Von Anti-Aging über Botox bis zu Schönheitsoperationen: Einer der umstrittensten Bereiche der Medizin ist zu einem milliardenschweren Geschäft geworden. Nicht selten haben derartige Eingriffe verheerende Folgen. Denn schließlich darf sich hierzulande jeder Arzt ohne weitere Qualifikation mit dem Titel "Schönheitschirurg" schmücken. In Zusammenarbeit mit Medizinern beschreiben Hans Weiss und Ingeborg Lackinger Karger die wichtigsten Techniken und Möglichkeiten der Beauty-Industrie und geben klare Bewertungen ab: Was ist der Nutzen, und wo liegen die Risiken der Schönheitsmedizin?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2011Verhaltensregeln für das Rotlichtmilieu der Medizin
Das Risiko trägt der Patient: Hans Weiss und Ingeborg Lackinger Karger durchmustern die Schönheitschirurgie
Die Zahl der Männer, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen, ist in den letzten drei Jahren stark gestiegen. Offenbar leiden immer mehr Männer am Berlusconi-Syndrom, wonach man angeblich mehr Eindruck auf jüngere Frauen macht, wenn man sich die Lider straffen und Fett absaugen lässt. Gerade Letzteres, nämlich die Liposuktion, wie der Eingriff wissenschaftlich heißt, steht beim männlichen Geschlecht inzwischen hoch im Kurs.
Doch die erheblichen Risiken werden in den Hochglanzbroschüren der Schönheitskliniken nicht erwähnt. Verschwiegen wird beispielsweise, dass zwischen 1998 und 2002 allein siebenundsechzig Patienten nach einer Fettabsaugung mit lebensgefährlichen Infektionen, Lungenembolien oder durchstochenen Organen auf der Intensivstation landeten und sogar neunzehn Todesfälle zu beklagen waren. Die Dunkelziffer dürfte laut Professor Steinau von der Universität Bochum, der diese Zahlen zusammengetragen hat, erheblich höher liegen, nämlich bei dreißig bis fünfzig Fettabsaugungen mit tödlichem Ausgang.
Es ist also dringend geboten, das breite Spektrum der Schönheitschirurgie einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Einen Regelungsbedarf sieht inzwischen auch die Bundesärztekammer. Experten beklagen nämlich schon seit langem, dass das Fachgebiet mittlerweile zu einer Art "Rotlichtmilieu der Medizin" geworden sei.
Neben einigen kritischen Artikeln und Fernsehsendungen zum Wildwuchs in der Schönheitschirurgie gibt es nun ein umfassendes Sachbuch, das aufklären will und sich als seriöser Ratgeber versteht. Autoren sind ein bekannter Medizinjournalist und eine Ärztin.
Dass Schönheitsoperationen in der Gesellschaft wie auch in der Medizin kein Randphänomen mehr sind, zeigen Umfragen. 2008 wurden allein in Deutschland 430 000 solcher Eingriffe durchgeführt - Tendenz steigend. Dabei haben Meinungsforscher herausgefunden, dass die große Mehrheit der Frauen und Männer durchaus mit ihrem Aussehen zufrieden ist. Eine aber nicht mehr so kleine Minderheit ist jedoch davon überzeugt, dass Schönheit machbar ist.
Die Autoren behaupten, dass dieser "Schönheitswahn" erst seit den achtziger Jahren grassiert, und zwar gleichzeitig "mit der Kommerzialisierung der Schönheit im großen Stil." Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ließen sich Menschen ohne medizinischen Grund etwa an der Nase operieren. Nicht wenige ältere Männer glaubten damals daran, dass ihnen die Einspritzung von Affenhodenextrakten jugendliches Aussehen und Manneskraft bringen würde. Hormontherapie wurde bereits um 1900 als Jungbrunnen für Frauen und Männer stark in Publikumszeitschriften beworben. Doch sei den Autoren diese Unkenntnis nachgesehen, denn sie wollten ja kein historisches Sachbuch schreiben, sondern einen Ratgeber für alle, die mit dem Gedanken spielen, ihrem Aussehen ein wenig mit chirurgischen und medikamentösen Mitteln nachzuhelfen.
Dazu gehört nicht zuletzt, Interessenten bei der Arztsuche zu beraten. Dass eine Klinik am Bodensee, deren Leiter häufig in den bunten Gazetten abgebildet ist, trotz gegenteiliger Werbeaussagen nicht zu den ersten Adressen in Deutschland zählt, macht die einleitende Reportage von Hans Weiss nach Wallraff-Manier deutlich. Jeder approbierte Arzt kann sich als Schönheitschirurg bezeichnen. Doch wer als Patient sichergehen will, der sollte darauf achten, dass es sich um einen Facharzt für plastische Chirurgie handelt, denn dann liegt wenigstens eine fünfjährige Weiterbildung auf diesem Gebiet vor. Auch bei einem Anti-Aging-Spezialisten, der einen Professorentitel hat, kann man sich täuschen, wie Weiss am Beispiel eines Wiener Therapeuten zeigt, der seinen Klienten die Nebenwirkungen und Risiken von Wachstumshormonen verschweigt und ihnen stattdessen ewige Jugend verspricht.
Angesichts solchen Wildwuchses liest man mit Gewinn, was die Autoren über die einzelnen Schönheitsmethoden auf der Basis wissenschaftlicher Literatur an seriöser Information zusammengetragen haben. Das fängt an mit den einschlägigen (meist negativen) Testergebnissen für Haut- und Faltencremes und setzt sich fort mit der kritischen Bewertung von Faltenkillern, wie Botoxspritzen und Lasertherapie.
Es folgt eine lange Liste von Verfahren, die nach dem Kopf-bis-Fuß-Schema gegliedert sind. Auch die neueste Mode, die Schamlippenverkleinerung aus ästhetischen Gründen, findet hier Erwähnung. Bei chirurgischen Eingriffen erfährt man Einzelheiten über Varianten, Alternativen, Verlauf, Indikationen, Nutzen sowie Dauerhaftigkeit des gewünschten Effekts. Auch eine Angabe der ungefähren Kosten fehlt nicht.
Billig ist die Schönheitschirurgie nämlich nicht, es kommen manchmal schnell fünfstellige Beträge zusammen. Nicht zuletzt erfährt man in dem Ratgeber etwas über windige Geschäftsmodelle, wie zum Beispiel Ratenzahlungen. In einigen Kliniken liegt der Anteil der Ratenzahler bereits bei einem Drittel. So wundert es nicht, dass viele ins Ausland ausweichen, wo es angeblich billiger ist. Dass man dabei aber viele Nachteile in Kauf nehmen muss, daran lassen die Autoren keinen Zweifel. Und wer sich nach reiflicher Überlegung doch dem Skalpell eines Schönheitschirurgen anvertraut, der sollte das Schlusskapitel lesen, das juristische Ratschläge enthält. Der Behandlungsvertrag garantiert im Unterschied zur Werbung keinen Erfolg. Das Risiko trägt also in der Regel der Patient.
ROBERT JÜTTE
Hans Weiss, Ingeborg Lackinger Karger: "Schönheit". Die Versprechen der Beauty-Industrie - Nutzen, Risiken, Kosten.
Deuticke Verlag, Wien 2011. 319 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Risiko trägt der Patient: Hans Weiss und Ingeborg Lackinger Karger durchmustern die Schönheitschirurgie
Die Zahl der Männer, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen, ist in den letzten drei Jahren stark gestiegen. Offenbar leiden immer mehr Männer am Berlusconi-Syndrom, wonach man angeblich mehr Eindruck auf jüngere Frauen macht, wenn man sich die Lider straffen und Fett absaugen lässt. Gerade Letzteres, nämlich die Liposuktion, wie der Eingriff wissenschaftlich heißt, steht beim männlichen Geschlecht inzwischen hoch im Kurs.
Doch die erheblichen Risiken werden in den Hochglanzbroschüren der Schönheitskliniken nicht erwähnt. Verschwiegen wird beispielsweise, dass zwischen 1998 und 2002 allein siebenundsechzig Patienten nach einer Fettabsaugung mit lebensgefährlichen Infektionen, Lungenembolien oder durchstochenen Organen auf der Intensivstation landeten und sogar neunzehn Todesfälle zu beklagen waren. Die Dunkelziffer dürfte laut Professor Steinau von der Universität Bochum, der diese Zahlen zusammengetragen hat, erheblich höher liegen, nämlich bei dreißig bis fünfzig Fettabsaugungen mit tödlichem Ausgang.
Es ist also dringend geboten, das breite Spektrum der Schönheitschirurgie einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Einen Regelungsbedarf sieht inzwischen auch die Bundesärztekammer. Experten beklagen nämlich schon seit langem, dass das Fachgebiet mittlerweile zu einer Art "Rotlichtmilieu der Medizin" geworden sei.
Neben einigen kritischen Artikeln und Fernsehsendungen zum Wildwuchs in der Schönheitschirurgie gibt es nun ein umfassendes Sachbuch, das aufklären will und sich als seriöser Ratgeber versteht. Autoren sind ein bekannter Medizinjournalist und eine Ärztin.
Dass Schönheitsoperationen in der Gesellschaft wie auch in der Medizin kein Randphänomen mehr sind, zeigen Umfragen. 2008 wurden allein in Deutschland 430 000 solcher Eingriffe durchgeführt - Tendenz steigend. Dabei haben Meinungsforscher herausgefunden, dass die große Mehrheit der Frauen und Männer durchaus mit ihrem Aussehen zufrieden ist. Eine aber nicht mehr so kleine Minderheit ist jedoch davon überzeugt, dass Schönheit machbar ist.
Die Autoren behaupten, dass dieser "Schönheitswahn" erst seit den achtziger Jahren grassiert, und zwar gleichzeitig "mit der Kommerzialisierung der Schönheit im großen Stil." Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ließen sich Menschen ohne medizinischen Grund etwa an der Nase operieren. Nicht wenige ältere Männer glaubten damals daran, dass ihnen die Einspritzung von Affenhodenextrakten jugendliches Aussehen und Manneskraft bringen würde. Hormontherapie wurde bereits um 1900 als Jungbrunnen für Frauen und Männer stark in Publikumszeitschriften beworben. Doch sei den Autoren diese Unkenntnis nachgesehen, denn sie wollten ja kein historisches Sachbuch schreiben, sondern einen Ratgeber für alle, die mit dem Gedanken spielen, ihrem Aussehen ein wenig mit chirurgischen und medikamentösen Mitteln nachzuhelfen.
Dazu gehört nicht zuletzt, Interessenten bei der Arztsuche zu beraten. Dass eine Klinik am Bodensee, deren Leiter häufig in den bunten Gazetten abgebildet ist, trotz gegenteiliger Werbeaussagen nicht zu den ersten Adressen in Deutschland zählt, macht die einleitende Reportage von Hans Weiss nach Wallraff-Manier deutlich. Jeder approbierte Arzt kann sich als Schönheitschirurg bezeichnen. Doch wer als Patient sichergehen will, der sollte darauf achten, dass es sich um einen Facharzt für plastische Chirurgie handelt, denn dann liegt wenigstens eine fünfjährige Weiterbildung auf diesem Gebiet vor. Auch bei einem Anti-Aging-Spezialisten, der einen Professorentitel hat, kann man sich täuschen, wie Weiss am Beispiel eines Wiener Therapeuten zeigt, der seinen Klienten die Nebenwirkungen und Risiken von Wachstumshormonen verschweigt und ihnen stattdessen ewige Jugend verspricht.
Angesichts solchen Wildwuchses liest man mit Gewinn, was die Autoren über die einzelnen Schönheitsmethoden auf der Basis wissenschaftlicher Literatur an seriöser Information zusammengetragen haben. Das fängt an mit den einschlägigen (meist negativen) Testergebnissen für Haut- und Faltencremes und setzt sich fort mit der kritischen Bewertung von Faltenkillern, wie Botoxspritzen und Lasertherapie.
Es folgt eine lange Liste von Verfahren, die nach dem Kopf-bis-Fuß-Schema gegliedert sind. Auch die neueste Mode, die Schamlippenverkleinerung aus ästhetischen Gründen, findet hier Erwähnung. Bei chirurgischen Eingriffen erfährt man Einzelheiten über Varianten, Alternativen, Verlauf, Indikationen, Nutzen sowie Dauerhaftigkeit des gewünschten Effekts. Auch eine Angabe der ungefähren Kosten fehlt nicht.
Billig ist die Schönheitschirurgie nämlich nicht, es kommen manchmal schnell fünfstellige Beträge zusammen. Nicht zuletzt erfährt man in dem Ratgeber etwas über windige Geschäftsmodelle, wie zum Beispiel Ratenzahlungen. In einigen Kliniken liegt der Anteil der Ratenzahler bereits bei einem Drittel. So wundert es nicht, dass viele ins Ausland ausweichen, wo es angeblich billiger ist. Dass man dabei aber viele Nachteile in Kauf nehmen muss, daran lassen die Autoren keinen Zweifel. Und wer sich nach reiflicher Überlegung doch dem Skalpell eines Schönheitschirurgen anvertraut, der sollte das Schlusskapitel lesen, das juristische Ratschläge enthält. Der Behandlungsvertrag garantiert im Unterschied zur Werbung keinen Erfolg. Das Risiko trägt also in der Regel der Patient.
ROBERT JÜTTE
Hans Weiss, Ingeborg Lackinger Karger: "Schönheit". Die Versprechen der Beauty-Industrie - Nutzen, Risiken, Kosten.
Deuticke Verlag, Wien 2011. 319 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Neben Fachartikeln und Reportagen gibt es nun ein erstes "seriöses" Sachbuch, das sich mit den Methoden, Risiken und Kosten der Schönheitschirurgie befasst und sich als Ratgeberbuch versteht, teilt Robert Jütte mit. Nicht zuletzt weil es etliche windige Geschäftspraktiken gibt, die Risiken von medizinischen Eingriffen gern heruntergespielt werden und Ärzte mit mangelnder Fachausbildung zum Skalpell greifen, findet der Rezensent dieses Buch des Medizinjournalisten Hans Weiss und der Ärztin Ingeborg Lackinger Karger sehr lesenswert. Dass die Autoren in ihrer historischen Einordnung des Phänomens "Schönheitswahn" nicht ganz auf den Punkt kommen, findet Jütte deshalb nicht schlimm, denn dieser Band will Ratgeber sein, nicht medizinhistorisches Fachbuch, so der Rezensent zustimmend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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