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»Wer die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert verstehen will, kommt an Steven Aschheims Werk nicht vorbei. Seine elegante Prosa zeugt von philologischer Sorgfalt, weltläufiger Bildung und Humanismus. So unterschiedlich die drei Protagonisten waren, denen sich Aschheim widmet, so originell, einfühlsam und fruchtbar ist seine Deutung.«Till van RahdenJüdisch- und Deutschsein prägten schicksalhaft die Leben dreier herausragender Intellektueller - Gershom Scholem, Hannah Arendt und Victor Klemperer. Der israelische Historiker Steven Aschheim berichtet von der schwierigen Suche nach Identität…mehr

Produktbeschreibung
»Wer die europäische Geschichte im 20. Jahrhundert verstehen will, kommt an Steven Aschheims Werk nicht vorbei. Seine elegante Prosa zeugt von philologischer Sorgfalt, weltläufiger Bildung und Humanismus. So unterschiedlich die drei Protagonisten waren, denen sich Aschheim widmet, so originell, einfühlsam und fruchtbar ist seine Deutung.«Till van RahdenJüdisch- und Deutschsein prägten schicksalhaft die Leben dreier herausragender Intellektueller - Gershom Scholem, Hannah Arendt und Victor Klemperer. Der israelische Historiker Steven Aschheim berichtet von der schwierigen Suche nach Identität in der Epoche der Shoah in Form einer komplexen "Geschichte von innen". Sein Blick in die Briefe und Tagebücher offenbart die Kämpfe, Konflikte und persönlichen Schwankungen der drei Protagonisten, die erstaunliche Verbindungslinien ebenso zulassen wie den Blick auf gewagte Denkexperimente. Mit großer Sensibilität und interpretatorischer Finesse lädt Aschheim dazu ein, diese Dokumente als elaborierte Ausdrucksformen für die Komplexität des deutsch-jüdischen Verhältnisses neu zu lesen. Die spirituelle jüdische Selbstgewissheit Scholems, Arendts reflektierende und changierende Haltung zwischen Zionismus und deutsch-jüdischem Dialog sowie Klemperers verzweifelte Einsicht in das Scheitern jüdischer Assimilation bieten in ihrer geistigen Tiefe bis heute essenzielle Orientierungsmarken, um in der Gegenwart neue Möglichkeitsräume für deutsch-jüdisches Leben zu sichern.
Autorenporträt
Steven E. Aschheim, geb. 1942, ist Historiker und emeritierter Professor der Hebräischen Universität Jerusalem, wo er Kultur- und Ideengeschichte lehrte. Seine Forschungsgebiete umfassen die Intellektuellengeschichte, die moderne deutsche und jüdische Geschichte. Er war Inhaber zahlreicher Gastprofessuren an renommierten amerikanischen und europäischen Universitäten (u.a. New York, Toronto, Berlin, Budapest, Dublin, Amsterdam). Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen: Brothers and Strangers. The East European Jew in German and German-Jewish Consciousness, 1800¿1923, Madison 1982; Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, Stuttgart 1996; Hannah Arendt in Jerusalem, Princeton 2001 (als Herausgeber); Beyond the Border. The German-Jewish Legacy Abroad, Princeton 2007.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2023

Durch die Epoche des Unheils
Steven E. Aschheim verfolgt drei kontrastierende deutsch-jüdische Lebensgeschichten

Auf den ersten Blick erscheint die Zusammenstellung der drei Namen vielleicht etwas willkürlich: hier Hannah Arendt und Gershom Scholem, zwei weltbekannte Wissenschaftler und höchst präsente Intellektuelle des zwanzigsten Jahrhunderts; dort Victor Klemperer, bei Lebzeiten eher unscheinbarer Romanistikprofessor, der erst 1995, fünfunddreißig Jahre nach seinem Tod, zu breitestem Ruhm kommt, aber nicht als Wissenschaftler, sondern durch "Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten", seine persönlichen Tagebücher aus der NS-Diktatur. Was die drei verbindet, ist ihre Herkunft, und das schmale, essayistisch-elegante Buch von Steven E. Aschheim, emeritierter Professor der Hebräischen Universität Jerusalem, setzt genau an dieser Stelle an: mit der Frage nach drei deutsch-jüdischen Lebensgeschichten im Zeitalter von Antisemitismus, Nationalsozialismus, Weltkrieg und Schoa.

Aschheim beschäftigt sich also auch bei Scholem und Arendt zunächst gerade nicht mit dem wissenschaftlichen Werk, sondern mit persönlichen Dokumenten, Briefwechseln, Tagebüchern, Erinnerungen; erst in zweiter Linie kommt die Reaktion auf die Vernichtung des europäischen Judentums innerhalb ihrer Arbeit zur Sprache. Und dadurch erweist sich die Wahl der drei Namen als höchst produktiv, stehen sie doch für drei radikal verschiedene Optionen in Hinblick auf das eigene jüdische Selbstverständnis, drei Optionen, die zum Teil, doch nicht nur mit Generationsunterschieden zu tun haben.

Erstaunlich ist zunächst, wie wenig Gershom Scholem, nach Aschheim "der größte judaistische Gelehrte und Denker im 20. Jahrhundert", in seinem Weg durch die politische Katastrophe bestimmt wurde. Als Gerhard Scholem 1897 in Berlin geboren, fällte er seine Lebensentscheidung lange zuvor und definitiv. Als entschiedener Zionist emigrierte er schon 1923 nach Palästina und wurde bald zu einem der jüngsten Professoren der Hebräischen Universität. Große Bekanntheit erlangte 1964 sein polemischer Aufsatz "Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch", doch die Erkenntnis, dass dieses Gespräch "niemals etwas anderes [war] als eine Fiktion, eine Fiktion, von der Sie mir erlauben werden zu sagen, daß sie zu hoch bezahlt worden ist", war für Scholem keine Konsequenz aus der Schoa: "Es war diese einfache und ach, so weitreichende Wahrnehmung, die so viele von uns in unserer Jugend betroffen und uns bestimmt hat, von der Illusion eines Deutschjudentums abzulassen."

Von daher ist Victor Klemperer, 1881 geboren, Scholems entschiedener Antipode; doch gewusst haben die beiden voneinander nichts. Klemperer, der sich als nichts anderes verstehen wollte denn als Deutscher, war so lange wie möglich der Repräsentant jener jüdischen Assimilation, die der junge Scholem radikal bekämpfte. So lange wie möglich, das heißt, bis die Nationalsozialisten den in einer "Mischehe" in Deutschland Überlebenden gewaltsam zwangen, sein Judentum zur Kenntnis zu nehmen und dann auch irgendwie zu akzeptieren.

Hannah Arendt wiederum, 1906 geboren, steht zwischen den beiden, doch keineswegs als Unentschiedene, sondern in radikaler Unabhängigkeit. "Jude sein gehört für mich zu den unbezweifelbaren Gegebenheiten meines Lebens", schrieb sie 1963 an Scholem, "und ich habe an solchen Faktizitäten niemals etwas ändern wollen". Trotzdem widersetzte sie sich strikt der vollständigen Identifikation mit diesem "Jude sein" und löste sich nie von der Herkunft aus der deutschen Philosophie. Letztlich führte diese radikale, mitunter extrem betonte Unabhängigkeit auch zu dem unheilbaren Bruch mit dem Freund Scholem.

Aschheims Buch überzeugt durch die Konzentration, mit der er seine lebensgeschichtliche Perspektive verfolgt. Im Kern läuft es hinaus auf die Frage, wer eigentlich die Definition des "Jude seins" festschreibt und wer sich ihr verweigert. Für Scholem lautet die frühe Lehre aus der gescheiterten Assimilation, dass ein Jude eben kein Deutscher sei - und deshalb der Zionismus die konsequente, freie Entscheidung. Für Klemperer, am anderen Extrem, ist der Zwang, sich als Jude zu verstehen und nicht mehr als Deutscher, ein Gewaltakt, den er hinnehmen muss, sich aber niemals lebendig zu eigen macht: Auch nach dem Krieg bleibt er, was er vorher war, ein deutscher, jetzt zutiefst in seinen Lebensgrundlagen erschütterter Professor. Und Hannah Arendt ist die Einzige der drei, die versucht, die Katastrophe der Schoa auch in ihrem wissenschaftlichen Werk zu verstehen, besonders durch "Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft" (1955), aber auch durch das höchst umstrittene "Eichmann in Jerusalem" (1963/64).

Aschheims genauer Darstellung geht es nicht um ein Urteil: Er entwirft drei ganz unterschiedliche, dennoch gleichwertige Möglichkeiten, als Jude die Epoche des Unheils zu überstehen. Die eine richtige Möglichkeit konnte es nicht geben. WOLFGANG MATZ

Steven E. Aschheim: "Scholem, Arendt, Klemperer". Deutsch- jüdische Identität in Krisenzeiten.

A. d. Englischen von J.E. Dunkhase. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2023. 149 S., br., 18,- Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Immer noch aktuell sind die Fragen, die Steven E. Aschheims Buch verhandelt, findet Rezensent Michael Opitz. Es geht um die Lebenswege der drei jüdischen Deutschen des Titels erfahren wir, beziehungsweise um die Frage, wie und ob es im 20. Jahrhundert möglich sein konnte, sowohl Jude als auch deutsch zu sein. Scholem wandte sich früh von Deutschland ab, erläutert der Rezensent mit Aschheim, Arendt blieb unter anderem durch ihren Kontakt zu Martin Heidegger und Karl Jaspers dem Land in mancher Hinsicht verbunden, wollte sich allerdings keineswegs als Deutsche bezeichnet sehen, Klemperer hielt sich für deutsch und die Nazis für nicht deutsch. Anhand der divergierenden Lebenswege der drei Intellektuellen zeichnet Aschheim eine weite Spannbreite des Jüdischseins auf, so der Rezensent.

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