Angesichts der vehementen Kritik des Zigarettengenusses gerät die kulturelle Bedeutung des Rauchens allzu leicht in den Hintergrund. Richard Klein erbringt in seiner Kulturgeschichte auf unterhaltsame Weise den Nachweis, dass die Zigarette seit jeher auch Ästhetik, Erotik und Erhabenheit vermittelt. Die zigarettenrauchende "femme fatale" Carmen taucht dabei ebenso auf wie der kettenrauchende Jean Paul Sartre oder der lässig rauchende Humphrey Bogart.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.1995Rauchzeichen der Zivilisation
Über die Erhabenheit und Nützlichkeit der Zigarette
Richard Klein: Schöner blauer Dunst. Ein Lob der Zigarette. Hanser Verlag, München 1995. 308 Seiten, 36 Mark.
Italo Svevos Romanheld Zeno Cosini versucht sein Leben lang vergeblich, sich das Rauchen abzugewöhnen. Als er alt ist, stellt er fest, daß unaufhörlich mit dem Rauchen aufhören zu wollen auch eine Art ist, sein Leben zu verbringen. Er verliert das Interesse an der Zigarette, als er aufhört, mit dem Rauchen aufzuhören.
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Richard Klein hat auf eine für das Lesepublikum höchst fruchtbare Art mit dem Rauchen aufgehört. Er setzt voraus, daß jeder weiß, wie gesundheitsschädlich Zigaretten sind und daß jeder Raucher das auch schon gespürt hat. Trotz dieses Wissens, trotz aller immer unduldsamer werdenden Anti-Zigaretten-Propaganda rauchen auf dem Globus rund eine Milliarde Menschen täglich Zigaretten. Irgendeinen Nutzen muß das Rauchen also haben, eine Bedeutung, die weit über das hinausgeht, was als physische oder psychische Abhängigkeit vom Nikotin beschrieben werden kann. Diesen Sinn der Zigarette zu ergründen erschien Klein als Voraussetzung dafür, sich von seiner Zigaretten-Sucht zu befreien.
Italo Svevos Roman ist für Klein die Pforte, durch die er in einen gewaltigen literarischen, filmhistorischen, populär-kulturellen Raum gelangt, in dem die Zigarette jenes Zeichen ist, das Beziehungen schafft und Sinn stiftet. Kleins Thema heißt nicht allgemein "Der Mensch und die Zigarette", sondern "Der Mensch der westlichen Moderne und die Zigarette", und er mutet auch Nichtrauchern zu, daß seine klugen Diskurse über die Schönheit, die Geselligkeit oder den Krieg mit Zigaretten beginnen und aufhören, deren Faszination aus ihrer "Erhabenheit" kommt. Appelle an das Gesundheitsbewußtsein können dieser Faszination nichts anhaben. Jeder Zug aus der Zigarette eröffnet dem Raucher die Aussicht auf die eigene Sterblichkeit, bietet ihm also jene kleine Erschütterung, welche Kant ein "negatives Vergnügen" nennt: "Zigaretten sind schlecht. Aus diesem Grund sind sie gut - nicht gesund, nicht schön, aber erhaben." Diese Eigenschaft eines kulturellen Zeichens können alle Mediziner und Gesundheitspolitiker dieser Welt der Zigarette nicht nehmen.
Zigaretten werden dann besonders wichtig, wenn die vertraute zivile Ordnung der Dinge ins Wanken gerät. Nichtraucher sind nicht krisenfest. Soldaten erfahren die Bedeutung von Zigaretten. Das Rauchen ist nicht, wie das Trinken, der Versuch einer Flucht aus der todbringenden Wirklichkeit, sondern die Behauptung eines Minimums von Eigensinn gegen die Vernichtungsmaschine, das Festhalten einer vom eigenen Ein- und Ausatmen gemessenen Zeit und die letzte greifbare Verbindung zu einem zivilen, geselligen Leben. Manchmal ist das Rauchen auch das Gebet des Ungläubigen. Remarque schrieb, Zigaretten seien das, was von der Zivilisation übrigbleibe, wenn der Krieg die letzten Spuren einer liberalen Erziehung ausgelöscht habe.
Richard Klein möchte mit seinem Buch den Gesundheitsministern nicht ins Handwerk pfuschen, niemanden zum Rauchen verführen oder davon abbringen, mit dem Rauchen aufzuhören. Er zerstört nur die Illusion, man habe irgend etwas über das Rauchen begriffen, wenn man über seine Gefahren aufgeklärt sei. Und er fürchtet, daß bald auch vom Nutzen des Rauchens wieder die Rede sein müsse: "Es muß nicht erst eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes eintreten, bevor die Amerikaner den sozialen Nutzen von Zigaretten wiederentdecken oder den Beitrag schätzenlernen, den sie zum modernen Leben leisten, und bevor sie sich mit der Zigarette, dem Geschenk ihres Landes an die Welt, wieder anfreunden. Es könnte jederzeit geschehen, ganz unvermittelt, sobald nur die Situation eintritt, daß die Gesellschaft so viel kollektive Kontrolle über ihre Ängste nötig hat, wie sie nur irgendwie aufbringen kann." ECKHARD FUHR
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Über die Erhabenheit und Nützlichkeit der Zigarette
Richard Klein: Schöner blauer Dunst. Ein Lob der Zigarette. Hanser Verlag, München 1995. 308 Seiten, 36 Mark.
Italo Svevos Romanheld Zeno Cosini versucht sein Leben lang vergeblich, sich das Rauchen abzugewöhnen. Als er alt ist, stellt er fest, daß unaufhörlich mit dem Rauchen aufhören zu wollen auch eine Art ist, sein Leben zu verbringen. Er verliert das Interesse an der Zigarette, als er aufhört, mit dem Rauchen aufzuhören.
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Richard Klein hat auf eine für das Lesepublikum höchst fruchtbare Art mit dem Rauchen aufgehört. Er setzt voraus, daß jeder weiß, wie gesundheitsschädlich Zigaretten sind und daß jeder Raucher das auch schon gespürt hat. Trotz dieses Wissens, trotz aller immer unduldsamer werdenden Anti-Zigaretten-Propaganda rauchen auf dem Globus rund eine Milliarde Menschen täglich Zigaretten. Irgendeinen Nutzen muß das Rauchen also haben, eine Bedeutung, die weit über das hinausgeht, was als physische oder psychische Abhängigkeit vom Nikotin beschrieben werden kann. Diesen Sinn der Zigarette zu ergründen erschien Klein als Voraussetzung dafür, sich von seiner Zigaretten-Sucht zu befreien.
Italo Svevos Roman ist für Klein die Pforte, durch die er in einen gewaltigen literarischen, filmhistorischen, populär-kulturellen Raum gelangt, in dem die Zigarette jenes Zeichen ist, das Beziehungen schafft und Sinn stiftet. Kleins Thema heißt nicht allgemein "Der Mensch und die Zigarette", sondern "Der Mensch der westlichen Moderne und die Zigarette", und er mutet auch Nichtrauchern zu, daß seine klugen Diskurse über die Schönheit, die Geselligkeit oder den Krieg mit Zigaretten beginnen und aufhören, deren Faszination aus ihrer "Erhabenheit" kommt. Appelle an das Gesundheitsbewußtsein können dieser Faszination nichts anhaben. Jeder Zug aus der Zigarette eröffnet dem Raucher die Aussicht auf die eigene Sterblichkeit, bietet ihm also jene kleine Erschütterung, welche Kant ein "negatives Vergnügen" nennt: "Zigaretten sind schlecht. Aus diesem Grund sind sie gut - nicht gesund, nicht schön, aber erhaben." Diese Eigenschaft eines kulturellen Zeichens können alle Mediziner und Gesundheitspolitiker dieser Welt der Zigarette nicht nehmen.
Zigaretten werden dann besonders wichtig, wenn die vertraute zivile Ordnung der Dinge ins Wanken gerät. Nichtraucher sind nicht krisenfest. Soldaten erfahren die Bedeutung von Zigaretten. Das Rauchen ist nicht, wie das Trinken, der Versuch einer Flucht aus der todbringenden Wirklichkeit, sondern die Behauptung eines Minimums von Eigensinn gegen die Vernichtungsmaschine, das Festhalten einer vom eigenen Ein- und Ausatmen gemessenen Zeit und die letzte greifbare Verbindung zu einem zivilen, geselligen Leben. Manchmal ist das Rauchen auch das Gebet des Ungläubigen. Remarque schrieb, Zigaretten seien das, was von der Zivilisation übrigbleibe, wenn der Krieg die letzten Spuren einer liberalen Erziehung ausgelöscht habe.
Richard Klein möchte mit seinem Buch den Gesundheitsministern nicht ins Handwerk pfuschen, niemanden zum Rauchen verführen oder davon abbringen, mit dem Rauchen aufzuhören. Er zerstört nur die Illusion, man habe irgend etwas über das Rauchen begriffen, wenn man über seine Gefahren aufgeklärt sei. Und er fürchtet, daß bald auch vom Nutzen des Rauchens wieder die Rede sein müsse: "Es muß nicht erst eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes eintreten, bevor die Amerikaner den sozialen Nutzen von Zigaretten wiederentdecken oder den Beitrag schätzenlernen, den sie zum modernen Leben leisten, und bevor sie sich mit der Zigarette, dem Geschenk ihres Landes an die Welt, wieder anfreunden. Es könnte jederzeit geschehen, ganz unvermittelt, sobald nur die Situation eintritt, daß die Gesellschaft so viel kollektive Kontrolle über ihre Ängste nötig hat, wie sie nur irgendwie aufbringen kann." ECKHARD FUHR
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