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Auszug aus der Reportage "Karo, Kilt und Kugel" von Ralf Sotscheck:
Keiner ist stärker als Stephen King. Er wirft den Hammer weiter, das Heubündel höher und den Caber, den fünf Meter langen Baumstamm, geradliniger als die anderen. King ist Profi. Im Sommer klappert er die Highland Games ab, die Hochlandwettkämpfe, und sammelt das Preisgeld ein. Viel ist es nicht.
Für seinen Sieg im Siebenkampf bei den Spielen von Kilmore in der Nähe von Oban bekommt er 15 Pfund. Bei den größeren Veranstaltungen gibt es auch schon mal 60 oder 70 Pfund. "Aber ich muß jeden Tag ein halbes Pferd essen, um
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Produktbeschreibung
Auszug aus der Reportage "Karo, Kilt und Kugel" von Ralf Sotscheck:

Keiner ist stärker als Stephen King. Er wirft den Hammer weiter, das Heubündel höher und den Caber, den fünf Meter langen Baumstamm, geradliniger als die anderen. King ist Profi. Im Sommer klappert er die Highland Games ab, die Hochlandwettkämpfe, und sammelt das Preisgeld ein. Viel ist es nicht.

Für seinen Sieg im Siebenkampf bei den Spielen von Kilmore in der Nähe von Oban bekommt er 15 Pfund. Bei den größeren Veranstaltungen gibt es auch schon mal 60 oder 70 Pfund. "Aber ich muß jeden Tag ein halbes Pferd essen, um bei Kräften zu bleiben", sagt er. "Und die Anreise zahle ich aus eigener Tasche." Deshalb arbeitet King während der Woche als Holzfäller. Dabei hat er gelernt, mit dem Caber umzugehen.

"Tossing the Caber" ist der Höhepunkt bei allen Highland Games. Die Athleten müssen den rund 140 Pfund schweren Baumstamm mit beiden Händen anheben und per Schulter in der Balance halten. Das ist alles andere als einfach, und wenn ein Anfänger mit seinem schweren Sportgerät ins Schwanken kommt, müssen sich Zuschauer und Schiedsrichter schleunigst in Sicherheit bringen.

Stephen King ist jedoch Experte. Gekonnt stützt er den riesigen Stamm ab und rennt damit erstaunlich behende über die Wiese. Plötzlich bleibt er wie angewurzelt stehen und schleudert den Caber in die Luft. Es geht dabei nicht um Weite, sondern darum, daß der Stamm mit dem Kopfende aufkommt, einen Purzelbaum schlägt und dann in Zwölf-Uhr-Stellung liegenbleibt - also kerzengerade vom Athleten wegzeigt. King schafft immerhin halb elf. Das reicht zum Sieg, denn der beste Konkurrent bringt es nur auf eine Drei-Uhr-Stellung. Einer wird sogar vom eigenen Caber fast erschlagen, weil der Stamm nicht genügend Schwung hat und nach hinten kippt.

"Tossing the Caber" hat seinen Ursprung im späten 16. Jahrhundert, als die Holzindustrie in dieser Region zu blühen begann. Die Waldarbeiter mußten die gefällten Baumstämme in den Fluß schaffen und zu einem Floß binden, woraufhin sie mit der Strömung zum nächsten Meereshafen trieben. Es kam darauf an, die Stämme so geschickt in den Fluß zu werfen, daß man sie leicht zusammenbinden konnte. Offenbar gefiel den Floaters die Arbeit so sehr, daß sie daraus eine Freizeitbeschäftigung machten.

Aus der Landarbeit haben sich auch die anderen Heavy Events, die traditionellen Kraftsportarten, entwickelt. Der Hammerwurf zum Beispiel, zu dem man früher das Arbeitsgerät des Pferdeschmieds benutzte. Oder das Heuschleudern, bei dem ein 50 Pfund schwerer Ballen mit einer Mistgabel über eine hohe Stange befördert werden muß. "Dabei kommt es nicht nur auf Kraft an", sagt der Champion, Stephen King, "sondern vor allem auf Technik."

Das gilt auch für das Kugelstoßen. Früher hat man dafür einen glatten Stein aus dem Fluß geholt, heute nimmt man eine Stahlkugel. Das ist Hamish Davidsons Spezialdisziplin. Das betagte Kraftpaket hat dichte, graue Locken, ist recht klein und untersetzt. Seinen rotkarierten Kilt, den Schottenrock, hat er mit Hosenträgern befestigt. Als er mit der Kugel unter dem Kinn um die eigene Achse wirbelt, um Schwung zu holen, hebt ein Windstoß den Kilt hoch - Davidson trägt eine graue Unterhose. Dabei heißt es doch, Schotten trügen nichts unter ihrem Kilt. "Wenn die Gefahr besteht, daß man sich entblößt, zieht man vorsichtshalber eine Unterhose an", erklärt Hamish Davidson trocken den Traditionsbruch.

Für den Faltenrock, traditionelles Kleidungsstück der Sportler wie aller anderen aufrechten Highlander, benötigt man gut fünf Meter Stoff. Er wird eigentlich nicht mit Hosenträgern, sondern mit Gürtel und Schnalle befestigt. Nach der Schlacht von Culloden, in der Prinz Charles Edward Stuart 1746 den Traum von schottischer Eigenständigkeit begraben mußte (vgl. Seite 70), wurde den Schotten der Besitz von Kilt, Dudelsack und Waffen untersagt, und die Macht der Clanchiefs wurde gebrochen. Fortan waren sie zwar noch Landbesitzer, aber ihre Armeen hatten sie verloren.

Damit waren auch die uralten Wettkämpfe, die Vorläufer der heutigen Highland Games, überflüssig geworden. Sie hatten vor allem dazu gedient, die besten Krieger zu ermitteln - und die schnellsten: Diese mußten im Kriegsfall die im Hochland versprengten Clan-Männer zusammentrommeln. Das geschah mit dem Crann-tara, dem Feuerkreuz, einem Holzkreuz, das an einem Ende mit blutgetränktem Leinentuch umwickelt und am anderen Ende angezündet wurde. Die Läufer schwärmten dann aus, um die Kunde vom Krieg zu verbreiten. Wenn man ein brennendes Holzkreuz in der Hand hält, muß man flink sein. So wurde der Wettlauf wichtiger Bestandteil der Sportkämpfe.

Nach Culloden war es damit also aus und vorbei. Es dauerte 36 Jahre, bis die strikten Gesetze, mit denen die Hochland-Schotten den englischen Herren gefügig gemacht werden sollten, wieder aufgehoben wurden. Das erlösende Dekret wurde an die Bäume der Highlands angeschlagen: "Hiermit teilen wir allen gälischen Söhnen mit, daß König und Parlament von Britannien das Gesetz gegen die Kleidung der Highlander, die den Clans vom Beginn der Zeit bis 1746 gegeben war, für immer aufgehoben haben. Das erfreut das Herz eines jeden Highlanders. Ihr müßt nicht mehr länger die unmännliche Kleidung der Lowlander tragen."

Hosen waren in der Tat hinderlich, wenn man unwegsames Gelände und Bäche durchqueren mußte: Wenn sie naß wurden, blieben sie den ganzen Tag naß, während der Kilt schnell trocknete. Mit dem Shean-Triubhs-Tanz, dem "alte-Hosen"-Tanz, feierte man die Wiedergeburt des Kilts. Das Zucken der Tanzbeine symbolisierte das Abschütteln der verhaßten Hosen. Tanzen hat, so friedlich es scheint, seinen Ursprung ebenfalls im Kriegerischen. Je geschwinder und sicherer die Clan-Männer auf den Füßen waren, desto besser konnten sie steinigen und morastigen Boden überwinden. Außerdem hielt sie das Tanzen in der Kälte warm, und die Folgen übermäßigen Whiskygenusses verflogen schneller. ...