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Regisseure, Autoren, Schauspieler. »Wie diese drei miteinander auskommen: die Beziehung zwischen Autor, Regisseur, Schauspieler ist unvermeidlich eine Frage auch der Theorie, nicht nur der herstellenden Praxis«, so Ivan Nagel. Große Aufführungen erweisen sich oft als die tiefsten und überraschendsten Deutungen berühmter »klassischer« Dramen. Die Schriften zum Drama versammeln Ivan Nagels beste Essays und bieten damit einen gelungenen Überblick über das Theaterschaffen in den letzten Jahrzehnten. Nagel nähert sich essayistisch und exemplarisch Dramatikern und Inszenierungen. Er analysiert…mehr

Produktbeschreibung
Regisseure, Autoren, Schauspieler. »Wie diese drei miteinander auskommen: die Beziehung zwischen Autor, Regisseur, Schauspieler ist unvermeidlich eine Frage auch der Theorie, nicht nur der herstellenden Praxis«, so Ivan Nagel. Große Aufführungen erweisen sich oft als die tiefsten und überraschendsten Deutungen berühmter »klassischer« Dramen. Die Schriften zum Drama versammeln Ivan Nagels beste Essays und bieten damit einen gelungenen Überblick über das Theaterschaffen in den letzten Jahrzehnten. Nagel nähert sich essayistisch und exemplarisch Dramatikern und Inszenierungen. Er analysiert scharfsinnig Shakespeares "Troilus und Cressida", "Antonius und Cleopatra", "Timon von Athen" in ihrer Beziehung auf Krieg und Frieden, Ost und West, Reichtum und Armut - und er stellt ihnen epochemachende Aufführungen gegenüber wie Fritz Kortners legendäre Inszenierung von "Emilia Galotti" 1970 in Wien, wie Peter Steins Inszenierung von "Torquato Tasso" 1969 in Bremen, die das deutschsprachige Theater nachhaltig verändert haben. Er porträtiert große Autoren wie Elfriede Jelinek und Heiner Müller. Nagel, der seit vielen Jahren aufs Engste mit dem Theater verbunden ist als Kritiker, Dramaturg, Intendant zeigt sich in diesen Texten einmal mehr als großer Kenner und leidenschaftlicher Theatermann.
Autorenporträt
Nagel, IvanIvan Nagel, 1931 in Budapest geboren, von 1972 bis 1979 Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, später Schauspielchef in Stuttgart. Er war zuletzt Professor für Geschichte und Ästhetik der Darstellenden Künste an der Universität der Künste in Berlin. Er verstarb am 9. April 2012 in Berlin.Zu seinen Büchern gehören: Autonomie und Gnade - Über Mozarts Opern, Der Künstler als Kuppler - Goyas Nackte und Bekleidete Maja, Kortner Zadek Stein, Falschwörterbuch.Seit 2010 erscheint sein Gesamtwerk im Suhrkamp Verlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2011

Vom riskanten Leben der Texte auf der Bühne
Sinn für theatralische Sendungen: Ivan Nagels Schriften zum Drama sind ein wahrhaft lehrreiches Vergnügen

Wenn im Theater eine Uraufführung vorüber ist, sich der Regisseur und die Schauspieler verbeugt haben, holt einer von ihnen meist eine Dame oder einen Herrn auf die Bühne. Dieser unkostümierte, fremde Mensch wirkt dort halbwegs unsicher und blinzelt ein bisschen verlegen ins Rampenlicht. Es ist die Autorin oder der Autor, die beklatscht und manchmal auch gescholten werden, wenn mit ihren Schöpfungen etwas gemacht wurde, was sie gar nicht beabsichtigt hatten. "Wer Dramen schreibt, geht ein hohes Risiko ein", erklärt folgerichtig Ivan Nagel in seinem neuen Buch. Denn der Theaterautor kann nicht direkt zum Publikum sprechen, sondern braucht dazu Mittelspersonen. Das ist in Nagels Worten das Grund-Paradoxon des Genres: Jedes Werk überlebt zwar in seinen Buchstaben - doch es lebt "nur in Stimme und Bewegung, Geist und Körper seiner sich rasch ablösenden Interpreten".

Ivan Nagel, der als Publizist, Dramaturg und Intendant so praktische wie theoretische und eloquent intelligente Experte für die Darstellenden Künste, wird im Sommer achtzig Jahre alt. Seine "Schriften zum Drama" versammeln nun Essays aus fünfzig Jahren leidenschaftlicher Theaterbetrachtung. Leider wird nirgends erwähnt, wo die Texte erstmals veröffentlicht wurden, was Rückschlüsse auf ihr inhaltliches Umfeld unterbindet.

In über zwanzig Aufsätzen quer durch die Literatur- und Theatergeschichte entwirft er in einem großen Bogen von Shakespeare und Händel bis zu Elfriede Jelinek und Mauricio Kagel die Koordinaten seines Kunstverständnisses anhand ausgewählter Bühnenereignisse. Immer wieder sucht er sowohl dem Werk als auch dessen szenischer Umsetzung gerecht zu werden und seine anfängliche These, dass Dramen erst als Aufführungen zu sich kommen und "ihren jeweils gültigen, historisch-aktuellen Sinn enthüllen" können, möglichst plastisch zu belegen.

Das kann durch zwei konträre Deutungen von Anton Tschechows "Kirschgarten" wie die von Rudolf Noelte (1970) und Peter Zadek (1996) sein ("Extrem verschieden, aber unstrittig wahr") oder durch ein hohes Kompliment an Fritz Kortner und dessen Inszenierung von "Emilia Galotti": Der Regisseur mag "an Lessings Tendenzen und Effekten zweifeln; seiner Sprache glaubt er". Und erlöst diese jenseits "von Moral und Gegenmoral", indem er "einem Stück der Aufklärung ein Stück Aufklärung" abgewinnt.

Auf eine Debatte wie die um das oftmals geschmähte Regietheater lässt sich Ivan Nagel gar nicht ein und konstatiert trocken: "Wer ,Werktreue' im Theater als Kampfparole benutzt - ob Intendant, Kritiker, Zuschauer -, meint damit meist, dass er Shakespeare, Schiller, Wagner genauso dumm haben will, wie er selber ist."

Mit dieser souveränen Freiheit in Wahrnehmung, Emotion und Urteil erkennt er die Qualitäten gegensätzlichster Regiesprachen und kann seine Begeisterung emphatisch argumentativ artikulieren, ob er Peter Sellars' spektakulären Zyklus mit den drei Mozart-da - Ponte-Opern erläutert, zu denen er - "Lassen Sie sich nicht nur erfreuen! Lassen Sie sich stören!" - für die ARD animierend gescheite Einführungen sprach, oder eine Lobrede auf Pina Bausch hielt, als diese 1999 den Europäischen Theaterpreis bekam: "Sie gab dem Tanz die Sprache und das Schweigen."

Weder verkopft noch allein aus dem Bauch heraus, sind Nagels Betrachtungen eine Mischung aus philologisch präziser Analyse und hellsichtig-verständiger Rezension. Ein wahrhaft lehrreiches Vergnügen ist es etwa, ihm dabei zu folgen, wie er - geschriebener Theatertext - eine Rede des Saint-Just aus Büchners "Dantons Tod" studiert oder wie er - umgesetzter Theatertext - Peter Steins legendärer "Torquato Tasso"-Interpretation 1969 in Bremen huldigt. 2006 feiert er sie in einem Rückblick erneut als Musterbeispiel für "denkendes und erregendes Theater", dem er nicht ohne leise Wehmut nachruft: "Verstand und Körper verbündeten sich dort für einen kurzen, langen Augenblick."

Auch wenn manche Anmerkung ein wenig akademisch-apodiktisch erscheint, überzeugt Nagel doch durchweg mit seinen glänzenden Formulierungen. Die Rollengestaltung eines Sängers nennt er derart gelungen, dass man unter der Figur den "tollkühn virtuosen Sänger (Jeffrey) Gall zugleich hört, bestaunt und vergisst", und in Sachen Marivaux zögert er nicht, nachdem er dessen Komödie "La Dispute" 1973 in der Inszenierung von Patrice Chéreau gesehen hat, sein Urteil über den Dichter aufzufrischen und zu ergänzen.

So wird auch das Publikum ermuntert, andere Aufführungen mit Nagels Essays zu konfrontieren und selbst weiterzudenken. Und es wird gewiss Abende geben, an denen sich der unterforderte Theaterbesucher Ivan Nagels Höhe der Reflexion und dessen Kenntnis der Materie als Richtschnur auf einer Bühne wünschen würde, wo man einem Drama wieder einmal ausgewichen ist, anstatt sich ihm zu stellen, weil es nicht gelesen wurde, sondern überlesen.

IRENE BAZINGER

Ivan Nagel: "Schriften zum Drama".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 318 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Beeindruckt ist Doris Meierhenrich von Ivan Nagels undogmatischem Blick auf das Theater. Nicht nach Wahrheit, sondern nach Wahrhaftigkeit suche Nagel in seinen Analysen und werfe ohne "rhetorische Feuerwerke" einen offenen und kritischen Blick auf die Werke von Peter Zadek, Elfriede Jelinek und anderen Theatergrößen. Notwendig muss Theater für Nagel sein und "Lebensrelevanz" besitzen, die sich nicht in ideologischer oder ästhetischer Selbstbeschauung erschöpfen darf, so Meierhenrich. Diese Haltung bewundert die Rezensentin ebenso wie Nagels unprätentiösen Stil, an dem sich zeigt, dass hier jemand mit kritischer Liebe die Bühne betrachtet.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Werder verkopft noch allein aus dem Bauch heraus, sind Nagels Betrachtungen eine Mischung aus philologisch präziser Analyse und hellsichtig-verständiger Rezension.« Irene Bazinger Frankfurter Allgemeine Zeitung 20110302