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»Frankreich und England haben je ein Gesicht und je ein anderes; in Italien findet man alle Nationen und alle Zeitalter beieinander«, schrieb Karl Viktor von Bonstetten an Johannes von Müller 1774.Letzteres gilt in besonderer Weise für diesen Doppelband. Er vereinigt Bonstettens Druckschriften und Manuskripte über Italien aus den Jahren 1797 -1808, hauptsächlich die Briefe über die italienischen Ämter (Tessin) und den Voyage sur la scène des six derniers livres de l'Énéide (auch in synoptisch abgedruckter deutscher Neuübersetzung) sowie umfangreiche Notizen von archäologischen und…mehr

Produktbeschreibung
»Frankreich und England haben je ein Gesicht und je ein anderes; in Italien findet man alle Nationen und alle Zeitalter beieinander«, schrieb Karl Viktor von Bonstetten an Johannes von Müller 1774.Letzteres gilt in besonderer Weise für diesen Doppelband. Er vereinigt Bonstettens Druckschriften und Manuskripte über Italien aus den Jahren 1797 -1808, hauptsächlich die Briefe über die italienischen Ämter (Tessin) und den Voyage sur la scène des six derniers livres de l'Énéide (auch in synoptisch abgedruckter deutscher Neuübersetzung) sowie umfangreiche Notizen von archäologischen und landeskundlichen Exkursionen in Latium und Etrurien. Bonstettens Neudeutung von Vergils Verortung der Aeneas-Sage in Latium ist in Christian Gottlob Heynes klassische Vergil-Ausgabe eingegangen. Dies ist der Ansatzpunkt für eine vom Altphilologen Ekkehard Stärk angeregte Einordnung von Bonstettens Vision in die geistige Landschaft Latiums von der Antike bis ins zwanzigste Jahrhundert. Der Kommentarband enthält einen aufschlussreichen Essay von Anja Höfler, der einen auch lebensgeschichtlich entscheidenden Aspekt von Bonstettens vielseitigen Interessen in exemplarischer und aufschlussreicher Weise beleuchtet.Subskriptionspreis bei Abnahme der Gesamtausgabe: EUR 59,- (D); EUR 60,70 (A)
Autorenporträt
Karl Viktor von Bonstetten (1745-1832), Berner Patrizier, war Politiker und vielseitiger Schriftsteller. Er beschäftigte sich u.a. mit Psychologie, Pädagogik, Philosophie, Skandinavistik und klassischer Archäologie. Sein Lebensmittelpunkt war die Schweiz, er verbrachte aber auch 10 Jahre in Italien, Skandinavien, Frankreich, England, Holland und Deutschland. Er pflegte zahlreiche persönliche Beziehungen und Korrespondenzen in Europa und Übersee.

Anja Höfler, geb. 1973, studierte Romanistik und Klassischen Philologie in Leipzig. Seit 1999 arbeitet sie an der Edition der Bonstettiana mit und ist seit 2005 Studienrätin am Europa-Gymnasium in Wörth am Rhein.

Stefan Howald ist Verfasser von Monographien zu Peter Weiss, George Orwell und Eric Ambler sowie der Biographie »Aufbruch nach Europa. Karl Viktor von Bonstetten (1745-1832). Leben und Werk«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Im Süden ist die Luft so schlecht
Nur mit Vergils „Aeneis” in der Hand kann man überhaupt frei atmen: Karl Viktor von Bonstettens Schriften über Italien bieten Klimatheorie, kritische Landeskunde und meisterhafte poetische Blicke Von Dieter Richter
Wer reist, muss schreiben. So lautete eine der goldenen Regeln der Grand Tour. Vielleicht auch nur, um das protestantisch schlechte Gewissen zu beruhigen, ihm versichernd, dass man keineswegs zum Vergnügen reise, zumal dann, wenn die Reise nach Italien führte. Reisen war Arbeit, hieß beobachten, vergleichen, abwägen, hieß schreibend sich und dem Publikum Rechenschaft abzulegen von nützlich verbrachter Lebenszeit, auch dann, wenn sie vergnüglich war. Die Italien gewidmete Reiseliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts bildet die babylonische Bibliothek dieses Bemühens.
Zu den Autoren, die schreibend in Italien unterwegs waren, denen das gelobte Land zum geliebten Forschungsgegenstand wurde, gehörte der Schweizer Karl Viktor von Bonstetten (1745-1832), dessen Werke jetzt in der historisch-kritischen Edition der Bonstettiana neu erscheinen. Der in Bern geborene, heute in Deutschland praktisch vergessene Autor hat 1824 mit einem Büchlein Aufsehen erregt, dessen Titel, so seltsam er auch klingen mag, gerade in Zeiten des Klimawandels zum Nachdenken Anlass geben könnte: „L’homme du midi e l’homme du Nord ou l’influence du climat” („Der Mensch des Südens und der Mensch des Nordens oder der Einfluß des Klimas”). Ändern sich mit dem Klima auch die Menschen und ihre Verhaltensweisen?
Für Bonstetten, der Europa im Süden bis Neapel, im Norden bis Skandinavien bereist hatte, ist der Sachverhalt klar: Es gibt den „Nordmenschen” und den „Südmenschen”, und die beiden unterschiedlichen Klimata diesseits und jenseits der Alpen wirkten entscheidend nicht nur auf das wirtschaftliche und soziale Leben ein, sondern prägten auch Religion, Dichtkunst, Erziehungssysteme und das, was wir heute „Mentalitäten” nennen. Bonstetten hat die „Klimatheorie” nicht erfunden, spätestens seit Montesquieu sind „Norden” und „Süden” die Pole einer allgemeinen Kulturanthropologie, er hat sie jedoch popularisiert, dabei den „Süden” im wesentlichen mit „Italien” identifiziert. Und mit dem Forscherblick des aufgeklärten Nordmenschen bereist er diesen Süden.
Von seinen „Schriften über Italien” in der vorliegenden zweibändigen Edition steht dabei neben den Briefen über die italienischen Ämter (die helvetischen Vogteien Lugano, Mendrisio, Locarno und Valmaggia, an deren politischer Verwaltung Bonstetten mitwirkte) die „Voyage dans le Latium” („Reise nach Latium”) im Mittelpunkt. Der Reisebericht war 1804 erschienen, ein Jahr später hatte Heinrich Zschokke Auszüge daraus in deutscher Version in seinem Monatsblatt Isis veröffentlicht. Die Herausgeber Doris und Peter Walser-Wilhelm legen ihn nun in einer neuen deutschen Übersetzung und einem synoptischen französisch-deutschen Textabdruck vor.
Die Meinung, dass schon viel zu viel über Italien geschrieben worden sei, kann Bonstetten, nicht teilen: „Trotz der großen Zahl von Reisenden, die von Italien sprechen, gibt es kaum eine Nation, die unbekannter wäre, als die Italiener.” Schließlich hielten sich alle Reisenden immer in den gleichen Quartieren auf und seien immer mit den gleichen Ciceroni unterwegs. Wer Italien wirklich kennenlernen wolle, müsse die ausgetretenen Pfade verlassen und sich vor allem in die kleinen Städte begeben. Bonstetten tut das, und die Region Latium ist für ihn die Probe aufs Exempel einer kritischen Landeskunde, die von der Geologie bis zur Viehhaltung, von der Bevölkerungsstatistik bis zu den Ernährungsgewohnheiten reicht. Und das Italien-Bild, das er dabei zeichnet, ist höchst verstörend.
Latium – das ist die Gegend rings um Rom, und zahllose Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen haben sie berühmt gemacht. Olevano mit der Serpentara, Ariccia, die Cervara-Grotten (in der die deutschen Künstler ihre ausgelassenen Frühlingsfeste feierten) gehören zur festen Topographie der deutsch-römischen Künstlerszene. Bäuerinnen, wie die oft porträtierte Vittoria Caldoni aus Albano galten als Muster weiblicher Schönheit. Ein „kleines Paradies”, so preist Wilhelm Waiblinger die Gegend in seinem 1827 erschienenen Essay „Der Frühling in den Gebirgen Latiums”.
Im Frühling ist auch Bonstetten in Latium unterwegs (1802/3), aber er sieht eine ganz andere Campagna: eine versteppte, entvölkerte Landschaft mit hässlichen, durch Elend und Armut heruntergekommenen Menschen. „Heutzutage gibt es nichts Traurigeres, als diese aller Wälder beraubte, ausgetrocknete, in der Hitze fiebernde Campagna di Roma, deren nackte Bodenerhebungen sich ausnehmen wie die Beulen ihrer dahinsiechenden Bewohner.”
Auch wenn dies nicht auf den luftigen Höhen der Albanerberge, sondern in der sumpfigen Gegend der Tibermündung geschrieben ist, zielt Bonstettens Italien-Kritik doch auf Grundsätzliches. Schon in Rom findet er statt Gewerbe- und Handelsfleiß nur allgemeinen Müßiggang, nur Krankheit, Armut und Bettelei. Es ist die Perspektive der aufgeklärten Kritik, aus der er schreibt, wie sie sich zu seiner Zeit recht selten bei deutschen Italienreisenden findet, wohl aber bei französischen und vor allem bei englischen Autoren, die den Kirchenstaat und das Königreich Neapel gern als Muster eines zurückgebliebenen, autoritären und moralisch heruntergekommenen Staatswesens zeichnen.
„Despotismus” und die „elendeste Verwaltung” in der päpstlichen „Weltmonarchie”, dazu eine durch Faulheit und Genusssucht geprägte Lebenseinstellung hätten, so Bonstetten, „Unfruchtbarkeit und Tod über das Land gebracht und einen ehemals fruchtbaren Boden in eine scheußliche Wüste verwandelt”. Und dies alles unter einem Himmel, der geschwängert sei von dem entsetzlichsten aller Keime eines bösen Klimas: der aria cattiva, der schlechten Luft.
Damit folgt Bonstetten einer damals verbreiteten klimatheoretischen Argumentation, die in den Zusammenhang einer Kulturgeschichte der Umwelt gehört. Es geht um den vermuteten Einfluss der Luft auf Gesundheit, Lebensweise und Moral der Bewohner unterschiedlicher Klimazonen. Die Medizin der Aufklärung meinte, dass die Luft mit feinen, unsichtbaren Partikeln durchmischt sei, die unmittelbar über die Haut in den Körper eindringen können. Fieber oder Krankheiten wie die Cholera oder die Malaria, aber auch landschaftliche Verödung und sozialen Niedergang dachte man sich durch solche Miasmen, „Ausdünstungen”, verursacht. Zu den Risikozonen der „Luftverschmutzung” gehörten neben der Toskana auch Rom und die Campagna, wovon nicht nur Bonstetten überzeugt war. So publizierte Christian Wilhelm Hufeland, Direktor der Charité in Berlin, in seinem „Journal für practische Heilkunde” 1817 einen Beitrag mit dem alarmierenden Titel „Über das Absterben der Länder, Italiens insbesondere, und dessen Vergiftung durch verdorbene Luft”. Hufeland war überzeugt davon, dass die Vergiftung der Luft in Italien schon so weit vorangeschritten sei, dass mit einem Aussterben des italienischen Volkes und der Verwandlung des Landes in eine Wüste zu rechnen sei.
Ähnlich sieht es auch Karl Viktor von Bonstetten, wobei physischer und moralischer Niedergang bei ihm Hand in Hand gehen: „In Latium mag das Fieber in der Luft liegen, aber faulig wird es aus Gründen, die nichts mit der Luft zu tun haben”. Schließlich sei im Altertum die Luft hier keineswegs verseucht gewesen; erst die Abholzung der Wälder und die liederliche Verwaltung hätten den „Todeskeim” über das Land gebracht.
Aber kann ein gebildeter, reisefroher Mensch in einem solchen Italien glücklich werden? Bonstetten kann es. Denn er ist mit Vergils „Aeneis” in der Hand unterwegs, und die Lektüre entführt ihn in eine Zeit, in der hier noch blühende Landschaften waren und Aeneas, aus dem zerstörten Troja kommend, an Latiums Küste ein Weltreich begründete. „Reise über den Schauplatz der sechs letzten Bücher der Aeneis”: So lautet der Untertitel des ersten Teils der „Reise nach Latium”, und Bonstetten ist damit zum Vorläufer einer lektüregeleiteten Archäologie im Sinne eines Heinrich Schliemann geworden. Wie dieser aus seiner Homer-Lektüre zu den Spuren des historischen Troja fand, so hat es sich Bonstetten in den Kopf gesetzt, die „Aeneis” als historisches Buch zu lesen und die Schauplätze der sechs letzten Bücher, beginnend mit der Landung des Aeneas an der Tibermündung, geographisch in der realen Landschaft zu verorten. „Erinnerungslandschaften” hat Ekkehard Stärk jene imaginativen Bilder von Italien-Reisenden genannt, die „einen poetischen Blick auf die Landschaft und einen topographischen Blick in die Dichtung” warfen. Bonstetten ist Meister in dieser Kunst, beständig changiert sein Blick zwischen Einst und Jetzt, wie in einem Historienfilm wird er Zeuge der Landung des Aeneas, lokalisiert er sein Lager, „schaut” er seine Landschaft. „In der Ebene sieht man Felder und Weiden, von gelichteten Gehölzen umgeben . . .”: Ja, das „sieht” man, wenn man als gebildeter Reisender über die öde Flur Latiums blickt, und Vertreter der Altertumskunde wie Christian Gottlob Heyne in Göttingen haben diesem „Sehen” ebenso Respekt gezollt wie eine Reiseschriftstellerin vom Rang der Madame de Staël. „Auf jeder Seite” – so schreibt die mit Bonstetten befreundete Autorin in ihrer Rezension – „verbindet der Autor das Tableau der Gegenwart mit den Anspielungen der Vergangenheit.” Mit Vergil atmete es sich eben freier in der schlechten Luft Italiens.
Karl Viktor von Bonstetten
Schriften über Italien 1800-1808 Historisch-kritische Ausgabe. Auf Grund gedruckter und handschriftlicher Textvorlagen herausgegeben von Doris und Peter Walser-Wilhelm und Anja Höfler. 2 Bände und CD-Rom. Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
815 Seiten, 74 Euro.
„Es gibt kaum eine Nation, die unbekannter wäre, als die Italiener”
Was sollte trauriger sein als die ausgetrocknete, in der Hitze fiebernde Campagna di Roma?
Oswald Achenbach malte diese Ansicht von Ariccia 1857. Foto: akg
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