Ein jahrhundertealter Friedhof, hinter dessen Mauern Signalmasten des Flughafens emporragen, von Flugzeugen niedrig überflogene Pferdekoppeln. Die Gemeinde Schönefeld, die südöstlich an Berlin grenzt, ist bekannt durch den Großflughafen BER. Es ist der Ort, an dem man abfliegt und landet. Doch er ist weitaus mehr als das: Hier prallen auf den Jungmoränenplatten des Berliner Urstromtals auf 82 Quadratkilometern landwirtschaftliche und alte dörfliche Strukturen auf das Gelände des Flughafens, auf Lagerhallen und Warenverkehr, auf neugeschaffene Wohngebiete und eine Infrastruktur, die aus Flughafengebäuden, Betonwerken und Discountern besteht. Lebten in der Gemeinde im Jahr 2000 noch fast 3000 Menschen, sind es mittlerweile annähernd 20.000 gemeldete Einwohner. Neben alten Ortskernen wurden Straßenzüge gebaut, gesäumt von zweigeschossigen Häusern, die sich allesamt gleichen. Ein Dorf wurde abgerissen und die Anwohner umgesiedelt. In einem Zeitraum von drei Jahren hat sich Björn Kuhligk, Absolvent der Ostkreuzschule für Fotografie, neugierig zu Fuß und auf dem Fahrrad mit Hilfe einer detaillierten Landkarte durch diese 82 Quadratkilometer bewegt. Ihn interessierte, wie sich innerhalb kurzer Zeit eine Gemeinde so extrem verändern kann und sein Gesicht wechselt, insbesondere Orte, an denen die Vergangenheit des Ortes und seine Gegenwart gleichzeitig sichtbar sind: Dorfstraßen, die plötzlich an einer Lärmschutzmauer enden, ein Hochsitz vor einer überdimensionierten Lagerhalle, Zäune und Häuser, die in ihrer Form darauf verweisen, dass sie bereits in der DDR standen. Vor dem Hintergrund eines städtebaulichen Wachstums, das normalerweise erheblich länger dauert, und der permanenten Unfertigkeit eines Wohnraums stellt er in seiner Arbeit die einfache und dringliche Frage: Wie wollen wir leben? Doch Menschen sind auf den Arbeiten nicht zu sehen. Alles, was er in den Bildern erzählt, verweist auf sie. Kurzum: In seiner Arbeit "Schönefeld", die exemplarisch für einen Ort steht, der sich mitten im Wandel befindet, setzt er sich auf subtile Weise mit Herkunft und Identität am Beispiel der Gemeinde Schönefeld auseinander und schafft ein gegenwärtiges Portrait der Gemeinde Schönefeld, über die es bisher keine fotografische Arbeit gab.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Nicht der Berliner Flughafen Schönefeld steht im Zentrum dieses Fotobandes, stellt Rezensent Heinrich Dubel klar, sondern der gleichnamige Ort im Süden der deutschen Hauptstadt, der durch den Flughafenbau transformiert wurde. Der Flughafen ist also nur gelegentlich im Hintergrund der Aufnahmen auszumachen, beschreibt Dubel, auch Menschen fotografiert Kuhligk kaum, stattdessen sehen wir eine verlassen anmutende Welt, deren Trostlosigkeit den Rezensenten an J.G. Ballard erinnert. In einem begleitenden Essay berichtet der Fotograf von Menschen, die er im Lauf der Beschäftigung mit dem Projekt begegnet ist, einige dieser Episoden sind ausgesprochen sonderbar, etwa wenn über Fahrer eines Lieferwagens berichtet wird, die unbedingt aufs Bild wollen. Insgesamt erfreut sich Dubel sehr an diesen Bildern, die sich regelrecht in sein Hirn fräsen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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