Ein radikales Buch im doppelten Wortsinn, denn Graeber packt das Problem der Schulden an der Wurzel, indem er bis zu ihren Anfängen in der Geschichte zurückgeht. Das führt ihn mitten hinein in die Krisenherde unserer Zeit: Von der Antike bis in die Gegenwart sind revolutionäre Bewegungen immer in Schuldenkrisen entstanden.
Graeber sprengt die moralischen Fesseln, die uns auf das Prinzip der Schulden verpflichten. Denn diese Moral ist eine Waffe in der Hand der Mächtigen. Die weltweite Schuldenwirtschaft ist eine Bankrotterklärung der Ökonomie. Der Autor enttarnt Geld- und Kredittheorien als Mythen, die die Ökonomisierung aller sozialen Beziehungen vorantreiben.
Im Kern ist dieses Buch ein hohes Lied auf die Freiheit: Das sumerische Wort »amargi«, das Synonym für Schuldenfreiheit, ist Graeber zufolge das erste Wort für Freiheit in menschlicher Sprache überhaupt.
David Graeber ist einer der Begründer der Occupy-Bewegung.
Graeber sprengt die moralischen Fesseln, die uns auf das Prinzip der Schulden verpflichten. Denn diese Moral ist eine Waffe in der Hand der Mächtigen. Die weltweite Schuldenwirtschaft ist eine Bankrotterklärung der Ökonomie. Der Autor enttarnt Geld- und Kredittheorien als Mythen, die die Ökonomisierung aller sozialen Beziehungen vorantreiben.
Im Kern ist dieses Buch ein hohes Lied auf die Freiheit: Das sumerische Wort »amargi«, das Synonym für Schuldenfreiheit, ist Graeber zufolge das erste Wort für Freiheit in menschlicher Sprache überhaupt.
David Graeber ist einer der Begründer der Occupy-Bewegung.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Eine "epochale Abrechnung mit dem Kapital" erblickt Christian Schlüter in David Graebers Werk "Schulden: Die ersten 5000 Jahre". Eindrucksvoll liefert der Autor für ihn eine Fülle von historischem Material aus der Geschichte der Menschheit, das die fatalen Folgen der Einführung des Münzgelds und der Schulden anschaulich vor Augen führt. Die 5000 Jahre umfassende Schuldengeschichte des Ethnologen und Occupy-Aktivisten scheint ihm überzeugend und gut belegt. Sie verdeutlicht ihm unter anderem die Verschleierung von Unrechtsverhältnissen durch die Geldwirtschaft und den Zusammenhang von zu hoher Verschuldung der Bevölkerung und Revolution. Das Buch bietet nach Ansicht Schlüters nicht nur eine faszinierende Schuldengeschichte und herbe Kapitalismuskritik. Er versteht es auch als ein starkes Plädoyer für ein Leben jenseits der totalen Kapitalisierung aller zwischenmenschlichen Beziehungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.05.2012Schuld durch Schulden
Staatsdefizite spielten in den USA lange keine Rolle. Nun greift der amerikanische Anthropologe David Graeber den Kredit an
Von Nikolaus Piper
New York – Im April 2003, die amerikanischen Truppen hatten gerade Bagdad erobert, sagte der damalige Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, Tom DeLay: „Nichts ist wichtiger angesichts eines Krieges, als die Steuern zu senken.“ Eine bemerkenswerte Einlassung. Fast alle Kriege in der neueren Geschichte sind auf Pump finanziert worden. Dass aber eine Nation in Kriegszeiten auch noch die Steuern senkt, dürfte ziemlich einmalig sein. DeLays Worte sind der extremste Ausdruck des Denkens der Ära Bush: „Defizite spielen keine Rolle“, wie es seinerzeit Vizepräsident Dick Cheney formulierte.
Dann kam das Jahr 2008. Es kam die Finanzkrise. Seitdem ist nichts ist mehr, wie es war. „Die USA sind pleite“ – der Satz wird so oft wiederholt, dass ihn immer mehr Menschen glauben. Nur heißt der Schuldige jetzt nicht mehr George W. Bush, sondern Barack Obama. Und im Wahlkampf wird immer wieder wird der Satz des amerikanischen Gründervaters Thomas Jefferson zitiert: „Gib‘ nie dein Geld aus, ehe du es hast.“ Schulden sind zum zentralen Thema der öffentlichen Debatte geworden. Allein sechs Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt befassen sich in diesem Frühjahr mit dem angeblich drohenden Bankrott Amerikas. Die derzeit bei weitem interessanteste Auseinandersetzung mit dem Thema Schulden kommt jedoch nicht von rechts, sondern von links. Der US- Anthropologe David Graeber, der an der Goldsmiths-Universität in London lehrt, hat einen Generalangriff auf das Instrument der Schulden an sich gestartet. Sein Buch „Schulden: Die ersten 5000 Jahre“, soeben auch auf Deutsch erschienen, ist zu einem Bestseller geworden. Graebers wichtigste Aussage: Die Vorstellung, dass Schulden immer zurückgezahlt werden müssen, wurde im Laufe der Geschichte mit blutiger Gewalt durchgesetzt; sie sei in ihrem Kern unmoralisch. Graeber liefert damit der Bewegung „Occupy Wall Street“, zu deren Gründern er gehört, eine legitimierende Erzählung: Das „eine Prozent“ hat schon immer das Instrument der Schulden benutzt, um „die 99 Prozent“ niederzuhalten. Ein Demonstrant in New York, Washington oder Oakland muss nicht lange suchen, um Graebers These bestätigt zu sehen: Überteuerte Studentendarlehen, für deren Rückzahlung man ein ganzes Berufsleben braucht; Familien, die wegen Überschuldung ihr Haus verlieren; Städte und Bundesstaaten, die am Nötigsten sparen müssen. Liest man Graeber, dann ist all das nicht einfach nur das Ergebnis einer Krise oder schlechter Politik, sondern die Konsequenz eines Systems, das ursprünglich auf Krieg und Sklaverei aufbaut.
Graebers Schuldenbuch besteht eigentlich aus zwei Büchern: einer faszinierenden Geschichte des Geldes aus anthropologischer Sicht und einem politökonomischen Pamphlet, das schmerzlich zeigt, wie wenig der Autor von Ökonomie versteht.
Zunächst der anthropologische Teil. Graeber beginnt damit, dass er die etwas naive Darstellung von den Ursprüngen des Geldes auseinandernimmt, wie sie Adam Smith erzählt hat und wie sie auch heute meist gelehrt wird: Geld ist eine Ware, die aus Praktikabilitätsgründen den Tauschhandel ablöste. Graeber zeigt, dass es diesen Übergang von der Tausch- zur Geldwirtschaft so nie gegeben hat. Das Geldsystem war am Anfang ein Kreditsystem, genauer: ein System von Geschenken und Verpflichtungen. Ein junger Mann heiratet eine Frau aus einem anderen Clan und schuldet diesem etwas, ein anderer hat einen Mord begangen und muss eine Schuld abtragen. „Humanen“ Ökonomien, so Graeber, sei der Gedanke fremd, dass eine Schuld exakt zurückgezahlt werden muss, dass etwa eine junge Frau einen genau bemessenen „Preis“ hat. Erst in „kommerziellen“ Ökonomien führt der Staat Münzen ein; er macht Schuld und Schulden messbar. Deren Rückzahlung wird mit Gewalt durchgesetzt. Das Reich von Alexander dem Großen nennt Graeber einen „military-coinage-slavery complex“ – ein System mit militärischer Eroberung, Münzprägung und Sklaverei.
Das Pamphlet kulminiert im letzten Kapitel, in dem es um die Geschichte des Finanzsystems seit 1971 geht, seit dem Zusammenbruch der Währungsordnung der Nachkriegszeit also. Bei Graeber liest sich diese Geschichte als eine riesige Verschwörung der Vereinigten Staaten, um mittels Schulden die Welt zu beherrschen. Kreditkarten sind ebenso Teil dieser Verschwörung wie US-Staatsanleihen und der Internationale Währungsfonds. Manches ist einfach grotesk. Glaubt Graeber ernsthaft, Bush sei 2003 in den Irak einmarschiert, nur weil Saddam Hussein 2000 plante, sein Öl in Euro statt in Dollar abzurechnen? Oder die Rezepte des Autors: Als ersten Schritt zur Lösung der Menschheitsprobleme fordert Graeber ein „Erlassjahr“ für alle Schulden nach biblischem Vorbild. Ob er darüber nachgedacht hat, was dann mit den Lebensersparnissen der „99 Prozent“ würde, die in Staatsanleihen, Versicherungen und Sparkassenbriefen angelegt sind? An solchen Stellen wird sein Buch einfach ärgerlich.
„Die USA sind pleite“ – der Satz
wird so oft wiederholt, dass ihn
immer mehr Menschen glauben.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Staatsdefizite spielten in den USA lange keine Rolle. Nun greift der amerikanische Anthropologe David Graeber den Kredit an
Von Nikolaus Piper
New York – Im April 2003, die amerikanischen Truppen hatten gerade Bagdad erobert, sagte der damalige Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, Tom DeLay: „Nichts ist wichtiger angesichts eines Krieges, als die Steuern zu senken.“ Eine bemerkenswerte Einlassung. Fast alle Kriege in der neueren Geschichte sind auf Pump finanziert worden. Dass aber eine Nation in Kriegszeiten auch noch die Steuern senkt, dürfte ziemlich einmalig sein. DeLays Worte sind der extremste Ausdruck des Denkens der Ära Bush: „Defizite spielen keine Rolle“, wie es seinerzeit Vizepräsident Dick Cheney formulierte.
Dann kam das Jahr 2008. Es kam die Finanzkrise. Seitdem ist nichts ist mehr, wie es war. „Die USA sind pleite“ – der Satz wird so oft wiederholt, dass ihn immer mehr Menschen glauben. Nur heißt der Schuldige jetzt nicht mehr George W. Bush, sondern Barack Obama. Und im Wahlkampf wird immer wieder wird der Satz des amerikanischen Gründervaters Thomas Jefferson zitiert: „Gib‘ nie dein Geld aus, ehe du es hast.“ Schulden sind zum zentralen Thema der öffentlichen Debatte geworden. Allein sechs Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt befassen sich in diesem Frühjahr mit dem angeblich drohenden Bankrott Amerikas. Die derzeit bei weitem interessanteste Auseinandersetzung mit dem Thema Schulden kommt jedoch nicht von rechts, sondern von links. Der US- Anthropologe David Graeber, der an der Goldsmiths-Universität in London lehrt, hat einen Generalangriff auf das Instrument der Schulden an sich gestartet. Sein Buch „Schulden: Die ersten 5000 Jahre“, soeben auch auf Deutsch erschienen, ist zu einem Bestseller geworden. Graebers wichtigste Aussage: Die Vorstellung, dass Schulden immer zurückgezahlt werden müssen, wurde im Laufe der Geschichte mit blutiger Gewalt durchgesetzt; sie sei in ihrem Kern unmoralisch. Graeber liefert damit der Bewegung „Occupy Wall Street“, zu deren Gründern er gehört, eine legitimierende Erzählung: Das „eine Prozent“ hat schon immer das Instrument der Schulden benutzt, um „die 99 Prozent“ niederzuhalten. Ein Demonstrant in New York, Washington oder Oakland muss nicht lange suchen, um Graebers These bestätigt zu sehen: Überteuerte Studentendarlehen, für deren Rückzahlung man ein ganzes Berufsleben braucht; Familien, die wegen Überschuldung ihr Haus verlieren; Städte und Bundesstaaten, die am Nötigsten sparen müssen. Liest man Graeber, dann ist all das nicht einfach nur das Ergebnis einer Krise oder schlechter Politik, sondern die Konsequenz eines Systems, das ursprünglich auf Krieg und Sklaverei aufbaut.
Graebers Schuldenbuch besteht eigentlich aus zwei Büchern: einer faszinierenden Geschichte des Geldes aus anthropologischer Sicht und einem politökonomischen Pamphlet, das schmerzlich zeigt, wie wenig der Autor von Ökonomie versteht.
Zunächst der anthropologische Teil. Graeber beginnt damit, dass er die etwas naive Darstellung von den Ursprüngen des Geldes auseinandernimmt, wie sie Adam Smith erzählt hat und wie sie auch heute meist gelehrt wird: Geld ist eine Ware, die aus Praktikabilitätsgründen den Tauschhandel ablöste. Graeber zeigt, dass es diesen Übergang von der Tausch- zur Geldwirtschaft so nie gegeben hat. Das Geldsystem war am Anfang ein Kreditsystem, genauer: ein System von Geschenken und Verpflichtungen. Ein junger Mann heiratet eine Frau aus einem anderen Clan und schuldet diesem etwas, ein anderer hat einen Mord begangen und muss eine Schuld abtragen. „Humanen“ Ökonomien, so Graeber, sei der Gedanke fremd, dass eine Schuld exakt zurückgezahlt werden muss, dass etwa eine junge Frau einen genau bemessenen „Preis“ hat. Erst in „kommerziellen“ Ökonomien führt der Staat Münzen ein; er macht Schuld und Schulden messbar. Deren Rückzahlung wird mit Gewalt durchgesetzt. Das Reich von Alexander dem Großen nennt Graeber einen „military-coinage-slavery complex“ – ein System mit militärischer Eroberung, Münzprägung und Sklaverei.
Das Pamphlet kulminiert im letzten Kapitel, in dem es um die Geschichte des Finanzsystems seit 1971 geht, seit dem Zusammenbruch der Währungsordnung der Nachkriegszeit also. Bei Graeber liest sich diese Geschichte als eine riesige Verschwörung der Vereinigten Staaten, um mittels Schulden die Welt zu beherrschen. Kreditkarten sind ebenso Teil dieser Verschwörung wie US-Staatsanleihen und der Internationale Währungsfonds. Manches ist einfach grotesk. Glaubt Graeber ernsthaft, Bush sei 2003 in den Irak einmarschiert, nur weil Saddam Hussein 2000 plante, sein Öl in Euro statt in Dollar abzurechnen? Oder die Rezepte des Autors: Als ersten Schritt zur Lösung der Menschheitsprobleme fordert Graeber ein „Erlassjahr“ für alle Schulden nach biblischem Vorbild. Ob er darüber nachgedacht hat, was dann mit den Lebensersparnissen der „99 Prozent“ würde, die in Staatsanleihen, Versicherungen und Sparkassenbriefen angelegt sind? An solchen Stellen wird sein Buch einfach ärgerlich.
„Die USA sind pleite“ – der Satz
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2012Sklavenbefreiung
David Graeber, ein in England lehrender Anarchist, ist das Enfant terrible unter den Krisenautoren und der Star des (deutschen) Kulturbetriebs. Auf 600 (meist) spannenden Seiten breitet er Mengen an ethnologischem Material aus. Die These: Die Wirtschaftsgeschichte ist ein Krieg zwischen Gläubigern und Schuldnern, ausgetragen auf dem Schlachtfeld des Geldes. Schulden machen den Kreditnehmer zum Sklaven des Financiers. Graeber schlägt sich auf die Seite der Gepeinigten und plädiert für ein Sabbatjahr, einen allgemeinen Schuldenerlass und Neuanfang.
ank.
David Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre. Klett-Cotta 26,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
David Graeber, ein in England lehrender Anarchist, ist das Enfant terrible unter den Krisenautoren und der Star des (deutschen) Kulturbetriebs. Auf 600 (meist) spannenden Seiten breitet er Mengen an ethnologischem Material aus. Die These: Die Wirtschaftsgeschichte ist ein Krieg zwischen Gläubigern und Schuldnern, ausgetragen auf dem Schlachtfeld des Geldes. Schulden machen den Kreditnehmer zum Sklaven des Financiers. Graeber schlägt sich auf die Seite der Gepeinigten und plädiert für ein Sabbatjahr, einen allgemeinen Schuldenerlass und Neuanfang.
ank.
David Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre. Klett-Cotta 26,95 Euro
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»Eine epochale Abrechnung mit dem Kapital.« Christian Schlüter, Frankfurter Rundschau Christian Schlüter Frankfurter Rundschau
"JEDER UMSTURZ, JEDE REVOLUTION BEGINNT MIT SCHULDEN, WELCHE DIE GESELLSCHAFT NICHT MEHR BEZAHLEN KANN. DAVID GRAEBERS GROSSES BUCH ZEIGT UNS, WO WIR STEHEN. EINE BEFREIUNG." FRANK SCHIRRMACHER, FAS