Leistungskurs Liebe: Ein wilder Roman über eine Liebe, die vielleicht gar keine ist, eine Gegenwart, geprägt von Gewalt, und über die lähmende Sprachlosigkeit zwischen den Generationen.
Frank Beck, 38, ist unsicher, unzufrieden und völlig ausgebrannt. Als Lehrer fühlt er sich zu Nadja, einer klugen, unerreichbaren und selbstsicheren Schülerin, hingezogen. Sofort geht das Gerücht einer Affäre um, erste Drohungen und gewalttätige Ausbrüche folgen. Norbert Niemann erzählt in seinem zweiten Roman erneut aus dem wirklichen Leben - von einer Liebe, die vielleicht gar keine ist, und von Gewalt, die niemand begreifen kann.
Beck will sie verstehen, jene Aggression, die die junge Generation befällt und die er auch unter seinen Schülern beobachten kann, jene Eskalationen, von denen die Medien immer wieder berichten. Die Kluft zwischen den Generationen ist unüberwindbar. Doch ist es möglich, Sprachlosigkeit durch Liebe zu überwinden?
Frank Beck, 38, ist unsicher, unzufrieden und völlig ausgebrannt. Als Lehrer fühlt er sich zu Nadja, einer klugen, unerreichbaren und selbstsicheren Schülerin, hingezogen. Sofort geht das Gerücht einer Affäre um, erste Drohungen und gewalttätige Ausbrüche folgen. Norbert Niemann erzählt in seinem zweiten Roman erneut aus dem wirklichen Leben - von einer Liebe, die vielleicht gar keine ist, und von Gewalt, die niemand begreifen kann.
Beck will sie verstehen, jene Aggression, die die junge Generation befällt und die er auch unter seinen Schülern beobachten kann, jene Eskalationen, von denen die Medien immer wieder berichten. Die Kluft zwischen den Generationen ist unüberwindbar. Doch ist es möglich, Sprachlosigkeit durch Liebe zu überwinden?
»Schule der Gewalt ist ein intelligenter Gegenwartsroman, der niemanden kalt lassen wird. Der Herbst des Terrors hat seine Aktualität unerwartet verstärkt.«
(Beatrix Langner, Neue Zürcher Zeitung)
»Glanzstücke des Romans sind die mitreißenden, in einem beängstigend langsamen Tempo gehaltenen Beschreibungen der Gewalteskalation.«
(Verena Auffermann, Süddeutschen Zeitung)
»Eine kongeniale Fortschreibung seines Debüts ?Wie man´s nimmt?: mitten hinein in jenen Punkt der Gesellschaft, den man immer mit ?Herz? oder ähnlich hilflosen Vokabeln bezeichnet hat und der nicht mehr so leicht zu orten ist.«
(Helmut Böttiger, Tagesspiegel)
(Beatrix Langner, Neue Zürcher Zeitung)
»Glanzstücke des Romans sind die mitreißenden, in einem beängstigend langsamen Tempo gehaltenen Beschreibungen der Gewalteskalation.«
(Verena Auffermann, Süddeutschen Zeitung)
»Eine kongeniale Fortschreibung seines Debüts ?Wie man´s nimmt?: mitten hinein in jenen Punkt der Gesellschaft, den man immer mit ?Herz? oder ähnlich hilflosen Vokabeln bezeichnet hat und der nicht mehr so leicht zu orten ist.«
(Helmut Böttiger, Tagesspiegel)
"'Schule der Gewalt' ist ein intelligenter Gegenwartsroman, der niemanden kalt lassen wird. Der Herbst des Terrors hat seine Aktualität unerwartet verstärkt." Beatrix Langner in der 'Neuen Zürcher Zeitung'
"Glanzstücke des Romans sind die mitreißenden, in einem beängstigend langsamen Tempo gehaltenen Beschreibungen der Gewalteskalation." Verena Auffermann in der 'Süddeutschen Zeitung'
"Eine kongeniale Fortschreibung seines Debüts 'Wie man's nimmt': mitten hinein in jenen Punkt der Gesellschaft, den man immer mit 'Herz' oder ähnlich hilflosen Vokabeln bezeichnet hat und der nicht mehr so leicht zu orten ist." Helmut Böttiger im 'Tagesspiegel'
"Glanzstücke des Romans sind die mitreißenden, in einem beängstigend langsamen Tempo gehaltenen Beschreibungen der Gewalteskalation." Verena Auffermann in der 'Süddeutschen Zeitung'
"Eine kongeniale Fortschreibung seines Debüts 'Wie man's nimmt': mitten hinein in jenen Punkt der Gesellschaft, den man immer mit 'Herz' oder ähnlich hilflosen Vokabeln bezeichnet hat und der nicht mehr so leicht zu orten ist." Helmut Böttiger im 'Tagesspiegel'
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2001Es ist egal, aber
Norbert Niemanns Klassenhöllenfahrt · Von Richard Kämmerlings
Jeder Autor eines Romans muß seinem Helden irgendwann einen Namen geben, sei es auch der des Anonymus. Dieser Moment der Taufe ist zugleich die Stunde der Wahrheit. Nichts lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers so rasch, keine Entscheidung der Handlungsführung legt die Möglichkeiten des Autors so sehr fest wie der Name seiner Haupfigur, der im Idealfall die kürzestmögliche Summa des Werkes ist. Die Weltliteratur ist voll von Namen, die ihren Trägern zum Schicksal geworden sind: Die Lehrjahre eines Wilhelm Meister können gar nicht scheitern, ein Peter Kien muß mit seinem Wahn am Ende seine Bibliothek anstecken und der Ingenieur Walter Faber wird auf der ganzen Welt keinen Ort finden, wo er aus seiner Haut könnte.
Frank Beck heißt der Erzähler im zweiten Roman von Norbert Niemann. Er ist Ende Dreißig, geschieden, seine Tochter Luzie, die bei ihrer Mutter lebt, sieht er nur alle paar Tage. Beck ist Lehrer, und zwar einer der seiner eigenen Ansicht nach "lächerlichsten Sorte", nämlich "ausgerechnet" für Geschichte und Deutsch. Würde er in einem Leistungskurs seinen eigenen Namen zu deuten haben, fiele ihm wohl nur die englische Lesart ein: Wer Beck heißt, dem ist der Rückblick alles. In einer Unterrichtsreihe zur Gegenwartsliteratur ließe sich so auf das Erzählverfahren des Romans schließen, dessen Hauptfigur mit der Gegenwart nur in Form des historischen Präsens zurechtkommt. Am Morgen, vor der Klasse, verliert er bei seinen wirren Meditationen über das Wesen der Demokratie regelmäßig den Faden oder sieht wie gelähmt auf dem Pausenhof unvermittelten Gewaltausbrüchen zu. Erst wenn er des Nachts seine selbstquälerischen Beobachtungen in den Computer hackt, funktionieren seine pädagogischen Reflexe wieder.
Ob der bis zur Fahrlässigkeit tolerante Lehrer wohl die Interpretation eines dreisten Schülers gelten lassen würde, der bei Beck zuerst den gleichnamigen kalifornischen Rockstar im Auge oder - besser - im Ohr hat? Der Refrain seines bekanntesten Songs enthält die Zeile "I'm a loser, baby, so why don't you kill me?", und das scheint wie auf unseren Beck gemünzt, der nach seiner Trennung in einer tiefen Lebenskrise steckt. Jogging gegen seinen "beutelartigen Rumpf" betreibt er bis zur Erschöpfung, während er zugleich monomanisch an einem gewaltigen, aber äußerst wirren Projekt arbeitet, das irgendwie um Kindersoldaten, sexuellen Mißbrauch und Massenmedien kreist und exzessiven Fernsehkonsum erforderlich macht.
Der Verlierer Beck kämpft von Beginn an einen aussichtslosen Kampf. Denn sein Gegner ist namenlos: Beck tritt in den Ring mit der Hydra der Medien, die anonym, nicht zu bannen und gerade wegen ihrer Allgegenwart ungreifbar ist. Seine Aufzeichnungen sind wie eine Anklageschrift an ein unbestimmtes Du gerichtet, dessen Visage zwischen Sabine Christiansen, Ulrich Wickert und Johannes B. Kerner zu changieren scheint, um den wütenden Rundumschlägen ein konkretes Ziel zu bieten: "Denn noch ist jeder Erklärungsversuch, jede Charakterstudie über dich, ins Leere gelaufen. Man meint dich endlich festnageln zu können, ist im Begriff zuzuschlagen, schwingt bereits den Hammer, da löst du dich auch schon in Luft auf, erscheinst an ganz anderer Stelle . . . Verführung, Ausbeutung, Manipulation, Verblödung, Betäubung, Verarschung, Ablenkung, Blendung, alles vollkommen richtig, denkt man, und, zeitversetzt um den Bruchteil einer Sekunde, alles vollkommen falsch, alles vollkommen lächerlich."
Dieser endlosen Suada stand das Heideggersche "Man" ebenso Pate wie Adornos Thesen über die Kulturindustrie. Schon Niemanns vielbeachteter Debütroman "Wie man's nimmt" machte die Simulationsmaschine der Medien für die Krise des erfolgreichen Restaurators Peter Schönlein verantwortlich, dessen saturierte Existenz in Scherben fällt, als er auf der Suche nach dem authentischen Kern seiner Persönlichkeit wie bei einer Zwiebel am Ende nichts als Schalen in den Händen hält: Jede Lebenshaltung ein Abklatsch billiger Schablonen, jede Geste Kennzeichen eines millionenfach verbreiteten Formats.
Daß der Furor, mit dem Beck sich in den Netzen des totalen Verblendungszusammenhang windet, die gleichen Wurzeln hätte wie der sich blitzartig im Cliquenterror entladende Haß seiner Schüler, das ist die entscheidende Klippe in dieser monomanischer Reflexionsmaschine. Daß er bei den Schülern seiner Lieblingsklasse durchaus beliebt ist und Mitglieder der tonangebende Clique seit Jahren ihre Freizeit in seiner völlig unproduktiven Theater-AG totschlagen, verschafft keine Erleichterung. Denn Beck leidet unter seiner Rolle als bloßer Beobachter der Jugend, deren Welt ihm trotz ihrer täglichen Nähe vollständig fremd bleibt. Beck will Teil einer Jugendbewegung sein, doch scheitert er mit seinen Versuchen auf der ganzen Linie. Mit Wedekinds "Frühlingserwachen" ist der Graben nicht zu überbrücken. Beim rituellen Zigarettenrauchen nach der Probe diskutiert man statt dessen über den Titel der neue Platte von "Tocotronic": "Es ist egal, aber. Egal. Aber. Aber, versteht ihr, aber."
Dieses Aber heißt für Beck Nadja. Die wachsende Verliebtheit in seine Schülerin, an deren Erwiderung er allzu gern glauben mag, ist Gradmesser seiner Regression auf den Stand eines um Anerkennung buhlenden Halbwüchsigen. Das von Niemann an dieser Stelle variierte Lolita-Motiv sollte davor warnen, dem bis zur Raserei eloquenten Erzähler jedes Wort abzukaufen, zumal seine Selbstrechtfertigung stets im Gewand der höhnischen Anklage seines flimmernden Gegenübers daherkommt. Daß eifersüchtige Klassenkameraden und die durch anonyme Hinweise alarmierte Schulleitung nun schwer an die Harmlosigkeit der Beziehung glauben können, ist verständlich, wenn sich die beiden schließlich sogar im Hotel treffen.
Beck sieht sich - nur weiter bestärkt in seinem konstruktivistischen Weltbild - als Opfer einer Kampagne, die die Vorwürfe seiner geschiedenen Frau noch einmal wiederholt. Auch seine Tochter soll er nicht mehr sehen, weil seine Obsession mit medialer Sex- und Gewaltdarstellung auf dubiose Absichten schließen ließe. Becks ethnographische Studien am lebenden Objekt, seine teilnehmende Beobachtung der aggressiven Gruppendynamik, drängen ihn immer mehr in die Rolle des Sündenbocks, dem jeder Tiefschlag zur masochistischen Bestätigung seiner Zugehörigkeit wird. Schon früh glaubte Beck selbst aus dem abweisenden Schweigen an ihn allein adressierte Botschaften herauszuhören. Der grassierende "Analphabetismus des Lebens" hindert aber auch ihn daran, die Zeichen nicht zu deuten. "Laß es gut sein. Unser Leben wirst du nie kapieren" - ausgerechnet Nadja macht die Desillusionierung komplett. Es ist ihm egal, aber.
Das letzte Kapitel schildert eine Klassenfahrt nach Leipzig, die Beck, umstellt von seinen eigenen Phantasmen, als Höllentrip durchlebt. Während die Schüler fleißig für die geplante Aufführung des "Sommernachtstraums" Text pauken, spielt Beck seine eigene Tragikomödie von Sein und Schein. Er hat sich ein Messer besorgt und ersehnt irgendeine finale Auseinandersetzung, um in der Eskalation den gordischen Knoten endlich durchschlagen zu können. Die Wirklichkeit wird endgültig zum Labyrinth und Schauplatz eines heimtückischen Partisanenkriegs, in dem Beck, inzwischen auf Schritt und Tritt von seinen eigenen Schülern schikaniert und terrorisiert, nur auf die endgültige Antwort der Klasse auf die große Prüfungsfrage zu warten scheint: "Warum bringt ihr mich nicht um?"
Niemanns Buch hat einen ganz aktuellen und recherchegesättigten Kern, seine Schilderungen des Schulalltags sind sehr genau beobachtet und treffend, allenfalls bei den lieben Lehrerkollegen geht das satirische Temperament mit Niemann durch - etwa wenn der Altachtundsechziger unter einer neuen, auf Ordnung und Disziplin setzenden Direktion plötzlich Blockwartsallüren an den Tag legt und Demokratieverständnis mit dem Holzhammer einprügeln will. Doch Niemann predigt trotz allem keinen neuen Realismus, der per Stoffwahl und Recherche allein schon die Höhe der Zeit erklommen sieht. Die während der Entstehungszeit des Romans schwelende Debatte um Jugendgewalt wird zitiert, um das Entgleiten der Wirklichkeit im Versuch ihrer Abbildung zu demonstrieren.
"Die Schule der Gewalt" ist ein Roman der Projektionen und als solcher auch eine Parabel über die Verstrickung jedes vermeintlich unbeteiligten Beobachters. Der Medienkritiker Beck ist sich darüber im klaren, daß seine Vorstellungen über die jüngere Generation vorgefertigten Mustern folgen. Sein Leiden erwächst aus dem schwindelnden Blick in den unüberwindbaren Graben zwischen den Generationen, den auch die Beziehung zu Nadja lediglich für winzige Momente vergessen machen kann. Doch so befindet sich Niemann auf dem gleichen verlorenen Posten wie sein scheiternder Held; der Schleier des falschen Bewußtseins läßt auch die Romanhandlung nicht unberührt.
Wenn Niemann am Ende den bereits jenseits der Schwelle zum Wahnsinn agierenden Beck buchstäblich ins offene Messer rennen läßt, aber an dem Punkt abbricht, wo endlich die Wahrheit hinter allen Bildern zum Vorschein kommen soll, läßt er den Leser konsequenterweise ratlos zurück. Das ist unbefriedigend wie jedes offene Ende. Doch schützt es vor der Illusion, wir seien klüger als Frank Beck.
Norbert Niemann: "Schule der Gewalt". Roman. Carl Hanser Verlag, München 2001. 317 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Norbert Niemanns Klassenhöllenfahrt · Von Richard Kämmerlings
Jeder Autor eines Romans muß seinem Helden irgendwann einen Namen geben, sei es auch der des Anonymus. Dieser Moment der Taufe ist zugleich die Stunde der Wahrheit. Nichts lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers so rasch, keine Entscheidung der Handlungsführung legt die Möglichkeiten des Autors so sehr fest wie der Name seiner Haupfigur, der im Idealfall die kürzestmögliche Summa des Werkes ist. Die Weltliteratur ist voll von Namen, die ihren Trägern zum Schicksal geworden sind: Die Lehrjahre eines Wilhelm Meister können gar nicht scheitern, ein Peter Kien muß mit seinem Wahn am Ende seine Bibliothek anstecken und der Ingenieur Walter Faber wird auf der ganzen Welt keinen Ort finden, wo er aus seiner Haut könnte.
Frank Beck heißt der Erzähler im zweiten Roman von Norbert Niemann. Er ist Ende Dreißig, geschieden, seine Tochter Luzie, die bei ihrer Mutter lebt, sieht er nur alle paar Tage. Beck ist Lehrer, und zwar einer der seiner eigenen Ansicht nach "lächerlichsten Sorte", nämlich "ausgerechnet" für Geschichte und Deutsch. Würde er in einem Leistungskurs seinen eigenen Namen zu deuten haben, fiele ihm wohl nur die englische Lesart ein: Wer Beck heißt, dem ist der Rückblick alles. In einer Unterrichtsreihe zur Gegenwartsliteratur ließe sich so auf das Erzählverfahren des Romans schließen, dessen Hauptfigur mit der Gegenwart nur in Form des historischen Präsens zurechtkommt. Am Morgen, vor der Klasse, verliert er bei seinen wirren Meditationen über das Wesen der Demokratie regelmäßig den Faden oder sieht wie gelähmt auf dem Pausenhof unvermittelten Gewaltausbrüchen zu. Erst wenn er des Nachts seine selbstquälerischen Beobachtungen in den Computer hackt, funktionieren seine pädagogischen Reflexe wieder.
Ob der bis zur Fahrlässigkeit tolerante Lehrer wohl die Interpretation eines dreisten Schülers gelten lassen würde, der bei Beck zuerst den gleichnamigen kalifornischen Rockstar im Auge oder - besser - im Ohr hat? Der Refrain seines bekanntesten Songs enthält die Zeile "I'm a loser, baby, so why don't you kill me?", und das scheint wie auf unseren Beck gemünzt, der nach seiner Trennung in einer tiefen Lebenskrise steckt. Jogging gegen seinen "beutelartigen Rumpf" betreibt er bis zur Erschöpfung, während er zugleich monomanisch an einem gewaltigen, aber äußerst wirren Projekt arbeitet, das irgendwie um Kindersoldaten, sexuellen Mißbrauch und Massenmedien kreist und exzessiven Fernsehkonsum erforderlich macht.
Der Verlierer Beck kämpft von Beginn an einen aussichtslosen Kampf. Denn sein Gegner ist namenlos: Beck tritt in den Ring mit der Hydra der Medien, die anonym, nicht zu bannen und gerade wegen ihrer Allgegenwart ungreifbar ist. Seine Aufzeichnungen sind wie eine Anklageschrift an ein unbestimmtes Du gerichtet, dessen Visage zwischen Sabine Christiansen, Ulrich Wickert und Johannes B. Kerner zu changieren scheint, um den wütenden Rundumschlägen ein konkretes Ziel zu bieten: "Denn noch ist jeder Erklärungsversuch, jede Charakterstudie über dich, ins Leere gelaufen. Man meint dich endlich festnageln zu können, ist im Begriff zuzuschlagen, schwingt bereits den Hammer, da löst du dich auch schon in Luft auf, erscheinst an ganz anderer Stelle . . . Verführung, Ausbeutung, Manipulation, Verblödung, Betäubung, Verarschung, Ablenkung, Blendung, alles vollkommen richtig, denkt man, und, zeitversetzt um den Bruchteil einer Sekunde, alles vollkommen falsch, alles vollkommen lächerlich."
Dieser endlosen Suada stand das Heideggersche "Man" ebenso Pate wie Adornos Thesen über die Kulturindustrie. Schon Niemanns vielbeachteter Debütroman "Wie man's nimmt" machte die Simulationsmaschine der Medien für die Krise des erfolgreichen Restaurators Peter Schönlein verantwortlich, dessen saturierte Existenz in Scherben fällt, als er auf der Suche nach dem authentischen Kern seiner Persönlichkeit wie bei einer Zwiebel am Ende nichts als Schalen in den Händen hält: Jede Lebenshaltung ein Abklatsch billiger Schablonen, jede Geste Kennzeichen eines millionenfach verbreiteten Formats.
Daß der Furor, mit dem Beck sich in den Netzen des totalen Verblendungszusammenhang windet, die gleichen Wurzeln hätte wie der sich blitzartig im Cliquenterror entladende Haß seiner Schüler, das ist die entscheidende Klippe in dieser monomanischer Reflexionsmaschine. Daß er bei den Schülern seiner Lieblingsklasse durchaus beliebt ist und Mitglieder der tonangebende Clique seit Jahren ihre Freizeit in seiner völlig unproduktiven Theater-AG totschlagen, verschafft keine Erleichterung. Denn Beck leidet unter seiner Rolle als bloßer Beobachter der Jugend, deren Welt ihm trotz ihrer täglichen Nähe vollständig fremd bleibt. Beck will Teil einer Jugendbewegung sein, doch scheitert er mit seinen Versuchen auf der ganzen Linie. Mit Wedekinds "Frühlingserwachen" ist der Graben nicht zu überbrücken. Beim rituellen Zigarettenrauchen nach der Probe diskutiert man statt dessen über den Titel der neue Platte von "Tocotronic": "Es ist egal, aber. Egal. Aber. Aber, versteht ihr, aber."
Dieses Aber heißt für Beck Nadja. Die wachsende Verliebtheit in seine Schülerin, an deren Erwiderung er allzu gern glauben mag, ist Gradmesser seiner Regression auf den Stand eines um Anerkennung buhlenden Halbwüchsigen. Das von Niemann an dieser Stelle variierte Lolita-Motiv sollte davor warnen, dem bis zur Raserei eloquenten Erzähler jedes Wort abzukaufen, zumal seine Selbstrechtfertigung stets im Gewand der höhnischen Anklage seines flimmernden Gegenübers daherkommt. Daß eifersüchtige Klassenkameraden und die durch anonyme Hinweise alarmierte Schulleitung nun schwer an die Harmlosigkeit der Beziehung glauben können, ist verständlich, wenn sich die beiden schließlich sogar im Hotel treffen.
Beck sieht sich - nur weiter bestärkt in seinem konstruktivistischen Weltbild - als Opfer einer Kampagne, die die Vorwürfe seiner geschiedenen Frau noch einmal wiederholt. Auch seine Tochter soll er nicht mehr sehen, weil seine Obsession mit medialer Sex- und Gewaltdarstellung auf dubiose Absichten schließen ließe. Becks ethnographische Studien am lebenden Objekt, seine teilnehmende Beobachtung der aggressiven Gruppendynamik, drängen ihn immer mehr in die Rolle des Sündenbocks, dem jeder Tiefschlag zur masochistischen Bestätigung seiner Zugehörigkeit wird. Schon früh glaubte Beck selbst aus dem abweisenden Schweigen an ihn allein adressierte Botschaften herauszuhören. Der grassierende "Analphabetismus des Lebens" hindert aber auch ihn daran, die Zeichen nicht zu deuten. "Laß es gut sein. Unser Leben wirst du nie kapieren" - ausgerechnet Nadja macht die Desillusionierung komplett. Es ist ihm egal, aber.
Das letzte Kapitel schildert eine Klassenfahrt nach Leipzig, die Beck, umstellt von seinen eigenen Phantasmen, als Höllentrip durchlebt. Während die Schüler fleißig für die geplante Aufführung des "Sommernachtstraums" Text pauken, spielt Beck seine eigene Tragikomödie von Sein und Schein. Er hat sich ein Messer besorgt und ersehnt irgendeine finale Auseinandersetzung, um in der Eskalation den gordischen Knoten endlich durchschlagen zu können. Die Wirklichkeit wird endgültig zum Labyrinth und Schauplatz eines heimtückischen Partisanenkriegs, in dem Beck, inzwischen auf Schritt und Tritt von seinen eigenen Schülern schikaniert und terrorisiert, nur auf die endgültige Antwort der Klasse auf die große Prüfungsfrage zu warten scheint: "Warum bringt ihr mich nicht um?"
Niemanns Buch hat einen ganz aktuellen und recherchegesättigten Kern, seine Schilderungen des Schulalltags sind sehr genau beobachtet und treffend, allenfalls bei den lieben Lehrerkollegen geht das satirische Temperament mit Niemann durch - etwa wenn der Altachtundsechziger unter einer neuen, auf Ordnung und Disziplin setzenden Direktion plötzlich Blockwartsallüren an den Tag legt und Demokratieverständnis mit dem Holzhammer einprügeln will. Doch Niemann predigt trotz allem keinen neuen Realismus, der per Stoffwahl und Recherche allein schon die Höhe der Zeit erklommen sieht. Die während der Entstehungszeit des Romans schwelende Debatte um Jugendgewalt wird zitiert, um das Entgleiten der Wirklichkeit im Versuch ihrer Abbildung zu demonstrieren.
"Die Schule der Gewalt" ist ein Roman der Projektionen und als solcher auch eine Parabel über die Verstrickung jedes vermeintlich unbeteiligten Beobachters. Der Medienkritiker Beck ist sich darüber im klaren, daß seine Vorstellungen über die jüngere Generation vorgefertigten Mustern folgen. Sein Leiden erwächst aus dem schwindelnden Blick in den unüberwindbaren Graben zwischen den Generationen, den auch die Beziehung zu Nadja lediglich für winzige Momente vergessen machen kann. Doch so befindet sich Niemann auf dem gleichen verlorenen Posten wie sein scheiternder Held; der Schleier des falschen Bewußtseins läßt auch die Romanhandlung nicht unberührt.
Wenn Niemann am Ende den bereits jenseits der Schwelle zum Wahnsinn agierenden Beck buchstäblich ins offene Messer rennen läßt, aber an dem Punkt abbricht, wo endlich die Wahrheit hinter allen Bildern zum Vorschein kommen soll, läßt er den Leser konsequenterweise ratlos zurück. Das ist unbefriedigend wie jedes offene Ende. Doch schützt es vor der Illusion, wir seien klüger als Frank Beck.
Norbert Niemann: "Schule der Gewalt". Roman. Carl Hanser Verlag, München 2001. 317 S., geb., 39,80 DM.
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