"Landeskunde fördert die Verbundenheit der Menschen mit dem eigenen Lebensraum." Dieser vor nahezu 100 Jahren formulierte Auftrag ist nach wie vor hochaktuell. Die vertiefte Betrachtung des engeren Lebensraumes und die Vermittlung von Kenntnissen über Natur und Geschichte, Kultur und Wirtschaft stehen als Ziele und Aufgaben dieses Buches im Vordergrund. Dabei geht es um den bayerischen Regierungsbezirk Schwaben, das Gebiet zwischen Allgäu und Ries, Iller und Lech, das seine landschaftliche Eigenart, sein kulturelles Erbe und seine geschichtlichen Zeugnisse in Stadt und Land erstaunlich gut erhalten hat.Herausgeber und Hauptautor ist Prof. Dr. Hans Frei, als ehemaliger Bezirksheimatpfleger und Museumsleiter mit Land und Leuten in Schwaben bestens vertraut. Als Geograph und Historiker richtet er den Blick in die Tiefe der Zeit und auf verschiedene Dimensionen des Raumes. Thematische Beiträge für insgesamt 15 Kapitel stammen von renommierten Autoren.So wird dem interessierten Leser ein lebendiges und facettenreiches Bild von "Schwaben in Bayern" geboten. Es wird vertieft mit qualitätvollen Aufnahmen des überregional bekannten Fotografen Fritz Stettmayer und ergänzt mit aussagekräftigen Luftbildern von Siegfried Geyer und Ulrich Wagner.Mit Beiträgen von Bernhard Brenner, Wolfgang Fleischer, Markus Hilpert, Rolf Kießling, Andreas Link, Manuela Mayr, Christof Paulus, Christian Schedler, Michael Schneider und Georg Simnacher.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.01.2016Drei Kilo Geschichte
Bis heute ist es normal, dass dialektsprechende Südschwaben und Nordschwaben voneinander kein Wort verstehen.
Warum das so ist, steht in einem neuen Standardwerk, in dem selbst Alteingesessene noch dazulernen können
VON STEFAN MAYR
Augsburg – Dieses Buch kommt wuchtig daher, in jeglicher Hinsicht. Drei Kilo schwer, 24 mal 30 Zentimeter groß, 424 Seiten dick. Es ist eine Mischung aus Atlas, Nachschlagewerk, Reiseführer und Bilderbuch. „Schwaben in Bayern“ heißt der Band, den der Allgäuer Kunstverlag Fink zusammengestellt hat. Er ist für jeden Zugezogenen die perfekte Einführung in seine neue Heimat. Ein Standardwerk, in dem auch jeder alteingesessene Schwabe garantiert noch etwas dazulernt.
Von den Allgäuer Alpen bis zum Jurakalk im Riesbecken, von Augsburg bis Neu-Ulm, vom Bodensee bis zur Mündung des grünen Lechs in die blaue Donau bei Marxheim – Herausgeber Hans Frei und seine Mitautoren und Fotografen haben (fast) alles Sehens- und Wissenswerte in 19 Kapiteln zusammengefasst. Da bleibt kaum eine Frage offen. Frei war 17 Jahre lang Heimatpfleger, danach Museumsdirektor des Bezirks und Honorarprofessor für Kulturgeografie. Die Fotografien von Fritz Stettmayer sowie Siegfried Geyer und Ulrich Wagner sind mitunter grandios. Andere wiederum hätte man getrost weglassen können. Politiker im Kindergarten posierend oder in der ersten Reihe herumsitzend wirken eher störend.
Man kann dieses Buch durchblättern und einfach nur die Fotos genießen. Man kann sich aber auch in die Texte vertiefen. Sie sind fundiert, ausführlich, aber nicht zu wissenschaftlich, obwohl der sperrige Untertitel dies befürchten lässt. Das Buch bietet auch Karten und Grafiken, jedes interessante Naturphänomen und Bauwerk wird erläutert. Wie ist der Rieskrater entstanden? Wo kann man die Spuren des Meteoriteneinschlags heute noch sehen und begehen? Das Buch erklärt alles, auch mit Skizzen, die sogar Kinder verstehen.
Der Name Schwaben kommt von der germanischen Völkerschaft der Sueben, die während der Völkerwanderung zwischen 300 und 600 ihre Heimat an Elbe und Ostsee nach und nach verließen und in Richtung Südwesten zogen. Vom Stamm der Schwaben ging der Name dann auf die Alemannen über, die sich zwischen Lech und Vogesen niedergelassen hatten. So kam es, dass es heute bayerische und baden-württembergische Schwaben gibt.
Diese wollten sich gleich zweimal zu einem selbständigen „Großschwaben“ zusammenschließen: 1931 wurde in Augsburg der „Bund Schwaben und Reich“ gegründet. Sein Ziel: Die kulturellen und wirtschaftlichen Interessen des „altschwäbischen Stammlandes“ zu wahren – jenseits von Bayern. 1935 gab es sogar einen Schwabensender. Wer weiß, was aus diesen Initiativen geworden wäre, wenn sie vom NS-Regime nicht beendet worden wären. 1946 keimten die Gedankenspiele nochmals auf: Es gab Pläne, ein „Oberschwaben“ mit Augsburg als Hauptstadt und ein „Niederschwaben“ (Stuttgart) zu etablieren. Aber auch hieraus wurde nichts, diesmal waren die US-Amerikaner schuld: „Die Besatzungsmacht nahm auf Separatistenbewegungen keine Rücksicht“, stellt Historiker Wolfgang Fleischer trocken fest.
Die Umrisse von „Bayerisch-Schwaben“ sind willkürlich entstanden, meist ungeachtet von Sprach- und Naturgrenzen. Auch Napoleon hat an den Grenzen rumgewerkelt, aber die derzeitige Form bekam der Bezirk erst bei der Gebietsreform 1972: Damals wurde der Landkreis Aichach-Friedberg gebildet – mit ihm wurden Teile Altbaierns trotz ihrer ganz anderen Sprache und Mentalität plötzlich zu Schwaben ernannt. Das tut manchen zwar bis heute weh. Aber den Bezirk machen die Altbaiern noch bunter als er ohnehin schon ist mit seinen 1,8 Millionen Menschen. Bis heute ist es ganz normal, dass dialektsprechende Südschwaben und Nordschwaben voneinander kein Wort verstehen. Man kann das bedauern – oder toll finden. Schwaben ist wohl der vielseitigste Bezirk Bayerns, dieses Buch ist der Beweis.
Schwaben in Bayern – Historisch-geographische Landeskunde eines Regierungsbezirks;Kunstverlag Fink, Lindenberg, 29,90 Euro.
Auch Napoleon hat an
den Bezirksgrenzen
rumgewerkelt
Die Wörnitz mäandert durch das flache Riesbecken und macht dabei ihrem keltischen Namen Warantia („Die sich Krümmende“) alle Ehre.
Fotos: Kunstverlag Fink
Gehörte mal zur Benediktinerabtei: die Oberelchinger Kirche.
Die Breitachklamm bei Oberstdorf ist seit 1905 begehbar.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bis heute ist es normal, dass dialektsprechende Südschwaben und Nordschwaben voneinander kein Wort verstehen.
Warum das so ist, steht in einem neuen Standardwerk, in dem selbst Alteingesessene noch dazulernen können
VON STEFAN MAYR
Augsburg – Dieses Buch kommt wuchtig daher, in jeglicher Hinsicht. Drei Kilo schwer, 24 mal 30 Zentimeter groß, 424 Seiten dick. Es ist eine Mischung aus Atlas, Nachschlagewerk, Reiseführer und Bilderbuch. „Schwaben in Bayern“ heißt der Band, den der Allgäuer Kunstverlag Fink zusammengestellt hat. Er ist für jeden Zugezogenen die perfekte Einführung in seine neue Heimat. Ein Standardwerk, in dem auch jeder alteingesessene Schwabe garantiert noch etwas dazulernt.
Von den Allgäuer Alpen bis zum Jurakalk im Riesbecken, von Augsburg bis Neu-Ulm, vom Bodensee bis zur Mündung des grünen Lechs in die blaue Donau bei Marxheim – Herausgeber Hans Frei und seine Mitautoren und Fotografen haben (fast) alles Sehens- und Wissenswerte in 19 Kapiteln zusammengefasst. Da bleibt kaum eine Frage offen. Frei war 17 Jahre lang Heimatpfleger, danach Museumsdirektor des Bezirks und Honorarprofessor für Kulturgeografie. Die Fotografien von Fritz Stettmayer sowie Siegfried Geyer und Ulrich Wagner sind mitunter grandios. Andere wiederum hätte man getrost weglassen können. Politiker im Kindergarten posierend oder in der ersten Reihe herumsitzend wirken eher störend.
Man kann dieses Buch durchblättern und einfach nur die Fotos genießen. Man kann sich aber auch in die Texte vertiefen. Sie sind fundiert, ausführlich, aber nicht zu wissenschaftlich, obwohl der sperrige Untertitel dies befürchten lässt. Das Buch bietet auch Karten und Grafiken, jedes interessante Naturphänomen und Bauwerk wird erläutert. Wie ist der Rieskrater entstanden? Wo kann man die Spuren des Meteoriteneinschlags heute noch sehen und begehen? Das Buch erklärt alles, auch mit Skizzen, die sogar Kinder verstehen.
Der Name Schwaben kommt von der germanischen Völkerschaft der Sueben, die während der Völkerwanderung zwischen 300 und 600 ihre Heimat an Elbe und Ostsee nach und nach verließen und in Richtung Südwesten zogen. Vom Stamm der Schwaben ging der Name dann auf die Alemannen über, die sich zwischen Lech und Vogesen niedergelassen hatten. So kam es, dass es heute bayerische und baden-württembergische Schwaben gibt.
Diese wollten sich gleich zweimal zu einem selbständigen „Großschwaben“ zusammenschließen: 1931 wurde in Augsburg der „Bund Schwaben und Reich“ gegründet. Sein Ziel: Die kulturellen und wirtschaftlichen Interessen des „altschwäbischen Stammlandes“ zu wahren – jenseits von Bayern. 1935 gab es sogar einen Schwabensender. Wer weiß, was aus diesen Initiativen geworden wäre, wenn sie vom NS-Regime nicht beendet worden wären. 1946 keimten die Gedankenspiele nochmals auf: Es gab Pläne, ein „Oberschwaben“ mit Augsburg als Hauptstadt und ein „Niederschwaben“ (Stuttgart) zu etablieren. Aber auch hieraus wurde nichts, diesmal waren die US-Amerikaner schuld: „Die Besatzungsmacht nahm auf Separatistenbewegungen keine Rücksicht“, stellt Historiker Wolfgang Fleischer trocken fest.
Die Umrisse von „Bayerisch-Schwaben“ sind willkürlich entstanden, meist ungeachtet von Sprach- und Naturgrenzen. Auch Napoleon hat an den Grenzen rumgewerkelt, aber die derzeitige Form bekam der Bezirk erst bei der Gebietsreform 1972: Damals wurde der Landkreis Aichach-Friedberg gebildet – mit ihm wurden Teile Altbaierns trotz ihrer ganz anderen Sprache und Mentalität plötzlich zu Schwaben ernannt. Das tut manchen zwar bis heute weh. Aber den Bezirk machen die Altbaiern noch bunter als er ohnehin schon ist mit seinen 1,8 Millionen Menschen. Bis heute ist es ganz normal, dass dialektsprechende Südschwaben und Nordschwaben voneinander kein Wort verstehen. Man kann das bedauern – oder toll finden. Schwaben ist wohl der vielseitigste Bezirk Bayerns, dieses Buch ist der Beweis.
Schwaben in Bayern – Historisch-geographische Landeskunde eines Regierungsbezirks;Kunstverlag Fink, Lindenberg, 29,90 Euro.
Auch Napoleon hat an
den Bezirksgrenzen
rumgewerkelt
Die Wörnitz mäandert durch das flache Riesbecken und macht dabei ihrem keltischen Namen Warantia („Die sich Krümmende“) alle Ehre.
Fotos: Kunstverlag Fink
Gehörte mal zur Benediktinerabtei: die Oberelchinger Kirche.
Die Breitachklamm bei Oberstdorf ist seit 1905 begehbar.
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