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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen Bd.218
  • Verlag: Hahnsche Buchhandlung
  • Seitenzahl: 1080
  • Deutsch
  • Gewicht: 1480g
  • ISBN-13: 9783775260183
  • ISBN-10: 3775260188
  • Artikelnr.: 14172948
Autorenporträt
Der deutsche Mathematiker, Jurist und Philosoph Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz (1646-1716) gilt als universeller Gelehrter und als eine der bedeutendsten Gestalten in der europäischen Kultur und Wissenschaft seiner Zeit. Seine Arbeiten sind nicht nur für die Philosophie, sondern auch für die Naturwissenschaften und die Mathematik grundlegend. Zudem wirkte Leibniz im politischen Bereich ebenso wie in Wissenschaftsorganisationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2005

Der wohltemperierte Historiker
Eine phänomenale Ausgabe von Leibniz' Schriften zur Geschichte

Was ist ein Historiker? Vor kurzem wußte man es noch, denn die deutschen Universitäten hatten für gut 250 Jahre die Definitionsmacht über diese Profession. Inzwischen haben Ministerialbeamte, Museumsdirektoren, Fernsehredakteure und Internetdesigner das Metier neu definiert, so daß es kaum wiederzuerkennen ist. Wer waren die Historiker? Nach eigener Auskunft eine sich selbst rekrutierende Gruppe von Wissenschaftlern, die mit kritischer Methode die historische "Wahrheit" zur Aufklärung eines Kollektivs über seine Identität in progressiver Absicht erzeugte. Auf dem Weg in eine Postmoderne der Nichtidentität, in die modularisierte Ausbildungsuniversität und eine Gesellschaft, die ihr historisches Wissen zum großen Teil unprofessionell anfertigt, ist der Typus des wissenschaftlichen Historikers der Moderne verblaßt. Noch hämmern einige an einer "disziplinären Matrix", wühlen im Nachlaß der Ranke-Schule oder wärmen sich am Eros Max Webers. Vergeblich, was Erlösung scheint, endet in Selbsthistorisierung.

Den heutigen Historiker naht das Rettende nicht mehr von den Großvätern. Könnte es aus der "Vormoderne" kommen? Daß diese Hypothese zu einem ernsthaften Vorschlag werden kann, beweist eine respektable Sammlung von Gottfried Wilhelm Leibniz' Schriften und Briefen zur Geschichte. Leibniz hatte in der Fachgeschichte der Historiker nie einen guten Ruf. Eine große erzählende Geschichte hat er nicht verfaßt, seine Quelleneditionen gelten als unkritisch, und die Hauptmasse seiner historischen Manuskripte wurde erst lange nach seinem Tod oder überhaupt nicht gedruckt. Weil Leibniz aber so bedeutend war, konnten ihn die Historiker des neunzehnten Jahrhunderts nicht in ihrer Genealogie entbehren. Friedrich Meinecke, Wilhelm Dilthey und Ernst Cassirer haben Leibniz zum Stammvater des historischen Denkens in Deutschland erklärt.

Man hat Leibniz mit dieser Rolle keinen Gefallen getan. Der Universalgelehrte wurde zum Philosophen, der "Bedingungen der Möglichkeit" für Geschichtsforschung vorwies, was die quellenkritisch und nationalstaatlich orientierte Generation nach Hegel dezidiert nicht interessierte. Es entbehrt nicht der Ironie, daß es antiborussische Historiker wie Onno Klopp (1822 bis 1903) und Georg Heinrich Pertz (1795 bis 1876) waren, die Leibniz als Historiker edierten. Beide wurden schnell marginalisiert - und mit ihnen Leibniz.

Die Edition seiner historischen Schriften bietet der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft die Möglichkeit, ihr Verhältnis zu diesem Hofrat in welfischen Diensten zu überprüfen. Rund fünfzigtausend Stücke umfaßt der Nachlaß, 53 mit historischer Thematik werden hier geboten. Zusammen mit den Übersetzungen der lateinischen Texte ergibt das 921 Seiten, ohne die hervorragenden Indizes. Die Herausgeber haben dieses Massiv in zehn klug begrenzte Kapitel zerlegt, die vom Begriff der Geschichte über Methodenfragen, Quelleneditionen und Hilfswissenschaften bis zu der unvollendeten "Welfengeschichte" reichen. Historisches Staatsrecht, Geschichtstheologie und Traktate zum Altertum und Mittelalter finden sich in exemplarischen Texten vorgestellt. Sie machen sich die Mühe, den Kontext für Leibniz' historische Arbeiten in einer sehr verständlichen Einleitung abzubilden. Leibniz' Geschichtsbegriff soll nicht philosophisch begründet, sondern empirisch nachvollzogen werden. Das ist mutig, denn während die Philosophen heute kein Interesse mehr daran haben, Leibniz' Geschichtsvorstellungen zu ihren zentralen Deutungskategorien zu schlagen, bietet dieser Gelehrte dem modernen wissenschaftlichen Historiker fast nur unbekömmliche Kost. Dafür einige Beispiele: Leibniz steckt das historische Wissen in einen methodischen Zusammenhang, der Geistes-, Kultur- und Naturwissenschaften umfaßt. Dafür fühlt sich heute niemand mehr zuständig. Die praktischen Arbeiten von Leibniz auf dem Gebiet der Geschichte verdanken viel dem älteren Antiquarismus. Das bedeutet: Man soll zuverlässige Materialien bereitstellen, darf aber voraussetzen, daß der Leser die nötige Quellenkritik und Kommentararbeit größtenteils selbst vollziehen kann. Auch das ist mehr, als der gegenwärtige Historiker sich heute zumutet.

Bedenklich muß weiter stimmen, daß der Historiker des Welfenhauses zwar die Grundsätze der Quellenkritik und ihren Vollender Jean Mabillon preist, aber sich auch auf Gebiete wagt, wo selbst seine überragenden Kenntnisse nicht zureichen. Der große Leibniz dilettierte von heute aus gesehen nicht gerade selten. Leibniz setzte seiner Geschichtsforschung unzeitgemäße Zwecke, die wir heute kaum mehr gutheißen können. Er bemühte sich um konfessionelle Kirchengeschichte, allerdings in versöhnender Absicht. Für seine welfischen Arbeitgeber schrieb er genealogische und Dynastiegeschichte, doch betont nüchtern.

Schließlich wollte Leibniz mit seinen immensen historischen Kenntnissen dem Staatsrecht des Heiligen Römischen Reichs aufhelfen, dem sogenannten "Jus Publicum". Mehr als man zunächst vermuten könnte, schneiden sich diese drei historischen Arbeitsfelder in einer Person, nämlich dem deutschen protestantischen Fürsten. Dieser nachreformatorische Fürst war um 1700 sein eigener Bischof. Er war Dynast, dem nichts heiliger war als die Erbfolge, die seine Familie auf fremde Throne führen sollte. Schließlich war er sein eigener Rechtsanwalt, denn die öffentliche Sphäre des Reichs war primär eine rechtliche.

Leibniz war ein Gelehrter von feinem Gespür für die Möglichkeiten, die diese Verbindung aus Religion, Feudalismus und Recht der damaligen Geschichtsforschung bot. Seine konfessionelle Irenik zeigte den Welfen einen Ausweg aus dem alten Lagerdenken. Warum sollten ihre Töchter nicht Kaisersöhne heiraten, ihre Söhne nicht vielleicht Kardinäle werden? Auf diese Weise konnten uralte dynastische Verbindungen wie zwischen den Este und den Welfen zur Basis für neue internationale Projekte werden. Zu guter Letzt eröffnete die Historisierung der Politik um 1700 auch dem Historiker Aufstiegschancen. Leibniz träumte sich aus Hannover weg nach Wien, wo er sich am liebsten als protestantischer Reichshofrat und Präsident einer großen Akademie etabliert hätte.

Im Schnittpunkt dieser Interessen angesiedelt, hätte Leibniz zum Hausheiligen der bundesrepublikanischen Reichsgeschichtsforscher werden müssen. Daß er es nicht wurde, hat wohl damit zu tun, daß Leibniz nicht für die apologetischen Tendenzen dieser Gruppe, das heißt ihre teleologischen Fragen aufkommen kann. Er konzipiert das Reich als eine Art "prästabilierte Harmonie", er säkularisiert es nicht wirklich, so wie er der weltlichen Gelehrsamkeit zumutet, in Übereinstimmung mit den biblischen Zentralaussagen zu agieren.

Mit 53 Abhandlungen und Briefen stecken Babin und van den Heuvel diese Geschichtslandschaft ab. Es finden sich Vorworte oder Teilstücke ausgearbeiteter, ja gedruckter Werke, das meiste jedoch stammt aus Leibniz' Gedankenwerkstatt, ist Entwurf, Meinung und Kritik. Zu fast allen zentralen Debatten im historischen Feld finden sich richtungweisende Stellungnahmen. Wer kennenlernen will, welche historischen Fragen, mit welchen Methoden, zu welchem Zweck um 1700 erörtert wurden, der kann diese Edition als zuverlässige Einführung benutzen. Die Herausgeber eröffnen jedes Stück mit einer Einleitung in den Kontext einer zeitgenössischen Debatte und setzen diese Vernetzung in den Fußnoten fort. Luxuriöse Indizes für Personen, Schriften und Sachen tun ein übriges. Auf diese Weise treten Leibniz' Wissen und jeweilige Argumentationsstrategie deutlich hervor, auch seine Zeitgenossenschaft.

Als Gesamteindruck ergibt sich, daß Leibniz sich mit Theoriefragen der Geschichte nur beschäftigt hat, wenn man es ihm aufdrängte oder wenn es sich im systematischen Zusammenhang nicht vermeiden ließ. Die Geschichte war für ihn wesentlich eine praktische Angelegenheit, und so behandelte er sie auch. Vor allem argumentiert Leibniz im Kontext der Wissenschaftsgeschichte, das heißt im Dialog mit den älteren Geschichtsschreibern und Quellenautoren. Die Einleitung in die Braunschweigischen Historiker ("Scriptores rerum Brunsvicenisum") von 1706 ist eine Geschichte der mittelalterlichen Historiographie in nuce. Für Leibniz, der über unerschöpfliche Autorenkenntnisse verfügt, ist die Literatur- im wesentlichen eine Problemgeschichte. In ihre Traditionen reiht er sich willig ein, um sie in ein ökumenisches Reichsbewußtsein überzuleiten.

Freilich macht diese Edition auch deutlich, daß Leibniz sich der stärksten epochenspezifischen Spannung, das heißt der zwischen "Alten" und "Neuen" nicht entziehen konnte. Die "unbefangene Art der Darstellung" der antiken Historiker wollte er durch einen beweisenden Vortrag überwinden. Dagegen sah er die neuen Nationalsprachen "durch den Wandel der Ausdrucksweisen" ihren Reiz verlieren. Eindeutig ist Latein für Leibniz die "zukunftssichere" Sprache der Geschichtsschreibung. Er wäre verblüfft gewesen, sich hier geirrt zu haben. Für ihn war Latein nicht das konservative Medium, für das es heute Befürworter und Verächter halten.

Ist diese beispielhafte Edition der Anfang oder das Ende der Beschäftigung mit dem geschichtswissenschaftlichen Nachlaß des Universalgelehrten? Seit 1923 gilt der Beschluß, die "Reihe V für die historischen Schriften" zu reservieren. Seitdem ist hier kein einziger Band erschienen. Babins und van den Heuvels Auswahl ist nicht ein Teil der Akademieausgabe. Hat diese ominöse Reihe jemals Aussicht, realisiert zu werden? Historiker, die hier ihren Sachverstand einbringen könnten, lassen sich heute finden. Doch bleibt innerhalb der Konzeption der Akademieausgabe überhaupt Raum für die "historischen Schriften"? Das Leibniz-Archiv in Hannover bringt den politisch-historischen Briefwechsel heraus, die Leibniz-Editionsstelle Potsdam die "politischen Schriften", die zum guten Teil auch historische genannt werden müssen. Wo ist der Platz der Geschichte? Ist es vorstellbar, sich hier auf die Sammlungs- und Editionsprobleme der unvollendeten Welfenhistorie zu beschränken? Diese wunderbare Edition stellt unüberhörbar die Frage an die "Leitungskommission der Leibniz-Akademie-Ausgabe", wie es künftig mit "Reihe V" bestellt sein soll. Um sie gemäß den heutigen Möglichkeiten einer Geschichte der historischen Wissenschaften auszuführen, müßten interne Grenzen verrückt werden. Vielleicht ist das unmöglich, vielleicht ist deshalb diese Leibniz-Ausgabe ein Trostpflaster für kommende Historikergenerationen. Doch gerade weil dieses Trostplaster so wohltut, sollte man es nicht mit ihm bewenden lassen.

MARKUS VÖLKEL.

Gottfried Wilhelm Leibniz: "Schriften und Briefe zur Geschichte". Bearbeitet, kommentiert und herausgegeben von Malte-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen, Band 218. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2005. 1080 S., geb., 62,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main KTX: Die zentrale Position, die Historiker innerhalb der Geisteswissenschaften einnahmen, ist heute selbst historisch geworden. Trost bietet der Universalgelehrte Leibniz. Dessen geschichtswissenschaftlicher Nachlaß liegt jetzt in einer beispielhaften Edition vor.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Geradezu überschwänglich feiert Wilhelm Schmidt-Biggemann dieses taussendseitige Konvolut, die kommentierte Edition von Leibniz historischen Schriften, Skizzen und Ideen enthält. Entstanden sind sind im Rahmen seiner Geschichte des Welfenhauses, die Leibniz als Historiograf am Hof in Hannover begonnen hatte, aber - wie so viele seiner hochfliegenden Pläne - nicht zu Ende gebracht hatte, wie der Rezensent informiert. Dafür beginnen sie mit Grundsätzlichem: der "Urgeschichte der Germanen im Allgemeinen und der Sachsen im Besonderen", die wiederum bis in die Zeit der Skythen und Perser zurückgeführt. Diese Texte, jubelt Schmidt-Briggemann, "strotzen geradezu vor genialen und kuriosen Entwürfen". Den Herausgebern bestätigt er indes, bei Edition und Übersetzung sorgfältig und gründlich gearbeitet zu haben: "Sie verstehen ihr Geschäft." Dabei will Schmidt-Biggemann keinesfalls den Eindruck aufkommen lassen, hier läge ein Buch fürs Fachleute, nein, die Sammlung ist so geschickt und kenntnisreich eingeleitet und kommentiert, dass sie allen Lesern zugute kommen kann, meint der Rezensent überzeugt.

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