Der Dialog zweier aufregender Denkerinnen unserer Zeit zelebriert das Zuhören und das Nachfragen, die Vergemeinschaftung von Wissen, ohne Differenzen aufzugeben, um andere Formen des Wirtschaftens und der Lebensgrundlage in den Blick zu nehmen: Versorgung statt Phantombesitz, AuÍbruch statt Apokalypse, Regenerieren statt Erschöpfen.
Wie lässt sich Ökonomie anders denken als im Wachstumsparadigma, welchen Umgang mit Ressourcen sollten wir pflegen, um ökologischer und sozialer Erschöpfung entgegenzuwirken, und ist es möglich, dass Gesellschaften tatsächlich mehr Reichtum, Wohlstand und Wohlbefinden für alle erzeugen können, wenn sie nicht mehr an Profit orientiert sind? - Diesen Fragenstellen sich die Politökonomin Maja Göpel und die Philosophin Eva von Redecker, beleuchten sie aus ihren jeweiligen Disziplinen und gehen dabei debattierend aufeinander zu, um gemeinsam mögliche Wege aus der Vielfachkrise der Gegenwart aufzuzeigen.
Dieser Dialog ist die Weiterführung eines Gesprächs zwischen den beiden Autorinnen, das im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Burning Futures: On Ecologies of Existence« im HAU Hebbel am Ufer (Berlin) stattfand, kuratiert und moderiert von Margarita Tsomou und Maximilian Haas.
Wie lässt sich Ökonomie anders denken als im Wachstumsparadigma, welchen Umgang mit Ressourcen sollten wir pflegen, um ökologischer und sozialer Erschöpfung entgegenzuwirken, und ist es möglich, dass Gesellschaften tatsächlich mehr Reichtum, Wohlstand und Wohlbefinden für alle erzeugen können, wenn sie nicht mehr an Profit orientiert sind? - Diesen Fragenstellen sich die Politökonomin Maja Göpel und die Philosophin Eva von Redecker, beleuchten sie aus ihren jeweiligen Disziplinen und gehen dabei debattierend aufeinander zu, um gemeinsam mögliche Wege aus der Vielfachkrise der Gegenwart aufzuzeigen.
Dieser Dialog ist die Weiterführung eines Gesprächs zwischen den beiden Autorinnen, das im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Burning Futures: On Ecologies of Existence« im HAU Hebbel am Ufer (Berlin) stattfand, kuratiert und moderiert von Margarita Tsomou und Maximilian Haas.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2022Zyklische Lebensordnung
Maja Göpel und Eva von Redecker fordern ein neues, ökologisches Denken. Nur, wer könnte es durchsetzen?
Was geschieht, wenn das ständige Wachstum der Wirtschaft aus ökologischen Gründen aufhört, „Voraussetzung zu sein, und wenn die Frage gestellt werden muss, wer den Fortschritt begrenzen und vielleicht einschränken“ kann? „Wer aber soll die Macht haben, die Dinge hier durchzusetzen, die nicht durch Gewinn definiert werden, sondern Geld kosten?“ Diese Fragen stammen aus keinem Fridays-for-Future-Manifest, sondern aus dem Jahr 1972: Mit ihnen reagierte der liberalkonservative Philosoph Joachim Ritter auf einen Tagungsvortrag des späteren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde. Dessen Antwort auf die Nachfragen seines akademischen Lehrers fällt nicht minder pessimistisch aus. Doch sie enthält den Verweis auf eine Vokabel, die Lösung versprechen soll: Gelänge es, dem Maßstab der „Qualität des Lebens“ gegenüber dem Ziel bloß quantitativen Wirtschaftswachstums Vorrang zu verschaffen, könnte der Staat vielleicht die sich abzeichnende Umweltkrise lösen.
Es ist überaus bemerkenswert, dass nun, 50 Jahre später, noch immer beinahe dieselben Grundsatzfragen gestellt werden – allerdings aus entgegengesetzter politischer Richtung: Die kapitalismuskritische Ökonomin und Bestsellerautorin Maja Göpel und die Kritische Theoretikerin Eva von Redecker widmen sich in ihrem gemeinsamen Buch dialogisch der Aufgabe, den „Glauben an linearen Fortschritt“ durch Orientierung an den „zyklischen Kreisläufen der Natur“ aufzubrechen.
Die Diagnose, die sie zuerst in einer gemeinsamen Diskussionsrunde des HAU-Theaters in Berlin entwickelten, lautet folgendermaßen: Die Fortschrittsauffassung der Moderne lebt von den Regenerationskreisläufen der Natur. Sie stellen nahrhaften Boden, trinkbares Wasser, angenehmes Klima, nicht zuletzt hinreichend Energie bereit, um darauf profitabel zu wirtschaften. „Aber dummerweise“ werden diese „Ökosystemdienstleistungen“ in der „dominanten Geschichte der Verwertungslogik genau deshalb übersehen oder sogar zerstört“ (Göpel). Die heutigen Gesellschaften produzieren, schmeißen weg, verbrauchen – ohne „Pflegschaft“ (von Redecker) für die natürlichen Voraussetzungen des Lebens zu übernehmen.
Das Buch knüpft gekonnt eine Reihe von Streitpunkten zur ökologischen Transformation aneinander – von der Idee einer Postwachstumsgesellschaft, über die Bilanzierung von Umweltkosten bis zur Möglichkeit einer digitalisierten Planwirtschaft auf Basis der Vergesellschaftung von Plattformen wie Amazon bleibt wenig unerwähnt. Doch die Autorinnen kommen immer wieder zu der Frage zurück, die sich unabweisbar schon Ritter und Böckenförde stellte: Wer kann in dieser Ökonomie, die von der Spekulation auf die reichere Zukunft lebt, eine derart zyklische Lebensordnung durchzusetzen?
Göpel und von Redecker verwehren sich der Annahme, die Menschenmehrheit, die immer noch in relativer Armut lebt, müsste ihre Hoffnung auf ein besseres Leben aufgeben. „Diejenigen, die Überkonsum für sich in Anspruch genommen haben“, sollen vielmehr nun gezwungen werden, ihr „Konsumniveau zu reduzieren“ (Göpel). Daher auch die heftigen Abwehrkämpfe gegen wirksamen Klimaschutz – oder überhaupt die Anerkennung der Existenz des Klimawandels: Ein verschwendungsreiches Leben auf Kosten anderer sei wie „Phantombesitz“, dessen Enteignung quasi Phantomschmerzen verursache (von Redecker). Doch das „Machtproblem“ bleibt. Wer setzt das durch? Wer kann eine solche Perspektive auf das Gemeinsame noch einnehmen?
Ritter und Böckenförde fanden 1972 darauf keine Antwort. Als Hegelianer kam ihnen der Verlust eines aufgeklärten und voranschreitenden Beamtenstandes, der diese Dinge wie im 19. Jahrhundert selbst in die Hand nimmt, schwer ersetzbar vor. Man verspürt beim Lesen des damaligen Wortwechsels konservative Resignation. Müsste da eine Kritische Theoretikerin wie Eva von Redecker, die in ihrem Vorgängerbuch „Revolution für das Leben“ das Ohr auf die Zwischenräume der Gesellschaft legt, aus denen soziale Bewegungen schon jetzt vom Neuen künden, nicht Besseres als „pessimistische Melancholie“ anzubieten haben? Und wenn nein, müsste nicht zumindest eine Ökonomin wie Maja Göpel, die in ihrer Dissertation ein Instrumentarium entwickelt, um in Apparaten wie der WTO den Kippmoment zu beschreiben, an dem neue Mächte und Ideen über die Richtung einer Gesellschaftstransformation entscheiden, in dieser Frage mehr berichten können?
Beide weichen der Frage nach dem Träger des ökologischen, dezidiert antikapitalistischen Denkumschwungs aus. Und das, obwohl schon der erste Satz hoffnungsvoll den seltenen Dialog einer „linken Philosophin und einer in der Realpolitik agierenden Transformationsforscherin“ ankündigt. Das Gespräch, so erhellend es in intellektueller Hinsicht zweifelsohne ist, bleibt leider zu sehr auf dem Terrain der Theoretikerin, um nicht ein weiteres Fragezeichen hinter das 50 Jahre alte „Wer?“ zu setzen.
OLIVER WEBER
Nicht alle sollen ihren
Verbrauch reduzieren – aber
die, die überkonsumiert haben
Maja Göpel,
Eva von Redecker:
Schöpfen und Erschöpfen.
Hrsg. von Margarita Tsomou
und Maximilian Haas.
Matthes & Seitz,
Berlin 2022.
100 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Maja Göpel und Eva von Redecker fordern ein neues, ökologisches Denken. Nur, wer könnte es durchsetzen?
Was geschieht, wenn das ständige Wachstum der Wirtschaft aus ökologischen Gründen aufhört, „Voraussetzung zu sein, und wenn die Frage gestellt werden muss, wer den Fortschritt begrenzen und vielleicht einschränken“ kann? „Wer aber soll die Macht haben, die Dinge hier durchzusetzen, die nicht durch Gewinn definiert werden, sondern Geld kosten?“ Diese Fragen stammen aus keinem Fridays-for-Future-Manifest, sondern aus dem Jahr 1972: Mit ihnen reagierte der liberalkonservative Philosoph Joachim Ritter auf einen Tagungsvortrag des späteren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde. Dessen Antwort auf die Nachfragen seines akademischen Lehrers fällt nicht minder pessimistisch aus. Doch sie enthält den Verweis auf eine Vokabel, die Lösung versprechen soll: Gelänge es, dem Maßstab der „Qualität des Lebens“ gegenüber dem Ziel bloß quantitativen Wirtschaftswachstums Vorrang zu verschaffen, könnte der Staat vielleicht die sich abzeichnende Umweltkrise lösen.
Es ist überaus bemerkenswert, dass nun, 50 Jahre später, noch immer beinahe dieselben Grundsatzfragen gestellt werden – allerdings aus entgegengesetzter politischer Richtung: Die kapitalismuskritische Ökonomin und Bestsellerautorin Maja Göpel und die Kritische Theoretikerin Eva von Redecker widmen sich in ihrem gemeinsamen Buch dialogisch der Aufgabe, den „Glauben an linearen Fortschritt“ durch Orientierung an den „zyklischen Kreisläufen der Natur“ aufzubrechen.
Die Diagnose, die sie zuerst in einer gemeinsamen Diskussionsrunde des HAU-Theaters in Berlin entwickelten, lautet folgendermaßen: Die Fortschrittsauffassung der Moderne lebt von den Regenerationskreisläufen der Natur. Sie stellen nahrhaften Boden, trinkbares Wasser, angenehmes Klima, nicht zuletzt hinreichend Energie bereit, um darauf profitabel zu wirtschaften. „Aber dummerweise“ werden diese „Ökosystemdienstleistungen“ in der „dominanten Geschichte der Verwertungslogik genau deshalb übersehen oder sogar zerstört“ (Göpel). Die heutigen Gesellschaften produzieren, schmeißen weg, verbrauchen – ohne „Pflegschaft“ (von Redecker) für die natürlichen Voraussetzungen des Lebens zu übernehmen.
Das Buch knüpft gekonnt eine Reihe von Streitpunkten zur ökologischen Transformation aneinander – von der Idee einer Postwachstumsgesellschaft, über die Bilanzierung von Umweltkosten bis zur Möglichkeit einer digitalisierten Planwirtschaft auf Basis der Vergesellschaftung von Plattformen wie Amazon bleibt wenig unerwähnt. Doch die Autorinnen kommen immer wieder zu der Frage zurück, die sich unabweisbar schon Ritter und Böckenförde stellte: Wer kann in dieser Ökonomie, die von der Spekulation auf die reichere Zukunft lebt, eine derart zyklische Lebensordnung durchzusetzen?
Göpel und von Redecker verwehren sich der Annahme, die Menschenmehrheit, die immer noch in relativer Armut lebt, müsste ihre Hoffnung auf ein besseres Leben aufgeben. „Diejenigen, die Überkonsum für sich in Anspruch genommen haben“, sollen vielmehr nun gezwungen werden, ihr „Konsumniveau zu reduzieren“ (Göpel). Daher auch die heftigen Abwehrkämpfe gegen wirksamen Klimaschutz – oder überhaupt die Anerkennung der Existenz des Klimawandels: Ein verschwendungsreiches Leben auf Kosten anderer sei wie „Phantombesitz“, dessen Enteignung quasi Phantomschmerzen verursache (von Redecker). Doch das „Machtproblem“ bleibt. Wer setzt das durch? Wer kann eine solche Perspektive auf das Gemeinsame noch einnehmen?
Ritter und Böckenförde fanden 1972 darauf keine Antwort. Als Hegelianer kam ihnen der Verlust eines aufgeklärten und voranschreitenden Beamtenstandes, der diese Dinge wie im 19. Jahrhundert selbst in die Hand nimmt, schwer ersetzbar vor. Man verspürt beim Lesen des damaligen Wortwechsels konservative Resignation. Müsste da eine Kritische Theoretikerin wie Eva von Redecker, die in ihrem Vorgängerbuch „Revolution für das Leben“ das Ohr auf die Zwischenräume der Gesellschaft legt, aus denen soziale Bewegungen schon jetzt vom Neuen künden, nicht Besseres als „pessimistische Melancholie“ anzubieten haben? Und wenn nein, müsste nicht zumindest eine Ökonomin wie Maja Göpel, die in ihrer Dissertation ein Instrumentarium entwickelt, um in Apparaten wie der WTO den Kippmoment zu beschreiben, an dem neue Mächte und Ideen über die Richtung einer Gesellschaftstransformation entscheiden, in dieser Frage mehr berichten können?
Beide weichen der Frage nach dem Träger des ökologischen, dezidiert antikapitalistischen Denkumschwungs aus. Und das, obwohl schon der erste Satz hoffnungsvoll den seltenen Dialog einer „linken Philosophin und einer in der Realpolitik agierenden Transformationsforscherin“ ankündigt. Das Gespräch, so erhellend es in intellektueller Hinsicht zweifelsohne ist, bleibt leider zu sehr auf dem Terrain der Theoretikerin, um nicht ein weiteres Fragezeichen hinter das 50 Jahre alte „Wer?“ zu setzen.
OLIVER WEBER
Nicht alle sollen ihren
Verbrauch reduzieren – aber
die, die überkonsumiert haben
Maja Göpel,
Eva von Redecker:
Schöpfen und Erschöpfen.
Hrsg. von Margarita Tsomou
und Maximilian Haas.
Matthes & Seitz,
Berlin 2022.
100 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Oliver Weber gibt gern zu, dass Maja Göpel und Eva von Redecker richtig liegen mit ihrer Idee einer Postwachstumsgesellschaft, in der die Umweltkosten unseres Wirtschaftens auch tatsächlich bilanziert werden und nicht eine globale Minderheit ihren Überkonsum auf Kosten einer armen Mehrheit finanziert. Aber die beiden Autorinnen stehen vor demselben Problem wie auch schon Joachim Ritter und Wolfgang Bockenförde im Jahr 1972, erinnert Weber: Wer hat die Macht, eine Politik durchzusetzen, die nicht Gewinne verheißt, sondern Geld kostet? Dass Redeker und Göpel hier rein theoretisch bleiben, findet er für eine linke Theoretikerin und Transformationsökonomin zu wenig.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH