»Ein so frech wie stilistisch perfekt konstruiertes Märchen.« Fritz J. Raddatz in 'Die Zeit'
Ein durch seine Tricks reich gewordener Händler, ein durchs Kuschen Offizier gewordener Soldat und ein Chirurg mit Schneid. Stani, Kulle und Breffchen sind Drillinge, und ihre Liebes- und Lebensversuche tragen eine ganze abendländische Kultur- und Sittengeschichte in sich.
Ein durch seine Tricks reich gewordener Händler, ein durchs Kuschen Offizier gewordener Soldat und ein Chirurg mit Schneid. Stani, Kulle und Breffchen sind Drillinge, und ihre Liebes- und Lebensversuche tragen eine ganze abendländische Kultur- und Sittengeschichte in sich.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2011Tollkühn
und bodenlos
Hans Magnus Enzensberger schrieb über Ernst Augustins ersten Roman „Der Kopf“, er sei von „bodenlosem Witz“. Dieser gefährliche, weil die Phantasie des Lesenden auf ihre Bereitschaft zu Wagemut und Tollkühnheit prüfende Witz prägt letztlich das Gesamtwerk dieses aufregend hintersinnigen und surrealistisch verführerischen Autors. „Schönes Abendland“ ist Augustins Neufassung seines 1970 erschienenen dritten Romans „Mama“. Drei Lebensläufe werden erzählt, gewissermaßen Kernwerdegänge abendländischer Berufe. Stani ist Kaufmann in der Vielfalt des Wortes bis ins Hypertrophe hinein; Kulle entwickelt sich zum totalen General „im Halbpelz mit angehängten Marderschwänzen“; Beffchen endlich operiert und schneidet sich durch bis zum Chirurgen schlechthin. Augustin kreiert und inszeniert mit nachtschwarzem Humor drei Monster. Harald Eggebrecht
Ernst
Augustin: Schönes Abendland. Roman.
dtv, München 2011.
436 Seiten,
12,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
und bodenlos
Hans Magnus Enzensberger schrieb über Ernst Augustins ersten Roman „Der Kopf“, er sei von „bodenlosem Witz“. Dieser gefährliche, weil die Phantasie des Lesenden auf ihre Bereitschaft zu Wagemut und Tollkühnheit prüfende Witz prägt letztlich das Gesamtwerk dieses aufregend hintersinnigen und surrealistisch verführerischen Autors. „Schönes Abendland“ ist Augustins Neufassung seines 1970 erschienenen dritten Romans „Mama“. Drei Lebensläufe werden erzählt, gewissermaßen Kernwerdegänge abendländischer Berufe. Stani ist Kaufmann in der Vielfalt des Wortes bis ins Hypertrophe hinein; Kulle entwickelt sich zum totalen General „im Halbpelz mit angehängten Marderschwänzen“; Beffchen endlich operiert und schneidet sich durch bis zum Chirurgen schlechthin. Augustin kreiert und inszeniert mit nachtschwarzem Humor drei Monster. Harald Eggebrecht
Ernst
Augustin: Schönes Abendland. Roman.
dtv, München 2011.
436 Seiten,
12,90 Euro.
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Tollkühn und bodenlos. Harald Eggebrecht Süddeutsche Zeitung 20110304
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2007Anatom des Bürgers
Ernst Augustin galt lange als Geheimtipp. Jetzt, zum achtzigsten Geburtstag des aus-, aber nicht eingebildeten Mediziners, bringt sein Verlag den Schelmenroman "Schönes Abendland" heraus.
Wenn die Romanhelden Drillinge sind und außerdem Stani, Kulle und Beffchen heißen, ist Lustiges zu erwarten, auch wohl Groteskes, Seltsames oder Verrücktes. Dass der eine von ihnen Kaufmann, der andere General und der dritte Chirurg werden möchte, versetzt sie in die Mitte unserer Gesellschaft. Welche Mutter wäre nicht stolz, wenn ihre Söhne solche Berufe ergreifen?
Wir befinden uns in einem Roman von Ernst Augustin, und das bedeutet seit seinem Erstling "Der Kopf" Skurriles, Geistvolles, Scharfsichtiges. Der Drillings-Roman heißt "Schönes Abendland", und da sind wir denn in der Tat bei uns selbst angekommen. Auf den ersten Blick scheinen die Lebensläufe der drei Brüder musterhaft bürgerlichen Aufstiegshoffnungen zu entsprechen. Stani, der älteste, handelt bereits als Schulkind mit Kolonial-Sammelbildern und erwirbt sich später ein immenses Lager mit Stoffen, Pelzen, Branntwein und anderen Gütern; der intellektuell eher unbewegliche Kulle schwärmt für Uniformen und laviert sich geschickt durch alle Beförderungen bis zum Generalsrang; Beffchen schließlich entwickelt ein starkes Interesse an medizinischen Fragen und schreckt sein Leben lang auch vor komplizierten Operationen nicht zurück, obwohl er davon nicht viel versteht. Neben ihrem Ehrgeiz eint die Drillinge der Wunsch, ihrer breit ausladenden "Mamma" zu imponieren und deren Gunst nicht teilen zu müssen.
Man kann die Lebensläufe der Drillinge aus Augustins Roman als anschauliche Illustration des Zusammenhangs von protestantischer Ethik und dem Geist des Kapitalismus verstehen, wie ihn Max Weber entfaltet hat: Individuelles Streben nach Aufstieg und die Bereitschaft zur Entsagung führen zur Anhäufung von Kapital, monetärem wie symbolischem. Das "schöne Abendland", von dem der Titel des Romans spricht, verdankt seine kulturellen und wirtschaftlichen Erfolge ja der Leistung vieler Einzelner. Zum Glück seiner Leser ist Ernst Augustin aber kein nüchterner Gesellschaftswissenschaftler, sondern ein überaus phantasievoller Erzähler. So gestaltet er die Geschichte der Drillinge als ein Märchen, an dem realistische Maßstäbe versagen. In drei Kapiteln schildern die Brüder ihre Erlebnisse in abenteuerlichen Berichten, die einander oft widersprechen und sich wechselseitig in der Absonderlichkeit der Ereignisse übertreffen. Die Episode etwa, in der dem selbstgewissen Händler Stani in Schweden ein ganzes Schnapslager angedreht wird, gehört zu den vielen grotesken Szenen, die die bürgerlichen Tugenden der Sparsamkeit, der Vorsicht und des Maßhaltens fröhlich verspotten.
Die Frage nach der "Wahrheit" des Erzählten wird angesichts der großen Fabulierlust Ernst Augustins immer unwichtiger. Geburt und Tod bilden einen unzuverlässigen Rahmen um die einzelnen Lebensläufe. Hat Stani den späteren General Kulle tatsächlich bereits als Kind in der Jauchegrube ersticken lassen? Und kuriert Beffchen, der talentlose Arzt, bereits als Schulkind einen Kameraden zu Tode? Sein kühler Kommentar lässt kaum einen anderen Schluss zu: "Gegen neun stirbt mein Patient. Er hat ausgearbeitet, sein Herz steht still, da ist nun nichts mehr zu wollen." Später wird Beffchen, der inzwischen immerhin ein Medizinstudium absolviert hat, eine Unterleibsoperation durchführen, deren Details auch bei abgebrühten Lesern das Verlangen nach einer beruhigenden Kompresse entstehen lassen dürften.
Der ausgebildete Mediziner und Psychologe Ernst Augustin, der an diesem Mittwoch achtzig Jahre alt wird, kennt sich in der menschlichen Anatomie besser aus als sein glückloser Operateur. Von 1958 bis 1961 leitete er ein amerikanisches Krankenhaus in Afghanistan; danach arbeitete er in München zunächst als Nervenarzt, später als psychiatrischer Gutachter. Die Neugier auf die Spielarten menschlichen Verhaltens spiegelt sich in den Büchern dieses Vielgereisten, die von Anfang an jenseits modischer Strömungen ihre eigene vergnügliche Sprache entwickelt haben und ein zutiefst humanes Programm verfolgen.
Sein wohl bekanntester Roman "Raumlicht. Der Fall Evelyne B." (1976), der vor drei Jahren neu aufgelegt wurde, schildert die Heilung einer schizophrenen Patientin, der die Schulmedizin nicht zu helfen weiß, die aber durch die Liebe und den Einfallsreichtum ihres Therapeuten in ein zufriedenes Leben zurückfindet. Das ist ein märchenhaft schönes Ende, ganz ohne Frage; zugleich verrät es viel von Augustins tiefem Misstrauen gegenüber jeder Art von Ideologie und geistiger Gängelung.
Der Schelmenroman um die Drillinge erschien zuerst 1970 unter dem Titel "Mamma". Vier Jahre zuvor hatte Ernst Augustin beträchtlichen Beifall bekommen, als er die Geschichte des operationswütigen Mediziners Beffchen bei der Tagung der Gruppe 47 in Princeton vorgelesen hatte. Nur währte dieser Ruhm nicht lange, stellte doch der Auftritt des jungen Peter Handke alle anderen Ereignisse dieser Tagung in den Schatten.
Lange wurde Augustin als Geheimtipp empfohlen. Seit der furiosen "Schule der Nackten" (2003) hat sich C. H. Beck aber des Gesamtwerks angenommen und vor kurzem eine liebevoll ausgestattete Kassette mit den wichtigsten Büchern herausgebracht, zu denen auch der Roman "Schönes Abendland" gehört.
SABINE DOERING
Ernst Augustin: "Schönes Abendland". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2007. 437 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ernst Augustin galt lange als Geheimtipp. Jetzt, zum achtzigsten Geburtstag des aus-, aber nicht eingebildeten Mediziners, bringt sein Verlag den Schelmenroman "Schönes Abendland" heraus.
Wenn die Romanhelden Drillinge sind und außerdem Stani, Kulle und Beffchen heißen, ist Lustiges zu erwarten, auch wohl Groteskes, Seltsames oder Verrücktes. Dass der eine von ihnen Kaufmann, der andere General und der dritte Chirurg werden möchte, versetzt sie in die Mitte unserer Gesellschaft. Welche Mutter wäre nicht stolz, wenn ihre Söhne solche Berufe ergreifen?
Wir befinden uns in einem Roman von Ernst Augustin, und das bedeutet seit seinem Erstling "Der Kopf" Skurriles, Geistvolles, Scharfsichtiges. Der Drillings-Roman heißt "Schönes Abendland", und da sind wir denn in der Tat bei uns selbst angekommen. Auf den ersten Blick scheinen die Lebensläufe der drei Brüder musterhaft bürgerlichen Aufstiegshoffnungen zu entsprechen. Stani, der älteste, handelt bereits als Schulkind mit Kolonial-Sammelbildern und erwirbt sich später ein immenses Lager mit Stoffen, Pelzen, Branntwein und anderen Gütern; der intellektuell eher unbewegliche Kulle schwärmt für Uniformen und laviert sich geschickt durch alle Beförderungen bis zum Generalsrang; Beffchen schließlich entwickelt ein starkes Interesse an medizinischen Fragen und schreckt sein Leben lang auch vor komplizierten Operationen nicht zurück, obwohl er davon nicht viel versteht. Neben ihrem Ehrgeiz eint die Drillinge der Wunsch, ihrer breit ausladenden "Mamma" zu imponieren und deren Gunst nicht teilen zu müssen.
Man kann die Lebensläufe der Drillinge aus Augustins Roman als anschauliche Illustration des Zusammenhangs von protestantischer Ethik und dem Geist des Kapitalismus verstehen, wie ihn Max Weber entfaltet hat: Individuelles Streben nach Aufstieg und die Bereitschaft zur Entsagung führen zur Anhäufung von Kapital, monetärem wie symbolischem. Das "schöne Abendland", von dem der Titel des Romans spricht, verdankt seine kulturellen und wirtschaftlichen Erfolge ja der Leistung vieler Einzelner. Zum Glück seiner Leser ist Ernst Augustin aber kein nüchterner Gesellschaftswissenschaftler, sondern ein überaus phantasievoller Erzähler. So gestaltet er die Geschichte der Drillinge als ein Märchen, an dem realistische Maßstäbe versagen. In drei Kapiteln schildern die Brüder ihre Erlebnisse in abenteuerlichen Berichten, die einander oft widersprechen und sich wechselseitig in der Absonderlichkeit der Ereignisse übertreffen. Die Episode etwa, in der dem selbstgewissen Händler Stani in Schweden ein ganzes Schnapslager angedreht wird, gehört zu den vielen grotesken Szenen, die die bürgerlichen Tugenden der Sparsamkeit, der Vorsicht und des Maßhaltens fröhlich verspotten.
Die Frage nach der "Wahrheit" des Erzählten wird angesichts der großen Fabulierlust Ernst Augustins immer unwichtiger. Geburt und Tod bilden einen unzuverlässigen Rahmen um die einzelnen Lebensläufe. Hat Stani den späteren General Kulle tatsächlich bereits als Kind in der Jauchegrube ersticken lassen? Und kuriert Beffchen, der talentlose Arzt, bereits als Schulkind einen Kameraden zu Tode? Sein kühler Kommentar lässt kaum einen anderen Schluss zu: "Gegen neun stirbt mein Patient. Er hat ausgearbeitet, sein Herz steht still, da ist nun nichts mehr zu wollen." Später wird Beffchen, der inzwischen immerhin ein Medizinstudium absolviert hat, eine Unterleibsoperation durchführen, deren Details auch bei abgebrühten Lesern das Verlangen nach einer beruhigenden Kompresse entstehen lassen dürften.
Der ausgebildete Mediziner und Psychologe Ernst Augustin, der an diesem Mittwoch achtzig Jahre alt wird, kennt sich in der menschlichen Anatomie besser aus als sein glückloser Operateur. Von 1958 bis 1961 leitete er ein amerikanisches Krankenhaus in Afghanistan; danach arbeitete er in München zunächst als Nervenarzt, später als psychiatrischer Gutachter. Die Neugier auf die Spielarten menschlichen Verhaltens spiegelt sich in den Büchern dieses Vielgereisten, die von Anfang an jenseits modischer Strömungen ihre eigene vergnügliche Sprache entwickelt haben und ein zutiefst humanes Programm verfolgen.
Sein wohl bekanntester Roman "Raumlicht. Der Fall Evelyne B." (1976), der vor drei Jahren neu aufgelegt wurde, schildert die Heilung einer schizophrenen Patientin, der die Schulmedizin nicht zu helfen weiß, die aber durch die Liebe und den Einfallsreichtum ihres Therapeuten in ein zufriedenes Leben zurückfindet. Das ist ein märchenhaft schönes Ende, ganz ohne Frage; zugleich verrät es viel von Augustins tiefem Misstrauen gegenüber jeder Art von Ideologie und geistiger Gängelung.
Der Schelmenroman um die Drillinge erschien zuerst 1970 unter dem Titel "Mamma". Vier Jahre zuvor hatte Ernst Augustin beträchtlichen Beifall bekommen, als er die Geschichte des operationswütigen Mediziners Beffchen bei der Tagung der Gruppe 47 in Princeton vorgelesen hatte. Nur währte dieser Ruhm nicht lange, stellte doch der Auftritt des jungen Peter Handke alle anderen Ereignisse dieser Tagung in den Schatten.
Lange wurde Augustin als Geheimtipp empfohlen. Seit der furiosen "Schule der Nackten" (2003) hat sich C. H. Beck aber des Gesamtwerks angenommen und vor kurzem eine liebevoll ausgestattete Kassette mit den wichtigsten Büchern herausgebracht, zu denen auch der Roman "Schönes Abendland" gehört.
SABINE DOERING
Ernst Augustin: "Schönes Abendland". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2007. 437 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bei "Schönes Abendland", instruiert uns Rezensentin Sabine Doering, handelt es sich um die Wiederauflage von Ernst Augustins Roman "Mamma" aus dem Jahr 1970. Dass der Roman in dieser Zeit gealtert sei, kann die Rezensentin nicht feststellen, eher bedauerlich findet sie es, dass Augustin so lange Zeit sein schriftstellerisches Leben als Geheimtipp fristete, weswegen sie die Neuauflage sehr begrüßt. Denn der Roman um die Drillinge Stani, Kulle und Beffchen bietet der Rezensentin, was sie von einem Augustin erwartet: "Skurriles, Geistvolles, Scharfsichtiges". Allerdings warnt sie auch, dass der Arzt Augustin nicht nur mit einer großen Fabulierlust aufwartet, sondern auch mit medizinischem Detail, das stellenweise durchaus einen abgebrühten Leser fordert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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