»Gedichte sind nicht zum Träumen da, sondern zum Aufwachen.«
La peinture en plein air, die Malerei im Freien, nimmt sich Gerhard Falkner für seinen »Schorfheide«-Zyklus zum Vorbild, den er nach den beiden für den deutschen Buchpreis nominierten Erfolgsromanen »Apollokalypse« und »Romeo oder Julia« vorlegt - ein brillantes Werk.
»Das Gedicht besitzt den letzten einzigartigen Zugriff auf die Welt, in dem der Zugreifende als Subjekt agiert und durch abgewandelte Sprache animierend in die sich verflüchtigende Welt eingreift«, heißt es in einem jüngst erschienenen Text Falkners. So komme Dichtung im besten Falle noch immer die Aufgabe zu, der Sprache das Sprechen beizubringen. Wie das funktioniert, zeigt der Lyriker und Meister der Zuspitzung nachhaltig mit dem Zyklus »Schorfheide«. Er führt den Leser unter freien Himmel in die urwüchsige Natur vor den Toren Berlins, um Hören und Sehen, das Betrachten, Beachten und Verknüpfen zu reaktivieren. Mit scharfem Blick und Verstand setzt er Zeichen gegen ein »vernützlichtes Denken« und das »Komplexitätsverbot« der Kunst.
La peinture en plein air, die Malerei im Freien, nimmt sich Gerhard Falkner für seinen »Schorfheide«-Zyklus zum Vorbild, den er nach den beiden für den deutschen Buchpreis nominierten Erfolgsromanen »Apollokalypse« und »Romeo oder Julia« vorlegt - ein brillantes Werk.
»Das Gedicht besitzt den letzten einzigartigen Zugriff auf die Welt, in dem der Zugreifende als Subjekt agiert und durch abgewandelte Sprache animierend in die sich verflüchtigende Welt eingreift«, heißt es in einem jüngst erschienenen Text Falkners. So komme Dichtung im besten Falle noch immer die Aufgabe zu, der Sprache das Sprechen beizubringen. Wie das funktioniert, zeigt der Lyriker und Meister der Zuspitzung nachhaltig mit dem Zyklus »Schorfheide«. Er führt den Leser unter freien Himmel in die urwüchsige Natur vor den Toren Berlins, um Hören und Sehen, das Betrachten, Beachten und Verknüpfen zu reaktivieren. Mit scharfem Blick und Verstand setzt er Zeichen gegen ein »vernützlichtes Denken« und das »Komplexitätsverbot« der Kunst.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Das von André Hatting zu Beginn seiner kurzen und ein wenig ungnädigen Kritik zitierte Gedicht Falkners, hat eine Menge Witz, wenn es aus lyrischem Naturton in puncto "Schorfheide" in prosaische Realität zurückkehrt: "geht fahrplanmäßig der Regionalexpress/ zurück nach Berlin Gesundbrunnen". Aber dem Kritiker ist es nicht neu. Er kennt Falkner gut, so scheint es, hat manche große Geste von ihm nachvollzogen und findet, dass Falkners neue Gedichte die Theorie neben sich her ziehen wie ein Schlachtschiff seine Beiboote. Hatting empfiehlt, das Essayistische einfach zu meiden und Falkners Gedichte "en plein air" bei einem Bierchen zu genießen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.06.2019LITERATUR
Im stillen Gelände
Wald und Wasser, Sand und Mergel – und dann und wann ein alter Stein:
Gerhard Falkners neuer Gedichtband „Schorfheide“
VON JÖRG MAGENAU
Der Wald ist die erste Zeile, der Himmel die Überschrift. Die Stämme stehen dicht gedrängt wie Lettern, durch die in der zweiten Zeile dann das Licht fällt. Schon hat sich die Landschaft in einen zu lesenden Text verwandelt. Oder ist es der Text, der als Landschaft erscheint? Ist es ein Schöpfungsakt im Wort? „Schorfheide“ heißt der neue, großartige Gedichtband des Lyrikers Gerhard Falkner, der Natur zur Sprache bringt und experimentelle, zeitgemäße Formen der Naturlyrik erprobt. Wie kann man vor Zeitgenossen, die kaum noch vom Handydisplay hochsehen, überhaupt noch Natur bedichten? Was bedeutet die lyrische Libelle im Zeitalter des Artensterbens? Was können Frosch und Kormoran, Kiesel und Kiefer uns sagen?
Für den Dichter ist klar: „Mir geht es ähnlich wie den Worten / sie liegen offen wie Steine“. Gerhard Falkner zieht als modernes Subjekt, „frisch geduscht und gegoogelt“ los, knüpft aber zugleich an die romantische Tradition der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts an, als die Künstler ihre Ateliers verließen und die Staffelei direkt in der Natur aufstellten. So möchte er – durchaus auch in Eichendorff-Nachfolge – als „Freilichtdichter“ gesehen werden, der auf seinen Streifzügen das Notizbuch immer griffbereit hat. Was dabei herauskommt, nennt er „Gedichte en plein air“. Dieser Untertitel ist in seiner bildungshuberischen Gestelztheit nicht ohne Ironie zu lesen. Er ist bereits ein Beispiel dafür, wie Falkner mit Bildungsgeröll spielt und es in seinen Versen verwirbelt, so wie die Gletscher der Eiszeit Felsstücke vor sich herschoben.
Die Schorfheide, ein Waldgebiet nördlich von Berlin, eignet sich vorzüglich für dieses Vorhaben. Falkner fasst die Gegend eher weit, nimmt Oderbruch und Uckermark dazu und nennt in seinen Gedichten immer wieder die Orte, in deren Nähe er sich befindet: Templin, Prenzlau, Angermünde, Joachimsthal. Die Schorfheide wird von Wald und Wasser, Sand und Mergel und „fließenden Übergängen“ bestimmt, die umstandslos in die Lyrik übertragbar sind. Wenn alles zur Sprache wird, dann sind auch die Schichtungen der Eiszeitlandschaft als Sprachschichten in den Gedichten wiederzufinden. Aber auch die Geschichte ist in diesen Wäldern präsent, die Jagdrevier für Wilhelm II., Göring und zuletzt für Erich Honecker und seine Genossen gewesen sind.
Der Dichter, der hier unterwegs ist, trägt all sein Wissen mit sich herum, das ständig in ihm wetterleuchtet. Trotzdem will er zunächst einmal nur sehen und vernehmen, was die Welt ihm entgegenbringt. Er ist ganz und gar Phänomenologe und kommt folglich nach „Ringelnattergebüsch“ und „Schwimmblattgesellschaften“ auf „Seinsversessenheiten“ zu sprechen. Da findet eine merkwürdige Metamorphose statt.
Der Dichter, zunächst noch mit „schwer atmendem Gehirn“, geht mehr und mehr auf in einem „Raum, der leer ist von Vergnügungen / der auf sich selbst beruht. Die Glut / der Sonne verlötet meine DNA mit den Rotlichtspuren blühenden Mooses / Die Äste ticken in den Bäumen / Zeit ist das aber nicht: / Zu viel Entrücktheit! / Zu viele Pausen zwischen den Lücken!“
So verschwimmen die Grenzen von Subjekt und Objekt – „fließende Übergänge“ auch hier –, und während der Dichter noch glaubt, die Natur zu betrachten, betrachtet die Natur vielmehr ihn, der sich als deren „letzte Meinungsverschiedenheit“ begreift und demütig notiert: „Falls es mich gibt, sitze ich hier auf einer gefällten Buche.“ Da wundert es dann auch nicht mehr, wenn andernorts der „Subjekt-Objekt-Konflikt“ bei Jaspers thematisiert wird.
Falkner, der mit „Hölderlin Reparatur“ (2008) und den „Pergamon-Poems“ (2012) gezeigt hat, wie Überschreibungen klassischer Stoffe funktionieren, ist ein mit allen Wassern der Theorie und der Dichtkunst gewaschener postmoderner Lyriker. Ironie ist für ihn jedoch kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um Schönheit hervorzubringen: „Das Gras kann ich nicht wachsen hören / ich seh es trotzdem gern.“ Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen fürchtet er weder das Schöne, noch den Witz, nutzt Reim, Rhythmus und Alliterationen mit großer Lust und sucht – jenseits der funkelnden Theorie – immer wieder das Leichte, Einfache.
Wenn er eines seiner Gedichte mit einer Zeile von Christian Morgenstern beginnen lässt: „Der Schlaf schickt seine Scharen in die Nacht“, dann ist das kein Bruch, sondern nahtlose Einverleibung. In kurzen Anmerkungen am Ende des Buches legt Falkner derlei Bezüge und Zitate offen, wie er überhaupt die Geheimniskrämerei scheut.
Man muss diese Gedichte gar nicht interpretieren, weil sie sich von alleine verstehen. Der Weg führt mit „hoher Abtastrate“ durchs „Breitbandgelände“ und von dort aus – mit Hölderlin und anderen – weiter ins Freie, ins Offene. Auch die linguistischen Gänge, auf denen Felder zu Zeichen werden und die Räume zu schwanken beginnen, enden nicht in grammatikalischen Sackgassen und diskursiven Holzwegen, sondern im „stillen Gelände auf den Schultern / einer verpassten Wirklichkeit“. Am Ende spricht Falkner kleine Gebete, lobt das Leben, die Augen und den Mund, der wieder lernt, „O“ zu sagen: „O Mensch, O Zeit, O Welt“. Doch so weit muss gar nicht gehen, wer im Rauschen der Eschen und im Knarzen der Rohrdommel zu Hause ist.
Gerhard Falkner: Schorfheide. Gedichte en plein air. Berlin Verlag, Berlin 2019. 124 Seiten, 22 Euro.
„Die Äste ticken in den Bäumen /
Zeit ist das aber nicht: /
Zu viel Entrücktheit!“
Kein Pegasus, aber durchaus poetisch: Die Elchkuh Sina in der Schorfheide bei Groß-Schönebeck.
Foto: dpa
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Im stillen Gelände
Wald und Wasser, Sand und Mergel – und dann und wann ein alter Stein:
Gerhard Falkners neuer Gedichtband „Schorfheide“
VON JÖRG MAGENAU
Der Wald ist die erste Zeile, der Himmel die Überschrift. Die Stämme stehen dicht gedrängt wie Lettern, durch die in der zweiten Zeile dann das Licht fällt. Schon hat sich die Landschaft in einen zu lesenden Text verwandelt. Oder ist es der Text, der als Landschaft erscheint? Ist es ein Schöpfungsakt im Wort? „Schorfheide“ heißt der neue, großartige Gedichtband des Lyrikers Gerhard Falkner, der Natur zur Sprache bringt und experimentelle, zeitgemäße Formen der Naturlyrik erprobt. Wie kann man vor Zeitgenossen, die kaum noch vom Handydisplay hochsehen, überhaupt noch Natur bedichten? Was bedeutet die lyrische Libelle im Zeitalter des Artensterbens? Was können Frosch und Kormoran, Kiesel und Kiefer uns sagen?
Für den Dichter ist klar: „Mir geht es ähnlich wie den Worten / sie liegen offen wie Steine“. Gerhard Falkner zieht als modernes Subjekt, „frisch geduscht und gegoogelt“ los, knüpft aber zugleich an die romantische Tradition der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts an, als die Künstler ihre Ateliers verließen und die Staffelei direkt in der Natur aufstellten. So möchte er – durchaus auch in Eichendorff-Nachfolge – als „Freilichtdichter“ gesehen werden, der auf seinen Streifzügen das Notizbuch immer griffbereit hat. Was dabei herauskommt, nennt er „Gedichte en plein air“. Dieser Untertitel ist in seiner bildungshuberischen Gestelztheit nicht ohne Ironie zu lesen. Er ist bereits ein Beispiel dafür, wie Falkner mit Bildungsgeröll spielt und es in seinen Versen verwirbelt, so wie die Gletscher der Eiszeit Felsstücke vor sich herschoben.
Die Schorfheide, ein Waldgebiet nördlich von Berlin, eignet sich vorzüglich für dieses Vorhaben. Falkner fasst die Gegend eher weit, nimmt Oderbruch und Uckermark dazu und nennt in seinen Gedichten immer wieder die Orte, in deren Nähe er sich befindet: Templin, Prenzlau, Angermünde, Joachimsthal. Die Schorfheide wird von Wald und Wasser, Sand und Mergel und „fließenden Übergängen“ bestimmt, die umstandslos in die Lyrik übertragbar sind. Wenn alles zur Sprache wird, dann sind auch die Schichtungen der Eiszeitlandschaft als Sprachschichten in den Gedichten wiederzufinden. Aber auch die Geschichte ist in diesen Wäldern präsent, die Jagdrevier für Wilhelm II., Göring und zuletzt für Erich Honecker und seine Genossen gewesen sind.
Der Dichter, der hier unterwegs ist, trägt all sein Wissen mit sich herum, das ständig in ihm wetterleuchtet. Trotzdem will er zunächst einmal nur sehen und vernehmen, was die Welt ihm entgegenbringt. Er ist ganz und gar Phänomenologe und kommt folglich nach „Ringelnattergebüsch“ und „Schwimmblattgesellschaften“ auf „Seinsversessenheiten“ zu sprechen. Da findet eine merkwürdige Metamorphose statt.
Der Dichter, zunächst noch mit „schwer atmendem Gehirn“, geht mehr und mehr auf in einem „Raum, der leer ist von Vergnügungen / der auf sich selbst beruht. Die Glut / der Sonne verlötet meine DNA mit den Rotlichtspuren blühenden Mooses / Die Äste ticken in den Bäumen / Zeit ist das aber nicht: / Zu viel Entrücktheit! / Zu viele Pausen zwischen den Lücken!“
So verschwimmen die Grenzen von Subjekt und Objekt – „fließende Übergänge“ auch hier –, und während der Dichter noch glaubt, die Natur zu betrachten, betrachtet die Natur vielmehr ihn, der sich als deren „letzte Meinungsverschiedenheit“ begreift und demütig notiert: „Falls es mich gibt, sitze ich hier auf einer gefällten Buche.“ Da wundert es dann auch nicht mehr, wenn andernorts der „Subjekt-Objekt-Konflikt“ bei Jaspers thematisiert wird.
Falkner, der mit „Hölderlin Reparatur“ (2008) und den „Pergamon-Poems“ (2012) gezeigt hat, wie Überschreibungen klassischer Stoffe funktionieren, ist ein mit allen Wassern der Theorie und der Dichtkunst gewaschener postmoderner Lyriker. Ironie ist für ihn jedoch kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um Schönheit hervorzubringen: „Das Gras kann ich nicht wachsen hören / ich seh es trotzdem gern.“ Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen fürchtet er weder das Schöne, noch den Witz, nutzt Reim, Rhythmus und Alliterationen mit großer Lust und sucht – jenseits der funkelnden Theorie – immer wieder das Leichte, Einfache.
Wenn er eines seiner Gedichte mit einer Zeile von Christian Morgenstern beginnen lässt: „Der Schlaf schickt seine Scharen in die Nacht“, dann ist das kein Bruch, sondern nahtlose Einverleibung. In kurzen Anmerkungen am Ende des Buches legt Falkner derlei Bezüge und Zitate offen, wie er überhaupt die Geheimniskrämerei scheut.
Man muss diese Gedichte gar nicht interpretieren, weil sie sich von alleine verstehen. Der Weg führt mit „hoher Abtastrate“ durchs „Breitbandgelände“ und von dort aus – mit Hölderlin und anderen – weiter ins Freie, ins Offene. Auch die linguistischen Gänge, auf denen Felder zu Zeichen werden und die Räume zu schwanken beginnen, enden nicht in grammatikalischen Sackgassen und diskursiven Holzwegen, sondern im „stillen Gelände auf den Schultern / einer verpassten Wirklichkeit“. Am Ende spricht Falkner kleine Gebete, lobt das Leben, die Augen und den Mund, der wieder lernt, „O“ zu sagen: „O Mensch, O Zeit, O Welt“. Doch so weit muss gar nicht gehen, wer im Rauschen der Eschen und im Knarzen der Rohrdommel zu Hause ist.
Gerhard Falkner: Schorfheide. Gedichte en plein air. Berlin Verlag, Berlin 2019. 124 Seiten, 22 Euro.
„Die Äste ticken in den Bäumen /
Zeit ist das aber nicht: /
Zu viel Entrücktheit!“
Kein Pegasus, aber durchaus poetisch: Die Elchkuh Sina in der Schorfheide bei Groß-Schönebeck.
Foto: dpa
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»Falkner dichtet, wie einst die Impressionisten malten, und ist sprachlich doch ganz auf der Höhe unserer Gegenwartsdiskurse.« Welt am Sonntag 20190707