In seinem jüngsten Buch geht es dem Astrophysiker John Gribbin darum, neueste Erkenntnisse aus der Elementarteilchenphysik zu vermitteln und zu zeigen, welchen Einfluß diese Erkenntnisse für unseren Begriff der Wirklichkeit haben. Im Zentrum steht das Rätsel des Lichts. Schrödingers Kätzchen wurde von der Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" zum "Wissenschaftsbuch des Jahres 1997" gewählt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.1996Der Handschlag des Universums
John Gribbin über die Quantentheorie - ein Drama in fünf Akten / Von Rainer Stoll
Mit der Quantenmechanik haben die Physiker zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine der erfolgreichsten Theorien der Wissenschaft entwickelt. Die Forscher sind mit ihrer Hilfe in der Lage, den Ausgang von Prozessen in kleinsten räumlichen Dimensionen, also auf der Ebene von Atomen und Elektronen, vorherzusagen. Doch dieser Beschreibung haftet seit nunmehr sechzig Jahren ein Makel an. In der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik aus dem Jahr 1930 wurde, allen voran von Nils Bohr, der Versuch unternommen, auch den Ablauf dieser Prozesse zu erklären. Doch schon bald darauf hatten Physiker wie Albert Einstein oder Erwin Schrödinger eine Reihe sogenannter Gedankenexperimente ersonnen, welche die Widersinnigkeiten die Paradoxien, dieser Deutung offenbaren sollten.
In seinem neuesten Buch "Schrödingers Kätzchen und die Suche nach der Wirklichkeit" greift John Gribbin, Gastdozent für Astronomie an der University of Sussex, diese Paradoxien auf. Seit einigen Jahren können nämlich manche dieser Gedankenexperimente ausgeführt werden. Licht, das seinen Weg in einem solchen Versuch als Welle antritt, kommt - je nach Versuchsaufbau - als Teilchen oder als Welle an seinem Ziel an. Es scheint daher, als wüßte das Licht stets über den gesamten Aufbau Bescheid, als hätte es mehr Informationen über seine Umwelt, als es haben dürfte.
Der Kopenhagener Deutung zufolge kommt dabei dem Beobachter eine entscheidende Rolle zu. Er bestimmt den Ausgang des Versuchs mit. Die Physiker sprechen davon, daß der Beobachter die Wellenfunktion des Quantensystems in einen ganz bestimmten Zustand zusammenbrechen läßt, indem er die Messung durchführt. Dabei stellt sich die Frage, wer dann die Wellenfunktion des Beobachters zum Zusammenbruch bringt, damit dieser zu Realität wird. Auf diese Weise bahnt sich, anscheinend unvermeidbar, ein unendlicher Regreß an. Dieser mündet letztendlich in der Frage, ob unser gesamtes Universum nur deshalb existiert, weil es beobachtet wird - und wenn ja, von wem. Die Kopenhagener Deutung vermag für solcherart interpretatorische Schwierigkeiten keine Erklärung zu geben, sie beschreibt lediglich den Ausgang der Experimente.
Ebenso anschaulich-unanschaulich ist ein Gedankenexperiment, das Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen in den frühen dreißiger Jahren ersonnen haben. Ein Photonenpaar, das von einem Atom emittiert wird, bleibt nach den Quantenregeln miteinander verknüpft, auch wenn sich die einzelnen Photonen in entgegengesetzten Richtungen voneinander weg durch das Universum bewegen. Irgendwann läßt ein Beobachter die Wellenfunktion eines der beiden Photonen zusammenbrechen und weist ihm damit einen gewissen Quantenzustand zu. Der Kopenhagener Deutung zufolge wird, der Verknüpfung wegen, sofort auch das andere Photon in einen bestimmten Zustand gezwungen, obwohl sich die beiden Photonen im Extremfall an verschiedenen Enden des Universums aufhalten. An diese "geisterhafte Fernwirkung", die sich zudem schneller als das Licht ausbreiten müßte, wollte Albert Einstein nicht glauben.
Der irische Physiker John Bell sah schon früh eine Möglichkeit, dieses Experiment praktisch auszuführen. Aber erst in den achtziger Jahren konnte Alain Aspect belegen, daß sich der gesunde Menschenverstand und Albert Einstein irren und in der Quantenwelt andere Maßstäbe gelten. Die beiden Photonen scheinen tatsächlich mehr voneinander zu wissen, als ihnen an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort möglich sein sollte. Genau dieses als "Nichtlokalität" bezeichnete Phänomen wurde nun beobachtet.
Kein Wunder also, daß sich die Wissenschaftler seit über sechzig Jahren bemühen, diese Widersinnigkeiten auszuräumen. Kein Wunder also, daß immer und immer wieder Modelle entworfen wurden, die Quantendebatte zu beenden. Um dem Leser das nötige Rüstzeug für das Verständnis dieser Phänomene zu verschaffen, befaßt sich John Gribbin nicht nur mit den Anstrengungen der Wissenschaft in den vergangenen zehn Jahren. Er beginnt mit der von den griechischen Philosophen gestellten Frage "Was ist Licht?". Dabei bedient er sich ihrer Darstellungsform, dem griechischen Drama. In Prolog, fünf Akten und Epilog zieht er durch die Jahrhunderte, wirft "Licht" auf die Vorstellungen Sir Isaac Newtons, Christiaan Huygens, Thomas Youngs, James Clerk Maxwells, die Abschaffung des Äthers, die Quantenmechanik und deren Kopenhagener Deutung, die Rolle des Beobachters und die Frage nach der Realität. Er streift die Welt der Antimaterie, das Modell der Quarks und Albert Einsteins Relativitätstheorie.
Diese weit ausholende Einführung mit all ihren Querverbindungen und Rückverweisen macht es dem Leser nicht einfach. Obwohl die Geschichte der neueren Physik eindrucksvoll geschildert wird, dürfte es nicht schaden, wenn der Leser über eine gehörige Portion physikalischer Grundkenntnisse verfügt. Und selbst dann bleibt das Buch eine überaus inhalts- und anspruchsvolle Kost, die der Autor jedoch mit einem besonderen Dessert krönt: einem möglichen Ausweg aus dem Dilemma der Quantenmechanik.
Hierbei greift John Gribbin schließlich am tiefsten in die physikalische Trickkiste, wobei sich nun die anspruchsvolle Einführung in die außerordentlich komplexe Fragestellung auszahlt. Die von Richard Feynman zur Sprache gebrachte andere Art der Kausalität - das Prinzip von Ursache und Wirkung wird auf den Kopf gestellt - griff John Cramer in seiner Transaktionshypothese auf, den Konflikt um die "Nichtlokalität" des Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxons zu beenden. Nach seiner Vorstellung sendet das Atom, welches gerade dabei ist, das Photonenpaar zu emittieren, Angebotswellen in alle Richtungen aus. Die Transaktion, die tatsächliche Emission des Photonenpaars, wird erst dann abgeschlossen, wenn Bestätigungswellen vom Beobachter rechtzeitig wieder in der "Gegenwart" eingetroffen sind. Das Photonenpaar wird also erst abgeschickt, wenn die Vorkehrung - der Handschlag des Universums - zu dessen vereinbarungsgemäßem Nachweis getroffen ist. In diesem Modell sind die beiden Photonen miteinander verknüpft, gleichgültig wie groß ihr räumlicher Abstand ist, weil ihr Zustand vor der Beobachtung festgelegt wurde. Freilich gilt diese Erklärung nur dann, wenn man akzeptiert, daß Quantenwellen in der Zeit rückwärts reisen können. Dies hat aber im Gegensatz zur "geisterhaften Fernwirkung", zur Nichtlokalität also, einen entscheidenden Vorteil. Die Möglichkeit, den Zeitpfeil abzuschaffen, also die Vorstellung zu revidieren, Zeit würde nur in eine Richtung "fließen", ist nämlich in den Gleichungen der Quantenmechanik enthalten.
Das ist die Vorstellung, die John Gribbin favorisiert. Als souveräner Autor stellt er aber auch eine Reihe anderer möglicher Erklärungen vor. Dennoch ist er überzeugt, daß die Transaktionshypothese einfache Antworten auf die Frage "Wie ist das möglich?" gebe und daß John Cramer damit ein neues Kapitel der Quantenmechanik aufgeschlagen habe. Dieses erlaubte es nach sechzig Jahren, nicht nur den Ausgang eines Experiments zuverlässig vorauszusagen, sondern sie auch erklären und verstehen zu können.
John Gribbin: "Schrödingers Kätzchen und die Suche nach der Wirklichkeit". Aus dem Englischen von Christiana Goldmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1996. 367 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
John Gribbin über die Quantentheorie - ein Drama in fünf Akten / Von Rainer Stoll
Mit der Quantenmechanik haben die Physiker zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine der erfolgreichsten Theorien der Wissenschaft entwickelt. Die Forscher sind mit ihrer Hilfe in der Lage, den Ausgang von Prozessen in kleinsten räumlichen Dimensionen, also auf der Ebene von Atomen und Elektronen, vorherzusagen. Doch dieser Beschreibung haftet seit nunmehr sechzig Jahren ein Makel an. In der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik aus dem Jahr 1930 wurde, allen voran von Nils Bohr, der Versuch unternommen, auch den Ablauf dieser Prozesse zu erklären. Doch schon bald darauf hatten Physiker wie Albert Einstein oder Erwin Schrödinger eine Reihe sogenannter Gedankenexperimente ersonnen, welche die Widersinnigkeiten die Paradoxien, dieser Deutung offenbaren sollten.
In seinem neuesten Buch "Schrödingers Kätzchen und die Suche nach der Wirklichkeit" greift John Gribbin, Gastdozent für Astronomie an der University of Sussex, diese Paradoxien auf. Seit einigen Jahren können nämlich manche dieser Gedankenexperimente ausgeführt werden. Licht, das seinen Weg in einem solchen Versuch als Welle antritt, kommt - je nach Versuchsaufbau - als Teilchen oder als Welle an seinem Ziel an. Es scheint daher, als wüßte das Licht stets über den gesamten Aufbau Bescheid, als hätte es mehr Informationen über seine Umwelt, als es haben dürfte.
Der Kopenhagener Deutung zufolge kommt dabei dem Beobachter eine entscheidende Rolle zu. Er bestimmt den Ausgang des Versuchs mit. Die Physiker sprechen davon, daß der Beobachter die Wellenfunktion des Quantensystems in einen ganz bestimmten Zustand zusammenbrechen läßt, indem er die Messung durchführt. Dabei stellt sich die Frage, wer dann die Wellenfunktion des Beobachters zum Zusammenbruch bringt, damit dieser zu Realität wird. Auf diese Weise bahnt sich, anscheinend unvermeidbar, ein unendlicher Regreß an. Dieser mündet letztendlich in der Frage, ob unser gesamtes Universum nur deshalb existiert, weil es beobachtet wird - und wenn ja, von wem. Die Kopenhagener Deutung vermag für solcherart interpretatorische Schwierigkeiten keine Erklärung zu geben, sie beschreibt lediglich den Ausgang der Experimente.
Ebenso anschaulich-unanschaulich ist ein Gedankenexperiment, das Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen in den frühen dreißiger Jahren ersonnen haben. Ein Photonenpaar, das von einem Atom emittiert wird, bleibt nach den Quantenregeln miteinander verknüpft, auch wenn sich die einzelnen Photonen in entgegengesetzten Richtungen voneinander weg durch das Universum bewegen. Irgendwann läßt ein Beobachter die Wellenfunktion eines der beiden Photonen zusammenbrechen und weist ihm damit einen gewissen Quantenzustand zu. Der Kopenhagener Deutung zufolge wird, der Verknüpfung wegen, sofort auch das andere Photon in einen bestimmten Zustand gezwungen, obwohl sich die beiden Photonen im Extremfall an verschiedenen Enden des Universums aufhalten. An diese "geisterhafte Fernwirkung", die sich zudem schneller als das Licht ausbreiten müßte, wollte Albert Einstein nicht glauben.
Der irische Physiker John Bell sah schon früh eine Möglichkeit, dieses Experiment praktisch auszuführen. Aber erst in den achtziger Jahren konnte Alain Aspect belegen, daß sich der gesunde Menschenverstand und Albert Einstein irren und in der Quantenwelt andere Maßstäbe gelten. Die beiden Photonen scheinen tatsächlich mehr voneinander zu wissen, als ihnen an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort möglich sein sollte. Genau dieses als "Nichtlokalität" bezeichnete Phänomen wurde nun beobachtet.
Kein Wunder also, daß sich die Wissenschaftler seit über sechzig Jahren bemühen, diese Widersinnigkeiten auszuräumen. Kein Wunder also, daß immer und immer wieder Modelle entworfen wurden, die Quantendebatte zu beenden. Um dem Leser das nötige Rüstzeug für das Verständnis dieser Phänomene zu verschaffen, befaßt sich John Gribbin nicht nur mit den Anstrengungen der Wissenschaft in den vergangenen zehn Jahren. Er beginnt mit der von den griechischen Philosophen gestellten Frage "Was ist Licht?". Dabei bedient er sich ihrer Darstellungsform, dem griechischen Drama. In Prolog, fünf Akten und Epilog zieht er durch die Jahrhunderte, wirft "Licht" auf die Vorstellungen Sir Isaac Newtons, Christiaan Huygens, Thomas Youngs, James Clerk Maxwells, die Abschaffung des Äthers, die Quantenmechanik und deren Kopenhagener Deutung, die Rolle des Beobachters und die Frage nach der Realität. Er streift die Welt der Antimaterie, das Modell der Quarks und Albert Einsteins Relativitätstheorie.
Diese weit ausholende Einführung mit all ihren Querverbindungen und Rückverweisen macht es dem Leser nicht einfach. Obwohl die Geschichte der neueren Physik eindrucksvoll geschildert wird, dürfte es nicht schaden, wenn der Leser über eine gehörige Portion physikalischer Grundkenntnisse verfügt. Und selbst dann bleibt das Buch eine überaus inhalts- und anspruchsvolle Kost, die der Autor jedoch mit einem besonderen Dessert krönt: einem möglichen Ausweg aus dem Dilemma der Quantenmechanik.
Hierbei greift John Gribbin schließlich am tiefsten in die physikalische Trickkiste, wobei sich nun die anspruchsvolle Einführung in die außerordentlich komplexe Fragestellung auszahlt. Die von Richard Feynman zur Sprache gebrachte andere Art der Kausalität - das Prinzip von Ursache und Wirkung wird auf den Kopf gestellt - griff John Cramer in seiner Transaktionshypothese auf, den Konflikt um die "Nichtlokalität" des Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxons zu beenden. Nach seiner Vorstellung sendet das Atom, welches gerade dabei ist, das Photonenpaar zu emittieren, Angebotswellen in alle Richtungen aus. Die Transaktion, die tatsächliche Emission des Photonenpaars, wird erst dann abgeschlossen, wenn Bestätigungswellen vom Beobachter rechtzeitig wieder in der "Gegenwart" eingetroffen sind. Das Photonenpaar wird also erst abgeschickt, wenn die Vorkehrung - der Handschlag des Universums - zu dessen vereinbarungsgemäßem Nachweis getroffen ist. In diesem Modell sind die beiden Photonen miteinander verknüpft, gleichgültig wie groß ihr räumlicher Abstand ist, weil ihr Zustand vor der Beobachtung festgelegt wurde. Freilich gilt diese Erklärung nur dann, wenn man akzeptiert, daß Quantenwellen in der Zeit rückwärts reisen können. Dies hat aber im Gegensatz zur "geisterhaften Fernwirkung", zur Nichtlokalität also, einen entscheidenden Vorteil. Die Möglichkeit, den Zeitpfeil abzuschaffen, also die Vorstellung zu revidieren, Zeit würde nur in eine Richtung "fließen", ist nämlich in den Gleichungen der Quantenmechanik enthalten.
Das ist die Vorstellung, die John Gribbin favorisiert. Als souveräner Autor stellt er aber auch eine Reihe anderer möglicher Erklärungen vor. Dennoch ist er überzeugt, daß die Transaktionshypothese einfache Antworten auf die Frage "Wie ist das möglich?" gebe und daß John Cramer damit ein neues Kapitel der Quantenmechanik aufgeschlagen habe. Dieses erlaubte es nach sechzig Jahren, nicht nur den Ausgang eines Experiments zuverlässig vorauszusagen, sondern sie auch erklären und verstehen zu können.
John Gribbin: "Schrödingers Kätzchen und die Suche nach der Wirklichkeit". Aus dem Englischen von Christiana Goldmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1996. 367 S., geb., 39,80 DM.
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