Anders als Nietzsche dachte, ist die Schuld nicht aus dem modernen Leben verschwunden, sondern erobert zunehmend den politischen Raum. Schuldbekenntnisse sind heute fester Bestandteil nationaler wie internationaler Politik. Maria-Sibylla Lotter hinterfragt die kulturelle Bedeutung der neuen Schuldpraxis und unterscheidet die politische Bedeutung von Schuldbekenntnissen von ihrer moralischen und rechtlichen. Wie Praktiken der Ausrede und der Rache dienen auch Schuldbekenntnisse der Wiederherstellung gestörter Respektsbeziehungen unter Gleichen. Aufgrund ihrer Anfälligkeit für moralistische Missverständnisse können sie aber auch eine destruktive Eigendynamik entwickeln.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Interessante Thesen, die teils nicht weit genug gedacht werden, enthält dieses Buch laut Rezensent Nils Schniederjann. Die Philosophin Maria-Sibylla Lotter untersucht darin Themen wie Vergeltung, Versöhnung, Entschuldigung und Rache. Sie vertritt die These, dass Rache, trotz ihres schlechten Rufs, respektvolle soziale Beziehungen fördern kann, und untermauert dies mit einer Theorie der Anerkennung und Missachtung. Schniederjann hebt die überzeugende Argumentation Lotters hervor, vor allem ihre Einsicht, dass bedingungsloses Verzeihen als Demütigung empfunden werden kann. Dennoch bemängelt er Widersprüche in ihrer Argumentation zum Thema moralische Verantwortung und kritisiert, dass wichtige Denkanstöße nicht konsequent weiterverfolgt werden. Insgesamt findet der Rezensent Lotters Werk anregend, aber nicht vollständig überzeugend, da es politischen Konsequenzen ihrer Thesen weitgehend ausspart.
© Perlentaucher Medien GmbH
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