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Der Band SCHRIFTSTELLEN versammelt erstmals Poetisches aus Barbara Köhlers Haupt- und Nebenwerken - von Deutsches Roulette (1991) über Niemands Frau (2007) bis 42 Ansichten zu Warten auf den Fluss (2017), von Texten aus der DDR-Künstlerzeitschrift Anschlag (1985) bis zu letzten Veröffentlichungen in die horen (2020). Ebenso enthalten sind Schriftinstallationen, die den multimedialen Charakter ihres Werkes dokumentieren. Bislang Unveröffentlichtes aus dem Nachlass beschließt diesen Band.
Politsprache sei immer darauf aus, einen Konsens zu suggerieren, Mehrheiten zu behaupten, Gegenmeinungen,
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Produktbeschreibung
Der Band SCHRIFTSTELLEN versammelt erstmals Poetisches aus Barbara Köhlers Haupt- und Nebenwerken - von Deutsches Roulette (1991) über Niemands Frau (2007) bis 42 Ansichten zu Warten auf den Fluss (2017), von Texten aus der DDR-Künstlerzeitschrift Anschlag (1985) bis zu letzten Veröffentlichungen in die horen (2020). Ebenso enthalten sind Schriftinstallationen, die den multimedialen Charakter ihres Werkes dokumentieren. Bislang Unveröffentlichtes aus dem Nachlass beschließt diesen Band.

Politsprache sei immer darauf aus, einen Konsens zu suggerieren, Mehrheiten zu behaupten, Gegenmeinungen, anders Denkende und Sprechende zu vereinzeln, sagte die Dichterin Barbara Köhler einmal im Interview und dichtete: »Ich harre aus im Land und geh ihm fremd.« In der DDR geboren und aufgewachsen, begann sie früh, durch und über die Sprache Machtverhältnisse aufzulösen, das Feststehende aufzukündigen, die Bedeutungen aufzubrechen. »Uns ist kein Schnabel gewachsen: wir reden, wie uns der Mund gestopft wurde.« Dagegen schrieb sie an und ersann ihre Poetik der Sprachbefragung und der Spracherweiterung. So entstand über die Jahrzehnte ein dichterisches Werk, das in seiner Vielfalt und Intensität seinesgleichen sucht.

Autorenporträt
Barbara Köhler wurde 1959 in Burgstädt, Sachsen, geboren. Sie begann früh zu schreiben. Nach einer Ausbildung zur Textilfacharbeiterin und einem Studium am Leipziger Literaturinstitut Johannes R. Becher wurde sie in Ost und West bald als Dichterin bekannt, berühmt und vielfach ausgezeichnet. 1994 übersiedelte sie nach Duisburg, wo sie bis zu ihrem Tod 2021, im Alter von nur 61 Jahren, lebte. In den letzten Jahren war sie Professorin an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Marie Luise Knott, geboren 1953, lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin. 2011 erschien Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt. Im Jüdischen Verlag erschien, von ihr herausgegeben, der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Gerschom Scholem.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Lust am Widerwort zieht sich durch ihr gesamtes Werk: Bettina Köhler habe sich weder von Vorgaben noch von zu erfüllenden Rollen unterkriegen lassen, stellt die Rezensentin Beate Tröger die in der DDR geborene, vielseitig tätige Künstlerin vor. Auch der von männlichen Dichtern dominierte Kanon, dem sie während ihres Literaturstudiums in Leipzig begegnete, schüchterte Köhler nicht ein, so Tröger. Mehr noch: Später wandte sie sich von der Gutenberg-Galaxis ab, stand dem Medium Buch skeptisch gegenüber und veröffentlichte ihre Lyrik in Form von CDs, brachte es in Fotografien und multimediale Ausstellungen. Immer wieder die Grenzen der Sprache provozieren und im Verzicht auf Worte die Möglichkeiten der Sprache finden - so fasst die Rezensentin Köhlers poetischen Ansatz zusammen. Das zeigt sich auch in der nun erschienenen Anthologie, die einen Teil des lyrischen und fotografischen Nachlasses Köhlers versammelt. Trotz Köhlers Skepsis gegenüber dem geschriebenen Wort freut sich die Rezensentin über die Ausgabe, die diese "weltgewandte" Stimme, so Tröger, für die Nachwelt bewahren wird.

© Perlentaucher Medien GmbH
»[Die] Anthologie wagt einen Querschnitt durch das Werk der Schriftstellerin und Künstlerin Barbara Köhler. ... [Eine] überzeugende Auswahl ...« Beate Tröger Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240515

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2024

Ich rede mit der Sprache
Eine Anthologie wagt einen Querschnitt durch das Werk der Schriftstellerin und Künstlerin Barbara Köhler

In dem Song "I'll take New York" singt Tom Waits: "And I know someday they'll have to name a street after me". Die Zeile ist eines von drei Mottos von "Deutsches Roulette", dem Lyrikdebüt von Barbara Köhler aus dem Jahr 1991. Im Kontext dieses Debüts, das sich gegen ein triumphierendes Sprechen, gegen als Liebesbeziehungen getarnte Herrschaftsbeziehungen wendet, kann dieses Motto ironisch gelesen werden.

Barbara Köhler, Autorin, Übersetzerin, Multimediakünstlerin, Dozentin und als Mentorin jüngerer Dichter geschätzt, starb im Januar 2021 mit 61 Jahren. Eine Straße hat man seither nicht nach ihr benannt. Doch im öffentlichen Raum erinnert derzeit die ehedem heiß umkämpfte Südfassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule an sie. 2017 zierte noch das Gedicht "avenidas" von Eugen Gomringer aus dem Jahr 1951 die Fassade. Dass die darin besungenen Straßen, Blumen, Frauen durch die Augen eines Bewunderers betrachtet werden, rief Protest hervor. Er endete damit, dass "avenidas" 2018 durch ein Gedicht von Köhler ersetzt wurde. Mit "Schriftstellen", zusammengestellt von der Publizistin und Übersetzerin Marie Luise Knott, aktualisiert nun auch eine Anthologie die Erinnerung an Köhler und ihr Werk.

1959 in der DDR geboren und aufgewachsen, wollte Köhler zunächst Kunstschmiedin werden, studierte dann am Johannes-R.-Becher-Literaturinstitut in Leipzig und wurde nach ersten Publikationen in DDR-Kunstbüchern rasch in beiden Teilen Deutschlands bekannt. Schon "Deutsches Roulette" lässt erahnen, wie die Autorin sich an Vorgegebenem, Rollenmustern, Bildern abarbeitete - und an einer stark männlich geprägten abendländischen Dichtungstradition von Homer (insbesondere der für sie so bedeutsamen "Odyssee") bis Hölderlin. In dem Liebesabgesangs-Sonett "ENDSTELLE", einem Pastiche von "Hälfte des Lebens", heißt es: "SPRACHLOS UND KALT: mein Herz schlägt gegen vieles - nicht nur die Gitterstäbe in der Brust - und überschlägt sich für ein bißchen Lust und schlägt sich durch zum Ende dieses Spieles". In Köhlers Lyrik, die sie einmal als "Kunst der kürzesten Wege und größten Distanzen von Wort zu Wort" bezeichnete, pocht ein gegenschlagendes Herz laut und deutlich.

Köhler hegte einen gewissen Widerstand gegen das Medium Buch, der zur Ausweitung der Spracharbeit in den Raum führte. Sie publizierte oft multimedial unter Beigabe von CDs oder Fotografien wie etwa in "Istanbul, zusehends", in dem sie Eindrücke eines Aufenthaltes in der Stadt mit einer Polaroidkamera dokumentierte: "Nichts Ernsthaftes, keine Spiegelreflex etwa mit professioneller Optik, bloß eine bessere Knipse, wie sie in jede Tasche passt", heißt es im Nachwort des 2015 erschienenen Bandes. Über die "Vordringlichkeit der Oberflächen" näherte sie sich dann wieder dem Schreiben über die Stadt am Bosporus, mit der ihr eigenen Sensibilität und dem stets präsenten Bewusstsein für die "Wörter, die fehlen". Farbigkeit und Fotografien des querformatigen Bands, für den Köhler den Peter-Huchel-Preis erhielt, fallen in "Schriftstellen" formalen und rechtlichen Zwängen der Anthologie zum Opfer, was zum Glück nicht für die gesamte Auswahl gilt. Die Texte aus "36 Ansichten des Berges Gorwetsch" (2013) etwa, in dem Köhler über den Schweizer Berg schreibend und fotografierend nachgedacht hat, sind mitsamt dem Bildmaterial abgedruckt.

Was auch unter den formalen Limitierungen immer wieder sehr deutlich hervortritt, sind die Vielseitigkeit Köhlers und ihre Lust an Wider- und Gegenrede. "Durch die Lücke kommt man zur Sprache, durch die Differenz zu ihren Möglichkeiten; durch eine Differenz, in der man selbst - und damit auch anders ist, sein kann", heißt es im Abdruck von "Die Reise zum Mittelpunkt der Rede", der Antrittsvorlesung zur Thomas-Kling-Poetikdozentur im Jahr 2012. Die Offenheit der Künstlerin und ein tief liegendes Gefühl der Fremdheit, das Knott im Nachwort mit Verweis auf Köhlers Vornamen Barbara ("die Fremde") betont, führen immer wieder dazu, Grenzen und Rahmen der Sprache infrage zu stellen: "Ich rede mit der Sprache, manchmal antwortet sie. Manchmal antwortet auch jemand anders", bemerkte Köhler in "Blue Box".

Knotts überzeugende Auswahl, über die man gerne Genaueres erfahren hätte, enthält neben Gedichten aus den bereits erwähnten Bänden auch solche aus "Blue Box" (1995), "Wittgensteins Nichte" (1999), "Niemands Frau - Gesänge zur Odyssee" (2007), "Neufundland" (2012) und "42 Ansichten zu Warten auf den Fluss" (2017), zudem Ausschnitte aus "Zarte Knöpft" (2004), Köhlers Übersetzung von Gertrude Steins "Tender Buttons", Reden und unveröffentlichtes Material - etliches aus der Zeit, in der Köhlers Krebserkrankung weit vorangeschritten war: "Schwarzschwere Träume, Ölpestvögel, ihr zähes Verrecken. Der Glanz -" notierte die Autorin unter der Überschrift "MORPHIUM, 1. Dröhnung". Diese Verse, die keiner weiteren Kommentierung bedürfen, stehen in größter Distanz zur Phantasie, eine Straße könnte je den eigenen Namen tragen.

Liest man heute Köhlers Berliner Fassadengedicht "SIE BEWUNDERN SIE / BEZWEIFELN SIE ENTSCHEIDEN: / SIE WIRD ODER WERDEN GROSS / ODER KLEIN / GESCHRIEBEN SO / STEHEN SIE VOR IHNEN / IN IHRER SPRACHE / WÜNSCHEN SIE IHNEN / BON DIA GOOD LUCK", das nicht in der Anthologie abgedruckt ist und dessen Verbleib die Autorin auf sieben Jahre begrenzt wissen wollte, hört man die Stimme einer weltzugewandten und gleichermaßen auf Verbundenheit wie Differenz bedachten Instanz, die im Moment des Behauptens um das Vergängliche mancher Behauptungen weiß. Gut, dass Knotts Anthologie verfügbar bleibt, wenn Köhlers Fassadengedicht im kommenden Jahr durch ein neues überschrieben werden wird. BEATE TRÖGER

Barbara Köhler: "Schriftstellen". Ausgewählte Gedichte und andere Texte.

Hrsg. und Nachwort von Marie Luise Knott.

Suhrkamp, Berlin 2024.

261 S., geb., 25,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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