Bei den kleinrussischen Kosaken geht der Schrecken um: Ein feuchtfröhliches Trinkgelage wird gestört durch einen mysteriösen Fremden, der sich beim Anblick zweier Gottesbilder plötzlich in einen grausam entstellten Greis verwandelt. Es ist der sagenumwobene Zauberer, der zurückgekehrt ist, um an den Ufern des reißenden Dnjepr sein Unwesen zu treiben. Er drängt seine Tochter Katerina zum Inzest und trachtet ihrem Ehemann, dem kriegerischen Danilo Burulbasch, nach dem Leben, während die Polen zur Schlacht rüsten. Die Tragödie nimmt ihren Lauf, als die Liebenden gegen die dunklen Mächte des Zauberers kämpfen. Ein uralter Fluch besiegelt das Schicksal und entspinnt eine Spirale aus Begehren und Eifersucht, schwarzer Magie und brutaler Gewalt.
Schreckliche Rache, verfasst 1831 und als Teil des ersten Erzählzyklus Abende auf dem Weiler bei Dikanka erschienen, stellt die Quintessenz von Gogols frühem Schreiben dar. Mit einer kunstvollen, rhythmischen Prosa entfaltet er virtuos die Klang- und Farbenwelt der ukrainischen Folklore, der die Neuübersetzung von Walter Koschmal Rechnung trägt. Gogol führt uns hinein ins mythenreiche Land der Karpaten, deren Schluchten so tief sind wie die Abgründe der menschlichen Seele. Ein Meisterwerk der klassischen fantastischen Literatur.
Schreckliche Rache, verfasst 1831 und als Teil des ersten Erzählzyklus Abende auf dem Weiler bei Dikanka erschienen, stellt die Quintessenz von Gogols frühem Schreiben dar. Mit einer kunstvollen, rhythmischen Prosa entfaltet er virtuos die Klang- und Farbenwelt der ukrainischen Folklore, der die Neuübersetzung von Walter Koschmal Rechnung trägt. Gogol führt uns hinein ins mythenreiche Land der Karpaten, deren Schluchten so tief sind wie die Abgründe der menschlichen Seele. Ein Meisterwerk der klassischen fantastischen Literatur.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Sabine Berking freut sich, dass die Friedenauer Presse diese Erzählung von Nikolaj Gogol neu ediert und herausgegeben hat: Gogol hatte zu Beginn seiner Karriere einen schweren Stand, erst der Band voller "gruselig-romantischer Geschichten", in dem auch dieser Text erschienen ist, hat ihn mit seiner Mischung aus ukrainischer Dichtungstradition und russischer Sprache bekannt gemacht, erzählt Berking. Gerne liest sie diese Handlung um einen bösen Gast auf einer Hochzeit, der an Sagengestalten denken lässt - da ist alles drin, amüsiert sie sich: "Kerker, Befreiung, Flucht, Lug und Betrug, Verrat, Inzestgelüste, Überfälle der verhassten Polen" und das in einer Mischung aus Drama und Humor beschrieben. Ein "Meisterwerk", versichert sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2024Könnte der meuchelnde Zaubergreis mein Vater sein?
Der böse Gast: Nikolaj Gogols frühe Erzählung "Schreckliche Rache" in zeitgemäßer Interpretation
Die Oper von Lemberg inszenierte im ersten Kriegswinter "Schreckliche Rache" nach der Erzählung von Nikolaj Gogol. Komposition und Libretto stammen von Jewhen Stankowytsch, dem wohl bekanntesten Komponisten der Ukraine. Das gespenstige Treiben auf der Bühne wurde von Bombenalarm unterbrochen, der das Publikum in die Schutzräume zwang, wo so mancher eine Analogie zwischen dem finsteren Zauberer des Musikstücks und dem Kriegstreiber in Moskau gezogen haben mag.
In der durch Annexion und Angriffskrieg beschleunigten Debatte um das kulturelle Eigentum der postimperialen russischen und sowjetischen Welt spielt Nikolaj beziehungsweise Mykola Gogol eine zentrale Rolle. Der Ukrainer Gogol, 1809 nahe Poltawa geboren, hatte die, wie es damals hieß, "kleinrussische" Provinz nach Beendigung des Lyzeums 1828 gen Petersburg verlassen. Der unattraktiv wirkende, oft skurril gekleidete junge Mann versuchte in der Hauptstadt als Schauspieler, Staatsdiener und Privatlehrer Fuß zu fassen, was nicht recht gelang. Schon der Name, der eine Ente assoziiert, muss für die distinguierten Hauptstädter reichlich komisch geklungen haben. Das Frühwerk "Hans Küchelgarten" geriet zum verlachten Flop, der Enttäuschte kaufte die Reste seiner Auflage auf, nur um sie durch den Schornstein zu jagen.
Die Begegnung mit dem um zehn Jahre älteren Puschkin gab Gogols Schaffen eine Wendung. 1831/32 erschienen die "Abende auf dem Weiler bei Dikanka". Dieser Zyklus gruselig-romantischer Geschichten in der Tradition der ukrainischen Volksdichtung, auf Russisch geschrieben, durchsetzt mit ukrainischer Lexik und Syntaxstruktur, machte Gogol über Nacht bekannt. Nicht nur die daraus stammende "Schreckliche Rache", nahezu alle der insgesamt acht Erzählungen erlangten Kultstatus, wurden vielfach vertont und verfilmt.
Gogol ist nie eindeutig, seine Sprach- und Bildwelten sind hybrid, der Text sagt mehr als der Autor. In einer Zeit, als Russland seine eigene nationale Identität herauszubilden begann, konnte Gogols ästhetisch inszenierte Ukraine als exotisch "Anderes" konsumiert werden. Die in Stanford lehrende Yuliya Ilchuk demonstriert in ihrer 2020 erschienenen Gogol-Biographie, wie sich der Schriftsteller in seinem polyphonen, vielschichtigen Werk auf subtile Weise einer imperialen Homogenisierung widersetzte. Seine frühen Erzählungen und sein exzentrisches Auftreten seien ein Mimikry-Spiel, in dem er sich die Maske eines indigenen Ukrainers aufsetzte, der Russisch nur unzulänglich beherrsche. In den späten Werken, allen voran den "Toten Seelen", sei es andersherum: Im nur scheinbar glatten Russisch verbergen sich zahlreiche Ukrainismen, ein ukrainisiertes Russisch.
Die für ihre bibliophilen Ausgaben bekannte "Friedenauer Presse" hat nun Gogols frühen Geniestreich "Schreckliche Rache" in neuer Übersetzung und mit zwei klugen Nachwörtern versehen ediert. Der Übersetzer verweist auf Gogols "zerfledderte Sprache", seinen Sprachfuturismus, einen "asymmetrischen Barock", was bekanntlich ganze Generationen von Autoren, nicht nur russischsprachige, inspiriert hat. Angesiedelt in der schon zu Gogols Zeiten versunkenen Welt der Saporoger Kosaken des siebzehnten Jahrhunderts, geht es um einen bösen ungebetenen Gast, der unvermittelt auf einer Hochzeit nahe Kiew auftaucht, um sich in einen meuchelnden Zaubergreis zu verwandeln. Katarina, die mit Mann Danilo und Sohn Iwan unter den Gästen weilt, will nach einem Albtraum darin ihren Vater erkennen, den sie seit Kindheitstagen nicht mehr gesehen hat.
Tatsächlich kommt Danilo dem Bösewicht auf die Schliche. Es folgen in spannungsgeladener, mit Humor und Dramatik durchsetzter Dynamik Kerker, Befreiung, Flucht, Lug und Betrug, Verrat, Inzestgelüste, Überfälle der verhassten Polen, zu denen der Zauberer anstiftete, Gemetzel, Wahnsinn und Morde. Der ungebetene Gast reißt alle und alles in den Abgrund. Angelehnt an die mündliche Sagenwelt seiner Kindheit, lässt Gogol aus Lauten Bilder und aus Bildern Geschichten entstehen, idyllische Naturbeschreibungen und mystisch-apokalyptische Szenen, die an Hieronymus Boschs Motive erinnern, wechseln einander ab, bis alles in ein unerwartetes Finale mündet: Alles Unheil geht auf einen Brudermord aus Habgier und Neid zurück. Das Opfer ersinnt für den Judas beim Jüngsten Gericht eine schauerliche Rache: dass der Letzte aus dessen Geschlecht ein so böser Mensch sein werde, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Und selbst das ist nicht genug. Ein Meisterwerk!
Auf der Bühne in Lemberg wurde der Fluch gebrochen. Stankowytsch sagte in einem Interview, er habe es nicht zulassen können, dass das Land, wie bei Gogol, keine Nachkommen mehr haben soll. SABINE BERKING
Nikolaj Gogol: "Schreckliche Rache".
Aus dem Russischen von Walter Koschmal. Nachwort von Hamid Ismailov. Friedenauer Presse, Berlin 2024. 145 S., br., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der böse Gast: Nikolaj Gogols frühe Erzählung "Schreckliche Rache" in zeitgemäßer Interpretation
Die Oper von Lemberg inszenierte im ersten Kriegswinter "Schreckliche Rache" nach der Erzählung von Nikolaj Gogol. Komposition und Libretto stammen von Jewhen Stankowytsch, dem wohl bekanntesten Komponisten der Ukraine. Das gespenstige Treiben auf der Bühne wurde von Bombenalarm unterbrochen, der das Publikum in die Schutzräume zwang, wo so mancher eine Analogie zwischen dem finsteren Zauberer des Musikstücks und dem Kriegstreiber in Moskau gezogen haben mag.
In der durch Annexion und Angriffskrieg beschleunigten Debatte um das kulturelle Eigentum der postimperialen russischen und sowjetischen Welt spielt Nikolaj beziehungsweise Mykola Gogol eine zentrale Rolle. Der Ukrainer Gogol, 1809 nahe Poltawa geboren, hatte die, wie es damals hieß, "kleinrussische" Provinz nach Beendigung des Lyzeums 1828 gen Petersburg verlassen. Der unattraktiv wirkende, oft skurril gekleidete junge Mann versuchte in der Hauptstadt als Schauspieler, Staatsdiener und Privatlehrer Fuß zu fassen, was nicht recht gelang. Schon der Name, der eine Ente assoziiert, muss für die distinguierten Hauptstädter reichlich komisch geklungen haben. Das Frühwerk "Hans Küchelgarten" geriet zum verlachten Flop, der Enttäuschte kaufte die Reste seiner Auflage auf, nur um sie durch den Schornstein zu jagen.
Die Begegnung mit dem um zehn Jahre älteren Puschkin gab Gogols Schaffen eine Wendung. 1831/32 erschienen die "Abende auf dem Weiler bei Dikanka". Dieser Zyklus gruselig-romantischer Geschichten in der Tradition der ukrainischen Volksdichtung, auf Russisch geschrieben, durchsetzt mit ukrainischer Lexik und Syntaxstruktur, machte Gogol über Nacht bekannt. Nicht nur die daraus stammende "Schreckliche Rache", nahezu alle der insgesamt acht Erzählungen erlangten Kultstatus, wurden vielfach vertont und verfilmt.
Gogol ist nie eindeutig, seine Sprach- und Bildwelten sind hybrid, der Text sagt mehr als der Autor. In einer Zeit, als Russland seine eigene nationale Identität herauszubilden begann, konnte Gogols ästhetisch inszenierte Ukraine als exotisch "Anderes" konsumiert werden. Die in Stanford lehrende Yuliya Ilchuk demonstriert in ihrer 2020 erschienenen Gogol-Biographie, wie sich der Schriftsteller in seinem polyphonen, vielschichtigen Werk auf subtile Weise einer imperialen Homogenisierung widersetzte. Seine frühen Erzählungen und sein exzentrisches Auftreten seien ein Mimikry-Spiel, in dem er sich die Maske eines indigenen Ukrainers aufsetzte, der Russisch nur unzulänglich beherrsche. In den späten Werken, allen voran den "Toten Seelen", sei es andersherum: Im nur scheinbar glatten Russisch verbergen sich zahlreiche Ukrainismen, ein ukrainisiertes Russisch.
Die für ihre bibliophilen Ausgaben bekannte "Friedenauer Presse" hat nun Gogols frühen Geniestreich "Schreckliche Rache" in neuer Übersetzung und mit zwei klugen Nachwörtern versehen ediert. Der Übersetzer verweist auf Gogols "zerfledderte Sprache", seinen Sprachfuturismus, einen "asymmetrischen Barock", was bekanntlich ganze Generationen von Autoren, nicht nur russischsprachige, inspiriert hat. Angesiedelt in der schon zu Gogols Zeiten versunkenen Welt der Saporoger Kosaken des siebzehnten Jahrhunderts, geht es um einen bösen ungebetenen Gast, der unvermittelt auf einer Hochzeit nahe Kiew auftaucht, um sich in einen meuchelnden Zaubergreis zu verwandeln. Katarina, die mit Mann Danilo und Sohn Iwan unter den Gästen weilt, will nach einem Albtraum darin ihren Vater erkennen, den sie seit Kindheitstagen nicht mehr gesehen hat.
Tatsächlich kommt Danilo dem Bösewicht auf die Schliche. Es folgen in spannungsgeladener, mit Humor und Dramatik durchsetzter Dynamik Kerker, Befreiung, Flucht, Lug und Betrug, Verrat, Inzestgelüste, Überfälle der verhassten Polen, zu denen der Zauberer anstiftete, Gemetzel, Wahnsinn und Morde. Der ungebetene Gast reißt alle und alles in den Abgrund. Angelehnt an die mündliche Sagenwelt seiner Kindheit, lässt Gogol aus Lauten Bilder und aus Bildern Geschichten entstehen, idyllische Naturbeschreibungen und mystisch-apokalyptische Szenen, die an Hieronymus Boschs Motive erinnern, wechseln einander ab, bis alles in ein unerwartetes Finale mündet: Alles Unheil geht auf einen Brudermord aus Habgier und Neid zurück. Das Opfer ersinnt für den Judas beim Jüngsten Gericht eine schauerliche Rache: dass der Letzte aus dessen Geschlecht ein so böser Mensch sein werde, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Und selbst das ist nicht genug. Ein Meisterwerk!
Auf der Bühne in Lemberg wurde der Fluch gebrochen. Stankowytsch sagte in einem Interview, er habe es nicht zulassen können, dass das Land, wie bei Gogol, keine Nachkommen mehr haben soll. SABINE BERKING
Nikolaj Gogol: "Schreckliche Rache".
Aus dem Russischen von Walter Koschmal. Nachwort von Hamid Ismailov. Friedenauer Presse, Berlin 2024. 145 S., br., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die für ihre bibliophilen Ausgaben bekannte "Friedenauer Presse" hat nun Gogols frühen Geniestreich (...) in neuer Übersetzung und mit zwei klugen Nachwörtern versehen ediert.« -Sabine Berking, Frankfurter Allgemeine Zeitung Sabine Berking FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240613