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In mehr als 60 Kapiteln werden Dimensionen von Lernen in der Schule umrissen: von Lerntheorien, Erziehungsstilen, Leistungstests, Bildungsinvestitionen und pädagogischer Forschung im Unterricht

Produktbeschreibung
In mehr als 60 Kapiteln werden Dimensionen von Lernen in der Schule umrissen: von Lerntheorien, Erziehungsstilen, Leistungstests, Bildungsinvestitionen und pädagogischer Forschung im Unterricht
Autorenporträt
Hans Brügelmann ist Professor für Grundschuldidaktik in Siegen, wo er mit dem Projekt OASE ("Offene Arbeits- und Sozialformen entwickeln") u.a. eine "Elternschule an der Uni" in Gang gesetzt hat. Seine Bücher und über 200 Aufsätze in verschiedenen Sprachen beschäftigen sich vor allem mit der "Öffnung des Unterrichts", dem eigenaktiven Schriftspracherwerb von Kindern und Fragen der Schulreform. Aus dem Projekt "Kinder auf dem Weg zur Schrift" sind Konzepte und viele methodische Ideen in die Regenbogen-Lesekiste und die Ideen- Kiste 1 - Schrift-Sprache eingegangen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2006

Unterricht
Pädagogik für Praktiker
Sind kleine Klassen besser? Müssen Hausaufgaben sein? Werden Schüler immer schlechter? Ein Forscher sucht Antworten auf alte Streitfragen
Das Verhältnis der meisten Lehrer zur Erziehungswissenschaft ist von Indifferenz geprägt, wenn nicht gar von ausgesprochener Feindseligkeit. Sie sind froh, dem Referendariat entronnen zu sein - und damit der Verpflichtung, ihren Unterricht auf wissenschaftlicher Grundlage zu planen und zu halten. Oft nehmen sie nur noch ein bis zweimal in ihrer Laufbahn Kontakt zur aktuellen Didaktik auf, nämlich dann, wenn ein anstehendes Beförderungsverfahren es von ihnen verlangt.
Und wer könnte es ihnen verdenken? Galt es beispielsweise in den siebziger Jahren als korrekt, in jeder Unterrichtsstunde einen schier unendlichen Katalog von Lernzielen kognitiver, affektiver und sozialer Art zu erreichen, wurde deren Anzahl ein Jahrzehnt später auf vier oder fünf reduziert. Diese allerdings mussten „operationalisierbar”, also überprüfbar sein. Und zwar anhand dessen, was die Klasse im Unterricht tut.
Heute formulieren nordrhein-westfälische Lehramtsanwärter fachliche, methodische und soziale Kompetenzen, die ihre Schüler in der jeweiligen Stunde erwerben sollen. Es mag durchaus sein, dass in Hessen oder Sachsen andere didaktische und methodische Vorstellungen die Lehrerausbildung prägen. Doch angesichts der Tatsache, dass zwischen den Vorführstunden angehender Lehrer und ihrer späteren täglichen Unterrichtsroutine gewöhnlich Welten liegen, spielt dies keine große Rolle.
Verwirrende Forschungslage
Wichtiger ist, dass professionelle Pädagogen ihre Fachwissenschaft oft als Disziplinierungs- und Machtinstrument erleben. Schließlich macht die Schulbürokratie aus manchem, was an den Universitäten gedacht und geforscht wird, Richtlinien und Vorschriften, die es an den Schulen dann möglichst geschickt zu ignorieren gilt. Denn von den Problemen der Praxis, das versichern gestandene Lehrer gerne, hätten weder die Pädagogikprofessoren noch die Beamten der Kultusministerien besonders viel Ahnung.
Es herrscht also ein „schwieriges Verhältnis” zwischen Erziehungswissenschaftlern und Lehrern, wie Hans Brügelmann konstatiert. Dabei gehört der Professor selbst zu einer der beiden Fraktionen. Allerdings handelt es sich bei dem Grundschulpädagogen von der Universität Siegen glücklicherweise nicht um einen jener Forscher, die „ihre Ergebnisse als Vorschrift” formulieren, wie er schreibt. Sein Verständnis von Theorie und Praxis ist kooperativ. Lehrer sollen in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Erfahrungen wissenschaftlich zu reflektieren, allein schon, damit sie „empirischen Befunden und ihren theoretischen Interpretationen nicht hilflos ausgeliefert sind”. Wie das gehen soll, führt Brügelmann in seinem neuen Buch „Schule verstehen und gestalten” an vielen Beispielen eindrucksvoll vor.
So ist ein ewiger Streitpunkt zwischen den von Finanzproblemen gebeutelten Kultusministern und ihrer Lehrerschaft die Größe der Lerngruppen. Während Pädagogen und Eltern davon überzeugt sind, dass man in kleinen Klassen besser lernt, erlauben die Schulgesetze, durchaus mehr als 30 Fünftklässler gemeinsam zu unterrichten. Wenn dann - wie erst neulich - eine Studie den Beweis zu liefern scheint, dass die Klassengröße für die Effektivität des Unterrichts überhaupt keine Rolle spiele, fühlen sich die einen düpiert und die anderen bestätigt.
Brügelmann nimmt sich die verwirrende Forschungslage kritisch vor, klärt über die Hintergründe und Verfahrensweisen der jeweiligen Untersuchungen auf und fasst zusammen, was als halbwegs gesicherte Erkenntnis gelten kann. In diesem Fall: Kleinere Klassen garantierten - ebenso wenig wie andere strukturelle Maßnahmen - noch keinen größeren Lernerfolg, wenn sich nicht auch die Art des Unterrichts ändere. Außerdem müsse die Zahl der Kinder pro Klasse „deutlich unter 20 liegen”. Diese Aussage mag all jene betrüben, die sich für die nahe Zukunft spürbare organisatorische Veränderungen in der Schule wünschen. Aber sie hilft dabei, pädagogische Arbeit in einem realistischen Rahmen zu planen.
Auch andere Reizthemen handelt Brügelmann auf ähnlich souveräne Weise ab. Was nützen Hausaufgaben? Schneiden Kinder aus Einwandererfamilien nur auf Grund ihrer Sprachprobleme so schlecht in der Schule ab? Haben die Schülerleistungen in den letzten Jahrzehnten tatsächlich in dem besorgniserregenden Maße nachgelassen, wie es von vielen Ausbildungsbetrieben beklagt wird? Dabei überzeugt Brügelmann vor allem durch seine unaufgeregte Schreibweise, die nichts von dem oft unangenehm apodiktischen Verkündigungston gängiger pädagogischer Ratgeber hat. Dies gilt vor allem dann, wenn man dem Autor gerne widersprechen möchte. Denn die prinzipielle Unvoreingenommenheit, mit der hier unterschiedliche Theorien und Forschungsergebnisse diskutiert werden, bedeutet nicht den Verzicht auf eine eigene Position, und diese ist in seinem Fall eindeutig reformpädagogisch akzentuiert.
Lernen bleibt ein Rätsel
Nun wird nicht jeder Leser finden, dass eine Schule, die sich zum Ziel gesetzt hat, auch die „fachlichen Qualifikationen” zukünftiger Arbeitskräfte zu trainieren, ihre Schüler nicht mehr als „eigenständige Persönlichkeiten” respektiert. Das wäre ein trauriges Zeugnis für das berufsbildende Schulwesen. Auch Brügelmanns ablehnende Haltung gegenüber lehrergesteuertem Unterricht oder, wie er es nennt, „hierarchischen Formen der Belehrung” dürfte mancher nicht teilen wollen.
Aber dennoch werden auch solche kritischen Leser dieses Buch mit Gewinn nutzen können. Und sei es, um die eigene Unterrichtspraxis zu reflektieren. Schließlich wissen wir immer noch sehr wenig darüber, wie Menschen lernen. Gesicherte Erkenntnisse über die richtige Unterrichtsmethodik, auch das erfährt man aus dieser „etwas anderen Einführung in die Erziehungswissenschaften”, sind rar.
„Niemand kann vorhersagen, wie verschiedene Kinder und Jugendliche auf dieselbe Handlung reagieren”, schreibt Brügelmann in seinem Schlusswort, aber das ist nicht resignierend gemeint, sondern als Appell, das eigene pädagogische Handeln und dessen Folgen bei aller notwendiger Routine kritisch wahrzunehmen. Deshalb wäre es schade, wenn sein Buch nur als nützliches Nachschlagewerk auf dem Schreibtisch von Lehramtsstudierenden landen würde. Schließlich ist es geeignet, das Misstrauen der Unterrichtsprofis gegenüber der Erziehungswissenschaft nachhaltig zu erschüttern.
JOACHIM FELDMANN
HANS BRÜGELMANN: Schule verstehen und gestalten. Perspektiven der Forschung auf Probleme von Erziehung und Unterricht. Libelle Verlag, Lengwil 2005. 395 Seiten, 24 Euro
Erschlagen von Theorie: Das Lehramtsstudium übertreibt es mit didaktischer Methodik, im Beruf wollen viele Pädagogen nichts mehr davon wissen. Der Erziehungswissenschaftler Hans Brügelmann könnte sie eines Besseren belehren.
Foto: Ausserhofer/Joker
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