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Ziel des Dialogs Idiota de mente (1450) ist die Zusammenführung der aristotelischen Bestimmung des Intellekts als Formprinzip des Lebens mit der platonisch-augustinischen Idee von der Unsterblichkeit der Seele. Für Cusanus ist die mens (Geist) eine eigene lebendige Substanz: Sie ist für sich selbst seiende Seele als Einheit ihrer Kräfte und das Bild Gottes.

Produktbeschreibung
Ziel des Dialogs Idiota de mente (1450) ist die Zusammenführung der aristotelischen Bestimmung des Intellekts als Formprinzip des Lebens mit der platonisch-augustinischen Idee von der Unsterblichkeit der Seele. Für Cusanus ist die mens (Geist) eine eigene lebendige Substanz: Sie ist für sich selbst seiende Seele als Einheit ihrer Kräfte und das Bild Gottes.
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Autorenporträt
Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus) kommt 1401 im heutigen Bernkastel-Kues zur Welt. Nach kurzem Studium der freien Künste in Heidelberg widmet er sich an der Universität Padua dem Kirchenrecht. Nach der Priesterweihe um 1440 wird Nikolaus 1448 zum Kardinal ernannt. 1433 verfaßt Nikolaus auf dem Basler Konzil seine erste grundlegende Schrift De concordantia catholica, in der er als Jurist und Theologe eine neue Ekklesiologie, eine allgemeine Konzils- und Staatstheorie sowie eine darauf aufbauende Reichsreform entwirft. Die erste von Nikolaus zur Veröffentlichung bestimmte philosophisch-theologische Schrift De docta ignorantia ist grundlegend für das Verständnis seines Denkens. Hier entwickelt er seinen berühmt gewordenen Begriff der ¿coincidentia oppositorum¿ der theologisch von der Suche nach Gott und philosophisch von der Jagd nach Weisheit geleitet ist. Mit der Einsicht in das Nichtwissen des Wissens distanziert sich Nikolaus von der ontologisch bedingten Erkenntnismetaphysik der Hochscholastik, um ein neuzeitliches Wahrheitsverständnis zu begründen. Nikolaus von Kues verbringt die letzten sechs Jahre seines Lebens am Hofe des Papstes in Rom und stirbt 1464.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.1995

Der selbstgeschnitzte Löffel
Nikolaus von Kues lehrt eine Metaphysik ohne Hinterwelt

Sich dumm stellen ist eine klassische philosophische Bewegung. Sie erzeugt den Zauber des ersten Blicks. In der Rolle des "idiota", des ungelehrten Selbstdenkers, kann der Zwerg davon absehen, daß er auf der Schulter des Riesen der Gelehrsamkeit steht. In seiner Schrift "Idiota de mente", "Der Laie über den Geist", findet Nikolaus von Kues ein pfiffiges rhetorisches Arrangement. Er verteilt in der platonischen Tradition seine Gedanken auf mehrere Sprecher. Sein Sokrates heißt einfach "Idiota", Laie.

Aber Nikolaus war kein Wittgenstein, der sich um die Tradition nicht kümmerte. In Kues an der Mosel haben sich über ein halbes Jahrtausend hinweg sein Stift und seine Bibliothek fast vollständig erhalten. Hier finden sich etwa scholastische Sentenzenkommentare, einem talmudischen unendlichen Gespräch vergleichbar, in dem Text auf Text antwortet, von Nikolaus' eigener Hand mit langen Randglossen versehen. Ein Traditionsstück ohne Beispiel, ein weitgehend ungehobener Schatz. Kurzum: Nikolaus war grundgelehrt.

Deshalb sind die Gesprächspartner des Laien und Löffelschnitzers Professionelle, ein Redner und ein Philosoph. Dessen Amt im Dialog ist es, die Ausführungen des "Laien" mit gelehrten Fußnoten zu versehen: "Wunderbar hast du das Wort des Trismegistus erhellt . . ."

Nikolaus verschafft sich durch diese Rollenbesetzung beides, die Lizenz zur Einfachheit und Unmittelbarkeit und die Möglichkeit, auf den gelehrten Diskurs zu verweisen. Das waren noch Zeiten, als ein Philosoph, der eigentlich zu Rom im Tempel der mens Manuskripte zu finden gedachte, sich zu Füßen eines weisen Löffelschnitzers niederließ . . .

"Idiota de mente" liegt nun in einer neuen, nach der Heidelberger Kritischen Ausgabe vorzüglich edierten und kommentierten zweisprachigen Ausgabe vor. Trotz der bei aller Genauigkeit sehr lesbaren Übersetzung geht von der Lakonik des lateinischen Textes ein eigener Reiz aus: Ad alta properas idiota! Das Latein des Nikolaus ist einfach und kommt dem deutschen Leser entgegen. Der muß sich ständig zurückpfeifen, um aus dem Kardinal von 1450 keinen Zeitgenossen zu machen oder doch zumindest einen Vorläufer Kants.

Nach Nikolaus haben wir kein vollkommenes Wissen von den Dingen, sondern nur Bilder (oder "Erscheinungen", um Kants Wort zu benutzen). Giovanni Santinello, der Verfasser der Einleitung, hat recht, "Idiota de mente" ist das "Buch von dem Bild".

Der menschliche Geist ist Bild des göttlichen Geistes. In diesem, dem letzten Einheitspunkt, fallen alle Gegensätze zusammen. Der göttliche Geist erschafft die Dinge. Es faltet sich aus (explicatio). Aus der Einheit ist die Vielheit des Geschaffenen geworden. Weil der Mensch Bild Gottes ist, wird sein Geist nun ebenfalls zum Ort der Einheit. Seine Aufgabe ist die assimilatio. Er muß, wenn er die Dinge begreifen will, sie ihrem Urbild im göttlichen Geist immer ähnlicher machen, ihnen sich anschmiegen (hätte Adorno gesagt). Der menschliche Geist, selbst ein Bild, erfaßt die Dinge nur als Bilder. Ihren wahren Namen kennt nur Gott. So ist der göttliche Glanz, der über den Dingen liegt, in Wahrheit ein Schatten, der leuchtende Schatten der negativen Theologie, die Bremse vor dem Alleswissen und Alleskönnen, ein eschatologischer Vorbehalt. Salopp gesagt, man braucht einen, der alles weiß, um unser Wissen als schwach und vorläufig, aber doch als Wissen zu verstehen. Diese Metaphysik beschreibt Prozesse und keine Hinterwelt.

Cusanus findet einen unwahrscheinlichen Vergleich, der auch die Theoretiker aktueller Kunst begeistern könnte: "Das ist so, wie wenn ein Maler zwei Bilder malte, von denen das eine, tote, ihm in Wirklichkeit ähnlicher schiene, das andere aber, das weniger ähnliche, lebendig wäre, nämlich ein solches, das, durch seinen Gegenstand in Bewegung gesetzt, sich selbst immer gleichförmiger machen könnte. Niemand zweifelt daran, daß das zweite vollkommener ist, weil es gleichsam die Malerkunst mehr nachahmt."

Das politische Wirken des Kardinals steht in engem Zusammenhang mit seinem Denken von Einheit und Vielheit. Er nahm maßgeblich an drei großen Einigungsbewegungen teil. 1450 konnte man in einem Jubeljahr die Einheit der westlichen Kirche nach dem Schisma des Basler Konzils feiern. Zehn Jahre zuvor waren auf dem Unionskonzil zu Ferrara/Florenz die lateinische und die griechische Kirche wiedervereinigt worden, und schließlich bemühte sich der Kardinal auch um den Dialog mit dem Islam.

Weil er auf die Einheit als regulative Idee (Kant) blickt, sie aber nicht in Besitz nehmen kann, ist er ein Anwalt der legitimen Vielfalt. Ob Griechisch, Lateinisch oder Arabisch: multiplicatio sermonum perutilis est. Die Vielfalt der Stimmen ist nicht Verhängnis und Strafe für den Turmbau zu Babel, sondern außerordentlich nützlich.

Das Cusanische Modell, in dem Einheit und Vielheit zusammengedacht werden, kann in allen Explikationen des Einen die Teilwahrheit anerkennen. Seit kurzem erst wissen wir, daß von dieser Lösung ein direkter Weg zu Lessings Ringparabel führt. Der Wolfenbütteler Bibliothekar kannte seinen Cusanus. Es wäre nur konsequent, dieses Grundgleichnis der Aufklärung im Lichte des Nikolaus zu interpretieren, als Monotheismus, der seine Wahrheit nicht in der Materialisation, im Ring, sucht, sie aber als regulative Idee auch nicht fahrenläßt: Es gibt den echten Ring! Ob ich ihn besitze, weiß ich nicht.

Diese Lösung ist nicht zu verwechseln mit der zeitgenössischen Multi-Kulti-Ideologie, deren Realitivismus keine Einheitsidee mehr kennt und in der schon das Festhalten an Menschenrechten als Eurozentrismus gilt.

Nikolaus ist ein Kronzeuge gegen eine Betrachtung der Geschichte, die auf Gesetzlichkeiten aus ist, die hinterher weiß, warum alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die wohlfeile Unvermeidlichkeit des Gegensatzes von Aufklärung und Religion sinkt in sich zusammen. Der Antagonismus von Wissenschaft und Kirche erscheint außerordentlich vermeidlich, wenn Geister wie Nikolaus in den Lehrbetrieb eingegangen wären.

Seine Wirkungsgeschichte verlief auf Umwegen und abseits vom Hauptstrom. Giordano Bruno hat den Cusaner geschätzt und hochgelobt, aber Kant und Hegel kannten seine Schriften nicht. Erst in diesem Jahrhundert verbreitet sich sein Ruhm.

Nikolaus präludiert die wichtigsten Motive heutiger Debatten. Was der Idiota über den Geist sagt, kann ohne Gewalt auf unsere Aktualisierung der Transzendentalphilosophie bezogen werden, auf den Streit um das Überleben des Subjekts als Agentur von Aufklärung, auf die Frage, ob die Metaphysik verabschiedet werden kann, weil sie angeblich eine "verhimmelte Vernunft" (Habermas), eine zweite Welt des Geistes oberhalb der Materie, behauptet, oder ob Metaphysik ein Prozeß ist, eine Beschreibung der Spuren, die entstehen, wenn das menschliche Bewußtsein sich vor dem Spiegel bewegt. Negative Theologie, die flüchtige monotheistische Einheit, der Gott des Bilderverbots - diese und noch manche anderen Motive heutigen Denkens sind bei Nikolaus anzutreffen. ECKHARD NORDHOFEN

Nicolai de Cusa: "Idiota de mente." Nikolaus von Kues: "Der Laie über den Geist". Lateinisch-Deutsch. Einleitung von Giovanni Santinello. Auf der Grundlage des Textes der Kritischen Ausgabe neu übersetzt und mit Anmerkungen herausgegeben von Renate Steiger, Verlag Felix Meiner, Hamburg 1995. 207 S., br., 48,- DM.

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