Mit unverwechselbar trockenem Humor lässt Hans-Ulrich Treichel seinen sehnsüchtig zaudernden Helden durch das ummauerte Westberlin streifen - einen Melancholiker, der wenig später das tut, wovon er eben noch behauptet hat, es besser bleiben zu lassen. Und man kann sich sicher sein: Am Ende hat alles eine Bedeutung.
Einmal so wie Erik sein! Das hatte sich Andreas immer gewünscht und sich von Jugend an um eine Freundschaft mit dem beneidenswert gelassenen, aber unnahbaren Erik bemüht. Erik, der immer besser war, was die Schulnoten, die Beliebtheit bei den Mädchen oder den Sport betraf. Auch als sie sich zwanzig Jahre später in Berlin zufällig begegnen, hat sich nichts geändert: Aus Andreas ist gerade mal ein Romanist in der Lehrerfortbildung geworden, während Erik es als Filmarchitekt in die glamouröse Welt Hollywoods und in die Nähe bekannter Filmstars geschafft hat - zum Beispiel Hélènes, einer weltberühmten Schauspielerin. Doch wer hätte gedacht, dass ausgerechnet diese Hélène, für die Andreas sein Leben lang geschwärmt hat, von der Leinwand herabsteigen und für einige Tage leibhaftig in sein Leben treten würde? Dank Erik zwar, aber ohne ihn.
Einmal so wie Erik sein! Das hatte sich Andreas immer gewünscht und sich von Jugend an um eine Freundschaft mit dem beneidenswert gelassenen, aber unnahbaren Erik bemüht. Erik, der immer besser war, was die Schulnoten, die Beliebtheit bei den Mädchen oder den Sport betraf. Auch als sie sich zwanzig Jahre später in Berlin zufällig begegnen, hat sich nichts geändert: Aus Andreas ist gerade mal ein Romanist in der Lehrerfortbildung geworden, während Erik es als Filmarchitekt in die glamouröse Welt Hollywoods und in die Nähe bekannter Filmstars geschafft hat - zum Beispiel Hélènes, einer weltberühmten Schauspielerin. Doch wer hätte gedacht, dass ausgerechnet diese Hélène, für die Andreas sein Leben lang geschwärmt hat, von der Leinwand herabsteigen und für einige Tage leibhaftig in sein Leben treten würde? Dank Erik zwar, aber ohne ihn.
»Wie Treichel seine Hauptfigur um den Triumph im Lebenswettbewerb herumführt und dabei alle psychologischen Möglichkeiten ausreizt, das macht diesen kleinen Roman ... zu einem Lesevergnügen.« Michael Hametner der Freitag 20211014
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In den höchsten Tönen schwärmt Rezensent Wolfgang Schneider vom neuen Roman von Hans-Ulrich Treichel, der ihn ins Westberlin der Achtziger führt. Im typischen Treichel-Ton erzählt ihm der Autor von Andreas, der schon seit Schulbeginn neidisch auf seinen Freund Erik ist und diesem Jahre später in einem Bistro begegnet, resümiert Schneider: Erik, einst Tischler, ist inzwischen ein von Stars umworbener Filmarchitekt, während Andreas, geschieden und kurzzeitig wohnungslos an seiner "Durchschnittlichkeit" als Akademiker krankt. Erik bietet Andreas in seiner Abwesenheit für den Übergang seine Achtzimmerwohnung an, in der täglich die von Andreas bewunderte und mit Erik befreundete französische Filmschauspielerin Helene anruft. Allein wie Treichel die Dialoge zwischen Andreas und Helene gestaltet, nicht als französische Liebesromanze, sondern mit feinem Gespür für Zwischentöne als "sublime Komödie" gefällt dem Rezensenten. Und Treichels so treffende wie "vertrauliche" Betrachtungen über Freundschaft, Neid und das Gefühl "guter Fremdheit" ziehen ihn ohnehin sofort in den Bann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2021Wo ein Fachdidaktiker ist, ist immer auch eine Unterrichtseinheit
Ein Buch, wie man es von Hans-Ulrich Treichel liebt: "Schöner denn je" erzählt von der Obsession eines mit seiner Durchschnittlichkeit hadernden Akademikers
Historische Romane - das waren einmal Geschichten, in denen die Leute zu Pferd unterwegs waren. Heute sind es Bücher, in denen Menschen noch aufs Festnetztelefon angewiesen sind. Beides beschränkt die Möglichkeiten der Handlung. Wer reiten muss, kann nicht am Vormittag in Berlin und am Nachmittag in London sein. Und die heute so selbstverständliche Erreichbarkeit entfällt, wenn die Figuren erstens kein Handy haben und zweitens nicht zu Hause sind. So geschieht es in Hans-Ulrich Treichels neuem Roman "Schöner denn je", der in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielt und dessen Plot heute aus medientechnischen Gründen kaum noch denkbar wäre.
Historisch wirkt auch der Schauplatz: West-Berlin, die ummauerte Stadt, diesmal allerdings nicht am östlichen Kreuzberger Lebenskünstler-und-Rebellen-Ende, sondern im Charlottenburger Milieu der Etablierten. Die Haupt- und Erzählerfigur Andreas Reiss ist einer jener Treichel'schen Kopfmenschen aus dem existenziellen Mittelbau, die ihre provinziellen Wurzeln lebenslang hinter sich herschleppen. Zu seinem Herkunftskomplex gehört auch die "Freundschaft" mit einem überlegenen Mitschüler. Seit je konnte Andreas den Neid auf Erik nur schwer im Zaum halten - auf dessen Lässigkeit, dessen gutes Aussehen, die Beliebtheit bei den Mädchen und vor allem dieses bevorzugte Lebensgefühl: "Erik schien eigentlich von allem, was er trieb, beglückt zu sein." Solche Übereinstimmung mit sich selbst ist den von Selbstzweifeln geplagten Treichel-Antihelden verwehrt.
"Gegen große Vorzüge eines anderen gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe", lautet eine Goethe-Sentenz, die zwar nicht zitiert wird, die aber das Verhalten von Andreas Reiss charakterisiert. "Ich idolisierte Erik. Er war der Star und ich war der Fan." Weil er weiß, dass solch einseitige Bewunderung der erhofften Freundschaft nicht förderlich ist, bemüht er sich um Souveränität und gespielte Distanz. Zur feinen Komik des Romans gehört es jedoch, dass Andreas bei jedem späteren Wiedersehen mit Erik abermals die Contenance verliert und verblüfft ist von dessen Schachzügen im Spiel des Lebens. Zum Beispiel, als er ihm während des Studiums in Berlin begegnet und ihm ein bisschen zu angeberisch von den wohlklingenden Geistesgrößen vorschwärmt, mit denen er selbst sich im Romanistikstudium befasst: Sartre, Camus, de Beauvoir, Foucault, Lacan, Derrida ... Und was macht Erik? Eine Tischlerlehre. Andreas klappt der Kiefer herunter. Sogleich fühlt er sich wieder unterlegen, weil Erik wie gewohnt den Eindruck vermittelt, hundertprozentig das Richtige zu tun. Und weil er das intellektuelle Gehabe von Andreas überhört und nur entgegnet: "Auf Lehramt? Und dann zurück an die Schule?" Das kleine Wort "zurück" wurmt Andreas enorm.
Eineinhalb Jahrzehnte später arbeitet Andreas als Didaktiker in der Lehrerfortbildung. Erik hat auf die Tischlerlehre ein Architekturstudium folgen lassen und ist Filmarchitekt geworden, mit Aufträgen aus Hollywood. Er hat vertrauten Umgang mit internationalen Filmstars wie dem "Klaus", also mit Klaus Kinski, der das Kurfürstendamm-Bistro, in dem sich die beiden nun zufällig wiedertreffen, einmal als "Pissbude" bezeichnet habe. Andreas hält sich oft in der "Pissbude" auf, weil seine Ehe gerade gescheitert ist und er bis auf Weiteres keine Wohnung hat. Erik bietet überraschend seine Hilfe an: Andreas könne für eine Weile seine Acht-Zimmer-Altbau-Eigentumswohnung hüten, weil er selbst gerade wieder in den Staaten zu tun habe. Unverhofft findet sich Andreas in Eriks Räumen wieder und erkundet mehr oder weniger diskret dessen Lebensspuren. Dankbarkeit mischt sich mit Groll, weil Erik ihm "diese Nähe nur erlaubt hatte unter der Bedingung seiner Abwesenheit".
Nun kommt das Telefon ins Spiel. Immer wieder ruft eine Frau an und möchte Erik sprechen. Wieder ist Andreas von den Socken: Es handelt sich, er erkennt ihre wunderbare Stimme sofort, um die berühmte französische Schauspielerin Hélène Grossman, die er seit vielen Jahren zutiefst verehrt - psychoanalytisch gesprochen als Ersatzobjekt für Erik. Der ist mit ihr offenbar eng befreundet. Als Eriks Stellvertreter am Ort kommt Andreas nun in den Genuss einer traumhaften Bekanntschaft, die nur dann eine Chance hat, wenn es ihm gelingt, endlich sein notorisches Fan-Verhalten (den "Anhimmelungsmodus") zu zügeln. Denn von Fans hat Helene genug, da geht sie sofort auf Distanz.
Die eigenwillige Begegnung zwischen dem Didaktiker und der Diva wird zur sublimen Komödie. Um sich zur Gelassenheit zu zwingen, versucht Andreas seine berufliche Routine auf das Zwischenmenschliche zu übertragen, nach der Devise: "Wo ein Fachdidaktiker ist, ist immer auch eine Unterrichtseinheit." Pädagogische Methodenbausteine lassen sich auch beim Gespräch mit Hélène nutzen, etwa: "Fragen nicht beantworten, sondern zurückgeben!" Natürlich ist dies kein Roman nach Art der französischen Filme, die Andreas so gerne sieht. Eine Liebesgeschichte bleibt aus. Und doch erlebt Andreas ein paar epochemachende Stunden, in denen er endlich mal aus der Lebensdefensive herauskommt. Ganz nebenbei zeigt sich, dass auch bei dem bewunderten Erik längst nicht alles rundläuft.
Menschen begegnen sich zwar gern "auf Augenhöhe", wie die Floskel lautet. In Wahrheit besteht jedoch oft ein Gefälle, das zur Belastung werden kann, manchmal für ein halbes Leben, wie es dieser Roman mit feinem Sensorium für Zwischentöne erzählt. Auch Martin Walser hat dieses Motiv oft in Szene gesetzt, etwa in seiner Novelle "Ein fliehendes Pferd", in der es ebenfalls um das Psychodrama zwischen zwei ehemaligen "Schulfreunden" geht, einem in die melancholische Introversion abgerutschten Lehrer und einem scheinbar brillanten Erfolgsmenschen. Der Ton ist jedoch verschieden: Was bei Walser zu einer etwas schwitzigen Männerkonkurrenz gerät, bleibt bei Treichel die innere Obsession eines mit seiner Durchschnittlichkeit hadernden Akademikers, der sich in jeder Situation ein paar Gedanken zu viel macht, gerade deshalb aber auch zum gewitzten Beobachter und Kommentator seines Alltags wird.
Man genießt bei der Lektüre die filmische Präzision der Szenen und Dialoge, genießt vor allem den bewährten Treichel-Sound, der der Schüchternheit den Charme abgewinnt und mit vielen pointierten Einsichten aufwartet, über Freundschaftsschieflagen, Ehekonflikte, den Sinn und Unsinn des Reisens, die Kapriolen der Erinnerung oder das Gefühl der "guten Fremdheit" im Leben, die von der "schlechten" genau zu unterscheiden sei. Mit der "guten Fremdheit" ist schon viel erreicht, und sie ist umso besser zu ertragen, wenn man vertrauliche Romane wie diesen lesen kann. WOLFGANG SCHNEIDER
Hans-Ulrich Treichel: "Schöner denn je". Roman
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 176 S., geb., 22 ,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Buch, wie man es von Hans-Ulrich Treichel liebt: "Schöner denn je" erzählt von der Obsession eines mit seiner Durchschnittlichkeit hadernden Akademikers
Historische Romane - das waren einmal Geschichten, in denen die Leute zu Pferd unterwegs waren. Heute sind es Bücher, in denen Menschen noch aufs Festnetztelefon angewiesen sind. Beides beschränkt die Möglichkeiten der Handlung. Wer reiten muss, kann nicht am Vormittag in Berlin und am Nachmittag in London sein. Und die heute so selbstverständliche Erreichbarkeit entfällt, wenn die Figuren erstens kein Handy haben und zweitens nicht zu Hause sind. So geschieht es in Hans-Ulrich Treichels neuem Roman "Schöner denn je", der in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielt und dessen Plot heute aus medientechnischen Gründen kaum noch denkbar wäre.
Historisch wirkt auch der Schauplatz: West-Berlin, die ummauerte Stadt, diesmal allerdings nicht am östlichen Kreuzberger Lebenskünstler-und-Rebellen-Ende, sondern im Charlottenburger Milieu der Etablierten. Die Haupt- und Erzählerfigur Andreas Reiss ist einer jener Treichel'schen Kopfmenschen aus dem existenziellen Mittelbau, die ihre provinziellen Wurzeln lebenslang hinter sich herschleppen. Zu seinem Herkunftskomplex gehört auch die "Freundschaft" mit einem überlegenen Mitschüler. Seit je konnte Andreas den Neid auf Erik nur schwer im Zaum halten - auf dessen Lässigkeit, dessen gutes Aussehen, die Beliebtheit bei den Mädchen und vor allem dieses bevorzugte Lebensgefühl: "Erik schien eigentlich von allem, was er trieb, beglückt zu sein." Solche Übereinstimmung mit sich selbst ist den von Selbstzweifeln geplagten Treichel-Antihelden verwehrt.
"Gegen große Vorzüge eines anderen gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe", lautet eine Goethe-Sentenz, die zwar nicht zitiert wird, die aber das Verhalten von Andreas Reiss charakterisiert. "Ich idolisierte Erik. Er war der Star und ich war der Fan." Weil er weiß, dass solch einseitige Bewunderung der erhofften Freundschaft nicht förderlich ist, bemüht er sich um Souveränität und gespielte Distanz. Zur feinen Komik des Romans gehört es jedoch, dass Andreas bei jedem späteren Wiedersehen mit Erik abermals die Contenance verliert und verblüfft ist von dessen Schachzügen im Spiel des Lebens. Zum Beispiel, als er ihm während des Studiums in Berlin begegnet und ihm ein bisschen zu angeberisch von den wohlklingenden Geistesgrößen vorschwärmt, mit denen er selbst sich im Romanistikstudium befasst: Sartre, Camus, de Beauvoir, Foucault, Lacan, Derrida ... Und was macht Erik? Eine Tischlerlehre. Andreas klappt der Kiefer herunter. Sogleich fühlt er sich wieder unterlegen, weil Erik wie gewohnt den Eindruck vermittelt, hundertprozentig das Richtige zu tun. Und weil er das intellektuelle Gehabe von Andreas überhört und nur entgegnet: "Auf Lehramt? Und dann zurück an die Schule?" Das kleine Wort "zurück" wurmt Andreas enorm.
Eineinhalb Jahrzehnte später arbeitet Andreas als Didaktiker in der Lehrerfortbildung. Erik hat auf die Tischlerlehre ein Architekturstudium folgen lassen und ist Filmarchitekt geworden, mit Aufträgen aus Hollywood. Er hat vertrauten Umgang mit internationalen Filmstars wie dem "Klaus", also mit Klaus Kinski, der das Kurfürstendamm-Bistro, in dem sich die beiden nun zufällig wiedertreffen, einmal als "Pissbude" bezeichnet habe. Andreas hält sich oft in der "Pissbude" auf, weil seine Ehe gerade gescheitert ist und er bis auf Weiteres keine Wohnung hat. Erik bietet überraschend seine Hilfe an: Andreas könne für eine Weile seine Acht-Zimmer-Altbau-Eigentumswohnung hüten, weil er selbst gerade wieder in den Staaten zu tun habe. Unverhofft findet sich Andreas in Eriks Räumen wieder und erkundet mehr oder weniger diskret dessen Lebensspuren. Dankbarkeit mischt sich mit Groll, weil Erik ihm "diese Nähe nur erlaubt hatte unter der Bedingung seiner Abwesenheit".
Nun kommt das Telefon ins Spiel. Immer wieder ruft eine Frau an und möchte Erik sprechen. Wieder ist Andreas von den Socken: Es handelt sich, er erkennt ihre wunderbare Stimme sofort, um die berühmte französische Schauspielerin Hélène Grossman, die er seit vielen Jahren zutiefst verehrt - psychoanalytisch gesprochen als Ersatzobjekt für Erik. Der ist mit ihr offenbar eng befreundet. Als Eriks Stellvertreter am Ort kommt Andreas nun in den Genuss einer traumhaften Bekanntschaft, die nur dann eine Chance hat, wenn es ihm gelingt, endlich sein notorisches Fan-Verhalten (den "Anhimmelungsmodus") zu zügeln. Denn von Fans hat Helene genug, da geht sie sofort auf Distanz.
Die eigenwillige Begegnung zwischen dem Didaktiker und der Diva wird zur sublimen Komödie. Um sich zur Gelassenheit zu zwingen, versucht Andreas seine berufliche Routine auf das Zwischenmenschliche zu übertragen, nach der Devise: "Wo ein Fachdidaktiker ist, ist immer auch eine Unterrichtseinheit." Pädagogische Methodenbausteine lassen sich auch beim Gespräch mit Hélène nutzen, etwa: "Fragen nicht beantworten, sondern zurückgeben!" Natürlich ist dies kein Roman nach Art der französischen Filme, die Andreas so gerne sieht. Eine Liebesgeschichte bleibt aus. Und doch erlebt Andreas ein paar epochemachende Stunden, in denen er endlich mal aus der Lebensdefensive herauskommt. Ganz nebenbei zeigt sich, dass auch bei dem bewunderten Erik längst nicht alles rundläuft.
Menschen begegnen sich zwar gern "auf Augenhöhe", wie die Floskel lautet. In Wahrheit besteht jedoch oft ein Gefälle, das zur Belastung werden kann, manchmal für ein halbes Leben, wie es dieser Roman mit feinem Sensorium für Zwischentöne erzählt. Auch Martin Walser hat dieses Motiv oft in Szene gesetzt, etwa in seiner Novelle "Ein fliehendes Pferd", in der es ebenfalls um das Psychodrama zwischen zwei ehemaligen "Schulfreunden" geht, einem in die melancholische Introversion abgerutschten Lehrer und einem scheinbar brillanten Erfolgsmenschen. Der Ton ist jedoch verschieden: Was bei Walser zu einer etwas schwitzigen Männerkonkurrenz gerät, bleibt bei Treichel die innere Obsession eines mit seiner Durchschnittlichkeit hadernden Akademikers, der sich in jeder Situation ein paar Gedanken zu viel macht, gerade deshalb aber auch zum gewitzten Beobachter und Kommentator seines Alltags wird.
Man genießt bei der Lektüre die filmische Präzision der Szenen und Dialoge, genießt vor allem den bewährten Treichel-Sound, der der Schüchternheit den Charme abgewinnt und mit vielen pointierten Einsichten aufwartet, über Freundschaftsschieflagen, Ehekonflikte, den Sinn und Unsinn des Reisens, die Kapriolen der Erinnerung oder das Gefühl der "guten Fremdheit" im Leben, die von der "schlechten" genau zu unterscheiden sei. Mit der "guten Fremdheit" ist schon viel erreicht, und sie ist umso besser zu ertragen, wenn man vertrauliche Romane wie diesen lesen kann. WOLFGANG SCHNEIDER
Hans-Ulrich Treichel: "Schöner denn je". Roman
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 176 S., geb., 22 ,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main