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Die eigene Welt mit den Augen einer fremden Welt zu sehen, das ist identisch mit der Anstrengung, eine andere Gesellschaft aus sich selbst heraus zu verstehen. Zur Frage steht also: Wie sehen wir außereuropäische Kulturen, wie stellen wir sie dar - und umgekehrt, wie sehen andere Kulturen uns? In den hier versammelten Essays geht Fritz Kramer diesen Fragen sowohl in ethnographischer als auch in genealogischer Perspektive nach.
Am Beispiel Afrikas etwa wird dargelegt, wie Fremdgeistbesessenheiten, in denen die 'Welt des weißen Mannes' zur Darstellung kommt, einen Zugang zur Realität einer
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Produktbeschreibung
Die eigene Welt mit den Augen einer fremden Welt zu sehen, das ist identisch mit der Anstrengung, eine andere Gesellschaft aus sich selbst heraus zu verstehen. Zur Frage steht also: Wie sehen wir außereuropäische Kulturen, wie stellen wir sie dar - und umgekehrt, wie sehen andere Kulturen uns? In den hier versammelten Essays geht Fritz Kramer diesen Fragen sowohl in ethnographischer als auch in genealogischer Perspektive nach.

Am Beispiel Afrikas etwa wird dargelegt, wie Fremdgeistbesessenheiten, in denen die 'Welt des weißen Mannes' zur Darstellung kommt, einen Zugang zur Realität einer anderen Gesellschaft bieten. Und mit Blick auf europäische Traditionen werden Begriffe und Konzepte, mittels derer wir außereuropäische Kulturen darstellen, historisiert, um zu einer Darstellung fremder Wirklichkeiten zu gelangen, die auf klassische Kategorien der Fremddarstellung verzichtet.
Autorenporträt
Fritz Kramer, geboren 1941, ist Professor für kunstbezogene Theorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2006

Besessen von den Geistern der außermenschlichen Natur
Die Wildnis, die Tiere, die Kolonialherren und schließlich die Touristen: Gesammelte Aufsätze des Ethnologen Fritz W. Kramer

Sollte einmal die Geschichte der deutschsprachigen Ethnologie im späten zwanzigsten Jahrhundert geschrieben werden, dann wird Fritz Kramer in ihr einen der prominentesten Plätze einnehmen. Von seinen Arbeiten sind seit den siebziger Jahren entscheidende Impulse ausgegangen, obgleich auch ihn eine - wie es der Ideenhistoriker Hans-Joachim Schoeps ironisch zu Karl Marx bemerkt hat - "unglückliche Verkettung von Umständen" daran hinderte, je ein Ordinariat für sein Fach zu erhalten. Nachdem Kramer viele Jahre an der Berliner Freien Universität Ethnologie unterrichtet hatte, nahm er zu Beginn der neunziger Jahre einen Ruf an die Hochschule für bildende Künste in Hamburg an, wo er seither lehrt. Gleichwohl ist sein Einfluß auf die Ethnologie beträchtlich geblieben. Schätzungsweise dürfte ein Viertel der Professoren, die heute in Deutschland das Fach lehren, aus seinen Berliner Seminaren hervorgegangen sein.

Die von Tobias Rees herausgegebene und mit einem instruktiven Nachwort versehene Sammlung von Aufsätzen umfaßt einen Zeitraum von fast dreißig Jahren. Der älteste von ihnen stammt aus dem Jahre 1978 und ist einer zweibändigen Auswahl von Aufsätzen der wichtigsten Vertreter der britischen Sozialanthropologie entnommen, mit denen bis dahin in Deutschland nur wenige vertraut waren. Ein Jahr später erschien der erste Band seiner Herausgabe der Schriften Bronislaw Malinowskis in deutscher Übersetzung, die 1986 abgeschlossen wurde. Kramers Bemühungen um die britische Schule und ihren Gründungsvater Malinowski trugen schnell Früchte. Unter vielen jüngeren Ethnologen hatte damals eine Abkehr von den kulturhistorischen Theorien stattgefunden, die die Geschichte des Faches im deutschsprachigen Raum über fast ein Jahrhundert bestimmt hatten. Man glaubte sie demselben unseligen Erbe zuordnen zu müssen, aus dem auch der Nationalsozialismus hervorgegangen war. Um so kritikloser warf man sich dafür in die Arme der angelsächsischen Ethnologie.

Kramer hat diesen Weg zwar eingeleitet, doch zeigen seine frühen Aufsätze, daß er der britischen Sozialanthropologie distanziert gegenüberstand. Ihre Verstrickung in den Kolonialismus wird von ihm in aller Deutlichkeit benannt. Ohne den beträchtlichen Fortschritt zu leugnen, der in das Fach durch die Methoden der modernen Feldforschung eingeführt worden war, sieht er im Funktionalismus Malinowskis und der britischen Sozialanthropologie - wie in aller Ethnologie - eine "Auslegung des Eigenen im Anderen". Bronislaw Malinowski interessierte ihn daher weniger als Theoretiker oder Empiriker. Für Kramer ist er vor allem ein Schriftsteller, der um eine adäquate Darstellung der für seine Leser fremden Lebenswelt einer Südseegesellschaft ringt. Damit nahm Kramer eine Sichtweise vorweg, die wenige Jahre später unter dem Stichwort "Writing Culture" in der amerikanischen Cultural Anthropology eine zentrale Rolle spielen sollte.

Erleiden als Kult

Kramer entrdeckte darauf damals in Deutschland verfemte Kulturmorphologie von Leo Frobenius und Adolf E. Jensen für sich neu. Auch wenn er sich von beiden Autoren zum Teil scharf distanziert, bleibt doch zu vermuten, daß seine Theorie einer Anthropologie der Passiones der Kulturmorphologie mehr verdankt, als er selbst zugestehen will. Mit dem lateinischen Begriff passio bezeichnet Kramer das passive "Erleiden" der außermenschlichen Natur, der Wildnis und der Tiere, wie es vor allem für afrikanische Kulte charakteristisch sei. Das Gefühl, nicht Subjekt, sondern Objekt von Handlungen zu sein, münde in die Vorstellung einer Besessenheit von den Geistern der Wildnis. Im Kult schaffe sich diese Vorstellung durch die Nachahmung der Fremdgeister und ihrer Verhaltensweisen einen Ausdruck.

Kramer bezieht sich mit dieser Theorie zwar in erster Linie auf den britischen Ethnologen Godfrey Lienhardt, doch kommt der Phase einer anfänglichen "Ergriffenheit", die im kultischen Verhalten zum "Ausdruck" gelangt, auch in Frobenius' expressionistischer Kulturtheorie ein zentraler Stellenwert zu. Die Originalität von Kramers Ansatz zeigt sich vor allem in den Beispielen, die er mit Hilfe der Theorie der Passiones analysiert. Neben den klassischen Besessenheitsritualen sind dies vor allem die Darstellungen europäischer Fremdgeister in afrikanischen Kulten. Die von ihnen Besessenen repräsentierten sie symbolisch, indem sie sich die Uniformen und Titel der europäischen Kolonialherren zulegten, ihren Befehlston, ihre Paraden und ihre ungelenken Bewegungen nachahmten. Heute geben hierfür nicht selten reiche Touristen das Vorbild ab, wie etwa in den west- und zentralafrikanischen Mammy-Wata-Kulten.

In Kramers Deutung erweisen sich die in Afrika weit verbreiteten Formen ritueller Mimesis als Gegenstück zur Ethnographie des Westens. Während Ethnographen die Mitglieder fremder Kulturen beobachten und sich in ihr Denken hineinzuversetzen versuchen, schlagen die Teilnehmer von Besessenheitskulten einen anderen Weg ein. Sie imitieren die Handlungen der Fremden, um von innen heraus deren Gefühle und Affekte kennenzulernen.

Die im dritten Teil des Bandes veröffentlichten Aufsätze sind nach Kramers Berufung an die Hamburger Kunsthochschule entstanden. Einige von ihnen gelten der Frage nach den fundamentalen Unterschieden zwischen afrikanischer und europäischer Kunst. Als Charakteristikum des afrikanischen Kultbilds erscheint ihm, daß es im Gegensatz zur klassischen europäischen Kunst die Wirklichkeit keineswegs nachbilden will, sondern die Ähnlichkeit mit realen Vorbildern und Modellen ausdrücklich meidet. Andere Artikel versuchen sich an einer Darstellung des modernen Kunstbetriebs, bei der sich Kramer der Perspektive des ethnographischen Beobachters bedient. Ähnlich wie nach Überzeugung der westafrikanischen Tallensi die Persönlichkeit des einzelnen davon abhängt, mit welchen seiner Ahnen er sich identifiziert, stellen sich angehende Künstler aus der Ahnengalerie der modernen Kunst eine unverwechselbare Auswahl von Vorbildern zusammen, um ihre Individualität zu unterstreichen. Der große Reiz von Kramers Ansatz besteht darin, daß er die in der postmodernen Ethnologie vielbeklagte Grenze zwischen "uns" und den "anderen" gar nicht erst einzureißen versucht, sondern die Differenzen in der wechselseitigen Wahrnehmung dazu nutzt, um neues Licht sowohl auf die eigene als auch auf die fremde Gesellschaft zu werfen.

Exotische Heimat

Die Fruchtbarkeit dieses Verfahrens zeigt sich nicht zuletzt in seinen Aufsätzen über die Nuba im südlichen Sudan, bei denen er über ein Jahrzehnt mehrere Forschungsaufenthalte verbracht hat. Durch seine unprätentiöse, auf das übliche Fachvokabular vollständig verzichtende Beschreibung bringt er sie uns näher, während unsere eigene aufgeregte Art, uns zu geben, in seiner Darstellung ausgesprochen exzentrisch und exotisch wirkt.

Durch seine wissenschaftshistorischen und theoretischen Schriften hat Fritz Kramer wesentlich dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums auf die Ethnologie zu richten. Von seinen ethnographischen Schriften steht zu befürchten, daß sie weitgehend ungelesen bleiben werden - es sei denn, die Nachfahren der heutigen Nuba sollten sie irgendwann einmal als eine mustergültige Beschreibung ihrer eigenen Kultur entdecken. Ansonsten gilt wohl leider, was er selbst in anderem Zusammenhang konstatiert: "Doch sobald der Ethnograph ins Detail geht, schlägt die allgemeine Zustimmung in Desinteresse um."

KARL-HEINZ KOHL

Fritz W. Kramer: "Schriften zur Ethnologie". Herausgegeben und mit einem Nachwort von Tobias Rees. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 418 S., br., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erfreut zeigt sich Rezensent Karl-Heinz Kohl über diesen Band mit Aufsätzen Fritz W. Kramers aus den letzten dreißig Jahren. Er würdigt Kramer als einen der bedeutendsten und einflussreichsten deutschen Ethnologen, der durch seine Schriften entscheidend dazu beigetragen habe, die Ethnologie auch einem breiteren Publikum näher zu bringen. Ausführlich berichtet Kohl über Kramers Bemühungen um die britische Sozialanthropologie und dessen Gründungsvater Malinowski sowie über seine Wiederentdeckung der Kulturmorphologie von Leo Frobenius und Adolf E. Jensen. Besonders Kramers Theorie einer Anthropologie der Passiones sieht er von diesen beiden Autoren inspiriert. Weiter erwähnt Kohl die Aufsätze über die Frage nach den fundamentalen Unterschieden zwischen afrikanischer und europäischer Kunst. Den "großen Reiz" von Kramers Ansatz erblickt Kohl darin, dass er die in der postmodernen Ethnologie vielbeklagte Grenze zwischen "uns" und den "anderen" gar nicht erst einzureißen versuche, sondern die Differenzen in der wechselseitigen Wahrnehmung dazu nutze, "um neues Licht sowohl auf die eigene als auch auf die fremde Gesellschaft zu werfen." Wie fruchtbar dieses Verfahren ist, verdeutlichen für Kohl insbesondere Kramers Aufsätze über die Nuba im südlichen Sudan.

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