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'Schußangst' beschreibt die Verlorenheit des jungen Zivildienstleistenden Lukas, der die ersten Entscheidungen seines Lebens zu treffen hat. Unmerklich beginnt die Krise des Helden und steuert in immer rasanterem Tempo auf eine mögliche Gewalttat zu. Denn Lukas hat den Plan, einen Politiker zu erschießen, den Mann, der für den Krieg in Bosnien verantwortlich ist.

Produktbeschreibung
'Schußangst' beschreibt die Verlorenheit des jungen Zivildienstleistenden Lukas, der die ersten Entscheidungen seines Lebens zu treffen hat. Unmerklich beginnt die Krise des Helden und steuert in immer rasanterem Tempo auf eine mögliche Gewalttat zu. Denn Lukas hat den Plan, einen Politiker zu erschießen, den Mann, der für den Krieg in Bosnien verantwortlich ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.1998

Wie man sein Boot versenkt
Durchtrainiert: Dirk Kurbjuweits Roman "Schußangst"

Tagsüber ist Lukas Eiserbeck, Zivildienstleistender in Hamburg, als Samariter unterwegs. Nachts bildet er sich zum Terroristen fort. Eiserbeck, der wortkarge Ruderer, hat sich in den Kopf gesetzt, während der Friedensverhandlungen in Genf den "Arzt" zu ermorden, einen bosnisch-serbischen Psychiater mit dichtem Haarschopf, der für die Greuel von Sarajevo verantwortlich ist. Warum, möchte man wissen, geht das Lukas Eiserbeck soviel näher als Millionen von Fernsehzuschauern?

Hinter Eiserbecks moralischer Entrüstung steckt, so ist bald zu erfahren, eine erotische Enttäuschung, und beides läßt sich auf denselben Tag datieren. Am 27. Mai 1992 tötete auf dem Marktplatz in Sarajevo eine Bombe zwanzig Menschen. Am selben Tag lag Eiserbeck zum ersten Mal mit Isabella im Bett. Weil Eiserbeck aber nicht nur groß und stark, sondern auch ungeschickt ist, war das erste auch das letzte Mal. Isabellas Gunst, glaubt Eiserbeck, kann er nur durch eine politische Aktion zurückerobern. Er will der Muslimin indischer Herkunft beweisen, daß er ein Tatmensch ist. Noch fährt er Essen auf Rädern aus, aber er ist zum Letzten entschlossen. Andererseits plagt ihn "Schußangst".

"Schußangst" heißt die zweite Prosaveröffentlichung des Journalisten Dirk Kurbjuweit. Das journalistische Geschäft hat im Roman deutlich Spuren hinterlassen. Kurbjuweits Sprache ist direkt, und er segelt mitten im Wind der Aktualität. Rechte Wehrsportgruppen in der Elbmarsch, der Bosnienkrieg als Medienereignis, kaputte Typen auf St. Pauli: das sind Themen und Milieus, wie geschaffen für kritisch zupackende Reportagen. Die Figur Eiserbeck führt Kurbjuweit von einem sozialen Brennpunkt in den nächsten. Was den Helden, abgesehen von verlorener Liebesmühe, aus der Monotonie nächtlicher Trainingsfahrten im Einsitzer "Pudel" so plötzlich in die existentialistische Freiheit katapultierte, läßt sich nicht leicht nachvollziehen. Wie könnte es auch anders sein, mag man entgegnen, schließlich handelt es sich bei Eiserbecks Einmannverschwörung um eine einsame und irrationale Entscheidung.

Aber die Frage bleibt, ob wir diese Entscheidung für einen konstruktiven Einfall eines Romanautors oder für eine bei aller Unwahrscheinlichkeit psychologisch plausible Wendung im Leben einer Figur halten. Völlig vermag Kurbjuweits Eiserbeck-Psychogramm nicht zu überzeugen. Daß der junge Zivildienstleistende das Weltbild der Fünfzigjährigen und vor allem das einer penetranten Pastorin verabscheut, mag einiges begründen. Auch Kraftsport, Herzschmerz und Imponiergehabe sind in Rechnung zu stellen. Aber was macht die differentia specifica des Lukas Eiserbeck aus, dank welcher dieser unpolitische Mann um ein Haar in die politischen Weltnachrichten gelangt?

Das Widersprüchliche seines Charakters wird von Kurbjuweit fast nur behauptet, selten überzeugend gezeigt. Oder hängt Eiserbecks Attentatsentschluß vornehmlich an der wulstigen Narbe am Kopf, über die für ein paar Jahre das Haupthaar des Vergessens wuchs und die nun mit verfrüht einsetzendem Haarausfall erneut ans Tageslicht kommt? Oder hängt dieser Entschluß mit seiner vaterlosen Kindheit im westfälischen Erkenschwick zusammen? Was denkt Eiserbeck darüber? Eiserbeck denkt nicht viel, er rudert, schießt und schweigt. "Eiserbeck sagte nichts", heißt es immer wieder. Selten wird in einem Roman so viel trainiert und so wenig geredet.

Man erkennt den politisch-journalistischen Impetus von Kurbjuweits Roman auch daran, daß noch in scheinbaren Nebensachen das Absichtsvolle dominiert. Forciert und plakativ wirken diese Einzelheiten, und ausgedacht wirkt das allermeiste: Eiserbecks freudloser sportlicher Ehrgeiz, der ihn bis in den Deutschland-Achter der Junioren führte; die Trostlosigkeit der Essensempfänger, denen Eiserbeck übelriechende, lauwarme Mahlzeiten ins Haus bringt; die ahnungsvollen Gespräche mit einem Polizisten über Camus, Dostojewski und die Legitimität des Terrors. Das normale Leben fehlt. Die scheinbar starken Bilder, die Kurbjuweit für die Verstörung des Lukas Eiserbeck anbietet, sind in Wahrheit schwach. Sie bleiben nicht länger haften als der letzte "Tatort" aus Hamburg. "Das Außergewöhnliche", heißt ein Satz von James Joyce, "ist für die Journalisten." So gesehen, hat Dirk Kurbjuweit einen außergewöhnlichen Roman geschrieben. CHRISTOPH BARTMANN

Dirk Kurbjuweit: "Schußangst". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 320 S., geb., 39,80 DM.

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