumpft, sind diese Menschen zur Sprach- und Bewusstlosigkeit verurteilt. Nach elf Jahren Angst und Erniedrigung findet er die Kraft, sich aus seiner Leibeigenschaft zu befreien, den Hof des Vaters zu verlassen und als Lehrling ein neues Leben zu beginnen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.02.2003Die Verweigerung des Frondienstes
Franz Innerhofers Roman-Trilogie „Schöne Tage”, „Schattseite” und „Die großen Wörter”
Der Autor lebte noch, da wurde ihm schon der literarische Totenschein ausgestellt. Als Franz Innerhofer 1995, nach zehnjähriger Abwesenheit aus dem literarischen Betrieb, wieder einen Roman veröffentlichte, „Um die Wette leben”, diagnostizierte das „Kritische Lexikon der Deutschen Gegenwartsliteratur” bereits den „endgültigen Abschied des Autors aus der Literatur”.
Franz Innerhofer hat aber nicht nur Häme und Spott, mit denen dieser Roman abgetan wurde, als Unrecht empfunden; ihm war auch das Lob verdächtig, das ihm zuvor, zumal für seinen Erstling „Schöne Tage”, reichlich gespendet worden war. In einem 1995 geführten, erst nach seinem Tod in der Zeitschrift „Literatur und Kritik” publizierten Interview mit Frank Tichy hat er bittere, kompromisslose Rückschau gehalten. Geradezu wütend rechnete er da mit einstigen Förderern ab, die ihn immerzu nur über Stall und Dung, über das Elend auf dem Lande und die Sprachlosigkeit des Dorfes schreiben sehen wollten. An einem umgedrehten, ins Düstere gewendeten Karl-Heinrich Waggerl, der zuverlässig schwarzen Kitsch liefert und alle Jahre wieder routinierte Verzweiflungsprosa aus dem Gebirge veröffentlicht, hätte wohl Interesse bestanden, doch dazu gab sich Innerhofer nicht her.
Knapp ein Jahr nach seinem Selbstmord, von dem die respektvoll erschütterte Nachwelt am 22. Januar 2002 erfuhr, sind die drei Romane neu aufgelegt worden, auf denen sein Ruhm gründet. „Schöne Tage” (1974), „Schattseite” (1975) und „Die großen Wörter” (1977) werden üblicherweise als autobiographische Trilogie zusammengefasst. Zu Recht wies der Autor demgegenüber auf die vielen Nebenfiguren seiner Romane hin, in denen er nicht sein eigenes Schicksal spiegelte, sondern die soziale Topographie der Region erkundete, auf der Suche nicht nur nach den sprachlosen Opfern, sondern auch nach den Gestalten, die aufbegehrt hatten. Thomas Bernhard, sagte er 1995, habe es sich mit der selbstzufriedenen Virtuosität des Negativen zu leicht gemacht und sich um die Widersprüche der Welt nicht geschert.
Innerhofer war dreißig, als er in die Literatur eintrat, mit dem Satz, der am Beginn von „Schöne Tage” steht: „Der Pflege einer kinderlosen Frau entrissen, sah Holl sich plötzlich in eine fremde Welt gestellt.” Die Welt der Bücher war ihm, dem unehelichen Kind einer Landarbeiterin, das große Versprechen von Widerstand, Befreiung, Glück gewesen. Mit fünf Jahren war er auf den Hof des Vaters gekommen, wo er als „Leibeigener” aufwuchs, einem Dasein als Knecht bestimmt wurde und Sprache nur in der Befehlsform kennen lernte: „Da gehst her!” „Ruhig bist!” „Dort bleibst!” Mit rebellischer Kraft schüttelte er die Despotie des Vaters ab, arbeitete er sich aus der Sprachlosigkeit des Bauernhofes heraus. Von seinem „Erzeuger” verflucht, hat er als Jugendlicher das Dorf verlassen und ging bettelarm in die Stadt, um eine Lehre als Schmied zu beginnen.
Jenseits von Sense und Feld
Ein paar Jahre später kämpfte er sich durchs Salzburger Abendgymnasium und landete schließlich an der Universität, wo er zu schreiben begann. Bei den Rauriser Literaturtagen 1973 wurde er entdeckt, im Jahr darauf mit „Schöne Tage” auf einen Schlag berühmt. Jetzt ließen es die feinen literarischen Kreise an Lob für das Originalgenie aus den Bergen, das jeder Idylle von Heimatroman ein Ende bereitete und das Dorf als „Bauern-KZ” bezeichnete, nicht mangeln. Über nichts wurde vor Innerhofer in der österreichischen Literatur so viel gelogen wie über das glückliche Leben auf dem Lande, wo bescheidene Menschen ihre gottgefällige Arbeit verrichten. Es war der Knecht Innerhofer, der diese in hunderten Büchern verfestigte Lüge zerschlug und Entwürdigung, Gewalttätigkeit, Ausbeutung bei ihren rohen Namen nannte.
„Schöne Tage” ist das Meisterwerk jener „Antiheimatliteratur”, die später zur literarischen Routine ungezählter Autoren verkam. Der Erstling endet damit, dass die Hauptfigur Holl, dem das Recht auf einen Vornamen und damit auf eine individuelle Existenz vorenthalten wird, das Dorf verlässt. Die Fortsetzung, „Schattseite”, schildert die Erfahrungen Holls als Lehrling, und dabei nimmt Innerhofer einen markanten Wechsel der Perspektive vor. Der Roman ist in Ich-Form erzählt, der Sprachlose hat sich als Subjekt entdeckt. Am dritten Roman, „Die großen Wörter”, hat die Literaturkritik bereits viel zu mäkeln gehabt; vor allem störte sie, dass dieser literarische Bauernbub nicht bei seinen Leisten geblieben war, bei Sense, Traktor, Feld, Küche und Schlafzimmer des Bauernhofes, sondern es wagte, über städtische Dinge oder gar die Intellektuellen zu reflektieren.
„Schöne Tage” ist das in sich geschlossenste Werk Innerhofers. Bei den beiden folgenden Romanen argwöhnte die Kritik, dass Leidensdruck und Begabung bei diesem Autor nur für ein einziges Lebensdokument von unbestreitbarer literarischer Bedeutung ausgereicht hätten. Aber die stilistische Einheit des Erstlings entspricht der dargestellten Welt, dem kleinen, nach außen weitgehend abgeschotteter Kosmos. Später, als er während der Lehre in der Kleinstadt die Berufsschule besucht, sich gar in die Landeshauptstadt wagt und unter die Intellektuellen gerät, werden die Einflüsse, denen der Protagonist ausgesetzt ist, vielfältiger und widersprüchlicher. Mit einem atmosphärisch dichten, aber einsinnig erzählten Roman wären sie nicht mehr zu fassen gewesen. Die vielen räsonierenden Passagen in „Die großen Wörter”, in denen Innerhofer Debatten über Politik, Revolution oder Kunst referiert und kommentiert, entspringen nicht dem Verlust an epischer Gestaltungskraft, sondern dem gewählten Sujet. Aus dem Abstand eines Vierteljahrhunderts kann man „Die großen Wörter” auch als einen Studentenroman jener Jahre lesen.
Innerhofer verweigerte die Rolle des erzählenden Kraftlackels, der auf bäuerlichen Elendsrealismus abonniert war. So wenig er sich damit abfand, als Knecht am Bauernhof zu leben, so wenig wollte er als literarischer Fronarbeiter jedes Jahr den gewünschten Band voller Düsternissen abliefern. Dass er die andere Literatur, die er 1995 im Interview wortreich entwarf, nicht zu schreiben vermochte, hat wohl auch mit den Wunden zu tun, die ihm in der Kindheit auf dem Land geschlagen wurden, mehr noch aber mit der Gleichgültigkeit, auf die er in der urbanen Welt der „großen Wörter” stieß.
KARL-MARKUS GAUSS
FRANZ INNERHOFER: Schöne Tage. Schattseite. Die großen Wörter. Drei Bände im Schuber. Residenz-Verlag, Salzburg 2002. Zus. 684 Seiten, 39,90 Euro.
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Franz Innerhofers Roman-Trilogie „Schöne Tage”, „Schattseite” und „Die großen Wörter”
Der Autor lebte noch, da wurde ihm schon der literarische Totenschein ausgestellt. Als Franz Innerhofer 1995, nach zehnjähriger Abwesenheit aus dem literarischen Betrieb, wieder einen Roman veröffentlichte, „Um die Wette leben”, diagnostizierte das „Kritische Lexikon der Deutschen Gegenwartsliteratur” bereits den „endgültigen Abschied des Autors aus der Literatur”.
Franz Innerhofer hat aber nicht nur Häme und Spott, mit denen dieser Roman abgetan wurde, als Unrecht empfunden; ihm war auch das Lob verdächtig, das ihm zuvor, zumal für seinen Erstling „Schöne Tage”, reichlich gespendet worden war. In einem 1995 geführten, erst nach seinem Tod in der Zeitschrift „Literatur und Kritik” publizierten Interview mit Frank Tichy hat er bittere, kompromisslose Rückschau gehalten. Geradezu wütend rechnete er da mit einstigen Förderern ab, die ihn immerzu nur über Stall und Dung, über das Elend auf dem Lande und die Sprachlosigkeit des Dorfes schreiben sehen wollten. An einem umgedrehten, ins Düstere gewendeten Karl-Heinrich Waggerl, der zuverlässig schwarzen Kitsch liefert und alle Jahre wieder routinierte Verzweiflungsprosa aus dem Gebirge veröffentlicht, hätte wohl Interesse bestanden, doch dazu gab sich Innerhofer nicht her.
Knapp ein Jahr nach seinem Selbstmord, von dem die respektvoll erschütterte Nachwelt am 22. Januar 2002 erfuhr, sind die drei Romane neu aufgelegt worden, auf denen sein Ruhm gründet. „Schöne Tage” (1974), „Schattseite” (1975) und „Die großen Wörter” (1977) werden üblicherweise als autobiographische Trilogie zusammengefasst. Zu Recht wies der Autor demgegenüber auf die vielen Nebenfiguren seiner Romane hin, in denen er nicht sein eigenes Schicksal spiegelte, sondern die soziale Topographie der Region erkundete, auf der Suche nicht nur nach den sprachlosen Opfern, sondern auch nach den Gestalten, die aufbegehrt hatten. Thomas Bernhard, sagte er 1995, habe es sich mit der selbstzufriedenen Virtuosität des Negativen zu leicht gemacht und sich um die Widersprüche der Welt nicht geschert.
Innerhofer war dreißig, als er in die Literatur eintrat, mit dem Satz, der am Beginn von „Schöne Tage” steht: „Der Pflege einer kinderlosen Frau entrissen, sah Holl sich plötzlich in eine fremde Welt gestellt.” Die Welt der Bücher war ihm, dem unehelichen Kind einer Landarbeiterin, das große Versprechen von Widerstand, Befreiung, Glück gewesen. Mit fünf Jahren war er auf den Hof des Vaters gekommen, wo er als „Leibeigener” aufwuchs, einem Dasein als Knecht bestimmt wurde und Sprache nur in der Befehlsform kennen lernte: „Da gehst her!” „Ruhig bist!” „Dort bleibst!” Mit rebellischer Kraft schüttelte er die Despotie des Vaters ab, arbeitete er sich aus der Sprachlosigkeit des Bauernhofes heraus. Von seinem „Erzeuger” verflucht, hat er als Jugendlicher das Dorf verlassen und ging bettelarm in die Stadt, um eine Lehre als Schmied zu beginnen.
Jenseits von Sense und Feld
Ein paar Jahre später kämpfte er sich durchs Salzburger Abendgymnasium und landete schließlich an der Universität, wo er zu schreiben begann. Bei den Rauriser Literaturtagen 1973 wurde er entdeckt, im Jahr darauf mit „Schöne Tage” auf einen Schlag berühmt. Jetzt ließen es die feinen literarischen Kreise an Lob für das Originalgenie aus den Bergen, das jeder Idylle von Heimatroman ein Ende bereitete und das Dorf als „Bauern-KZ” bezeichnete, nicht mangeln. Über nichts wurde vor Innerhofer in der österreichischen Literatur so viel gelogen wie über das glückliche Leben auf dem Lande, wo bescheidene Menschen ihre gottgefällige Arbeit verrichten. Es war der Knecht Innerhofer, der diese in hunderten Büchern verfestigte Lüge zerschlug und Entwürdigung, Gewalttätigkeit, Ausbeutung bei ihren rohen Namen nannte.
„Schöne Tage” ist das Meisterwerk jener „Antiheimatliteratur”, die später zur literarischen Routine ungezählter Autoren verkam. Der Erstling endet damit, dass die Hauptfigur Holl, dem das Recht auf einen Vornamen und damit auf eine individuelle Existenz vorenthalten wird, das Dorf verlässt. Die Fortsetzung, „Schattseite”, schildert die Erfahrungen Holls als Lehrling, und dabei nimmt Innerhofer einen markanten Wechsel der Perspektive vor. Der Roman ist in Ich-Form erzählt, der Sprachlose hat sich als Subjekt entdeckt. Am dritten Roman, „Die großen Wörter”, hat die Literaturkritik bereits viel zu mäkeln gehabt; vor allem störte sie, dass dieser literarische Bauernbub nicht bei seinen Leisten geblieben war, bei Sense, Traktor, Feld, Küche und Schlafzimmer des Bauernhofes, sondern es wagte, über städtische Dinge oder gar die Intellektuellen zu reflektieren.
„Schöne Tage” ist das in sich geschlossenste Werk Innerhofers. Bei den beiden folgenden Romanen argwöhnte die Kritik, dass Leidensdruck und Begabung bei diesem Autor nur für ein einziges Lebensdokument von unbestreitbarer literarischer Bedeutung ausgereicht hätten. Aber die stilistische Einheit des Erstlings entspricht der dargestellten Welt, dem kleinen, nach außen weitgehend abgeschotteter Kosmos. Später, als er während der Lehre in der Kleinstadt die Berufsschule besucht, sich gar in die Landeshauptstadt wagt und unter die Intellektuellen gerät, werden die Einflüsse, denen der Protagonist ausgesetzt ist, vielfältiger und widersprüchlicher. Mit einem atmosphärisch dichten, aber einsinnig erzählten Roman wären sie nicht mehr zu fassen gewesen. Die vielen räsonierenden Passagen in „Die großen Wörter”, in denen Innerhofer Debatten über Politik, Revolution oder Kunst referiert und kommentiert, entspringen nicht dem Verlust an epischer Gestaltungskraft, sondern dem gewählten Sujet. Aus dem Abstand eines Vierteljahrhunderts kann man „Die großen Wörter” auch als einen Studentenroman jener Jahre lesen.
Innerhofer verweigerte die Rolle des erzählenden Kraftlackels, der auf bäuerlichen Elendsrealismus abonniert war. So wenig er sich damit abfand, als Knecht am Bauernhof zu leben, so wenig wollte er als literarischer Fronarbeiter jedes Jahr den gewünschten Band voller Düsternissen abliefern. Dass er die andere Literatur, die er 1995 im Interview wortreich entwarf, nicht zu schreiben vermochte, hat wohl auch mit den Wunden zu tun, die ihm in der Kindheit auf dem Land geschlagen wurden, mehr noch aber mit der Gleichgültigkeit, auf die er in der urbanen Welt der „großen Wörter” stieß.
KARL-MARKUS GAUSS
FRANZ INNERHOFER: Schöne Tage. Schattseite. Die großen Wörter. Drei Bände im Schuber. Residenz-Verlag, Salzburg 2002. Zus. 684 Seiten, 39,90 Euro.
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"Größe und Bersonderheit der Prosa Franz Innenhofers bestehen darin, daß nicht angeklagt, daß nicht arrangiert und präsentiert wird, daß Wirklichkeit ohne Pathos stattfindet. Franz Innerhofer hat alles selbst erlebt. Er setzt einfach Erinnerungsstücke aneinander, frei von Sentimentalität und Tendenz, kraft seiner epischen Naturbegabung ..." (Hans Weigel, Die Zeit)