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Ein aufsehenerregendes Romandebüt: Alfred-Döblin-Preis 2005 für SchornsteinHier gelingt ein seltenes Kunststück: Ein Gegenwartsroman, »der auf rätselhafte Weise aus den Themen Krankheit und Depression Heiterkeit und gute Laune hervorzaubert« (Jörg Magenau).
In seinem ersten Roman begegnet Jan Faktor todernsten Dingen mit subversivem Witz: Schornstein, der unverdrossene Ich-Erzähler, hat seinen Herzinfarkt verdrängt und sich mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit abgefunden. Nicht abfinden kann er sich damit, dass man ihm plötzlich die Bezahlung der Therapie verweigert. Es beginnt…mehr

Produktbeschreibung
Ein aufsehenerregendes Romandebüt: Alfred-Döblin-Preis 2005 für SchornsteinHier gelingt ein seltenes Kunststück: Ein Gegenwartsroman, »der auf rätselhafte Weise aus den Themen Krankheit und Depression Heiterkeit und gute Laune hervorzaubert« (Jörg Magenau).

In seinem ersten Roman begegnet Jan Faktor todernsten Dingen mit subversivem Witz: Schornstein, der unverdrossene Ich-Erzähler, hat seinen Herzinfarkt verdrängt und sich mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit abgefunden. Nicht abfinden kann er sich damit, dass man ihm plötzlich die Bezahlung der Therapie verweigert. Es beginnt Schornsteins Mission für sein Recht und die Gerechtigkeit, in deren Verlauf er in die Mühlen der Wissenschafts- und Gesundheitsbürokratie gerät. Mit detektivischem Spürsinn horcht er Ärzte aus, sammelt Informationen und ermittelt Betroffene. Und mit beängstigender Rasanz gerät sein Alltag aus den Fugen, seine geliebte Frau an den Rand der Verzweiflung und seine Identität ins Wanken. In grotesk-komischen Szenen besinnt sich Schornstein auf seine jüdische Herkunft, belächelt sein Selbstmitleid, kümmert sich um die Penner im Park und die verwahrloste Frau Schwan im Erdgeschoss - und schließlich ist es die Liebe, die ihn rettet.

Lakonische Genauigkeit, ein entromantisierender Ton und überraschender Wortwitz in bester tschechischer Erzähltradition prägen diesen Roman und verhelfen selbst körperlichen Entgleisungen zu literarischem Glanz.Indem sich Schornstein dem stetig wachsenden Milieu der sozialen Absteiger zuwendet, wird er zu einem richtungsweisenden Werk: Literatur vom brüchigen Rand der Gesellschaft.


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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2006

Hiob als Hypochonder
Kassenkampf: Jan Faktor nimmt es fröhlich mit den Ärzten auf

Jemand mußte Schornstein verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde ihm eines Tages die lebensrettende Blutwäsche nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt. "Nach umfassender und gründlicher Prüfung und Beratung gelangte die Kommission zu dem Ergebnis, daß die Indikationsstellung zur ambulanten Durchführung der LDL-Elimination als extrakorporales Hämotherapieverfahren gemäß § 3 der EBBM-Richtlinien weiterhin nicht vorliegt." In dieser spröden Mitteilung liegt ein Roman verborgen. Er besteht in Schornsteins "Feldzug" gegen die Kassenärztliche Vereinigung.

Aber sind Romane noch zeitgemäß? Die Mächte, die das moderne Leben bestimmen, so heißt es gelegentlich, seien viel zu abstrakt und anonym, als daß sie die zureichenden Bedingungen für belletristische Darstellung (Handlung, Figuren) noch erfüllen könnten. "Schornstein" ist ein Roman, der es mit den anonymen Mächten aufnimmt. "Kohlhaas" heißt das Kapitel, das schildert, wie sich der Mann mit den lebensgefährlichen Blutfetten allmählich in der Gesundheitsbürokratie und ihren "völlig schleierhaften Kompetenzstrukturen" verstrickt. Schornstein gibt seinen Beruf als Werbetexter auf, um sich ganz dem "Kassenkampf" zu widmen.

Der Autor Jan Faktor wurde 1951 in Prag geboren. Er arbeitete unter anderem als Lastenträger in den slowakischen Bergen. 1979 siedelte er nach Ost-Berlin über und wirkte dort auch als Kindergärtner, Schlosser, Übersetzer. Vor allem aber gehörte er zur literarischen Prenzlauer-Berg-Szene, war ihr "Schalksnarr", wie Adolf Endler schrieb. Man glaubt es gerne bei Lektüre dieses Romans, etwa wenn Schornstein es dank seiner ausgedehnten Korrespondenz- und Recherchetätigkeit mit vielen "Initiativbüros" und Selbsthilfegruppen zu tun bekommt; eine gründet er sogar selbst. Mit Witz werden Meetings und Tagungen dargestellt, bei denen Leute, denen es angeblich nur um die gute Sache geht, ihre Machträusche ausleben.

Die Verantwortlichen in den Kommissionen der Kassenärztlichen Vereinigung, zu denen Schornstein mit Geschick vordringt, um sie kohlhaasisch zur Rechenschaft zu ziehen, erweisen sich dagegen regelmäßig als gutwillige Mediziner, die mit ehrlicher Betroffenheit versichern, daß dem Mann geholfen werden müsse. "Seltsamerweise wirkte es nicht gespielt, ich wurde stutzig." Auch wenn Schornstein schließlich persönlichen Kontakt zum Chef eines großen Krankenkassenverbands bekommt, erweist sich der Mächtige als leutselig und freundlich: "Wissen Sie, man dämonisiert uns gewaltig. Dabei sind wir für alle Anregungen offen." Schornstein rennt gegen Gummiwände aus Wohlwollen. Der unsympathischste Typ von allen ist sein eigener Anwalt, ein Mann namens Drawermühl-Schuster, völlig inkompetent und dabei vollkommen von seiner Genialität überzeugt.

Um inzwischen nicht zu sterben an seinen Blutfetten, bemüht sich Schornstein um private Blutwäsche-Sponsoren. Jede Sitzung kostet schlappe 2401,12 Mark. Aber in der Praxis, in der die Sache nun ambulant durchgeführt werden soll, ist der Arzt - ein kleiner, muskulöser Kerl, der wie ein "für niedrige Räume spezialisierter Möbelpacker" wirkt - mit der Bedienungsanleitung des neuen Apherese-Apparats überfordert. Es ist der Anfang einer Medizin-Groteske, wie man sie noch nicht gelesen hat. Die Blutwäsche wird zum Blutbad, und Schornstein bemüht sich um eine Haltung "wie ein unbeteiligter Katastrophentourist". Zugleich hat man sich diesen Hiob als Hypochonder zu denken, der den wahren Leiden immer die eingebildeten hinzufügt: "Eine Zeitlang quälte mich zum Beispiel die Vorstellung, daß ich beim Schlucken unzählige Mundbakterien in den sicheren Säuretod schickte."

Am Ende, nachdem ihn neben einem Herzinfarkt ein knisternder Hörsturz ereilt hat und er zu allem Übel auch noch Opfer der Spuckattacke eines Berliner Radfahrers wurde, ist Schornstein reif für die Psychotherapie. Auch die nimmt die Tendenz zur Komödie. Vor den Therapeuten haben die Götter die sprudelnd gutgelaunte Sprechstundenhilfe gesetzt, die ihre Arbeit zu einem "abartigen Amüsierbetrieb" macht, indem sie alle Details der Krankengeschichten genußvoll vor dem Auditorium des Wartezimmers ausbreitet und die eintreffenden Patienten einem delikaten Kreuzverhör unterzieht. Eines Woody Allens würdig sind dann die Gespräche mit dem schlaflosen Psychiater Dr. Brackwart. Schornstein will nur Stimmungsaufheller verschrieben bekommen, aber der philosemitische Seelenarzt ist geradezu besessen von der Idee einer "KZ-bedingten Schädigung" in zweiter Generation. Denn, wir haben es noch gar nicht erwähnt, Schornstein ist Jude, was zwischenzeitlich auch für Komplikationen in seiner ansonsten überdurchschnittlich liebevollen Ehe sorgt. Wenn Schornsteins Frau dessen Wehleidigkeit beklagt, entgegnet er, der sonst zu jeder zarten Rücksichtnahme bereit ist, gallig: "Der Jude besitzt nun mal ein etwas kränkliches Wesen." Jüdische Solidarität empfindet er mit allen verachteten Minderheiten, insbesondere aber mit den Trinkern oder "Alkoholjuden" vom Supermarkt-Rondell, die Objekte seiner empathischen Feldforschungen werden.

Die "Reinigung" des Blutes erscheint im Licht der jüdischen Thematik als abgründige Travestie. Ist die Unterlassungsanweisung der Kassenärztlichen Vereinigung etwa als Form der Euthanasie zu begreifen? Weht über diesem Roman der Rauch der Krematorien, was immerhin dem Namen "Schornstein" Triftigkeit geben würde? Auf jeden Fall ist das Buch von einem schrägen Humor geprägt, der vor dem Holocaust nicht haltmacht. Auch eine gewisse infantile Freude an durch die Luft sausenden Kothaufen und fließenden Körpersäften ist nicht zu übersehen. So hat sich "Schornstein" schnell den zweifelhaften Ruf erworben, außerordentlich ekelhaft zu sein. Zweifellos verfolgt Faktor eine Poetik der Indezenz. Gleich im ersten Kapitel erbricht sich in aller Ruhe ein gutgekleideter Herr, wir sind in Zeitlupe dabei. Und dann ist da Frau Schwan, Schornsteins Wohnungsnachbarin, die immer wieder teilnahmsvoll beschrieben wird. Die Seniorin pflegt ihren künstlichen Darmausgang über der Küchenspüle zu entleeren. Da sie aus Prinzip die Fenster niemals öffnet - die Abgase des Berliner Straßenverkehrs! - und lieber die Wohnungstür offenhält, duftet es recht brachial im Treppenhaus. Als Frau Schwan ins Krankenhaus kommt, kümmert sich Schornstein um ihre Wohnung, ein Messie-Universum. Er dringt vor in den innersten Bezirk des Gestanks. Unterm Spülstein entdeckt er eine verwesende Ratte, die aussieht "wie Dalís überreifer Ur-Camembert".

Auch dank weiterer Figuren wie dem Hausmeister Kabrow, der sich als "eine Art Ein-Mann-Hausbürgerwehr, Tür-Zurammeldienst und Sittenwärter aufspielt", entwickelt sich der Roman nebenbei zu einer schwarzen Berliner Mietshauskomödie. Der neue Nachbar in der Wohnung oben trägt seinen Teil dazu bei: Er bringt die Decke zu erstaunlichen Wölbungen, wenn er seinen Zimmersport betreibt und gewissermaßen einen Achttausender besteigt auf seiner "Stuben-Tretmaschine".

Millionen Menschen erleiden jährlich hinterhältige und tödliche Krankheiten, aber in der Literatur ist vergleichsweise wenig davon die Rede. Das Thema wird die alternde Gesellschaft indes noch beschäftigen - Philip Roths "Jedermann" ist vielleicht ein Indikator. In letzter Zeit gingen darüber hinaus bereits einige spektakuläre Fälle durch die Medien: Krankenkassen waren nicht bereit, die Kosten von teuren, aber lebensrettenden Therapien zu übernehmen, Leber-Dialysen zum Beispiel.

Insofern ist diese literarische Patientenbeichte sehr zu begrüßen. Kaum zu bezweifeln, daß hier sehr viel drinsteckt, was Jan Faktor selbst erlitten hat. Eine volle Ladung Leben wird dem Leser aufgetischt. Die erhebliche Kunstleistung besteht im Tonfall des Buches, im Sprachwitz, in den pointierten Dialogen, in der Beschreibungsgenauigkeit. Mit Lust an jedem peinlichen Detail erzählt Faktor von einer nur noch humoristisch auszubalancierenden Misere.

Zu Recht wurde diesem Roman vergangenes Jahr unter 752 Einsendungen der für unveröffentlichte Manuskripte verliehene Alfred-Döblin-Preis zugesprochen. Döblin, Verfasser von Grotesk-Romanen wie "Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine", hätte seine Freude am "Kassenkampf" gehabt. Dies ist kein laues Durchschnittsbuch, sondern eines, an dem sich die Geschmäcker scheiden. Der Rezensent bekennt, sich amüsiert zu haben.

WOLFGANG SCHNEIDER

Jan Faktor: "Schornstein". Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 283 S., geb, 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Wie in seinen Gedichten blitzt auch hier der Schalksnarr durch, und das Lachen bleibt mitunter im Halse stecken. Faktor bedient sich einer drastischen Sprache voller politischer Unkorrektheiten. Ihn zeichnet Mut zur Hässlichkeit aus, verbunden mit Schamlosigkeiten bis zur Schmerzgrenze." Annett Gröschner, Berliner Zeitung

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Zart besaitet darf nicht sein, war Jan Faktors Roman lesen will, warnt Rezensentin Katharina Rutschky. Mitunter gehen seine Beschreibungen von missglückten Blutwäschen, sich übergebenden Krankenhauspatienten und versifften Bruchbuden "über die Grenze des Ekligen hinaus". Faktor siedelt seine Geschichte in einem Hospital an; sein Protagonist, der an einer Stoffwechselkrankheit leidet, darf wegen irgendeiner Gesundheitsreform nicht mehr behandelt werden und damit beginnt eine "querulatorische Odyssee durch das Krankenkassenwesen." Die Beschreibung dieses Querulantentums fällt der Rezensentin ein wenig zu breit aus, dafür aber freut sie sich über die beiden "Subtexte", die das Buch enthält: die Liebe und die jüdische Herkunft des Helden. Faktor erzähle er nicht nur von den Leiden der Kranken, sondern auch von ihren "Idiotien", die er "mit Genauigkeit zelebriert". Keine "gepflegte Literatur" sei hier erschienen, dafür aber eine "sehr gewitzt kalkulierte" Geschichte.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Was die Geschichte [...] so hinreißend macht, ist der Ton, der vor keinem peinlichen Detail zurückschreckt und da Heiterkeit verströmt, wo gemeinhin keine zu finden ist.« Felicitas von Lovenberg FAZ 20111031