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Im ersten Band ihrer Erinnerungen, "Unter der Haut", schildert Doris Lessing ihre Kindheit und Jugend in Afrika. In dem hier vorliegenden Folgeband erzählt sie von den Jahren in England. Sie schildert nicht nur ihre großen Ideen von Umsturz und Weltverbesserung, die sie anfangs dort umtrieben, sondern berichtet aus ihrem Alltagsleben, von kurzen Liebschaften und großen Leidenschaften, den Sorgen einer alleinerziehenden Mutter, die den Sohn mit ihrer übermächtigen Liebe schier erdrückt.

Produktbeschreibung
Im ersten Band ihrer Erinnerungen, "Unter der Haut", schildert Doris Lessing ihre Kindheit und Jugend in Afrika. In dem hier vorliegenden Folgeband erzählt sie von den Jahren in England. Sie schildert nicht nur ihre großen Ideen von Umsturz und Weltverbesserung, die sie anfangs dort umtrieben, sondern berichtet aus ihrem Alltagsleben, von kurzen Liebschaften und großen Leidenschaften, den Sorgen einer alleinerziehenden Mutter, die den Sohn mit ihrer übermächtigen Liebe schier erdrückt.
Autorenporträt
Doris Lessing, 1919 im heutigen Iran geboren und auf einer Farm in Südrhodesien aufgewachsen, lebte seit 1949 in England. 1950 veröffentlichte sie dort ihren ersten Roman und kam 1953 zu Weltruhm. In Deutschland hatte sie ihren großen Durchbruch 1978. Heute ist Doris Lessing eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart, ihr umfangreiches Werk umfasst Lyrik, Prosa und autobiographische Schriften. 2007 wurde sie mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Doris Lessing verstarb 2013 im Alter von 94 Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997

Der Trug der frühen Jahre
Doris Lessings Autobiographie "Schritte im Schatten" / Von Wilhelm Kühlmann

Heute weiß ich, daß alles, woran ich mich geklammert habe, Unsinn war." Von solch ungeheuerlichen Sätzen wimmelt dies Buch. Aufgeschlagen werden Lebenskapitel einer Erfolgsschriftstellerin, die sich im Rückblick ebenso als Agentin wie als Opfer einer "sozialen Massen-Psychopathologie" empfindet. Hier wird energisch abgerechnet, und die Bilanz wirkt düster, eine politische Bilanz, die in Lenin den "skrupellosesten Massenmörder der Geschichte" entdeckt und Stalins Verbrechen ohne jede Scheu vor den Tabus der ,Historisierung' noch schonungsloser bewertet als die Grausamkeiten Hitlers. Der schneidende Radikalismus solcher Thesen wirkt manchmal befremdlich, doch irren jene, die Doris Lessings Konfessionen als Dokument fragwürdiger Altersskepsis und als kokettes Zeugnis vergeßlichen Renegatentums abtun werden.

Denn worum es hier geht, ist nicht die Verleugnung früherer Sehnsüchte, erst recht nicht die Verachtung derer, denen eine einsame Frau in London einst nahestand. In diesen Erinnerungen hält sich das Bekenntnis zu den alten Gefährten der Liebe und des Kampfes genauso wie das Bekenntnis zu jenem Haß, der schon die junge Farmerstochter in Südrhodesien gegen den Rassismus der Kolonisten und gegen das Elend von Elternhaus und Schule aufbegehren ließ. Unerbittlich wird die Frage gestellt, warum die Suche nach dem privaten Glück und das Mitleid mit den Erniedrigten und Beleidigten über mehr als ein Jahrzehnt hinweg mit dem Glauben an die welterlösende Mission der Arbeiterklasse verschmolzen.

In der Analyse privater Illusionen entzaubert Doris Lessing das "Gralsrittertum" verblendeter Intellektueller und beschreibt mit unerhörter Genauigkeit die Spannungen, die biographischen Konstellationen und den Zusammenhalt eines zugleich literarischen und politischen Milieus. Es bot im Schatten des Kalten Krieges und im Vertrauen auf die Sowjetunion den "Dogmatismus" und die Lebenswärme einer säkularen Religionsgemeinschaft. In ihr schien die Grenze von Wahrheit und Lüge klar abgesteckt, und selbst noch das verlorenste Individuum konnte sich mit dem Mantel des linken Weltgeistes umhüllen. Es war ein Milieu, das, wie vorgeführt wird, nicht nur den Heuchlern und den Zynikern der Macht, nicht nur den pubertierenden Dauerprotestlern, sondern auch manchem gebildeten Idealisten und vielen Opfern schlimmer Verhältnisse Halt und Heimat bot.

In einer Fülle von Erlebnissen und Figurenporträts offenbart dies Buch die schöne Seele der Revolution und die dumpfe Repression der stalinistischen Bürokratie. Daß in Doris Lessings Umgebung "jedermann" Kommunist war, hatte mehr mit Lebensformen und mit dem Widerwillen gegen bürgerliche Ordnung zu tun als mit der Lektüre des "Kapital". In der Distanz der Rückschau und im bemühten Gleichgewicht zwischen farbiger Schilderung und klarem Urteil wird nach und nach der Abstand zwischen den Gruppenritualen der linken Bohème, der verschwitzten Korrektheit des "Daily Worker" und den Parolen der Parteizentrale vermessen. Vorerst regt sich nur gelegentlich das schlechte Gewissen einer Autorin, die den Direktiven der "King Street" (so der Deckname für die Kommunistische Partei) ebenso zu mißtrauen lernte wie den Losungen der sowjetischen Botschaft, die am Draht des KGB hing.

Schließlich aber fiel auch die Genossin Lessing der zunehmenden Anfechtung zum Opfer: Stunden der Versuchung brachte bezeichnenderweise der Besuch einer linken Schriftstellerdelegation in der sowjetischen Heimat aller Werktätigen mit sich. Als Huldigung von fellow-travellers gedacht, bewirkte diese Reise dann nicht nur komische Mißverständnisse und unausgleichbare Zerwürfnisse unter den Besuchern, sondern bald auch den Eindruck gespenstischer "Surrealität". Zwar konnte sich ein mehr von Tolstoj und von Kindheitserfahrungen als von der Politökonomie bestimmter Gefühlssozialismus immer noch und immer wieder im vertraulichen Gespräch Gleichgesinnter erwärmen und aufhelfen. Doch überstand das Vertrauen in die sowjetische Politik schließlich nicht mehr die halbherzigen Enthüllungen, in denen Chruschtschow auf dem zwanzigsten Parteitag Stalins Mordorgien bekannte.

So läßt sich das Buch als Protokoll der englischen Linken und ihrer Anhänger, zumal der amerikanischen, lesen. Denn bis hin zu den Ostermärschen, deren sinistre Drahtzieher im wohlmeinenden Rausch der Massensolidarität verschwanden, kennt sich Doris Lessing aus in den verjährten Komitees und Aktionen, die das grassierende Unbehagen, aber auch die gefährliche "Sentimentalität" vieler Künstler mit dem Glanz der Revolte umgaben. Der wonnige Schulterschluß mit Gleichgesinnten erleichterte Probleme der elementaren Lebensführung, gehörte schon früh zur Situation einer Frau, die sich nur mühsam im noch halbzerstörten London den Weg nach oben, den Weg zum Erfolg bahnte. Im atmosphärischen Kolorit ihrer Schilderungen, die alle Nöte der Häuslichkeit, alle Ängste vor der Schreibmaschine, alle Merkwürdigkeiten nächtlicher Streifzüge und auch die Phasen alkoholisierter Verzweiflung noch einmal aufleben lassen, schließen sich diese Erinnerungen an die "Dokumentation" an, die 1986 unter dem Titel "Auf der Suche" in deutscher Übersetzung erschien.

Selbstverständlich taucht Doris Lessing ihre Sonde auch in die privatesten Tiefen der Vergangenheit. In mancher Hinsicht erkennt man das widerborstige, neugierige und zu Provokationen aufgelegte Mädchen wieder, dessen afrikanische Jahre im ersten Band der Lebensgeschichte Gestalt gewannen. Nicht nur in einer vom Geheimdienst bespitzelten Reise nach Afrika, sondern auch im wachen Interesse an den schwarzen Emigranten, die unglücklich in London lebten und erst später zu politischen Ehren kamen, deuten sich Bindungen an die alte Heimat an. Wunden der Jugendzeit blieben offensichtlich unverheilt. Sie brachen wieder auf, als die ungeliebte Mutter wie ein horribler Wiedergänger auftauchte, um im Netz ihrer fürchterlichen Liebe noch einmal alle Emanzipationsgesten zu ersticken. Der Zweikampf beider Frauen durchzieht selbst noch das zögernde Eingeständnis beiderseitigen Versagens. Dabei hätte im privatesten Bereich gelingende Solidarität so gutgetan - allein schon um des Sohnes willen, dem Doris Lessing die Fürsorge der alleinerziehenden Mutter schenkte und der dabei doch den Vater vermißte. Nicht jeder Geliebte, mit dem sich politisch diskutieren ließ, wollte die Lücke im familiären Dreieck ausfüllen, und Herr Lessing war längst in Ost-Berlin verschwunden.

Als Schriftstellerin lebte Doris Lessing lange Zeit "von Scheck zu Scheck", und über alle politische Psychologie hinweg faszinieren ihre Geständnisse durch die Offenheit, mit der die kleinen Anregungen, der große Ehrgeiz, die harten Opfer und die unerhörte Zähigkeit ins Licht gerückt werden, die einen endlosen Strom von Erzählungen, Romanen, Dramen und Essays hervortrieben. Kreativität erscheint hier gebunden an Empfindungen, die diese Straße, dieses Londoner Viertel und diese oder jene selbst hergerichtete Wohnung in inneres Eigentum verwandelte. Ästhetische und poetologische Überlegungen oder gar Proklamationen spart Doris Lessing aus. Offenbar verdichtete sich ihr oft im gefühlshaften Moment und sinnlichen Eindruck, was dann allerdings nur ruhelose Nächte in Form zu bringen vermochten. Kaum daß hie und da Polemisches - etwa gegen den sozialistischen Realismus - anfällt.

Schreiben, Leben und Politisieren waren in dieser Vita eingebunden in ein Geflecht persönlicher Begegnungen, und nur wenige Urteile lassen sich finden, die von geliebten, gehaßten, bewunderten oder auch nur genau beobachteten Personen zu abstrahieren wären. So entfaltete sich ein weites Kulturpanorama der englischen Nachkriegsgeschichte: von der linken Writers Group über halbverschrobene Einzelgänger bis hin zu einläßlichen Bildern des Theaterlebens und der Presseszene. Wer etwas über die zornigen jungen Männer vom Schlage eines John Osborne lesen möchte, wird sich damit abfinden müssen, daß diese Gruppe angeblich nur als Produkt der Literaturkritik und der akademischen Systematisierungszwänge existierte. Vor allem aber läßt Doris Lessing ihre eigenen Werke Revue passieren, oft in der Weise sorgfältiger ,Retraktionen', in denen die wechselnden Impulse des Schreibens gedanklich umkreist werden und manche Hervorbringungen aus den schönen Jahren früher Begeisterung nun dem Verdammungsurteil zorniger Altersweisheit zum Opfer fallen.

Diese Weisheit bedeutet also nicht die Resignation allseitigen Verzeihens und milder Nachsicht. Denn im Licht ihrer Erfahrungen bewertet diese Autorin auch noch die Beobachtungen der Gegenwart. Unbequem genug, denn ihre kritische Reflexion entzündet sich mit Vehemenz an der Wiederkehr fragwürdiger Träume und massenhafter Besinnungslosigkeit. Gerade in den Konventionen der political correctness wittert sie so die Signale alter Überwältigung und die Karikatur eines in verkappten Alltagsterrorismus umkippenden Beglückungsprogramms.

Nicht jedes der hier verschwenderisch ausgestreuten Urteile, nicht jede der Zeit-und Epochendiagnosen ist stichhaltig. Manches Porträt wirkt eher durch den überraschenden Einblick eines Moments als durch die Gelassenheit besonnener Erkenntnis. Überdies verfällt Doris Lessing streckenweise in ihre alte Geschwätzigkeit. Wiederholungen, Unkonzentriertheiten und der mangelnde Wille, den Strom der Anekdoten zu strukturieren, mäßigen die Begeisterung des Lesers. Hier und da werden Briefe einmontiert oder Tagebuchnotizen und aphoristische Bemerkungen zu Hilfe genommen. Das unterstreicht die Absicht, das bislang Verkannte ins Authentische umzumünzen, gehört aber auch zu einer intellektuellen Fahrlässigkeit, die den eigenen Wahrheitsanspruch mit der Evidenz der guten Formulierung verwechselt.

Doch bleiben solche Schwächen letzthin unerheblich. Sie verschwinden in einer Privathistorie, die sich zum Epochenfresko hin öffnet. Mit großer Klarsicht, mit dem Widerwillen gegen politische Selbstherrlichkeit und mit dem Pathos der beglaubigten Erfahrungen überzeugt Doris Lessing in diesem Werk und zieht den Leser immer wieder in ihren Bann.

Doris Lessing: "Schritte im Schatten". Autobiographie 1949 bis 1962. Aus dem Englischen übersetzt von Christel Wiemken. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1997. 476 S., geb., 48,- DM.

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