Die vorliegenden »Schriften« versammeln erstmals in deutscher Sprache alle Texte, die die Filmemacher Danièle Huillet und Jean-Marie Straub für eine Veröffentlichung verfasst haben. Neben den zahlreichen ursprünglich deutsch erschienenen Texten finden sich in diesem Band nun auch eine Reihe bislang nur auf Italienisch oder Französisch zugänglicher Texte in deutscher Übersetzung. Die chronologisch angeordnete Sammlung beginnt mit einem Bericht von Jean-Marie Straub von den Filmfestspielen in Venedig im September 1954 und endet mit einer Nachricht von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub an das Festival von Venedig im September 2006, das ihnen nach mehr als 44 Jahren Arbeit und fast dreißig realisierten Filmen einen Löwen für »Innovationen in der kinematographischen Sprache« verlieh: »Das ist zu früh gekommen für unseren Tod, aber zu spät für unser Leben.«Die Filme von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub sind, biographisch und politisch bedingt und gewollt, in Deutschland, Italien und Frankreich entstanden - auf Deutsch, Italienisch und Französisch, entsprechend der Originalsprache der literarischen Vorlagen: Böll, Brecht, Corneille, Mallarmé, Vittorini, Pavese, Fortini, Kafka, Hölderlin u.a. Die drei Sprachen finden sich deshalb auch in der Schreib- und Publikationspraxis von Straub / Huillet, die die Arbeit an den Filmen begleitete. Zur unermüdlichen Bemühung, die »vielen« zu erreichen, »denen man seine Filme schenken möchte«, gehörten für Jean-Marie Straub und Danièle Huillet nicht nur das Reisen mit den Filmen, die Anwesenheit und das Gespräch mit dem Publikum - so oft wie möglich -, sondern auch das Schreiben, die Mitteilung über Zeitungen und Zeitschriften, Fachpresse, Tagespresse, Flugblätter, »graue Literatur«. Über die Jahrzehnte entsteht ein sich schichtender Kommentar zu den Filmen: Erläuterungen, Zueignungen, Polemiken, Verteidigungen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Filmemacherpaar Jean-Marie Straub und Danièle Huillet hat in der Geschichte des europäischen Films immer eine Ausnahmesituation eingenommen, erinnert Rezensent Bert Rebhandl: Wer den Film in seiner Materialität, seiner Poesie und seiner politischen Relevanz besonders ernstnahm, berief sich auf die kommunistischen Exilanten, die Frankreich wegen des Algerienkriegs verlassen hatten. Die jetzige Herausgabe ihrer Schriften kann Rebhandl gar nicht genug würdigen. Sie geben ihm Aufschluss über ihr politisches Denken, ihre Ästhetik und ihre Intellektualität, die ihnen über Filmkreise hinaus Relevanz hätte verschaffen müssen. Rebhandl erkennt zudem, dass Straub mehr Texte, aber Huillet gewichtigere geschrieben hat, und er zitiert abschließend ihr gemeinsames Credo: "Leben bedeutet, eine Form zu verteidigen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2020Die Eidechse macht den Unterschied
Ästhetik mit Politik verschränken: Ein Band versammelt die Texte der beiden Filmemacher Danièle Huillet und Jean-Marie Straub.
Am 4. Juli 1965 hatte bei der Berlinale, die damals noch im Sommer stattfand, ein Film Premiere, der sofort für Skandal sorgte: "Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet auf Grundlage des Romans "Billard um halb zehn" von Heinrich Böll. Schon der Titel machte klar, dass der bürgerliche Humanismus von Böll hier auf eine Antithese traf, auf die Gesellschaftsanalyse und linken Strategievorstellungen von Brecht.
Das Filmemacherpaar, zwei Exilanten aus Frankreich, die das Land wegen des Algerien-Kriegs verlassen hatten, hatte in Deutschland kein Geld für sein Vorhaben bekommen und sich einen Betrag zusammengeborgt, unter anderem von Jean-Luc Godard und einem Zahnarzt, mit dem Straub in die Schule gegangen war. Im Mittelpunkt stand eine Familie, "die ein begrenztes (da bürgerliches) Bewusstsein hat von den Ereignissen, die sie treffen". Gemeint sind die Ereignisse in Deutschland von 1910 bis in die Nachkriegszeit, mit einem Hintergrund in den gescheiterten Revolutionen von 1848/49. "Nicht versöhnt" endet mit Schüssen, aber das war nicht die Gewalt, die Straub/Huillet meinten. Die hilfreiche Gewalt wäre in ihren Augen ein Generalstreik im Jahr 1933 gewesen, ein Streik, der "im Film und in der deutschen Geschichte fehlt".
Dieser Kommentar ist einem Filmblatt zu entnehmen, das in "Danièle Huillets und Jean-Marie Straubs "Schriften" abgedruckt ist, einem Band, in dem erstmals alle Texte versammelt sind, mit denen Huillet und Straub ihre gemeinsame Arbeit bis 2004 begleitet haben. 2006 wurde das Paar durch den Tod von Danièle Huillet getrennt, während Jean-Marie Straub, inzwischen 87 Jahre alt, weiterhin kurze Filme macht. Die Verbindung ihrer Namen zu Straub/Huillet wurde geradezu zu einem Logo oder einer Marke im europäischen Autorenkino nach 1960. Wer sich auf Straub/Huillet berief oder deren Fan war, gab damit zu erkennen, das Medium Kino in seiner Materialität und in seiner politischen Relevanz besonders ernst zu nehmen. Straub/Huillet nahmen immer eine Randposition ein, waren gerade deswegen aber ungeheuer einflussreich. Und die Schriften lassen nun in vielen Details erkennbar werden, wie originell und auch weitblickend die Verbindung von Ästhetik und Politik tatsächlich war, die sich in Filmen wie "Die Chronik der Anna Magdalena Bach", "Moses und Aron" (nach Schönberg), "Klassenverhältnisse" (nach Kafka) oder "Der Tod des Empedokles" (nach Hölderlin) zeigte und vernehmbar machte.
"Wir sind die einzigen europäischen Filmemacher", hat Straub später einmal geschrieben. Von ihm stammen deutlich mehr der Schriften, während Danièle Huillet seltenere, dann aber gewichtige Beiträge beisteuerte. Mit ihrem Werk in den drei Sprachen Französisch, Deutsch und Italienisch wurden Straub/Huillet zu Verfechtern eines unübersetzbaren Originaltons in mehrfacher Hinsicht. Sie nahmen die Entstehungsbedingungen ihrer Filme so ernst, dass sie immer auch genau die Aufnahmegeräte nannten, die dafür verwendet wurden. Man darf das aber nicht als Materialfetischismus missverstehen. Für Straub/Huillet ist das Kino ein Medium, dessen Radikalität sich gerade in seinem Wirklichkeitsbezug erweist. Und das bedeutet eben, dass jede Aufnahme einer Szene, jede Einstellung einen "unzertrennbaren Block mit unaustauschbarem Bild und Ton" ergibt.
Bei dem Film "Der Tod des Empedokles" gingen sie mit ihren Prämissen so weit, dass sie verschiedene Fassungen herstellen ließen, die sich durch bestimmte Zufälle voneinander unterschieden: In der "Eidechsen-Fassung" huscht einmal ein Tier durch das Bild, in einer anderen Fassung kräht einmal unerwartet ein Hahn. Straub/Huillet hatten damit ein "Attentat gegen die Reproduzierbarkeit des Kunstwerks im technischen Zeitalter" im Sinn und legten gleichzeitig im technischen Reproduktionsmedium Kino einen subversiven Kern frei. Wenn sie bei dem Empedokles-Film, gedreht an den Abhängen des Ätna, von ihrer "sizilianischen Ernte" sprechen, dann wird deutlich, dass sie ihr Arbeiten in Entsprechung zu dem von Bauern sehen - oder zu dem von Cézanne, der versuchte, "Empfindungen zu materialisieren".
"Mit jedem Film haben wir den Versuch gemacht, einen Traum oder einen Albtraum zu materialisieren, zum Beispiel den (kommunistischen) Traum Hölderlins." Der Wert der sorgfältig edierten und kommentierten "Schriften" zeigt sich nicht zuletzt dort, wo Straub/Huillet erkennbar auf Distanz gingen zu den kleinteiligen ideologischen Stellungskriegen der europäischen Linken um und nach 1968. Ihr Kommunismus ist inspiriert und geprägt von einem Naturbezug, der einen wesentlichen Unterschied abgibt zum realen Sozialismus; aber schon die deutsche Sozialdemokratie habe die Natur "wie eine unerschöpfliche Milchkuh" behandelt. Straub/Huillet verzeichnen neben dem Klassenkampf einen "menschlichen Razzismus [sic] gegen die Tiere, die Pflanzen, die Erde". Sie lieben den amerikanischen Regisseur John Ford dafür, dass er "imstande ist, den Staub zu filmen", aber auch, weil sie ihn für den "brechtianischsten" unter den Filmkünstlern halten. Dass Ford de facto populäres Kinos machte, ist dazu kein Widerspruch, sondern gerade die Pointe dieser Behauptung.
Straub/Huillets Werk bietet einen hervorragenden Pfad durch die europäische Geschichte der letzten sechzig Jahre. Und die "Schriften" verleihen ihrer Position nun auch ein intellektuelles Gewicht, das sie eigentlich deutlich über das Kino hinaus haben müssten. Denn das Credo der Straubs gilt für viele Bereiche: "Leben bedeutet, eine Form zu verteidigen."
BERT REBHANDL
Danièle Huillet und
Jean-Marie Straub:
"Schriften".
Hrsg. von Tobias Hering, Volko Kamensky, Markus Nechleba und Antonia Weiße. Vorwerk 8, Berlin 2020. 400 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ästhetik mit Politik verschränken: Ein Band versammelt die Texte der beiden Filmemacher Danièle Huillet und Jean-Marie Straub.
Am 4. Juli 1965 hatte bei der Berlinale, die damals noch im Sommer stattfand, ein Film Premiere, der sofort für Skandal sorgte: "Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet auf Grundlage des Romans "Billard um halb zehn" von Heinrich Böll. Schon der Titel machte klar, dass der bürgerliche Humanismus von Böll hier auf eine Antithese traf, auf die Gesellschaftsanalyse und linken Strategievorstellungen von Brecht.
Das Filmemacherpaar, zwei Exilanten aus Frankreich, die das Land wegen des Algerien-Kriegs verlassen hatten, hatte in Deutschland kein Geld für sein Vorhaben bekommen und sich einen Betrag zusammengeborgt, unter anderem von Jean-Luc Godard und einem Zahnarzt, mit dem Straub in die Schule gegangen war. Im Mittelpunkt stand eine Familie, "die ein begrenztes (da bürgerliches) Bewusstsein hat von den Ereignissen, die sie treffen". Gemeint sind die Ereignisse in Deutschland von 1910 bis in die Nachkriegszeit, mit einem Hintergrund in den gescheiterten Revolutionen von 1848/49. "Nicht versöhnt" endet mit Schüssen, aber das war nicht die Gewalt, die Straub/Huillet meinten. Die hilfreiche Gewalt wäre in ihren Augen ein Generalstreik im Jahr 1933 gewesen, ein Streik, der "im Film und in der deutschen Geschichte fehlt".
Dieser Kommentar ist einem Filmblatt zu entnehmen, das in "Danièle Huillets und Jean-Marie Straubs "Schriften" abgedruckt ist, einem Band, in dem erstmals alle Texte versammelt sind, mit denen Huillet und Straub ihre gemeinsame Arbeit bis 2004 begleitet haben. 2006 wurde das Paar durch den Tod von Danièle Huillet getrennt, während Jean-Marie Straub, inzwischen 87 Jahre alt, weiterhin kurze Filme macht. Die Verbindung ihrer Namen zu Straub/Huillet wurde geradezu zu einem Logo oder einer Marke im europäischen Autorenkino nach 1960. Wer sich auf Straub/Huillet berief oder deren Fan war, gab damit zu erkennen, das Medium Kino in seiner Materialität und in seiner politischen Relevanz besonders ernst zu nehmen. Straub/Huillet nahmen immer eine Randposition ein, waren gerade deswegen aber ungeheuer einflussreich. Und die Schriften lassen nun in vielen Details erkennbar werden, wie originell und auch weitblickend die Verbindung von Ästhetik und Politik tatsächlich war, die sich in Filmen wie "Die Chronik der Anna Magdalena Bach", "Moses und Aron" (nach Schönberg), "Klassenverhältnisse" (nach Kafka) oder "Der Tod des Empedokles" (nach Hölderlin) zeigte und vernehmbar machte.
"Wir sind die einzigen europäischen Filmemacher", hat Straub später einmal geschrieben. Von ihm stammen deutlich mehr der Schriften, während Danièle Huillet seltenere, dann aber gewichtige Beiträge beisteuerte. Mit ihrem Werk in den drei Sprachen Französisch, Deutsch und Italienisch wurden Straub/Huillet zu Verfechtern eines unübersetzbaren Originaltons in mehrfacher Hinsicht. Sie nahmen die Entstehungsbedingungen ihrer Filme so ernst, dass sie immer auch genau die Aufnahmegeräte nannten, die dafür verwendet wurden. Man darf das aber nicht als Materialfetischismus missverstehen. Für Straub/Huillet ist das Kino ein Medium, dessen Radikalität sich gerade in seinem Wirklichkeitsbezug erweist. Und das bedeutet eben, dass jede Aufnahme einer Szene, jede Einstellung einen "unzertrennbaren Block mit unaustauschbarem Bild und Ton" ergibt.
Bei dem Film "Der Tod des Empedokles" gingen sie mit ihren Prämissen so weit, dass sie verschiedene Fassungen herstellen ließen, die sich durch bestimmte Zufälle voneinander unterschieden: In der "Eidechsen-Fassung" huscht einmal ein Tier durch das Bild, in einer anderen Fassung kräht einmal unerwartet ein Hahn. Straub/Huillet hatten damit ein "Attentat gegen die Reproduzierbarkeit des Kunstwerks im technischen Zeitalter" im Sinn und legten gleichzeitig im technischen Reproduktionsmedium Kino einen subversiven Kern frei. Wenn sie bei dem Empedokles-Film, gedreht an den Abhängen des Ätna, von ihrer "sizilianischen Ernte" sprechen, dann wird deutlich, dass sie ihr Arbeiten in Entsprechung zu dem von Bauern sehen - oder zu dem von Cézanne, der versuchte, "Empfindungen zu materialisieren".
"Mit jedem Film haben wir den Versuch gemacht, einen Traum oder einen Albtraum zu materialisieren, zum Beispiel den (kommunistischen) Traum Hölderlins." Der Wert der sorgfältig edierten und kommentierten "Schriften" zeigt sich nicht zuletzt dort, wo Straub/Huillet erkennbar auf Distanz gingen zu den kleinteiligen ideologischen Stellungskriegen der europäischen Linken um und nach 1968. Ihr Kommunismus ist inspiriert und geprägt von einem Naturbezug, der einen wesentlichen Unterschied abgibt zum realen Sozialismus; aber schon die deutsche Sozialdemokratie habe die Natur "wie eine unerschöpfliche Milchkuh" behandelt. Straub/Huillet verzeichnen neben dem Klassenkampf einen "menschlichen Razzismus [sic] gegen die Tiere, die Pflanzen, die Erde". Sie lieben den amerikanischen Regisseur John Ford dafür, dass er "imstande ist, den Staub zu filmen", aber auch, weil sie ihn für den "brechtianischsten" unter den Filmkünstlern halten. Dass Ford de facto populäres Kinos machte, ist dazu kein Widerspruch, sondern gerade die Pointe dieser Behauptung.
Straub/Huillets Werk bietet einen hervorragenden Pfad durch die europäische Geschichte der letzten sechzig Jahre. Und die "Schriften" verleihen ihrer Position nun auch ein intellektuelles Gewicht, das sie eigentlich deutlich über das Kino hinaus haben müssten. Denn das Credo der Straubs gilt für viele Bereiche: "Leben bedeutet, eine Form zu verteidigen."
BERT REBHANDL
Danièle Huillet und
Jean-Marie Straub:
"Schriften".
Hrsg. von Tobias Hering, Volko Kamensky, Markus Nechleba und Antonia Weiße. Vorwerk 8, Berlin 2020. 400 S., geb., 24,- [Euro].
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